Samstag, 20. April 2024

Das große Finale – Ironman Kopenhagen

Acht Wochen liegen zwischen dem traurigsten und dem glücklichsten Tag meines Lebens als Triathlet. Ich möchte den Ausgang der Geschichte nicht zu sehr glorifizieren, in der Hoffnung noch größere Erfolge feiern zu können, aber ich habe ohne Frage noch immer Gänsehaut, wenn ich an den 18.08.2019 in Kopenhagen denke. In 8:19:14 Stunden habe ich den längsten Tag des Jahres nach vielen Spekulationen von Szenekennern, wohl zum kürzesten für einen Amateurathleten jemals gemacht.

Mir klingen die Reaktionen meiner Kollegen und Freunde noch schrill in den Ohren, nachdem ich noch mit Armschlinge verkündet hatte, bereits wenige Wochen später in Kopenhagen alles auf eine Karte zu setzen. Aber nachdem klar war, dass ich nicht in Klagenfurt an der Startlinie stehen konnte, blieb mir nichts anderes übrig, als es in Kopenhagen zu versuchen. Und genau so kam es.

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Unfassbar aufgeregt war ich in der Rennwoche. Bereits am Montag setzte diese unangenehme Nervosität ein. Die letzte Einheit am Sonntag eine Woche vor dem Rennen lief watt- und pulstechnisch eher mittelmäßig. Das Studium der Ergebnisse aus 2018 flößte mir unfassbar viel Ehrfurcht vor den unberechenbaren Dänen ein. Ich wollte doch nur einen Hawaii-Slot! Aber selbst das scheinbar realistische Ziel verunsicherte mich. Den Zusprüchen von meinen Freunden sowie meinem Coach konnte ich auch nicht so recht trauen. Ich meine, was sollen die auch anderes sagen, ein Grundverständnis von Motivation besitzt die ja irgendwie alle. Im Wochenverlauf intensivierten sich meine Sorgen stetig, meinen Urlaub nicht auf Hawaii verbringen zu dürfen und mir voller Selbstmitleid wochenlang die Instagram-Stories meiner Specialized-Zwift-Tri-Academy-Team-Mitglieder anschauen zu müssen. Erst am Samstag vor dem Rennen wechselte langsam die Stimmung in meinem Inneren. Genau zwei Dinge sind mir wichtig am Tag vorm Rennen. Erstens Pizza zum Abendbrot. Zweitens und noch viel wichtiger, das Anschwitzen im Race-Setup. Einteiler, Helm, Rad, Laufschuhe, Socken. All die Sachen die ich am Renntag trage, streife ich mir für 60 Minuten am Vortag über und schaue, wie ich mich fühle und am Samstag fühlte ich mich mächtig! Ich kam nach dem Einrollen und Einlaufen nach Hause und sagte nur: „Könnte gut werden morgen!“

Nachts vor den Rennen schlafe ich immer super, man kann nichts mehr ändern, weiß letztlich worauf man sich eingelassen hat und man hat es unversehrt bis hierhin geschafft, welchen Grund gäbe es also, vor einem Rennen nicht gut zu schlafen? Ausgeschlafen und mit einem leichten Frühstück sowie ausreichend Kaffee aufgetankt, starte ich um 5:00 Uhr in Richtung Wechselzone. Nach dem Check-In stellte ich mich in die lange Toilettenreihe. Schlussendlich wurde es dann so knapp, dass ich mir nur noch den Neoprenanzug überstreifte und kalt zum Start taperte. Das Gute am Ironman? Da tut es erst am Ende weh, warmmachen ist da eher optional. Meiner Schwimmfähigkeit nicht trauend stellte ich mich in einiger Entfernung zu den ersten Startern auf.

Es geht los

Bäm! Der Startschuss. Der Puls schnellt nochmal kurzzeitig nach oben, Adrenalin fließt in die Venen, die Finger kribbeln und der Blick wird eisig. Jetzt gibt’s nur noch vorwärts! Das Schwimmen in der durch eine Buhne von der Ostsee abgetrennten Bucht war angenehm und klar. Einzig das flache Wasser gepaart mit längeren Wasserpflanzen präsentierte hier und da eine unangenehme Konstellation. Im mit 18 Grad perfekt temperierten Wasser, schwamm ich Boje für Boje, Athlet für Athlet, Armzug für Armzug in Richtung Spitze. Ich fühlte mich super und war froh, ganz bewusst die einzigen zwei Wochen die mir fürs Training blieben im Neoprenanzug verbracht zu haben. Gut 54 Minuten nachdem ich ins Wasser lief, entsprang ich auch schon wieder den Fluten. Der Blick auf die Uhr ließ mich vor Freude strahlen!

Privat Auch ohne zusätzliche Gelflasche war das Radfahren für Philipp die beste Disziplin.

