Freitag, 29. März 2024

Mit mentaler Stärke zum Erfolg

Ironman Hawaii 2012 - Laufen - 40
Frank Wechsel / spomedis Sonja Tajsich kämpft sich beim Ironman Hawaii 2012 vom Ende des Feldes noch auf den vierten Platz.

Es ist wieder so weit: Mein vierter Blog ist fertig für euch. Übergeordnet steht natürlich immer noch mein großes Ziel, der Swissman 2022. Und auf dieser großartigen Reise möchte ich euch alles mitgeben, was geht. Ich bin nämlich gerade dabei, mich vorzubereiten. Und da es sich um eine besondere Herausforderung handelt, finde ich es selbst für mich hilfreich, all die Dinge nochmals durchzugehen und für euch niederzuschreiben.

Daher habe ich euch in meiner letzten Ausführung von ein paar Missgeschicken erzählt, die mir bereits widerfahren sind. Ich habe ja mittlerweile unzählige Rennen in meinen Muskeln stecken und bin auch im Nachhinein noch mächtig erstaunt, was alles möglich ist und was so alles passieren kann. Denn in jedem Rennen lernt man dazu und manche Fehler muss man nicht unbedingt selbst machen. Vielleicht kann ich euch bei der einen oder anderen Sache helfen, damit euch manche Dinge nicht passieren.

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Mein Tipp: Denkt vor eurem Rennen darüber nach, was euch theoretisch widerfahren könnte und versucht für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Ein Beispiel: Übt vorher, den Reifen zu wechseln, denn wenn ihr im Rennen einen Platten bekommt, muss es schnell gehen und die Handgriffe müssen sitzen. Denn zur eigentlichen Panne kommen der hohe Puls, die Aufregung und die negative mentale Einwirkung hinzu. Wenn man es genau nimmt, ist ein Plattfuß im Nullkommanichts behoben und man hat noch lange nichts verloren. Aber es kann auch anders kommen … 

No Service

Rückblick auf Cozumel 2011: Ich war super drauf und wollte das auch unbedingt allen zeigen. Das Schwimmen war eher mäßig gut, doch auf dem Rad zündete ich den Turbo und hatte mächtig Spaß auf den 180 flachen Kilometern mit dem Wind an der Küste. Zumindest 70 Kilometer lang … 

Ich näherte mich zum zweiten Mal der Hotelreihe an der Ostküste und hatte plötzlich einen platten Hinterreifen. Zum ersten Mal fuhr ich mit Schlauchreifen, aber das machte nichts. Die Hausaufgaben waren gemacht und ein neuer Reifen vorbereitet. Die Klebestelle hatte ich freigelassen, um das kaputte Teil leichter herunterreißen zu können, und geübt hatte ich auch ein wenig. Doch es waren gefühlte 40 Grad. Wahrscheinlich war es nicht so heiß, aber die Luftfeuchtigkeit war der Hammer und ich habe unfassbar geschwitzt. Die Hände schweißnass, Salz in den Augen, herrjemine. Der Puls war nach meinem 37-km/h-Ritt gefühlt auf 200 und damit versuchte ich diesen angeklebten Reifen zu entfernen. Wie in Zeitlupe nahm ich die Szenerie wahr: Die acht Frauen am Straßenrand, die bei jedem vorbeifahrenden Moped die Hände in die Höhe warfen und riefen: „We need a bike service“, und die Mopedfahrer, die mit dem Daumen über die Schulter nach hinten zeigten und antworteten: „Is coming“. 

Es kam nichts. Es gab nämlich überhaupt keinen Service. Dann die Taxifahrer, die mir helfen wollten. Aber Hilfe war ja nicht erlaubt, also standen sie im Kreis um mich herum und wippten auf ihren Zehen. Irgendwann hatte ich es doch geschafft. Ich schraubte meine Kartuschenpumpe aus der Halterung und musste feststellen, dass sie komplett korrodiert war. Durch meine Lanzarote- und Hawaii-Aufenthalte nehme ich an. Und wahrscheinlich einfach nie benutzt (ich glückliche). Also doch die Hausaufgaben nicht gemacht – das hätte ich prüfen müssen. Und das ist mir auch nie wieder passiert. 

Hier kamen wieder die Taxifahrer ins Spiel, die dann Zangen und sonst was holten und zu dritt an dieser Minipumpe hingen. Zum Schluss hatte ein Engländer Erbarmen, der in sein Hotelzimmer gelaufen war und eine Standpumpe geholt hatte. Ehrlich gesagt: Ich hatte mittlerweile eine halbe Stunde Zeit am Straßenrand verbracht, weshalb ich mir dann auch keine Sorgen mehr um die Inanspruchnahme fremder Hilfe gemacht habe. 

Fazit: Den Gedanken an eine Aufgabe habe ich ziemlich schnell verworfen. Die Reise war weit und das Rennen schön. Ich habe getreten, was ging. Ein Monsun zog auf, ich erwischte noch den Rückenwind. Die anderen waren schon durch. Und dann hat es geschüttet, was das Zeug hält. Die Laufstrecke war im Nu überflutet. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Alle sind auf die Gehsteige ausgewichen. Ein totales Durcheinander. Trotzdem habe ich den Marathon in 3:02 Stunden geschafft und bin mit einem Rückstand von neun Minuten Zweite in der Gesamtwertung geworden. Der Sieg wäre vielleicht in den Memoiren oder der Statistik schöner gewesen, aber das hier werde ich nie vergessen. Es war einer meiner größten sportlichen Erfolge. Weil ich nicht aufgegeben habe. Gekämpft habe, obwohl es so ausweglos schien. Denkt immer daran: Entschieden ist das Rennen erst an der Ziellinie! 

Mit Rhythmus zurück ins Rennen

Und der Kanal, der einen zur Ziellinie führt, kann richtig lang sein. Zum Beispiel in Frankfurt. Ein Erlebnis, das sich jeder einmal gönnen sollte. Am Römer einzulaufen, ist unbeschreiblich. Falls ihr euch dazu entscheidet: Hier müsst Ihr auf alles vorbereitet sein. Ich hatte 2011 exakt acht Grad Celsius beim Start und Nieselregen. Da war das Wasser direkt warm, nachdem die Füße im kalten Sand vor dem Start schier gefroren sind. Aber ich hatte auch schon 40 Grad, die sich zwischen den Häusern in der City noch heißer anfühlten. 

Doch zurück zum Kälterennen: Ich weiß, dass ich eine echte Frostbeule bin. Mit Kälte komme ich überhaupt nicht klar, da ist Hitze schon besser. Also habe ich nach dem Schwimmen allerhand Kleidung übergestülpt: Armlinge, Mütze, Dreiviertelhose über den Triathlonanzug, Weste, Socken. Schon allein das Anziehen hat wegen der nassen Haut eine halbe Ewigkeit gedauert. Und dann habe ich auch noch beim Thema Ernährung geschlampt. Weil es so kalt war und so ungemütlich, war mir irgendwie nicht nach Nahrungszufuhr zumute. Ein guter Tipp, den ihr vielleicht schon kennt: Nehmt eine durchsichtige Trinkflasche, packt dort eure flüssige Kohlenhydratmischung rein, löst euer Pulver oder die Gels auf, was immer ihr an Ernährung plant. Aber macht einen Plan. Und zwar akribisch. Überlegt, wie viel ihr benötigen werdet und – ganz wichtig – packt bei Kälte noch was drauf. Durch das Warmhalten des Körpers geht haufenweise Energie verloren. Macht euch Striche an die Flasche und überprüft regelmäßig, ob ihr auch getrunken habt, was zu diesem Zeitpunkt weg sein muss. Ich hatte die Striche an der Flasche. Ich hatte die Berechnung kleinlichst gemacht. Aber ich habe im Rennen nicht darauf geachtet. Und als bei 90 Kilometern erst ein Drittel raus war, war mir schon klar, dass der Schuss nach hinten losgehen würde. 