Neoprenanzug aus, Helm auf und los ging es im Laufschritt Richtung Fahrrad. Ich glaube, es gab keine Disziplin, auf die ich mich mehr freute, als aufs Rad. Nach drei Kilometern verlor ich zum ersten Mal meine Gelflasche. Für jemanden der nicht Jan Frodeno ist, lag es auf der Hand umzudrehen und die verlorene Flasche aufzusammeln. Fünf Kilometer später, im Herzen Kopenhagens entschied ich mich anders. In meiner Bentobox waren noch Reservegels, außerdem war der Tank voll mit Verpflegung. Danach kann ich nichts anderes sagen, als „es lief“! Ich fühlte mich großartig, gleichzeitig hielt ich mich die gesamte Radstrecke zurück. Nach 70 Kilometern rief mir unterwegs eine Frau zu: „First Male“. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was das für ein tolles Gefühl ist. 70 Kilometer an allen vorbei zu fliegen und in der Vermutung schneller zu sein, als alle anderen auch noch 110 Kilometer einsam an der Spitze ein Rennen führen zu können!

Die wichtigste Unterstützung

Am Wendepunkt standen meine Familie und meine Freundin – meine größten Fans! Ohne die geht nichts. In perfekter Supporter-Choreographie riefen mir zwei Leute die Zeiten zu, während meine Mama mich anfeuerte und meine Freundin Fotos machte! Die zweite Runde wurde quirlig. Mittlerweile waren alle 2.600 Athleten auf dem Rad, es herrschte Rush Hour. An der malerischen Küstenstraße war noch ausreichend Platz zum Überholen vorhanden. Dennoch fuhr ich ausgesprochen vorsichtig, denn die teilweise nassen Straßen erweckten in mir ein kleines Déjà-vu. Eineinhalb Wochen vor dem Rennen opferte ich während einer Trainingsausfahrt einen Teil meiner Arm- und Hüfthaut dem Asphaltgott. In einer regennassen Kurve stürzte ich und schlitterte samt Rennrad über den Asphalt. Mental genau das Richtige, wenn man sich von einem Sturz mit Knochenbruch erholt. Aber egal, geheult habe ich im Blog davor genug. Ich fuhr also vorsichtig und konnte daher die wirklich wundervolle Strecke nicht so richtig genießen. Von der Küste weg ins Landesinnere zurück, führte die Radstrecke über engere gewundene Straßen, mit allerhand Split am Wegesrand. Dementsprechend viele Sportler sah ich am Rand mit plattem Reifen. Konsequenz war jedoch, dass fast alle mitten auf der Straße fuhren und Überholmanöver zu Kunstflügen machten. Mehrfach scherten Athleten aus, ohne vorher den Schulterblick zu praktizieren und provozierten mindestens zwei Beinaheunfälle mit mir. Knappe vier bis fünf Kilometer vor der zweiten Wechselzone holte ich die zweite Profidame Camilla Pedersen ein und überholte auch direkt. Mein Vorsprung in der Altersklasse war auf fast 15 Minuten angewachsen.

In der Wechselzone angekommen ließ ich mir entsprechend Zeit, während neben mir Anne Haug die Schuhe schnürte und Ihr Leid vom platten Reifen klagte. Schon beim Absteigen vom Rad merkte ich, dass ich immer noch super Beine hatte. Natürlich hielt ich mich nicht an die Wattvorgaben vom Coach, man darf da schon immer gut fünf Prozent draufschlagen aber bis dato bereute ich das kein bisschen. Im Gegenteil, Rennzeit und Beine gaben mir recht. Der Marathon ist nach meiner Erfahrung immer eine ganz miese Kiste. Bei meinem ersten Ironman sowie dem Ironman Hawaii 2018 lief ich jeweils komplett ins Verderben. Entsprechen ängstlich lief ich los. Ich wollte einfach nur irgendwie durchkommen, als ich allerdings hörte, den Marathon mit knapp sieben Minuten Vorsprung auf den Gesamtzweiten zu starten, waren sämtliche Ängste vergessen, nur noch der Wille zum Sieg blieb. Genau wie auf dem Rad nahm ich die Zeitvorgaben vom Coach und rannte ein wenig schneller. Kilometer für Kilometer spulte ich ab und sah den Zweitplatzierten mit jeder Runde näherkommen. An jeder Verpflegungsstelle nahm ich mit, was kam und alle sechs Kilometer gab es zusätzlich ein Gel. Nach ungefähr 17 Kilometern fing es dann endlich an, richtig weh zu tun. Ich meine, wir alle mögen den Schmerz ja schon ein wenig. Die Menschen am Streckenrand halfen mir hier durch die dunklen Zeiten. Wildfremde Menschen riefen mir zu und feuerten mich an, eine ganze Menge kannten meinen Spitznamen. Ich weiß nicht, ob es an meinem Blog liegt oder an der Academy, mir war es zu dem zu dem Zeitpunkt völlig egal, woher mich die Menschen kannten.

Privat Philipp spult weiter seine Kilometer ab, auch wenn es weh tut.

Ich wollte allen beweisen – eine Verletzung ist kein Hindernis! Gebt niemals auf! „Pipifax, hol dir die Quali!“, rief da einer. Großartige Gefühle regten sich dabei bei mir. Nur einen interessierte das alles nicht. Der Zweite Lars Dyrholm kam immer näher – auf vier Minuten verkürzte sich der Vorsprung während der ersten drei Runden. Auf dem Weg in die vierte Runde rief mir Till Schenk euphorisch zu: „Lauf Digger, der Zweite läuft schneller, wenn alles dabeibleibt, bis du 30 Sekunden vor ihm im Ziel. Halt es zusammen!“ Jeder Schritt tat weh, die Oberschenkel brannten wie das Höllenfeuer. Ständig freute ich mich darauf, einfach mal ein paar Meter zu gehen, aber aufgeben kam nicht in Frage. Ich spulte weiter meine Kilometer ab, wie ein Uhrwerk. Das klingt jetzt komisch, aber auf Hawaii hatte ich zwischendurch gar kein Bock mehr. Ich meine, warum auch? Da tut alles wegen des Wetters noch viermal so weh und dafür fliegt man 24 Stunden um die halbe Welt. Ganz schön dumm! Ambivalent ist jetzt aber vielmehr, dass ich nochmal tief in mir grub und einen halben Gang mehr einlegte. Ich wollte gewinnen! Dank der Wendepunkte auf der Strecke konnte ich zwischendurch immer mal wieder sehen, wo Lars hinter mir war und wie dicht er kam, häufig auch wie gut er noch aussah. Der letzte Wendepunkt des Tages lag bei Kilometer 37,5. Bei Kilometer 38 begegnete mir Lars auf der anderen Seite der Laufstrecke. Ich hatte also einen Kilometer Vorsprung und noch vier Kilometer zu laufen. Lars hob die Hand zum Gruß, eine respektvolle Geste und sein Eingeständnis für meinen Sieg. Schmerzverzerrt und kämpfend, aber vor allem noch nicht komplett erleichtert lief ich weiter gen Ziel. Als ich schließlich nach 40 Kilometern Marathontortur auf Anne Haug auflief, drosselte ich den Motor setzte mich hinter sie und überließ ihr die Bühne für den Zieleinlauf. Den Profis bringen die großen Bühnen Geld, sie müssen davon leben, ihre Familien unter Umständen auch. Für mich persönlich kommt am Ende des Tages oder am Ende des Monats genauso viel Geld an. Triathlon ist mein Hobby, es erfüllt mich, sorgt für mentalen Ausgleich und beschert mir eine ganze Menge Freude. Natürlich machen Siege Spaß und auch Aufmerksamkeit salbt die Seele, aber mein Leben dreht sich auch ohne all das weiter.

Die letzten Kilometer

Ich lief also die letzten zwei Kilometer hinter Anne her. Jeder Schritt schmerzte, aus dem Trott der vorherigen 40 Kilometer und mehr herauszufallen, kam dem Herunterfahren des Körpers gleich. Es war verdammt hart, nicht einfach vorbei zu laufen und die Pain zu beenden. Acht Stunden und 18 Minuten, nachdem ich morgens in die Fluten der Ostsee gestürzt war, lief ich auf den Zielteppich. Seit ich nach 60 Radkilometern mitbekommen hatte, das Feld anzuführen, keimte in mir der Traum vom Sieg. Mit jedem Meter ging es im Kopf hin und her. Ein euphorisches „Wie geil wäre das, wie geil ist das!“ wechselte sich mit einem ängstlichen „Das kann doch nicht sein, lass bloß alles gut gehen“ ab. Im Zielkanal hörte ich noch meine Schwester nach mir rufen. Einen Kuss später lief ich in Richtung Ziellinie. 8:19:14 Stunden – der erste Ironman-Sieg, insbesondere nach so einer Vorgeschichte, mit all dem Druck, den ich mir selbst gemacht habe, mit all den Zweifeln, die ich hegte, mit all den Dingen, die ich der Welt beweisen wollte, ist ein unbeschreibliches Gefühl. Allen Druck schrie ich mir aus dem Leib. Ich schüttelte meine ganze Last ab, in Sekunden. Den Tränen nahe und um Worte ringend nahm ich meine Liebsten in Arm, einen nach dem anderen.

Der Sieg ist genauso euer Erfolg, wie er meiner ist! Danke an alle, die auf dem Weg an mich geglaubt haben, meine Freundin, meine Mama, mein Papa, meine Schwester, die Supporter, die mitgefiebert haben, die neu gewonnenen Fans an der Strecke, die ganze Specialized-Zwift-Tri-Academy, selbstverständlich der weltbeste Coach Golo Röhrken sowie alle, die ich vergessen habe.

Nun geht es für mich nach Hawaii. Wirklich entspannt sehe ich dem Rennen entgegen. Kopenhagen war mein Tag. Das Wetter passte, die Strecke auch. Auf Hawaii ist mal wieder alles anders, aber seid sicher: Ich reise an, um alles zu geben.

Bis dahin, lasst die Haare wehen!

Mahalo,

Euer Philipp

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