Beim letzten Mal nach Bad Vilbel rauf bin ich explodiert. Irgendwie habe ich mich noch in die Wechselzone gerettet und als erste Maßnahme die nassen Socken gegen trockene getauscht, die dann beim Herauslaufen aus dem Zelt durch die tiefe Wasserpfütze sofort so nass waren wie die alten. Dann habe ich vergessen, die Dreiviertelhose auszuziehen. Statt einfach weiter zu rennen, bin ich zurück ins Zelt und hab sie ordnungsgemäß einem Helfer in die Hand gedrückt. Dann habe ich gemerkt, dass ich immer noch komplett leer bin. Und dann bin ich am Rand stehen geblieben, habe mich zusammengenommen, durchgeschnauft, ein paar Schlucke Energie genommen und mir gut zugeredet: „Sonja, jetzt renn verdammt noch mal den Marathon“. Nach drei Kilometern stand mein Trainer am Streckenrand und rief: „Sonja! Finde deinen Rhythmus!“ Okay, das war eine Ansage, die ich mir zu Herzen genommen habe. Sie hat mich von meinen Ich-kann-nicht-mehr-Gedanken abgelenkt und ich konnte mich wieder auf das Rennen konzentrieren. 

Schließlich wurde es noch richtig knapp. Für die Zweitplatzierte war der Zielkanal beinahe zu lang, für mich war er ein paar Meter zu kurz. Derselbe Kanal. Am Schluss fehlten mir zwei Minuten auf den Europameistertitel und 25 Sekunden auf den Vizemeistertitel. War es die Hose? Die Socken? Die Ernährung? Es ist müßig, sich hinterher den Kopf zu zermartern, warum man das verschenkt hat. Aber man kann die Informationen speichern und es beim nächsten Mal anders machen. Nach dem Motto: Niemals hängen lassen. Immer weiter kämpfen! 

Eine nach der anderen

Denn irgendwann wird man dafür belohnt: Ich habe euch im letzten Blog vom Engel und vom Teufel erzählt, die auf Hawaii auf meinen Schultern saßen. Einer links, einer rechts. Und wie der Engel immer kleiner wurde und der Teufel immer größer. Und wie mir dann nach dem Rennen klar wurde, dass wenn ich mir nicht so sehr leid getan hätte und mich nicht hätte beirren lassen, dann wäre mein Wunschziel trotz aller Umstände erreichbar gewesen. Meinen größten sportlichen Erfolg hatte ich auf Hawaii 2012: Wieder einmal (man gewöhnt sich an alles) ging es mit einem schlechten Schwimmen los. Aber dieses Mal stand mein Mann am Schwimmausstieg und rief: „Sonja, es waren alle langsamer! Schau nicht auf die Zeit! 13 Minuten auf die Spitze!“ Wir hatten vorher ausgerechnet, dass bei 15 Minuten noch alles drin wäre. Also habe ich meine Beine in die Hand genommen, bin durch die Wechselzone gespurtet und hab weder Blei in den Beinen noch einen Teufel auf der Schulter gehabt. Ich bin ruhig geblieben und habe mich konzentriert. Auf jede Kurbelumdrehung. Auf akribische Ernährung. Auf den Wattmesser. Ehrlich gesagt hat mich schon irritiert, dass ich in der ersten Stunde des Rennens überhaupt keine einzige Kontrahentin einholen konnte. Und ehrlich gesagt ist einem schon ein klein wenig mulmig zumute, wenn man als 28. von 31 Starterinnen aufs Rad steigt. Klar, das Rad findet man blitzschnell, steht ja kaum mehr eins da. Aber das ist auch der einzige Vorteil … 

An der Wende in Hawi war ich immer noch 25. Egal. Weiter ging’s. Am Abzweig zurück auf den Highway bei Kilometer 120 stand mein Mann. Er rief: „Fünf Minuten vor dir sind sie alle“. Was auch immer er damit meinte. Ich bog ab und hatte richtig schönen frontalen Gegenwind vom Feinsten. Und ich hatte noch Kraft. Und dann war es wie eine Fata Morgana: Eine nach der anderen spross plötzlich vor mir aus dem flimmernden Asphalt. Da bekommt man wirklich Flügel, wenn man eine nach der anderen überholt und rückwärts zählen kann. In der Wechselzone war ich auf Platz 10. Mein Traumergebnis, ein Mal in die Top 10. Und das Laufen kam erst noch! Auf dem Weg heraus aus dem Energy Lab bei Kilometer 30 war ich Natascha Badmann dicht auf den Fersen, die zu diesem Zeitpunkt an Position fünf lag. Jetzt stellt euch nur vor: An der nächsten Verpflegungsstation hat sie ohne Witz alle Becher abgeräumt, die die Helfer gereicht haben. Jeden einzelnen gepackt und weggeworfen. Hauptsache, ich bekomme nichts. Seltsame Methoden, den Gegner zu schwächen. Das Gute war: Kurz vorher gab es eine Special-Needs-Station. Ich hatte gerade 300 Milliliter süßes Zeug getrunken und hätte nur ein bisschen Wasser zum Nachspülen gebraucht. Aber egal, verdursten würde ich nicht und dann backt der Mund halt. 

Gegen alle Regeln

Nachdem ich schließlich an ihr vorbei war, radelte ihr Lebensgefährte neben ihr her (was absolut verboten war) und schrie sie aus Leibeskräften an, sie solle schneller laufen. Die Stimme wurde immer leiser. Anscheinend gewann ich mehr und mehr Abstand. Und ganz vorn war ein kleiner Punkt. Die Viertplatzierte auf dem Weg zu ihrem persönlichen Triumph. Flimmernder Highway und die Worte aus dem Buch von Chris McCormack vor Augen: Wenn du deine Konkurrenz am höchsten Punkt an der Ecke der Palani Road nicht überholt hast (zwei Kilometer vor dem Ziel), dann wirst du es nicht mehr schaffen. Oben hatte ich 20 Sekunden Rückstand. Ich weiß nicht, wie es möglich war, den Berg runterzulaufen, ohne Knoten oder Krämpfe in den Beinen zu bekommen. Ich wusste, dass sie von einem Trainer betreut wird, der sehr viel mit mentalen Faktoren arbeitet. Und ich habe mir nur gesagt: „Jetzt möchte ich mal wissen, wer mental stärker ist: Du oder ich?“ 400 Meter vor dem Ziel war ich an ihr dran und schließlich vorbei. Ich konnte es nicht fassen und hatte unglaubliche Panik, dass sie eine zweite Luft bekommen und nochmals vorbeilaufen könnte. Dass ich am Schluss nur eine Minute aufs Podium im Rückstand war, hat mich nicht besonders geärgert. Ich wusste, ich habe alles gegeben, und nirgends war eine Minute mehr drin. Sicher, aus heutiger Sicht ist es schade, denn das Podium wäre schon noch mal viel spezieller gewesen. Und damals wusste ich nicht, dass es dazu nicht mehr kommen würde. Aber das Rennen behalte ich in bester Erinnerung. Ich habe den Teufel nie zu Wort kommen lassen, war stets konzentriert und fokussiert, habe mich zu keinem Moment beirren lassen. 

Am 25. Juni 2022 möchte ich beim Swissman starten. Und mit der gleichen Konzentration und Fokussierung am Start stehen. Bei Finsternis wird die Fähre ablegen. Gestartet wird, wenn es noch dunkel ist. Die 3,8 Kilometer im Lago Maggiore müssen bewältigt werden. Danach geht es 180 Kilometer über Gotthard-, Furka- und Grimselpass. Anschließend der Lauf über die Marathondistanz mit 2.000 Höhenmetern, in denen es am Schluss auf die Kleine Scheidegg geht. 

Euer Chefredakteur Nils Flieshardt hat mir seine Begleitung zugesagt, und da bin ich mächtig stolz drauf und freu mich riesig. Um das alles zu schaffen, muss ich mir im Vorfeld noch viele Gedanken machen. Welche Kleidung? Welches Equipment? Welches Training? Welche Versorgung? Man muss sogar mit eigenem Team anreisen … 

Zum Glück habe ich Schweizer kennengelernt, die dieses Rennen bereits mehrfach bestritten haben. Und genau diese Schweizer kommen in mein Camp auf Lanzarote, das gerade läuft, wenn ihr das hier lest. Ich werde sie löchern. Und danach werde ich euch schreiben, welche Tipps ich bekommen habe und wie ich plane, diese umzusetzen. Freut euch auf den nächsten Blog, wenn es ums Thema Training und Vorbereitung geht. Bis dahin eine gute Zeit!

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