Freitag, 29. März 2024

„Bisher bin ich ­immer stärker ­zurückgekommen“

Im Sommer 2019, ein Jahr vor den Olympischen Spielen in ­Tokio, geben die Ergebnisse von Justus Nieschlag Anlass zur Freude bei den deutschen Kurzdistanz-Fans: Platz fünf beim Weltcup in Kapstadt, ein zweiter Rang beim Weltcup in Italien nur wenige Sekunden hinter Alistair ­Brownlee und ein hart erkämpfter Sieg beim Weltcuprennen in ­Madrid gegen Landsmann Lasse Lührs im Foto­finish. Spätestens nach Platz sieben beim Heim-WTS-Rennen in Hamburg und der entscheidenden Rolle als Schlussathlet in der ­Mixed-Staffel, die durch Nieschlags starkes Auftreten am Ende sogar WM-Silber gewinnt, ist klar: Der 27-Jährige kann weit vorn mitspielen und auch eine Top-Platzierung bei Olympia scheint nicht ausgeschlossen. Die noch ausstehende Qualifikation soll beim Olympia-Test-Event in Tokio am 16. August erfolgen, wo eine Top-12-Platzierung den sicheren Startplatz für Olympia bedeuten würde – ein absolut realistisches Ziel für den besten deutschen Kurzstreckler der vergangenen Jahre.

Doch am August, knapp zwei Wochen vorher, kommt alles anders: Bei den Deutschen Meisterschaften über die Sprintdistanz in Berlin luxiert sich Nieschlag in der zweiten Wechsel­zone in Führung liegend den großen Zeh am linken Fuß, nachdem er unglücklich in die Messerspeiche seines Vorderrads tritt, und muss das Rennen unter großen Schmerzen sofort aufgeben. Das Resultat: vorzeitiges Saisonende, eine ausgiebige Reha und die verpasste Olympia-Quali. Anstatt sich 2020 frühzeitig auf die Spiele vorzubereiten, findet Nieschlags erstes Saisonhighlight stattdessen am 28. Mai in Kienbaum statt – beim internen Kampf der deutschen Athleten um den letzten Startplatz bei den Olympischen Spielen.

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Justus Nieschlag, aufgrund der Olympischen Spiele in Tokio ist 2020 ein besonderes Jahr für alle Kurzdistanzler, die dafür infrage kommen. 2019 war eine äußerst gespaltene Saison für dich mit guten Resultaten und starken Leistungen bei Weltcuprennen und in der WTS, bevor es zu der unglücklichen Situation in Berlin kam und du danach die Saison sogar beenden musstest. Nun ist sowohl dieser Moment als auch die anschließende Reha schon einige Zeit her und du hattest sicher­lich jede Menge Zeit, um diesen Verlauf zu reflektieren und die neue Situation anzunehmen. Wie hast du das Jahr 2019 mit etwas Abstand für dich eingeordnet?

Bei dem Fazit bin ich ziemlich zwiegespalten. Mit der rein sportlichen Entwicklung bin ich grundsätzlich sehr zufrieden und die ersten Rennen waren auch alle äußerst vielversprechend. Ich hätte hinten raus natürlich gern noch weiterhin gezeigt, was da so geht, aber nach Berlin kam ich gar nicht mehr in Fahrt und der schöne Teil der Saison war damit vorbei. Ich habe nach der Reha bei der Team-Relay-EM im September versucht, doch noch einmal 2019 ins Renngeschehen einzusteigen, und das war beim Laufen zunächst sogar erstaunlich gut, aber dann habe ich Folgeprobleme im Zeh bekommen und musste dann doch endgültig in die Saisonpause gehen. Das haben wir dann akzeptiert und dazu genutzt, um noch weiter an meinen Defiziten und der vollständigen Genesung zu arbeiten und nichts zu überstürzen. Seitdem bin ich sehr gut durchgekommen, bin ­beschwerdefrei und würde mir wünschen, dass das langfristig auch erst einmal so weitergeht.

ITU Media Seite an Seite mit dem Olympiasieger: Beim Weltcup-­Rennen im ­italienischen Cagliari muss sich Nieschlag nach starker Leistung im Zielsprint nur ­Alistair ­Brownlee um wenige ­Sekunden geschlagen geben.

Das große Ziel wäre 2019 vermutlich gewesen, sich beim Olympia-
Quali-Rennen in Tokio direkt für die Olympischen Spiele zu ­qualifizieren?

Genau, das wäre natürlich der Jack­pot gewesen. Ich hätte neben der frühzeitigen Gewissheit auch noch ausreichend Zeit gehabt, um mich langfristiger auf die Spiele vorzubereiten, und es hätte mir jede Menge Druck genommen. Direkt nach dem Missgeschick in Berlin dachte ich sogar noch kurz, dass ich das vielleicht hinbekommen könnte, weil es noch anderthalb Wochen waren. Aber spätestens im Krankenhaus war mir dann klar, dass das wohl sehr eng werden würde, bis ich erst wenig später begriffen habe, wie ernst das eigentlich ist. Aber vielleicht muss man so was manchmal auch als Chance sehen: zwei Schritte zurück machen und mehr Anlauf nehmen. Dann muss eben der nächste Versuch sitzen.

„Der Fuß war wie ein Betonklotz.“

Justus Nieschlag über seine Verletzung

Wie sehr bist du in dieser Zeit ins Zweifeln geraten? Deine Pläne haben sich zu dem Zeitpunkt erst einmal alle in Luft aufgelöst und du wusstest noch nicht, wie es weitergeht.

Ich war damit erst einmal schwer beschäftigt. Am Anfang in erster Linie, um überhaupt eine klare Diagnose zu bekommen. Das klang zuerst alles relativ positiv, bis ich dann bei einem Fußspezialisten in Hannover gelandet bin, der mir dann gesagt hat, dass es gar nicht so gut aussieht, weil die Sehnen am großen Zeh und daneben alle angerissen waren. Ich konnte letztendlich sogar von Glück sprechen, dass sie nicht komplett durch­trennt wurden, denn sonst hätte man operieren müssen und dann wäre es auf keinen Fall wieder so geworden, wie es vorher war. Trotzdem meinte man zu mir, dass ich wahrscheinlich erst einmal für ein halbes Jahr raus bin. Vielleicht wurde das auch zu Beginn so hart gesagt, damit ich mir gar keine Hoffnungen mache und es bei so einer „Worst-case-Aussage“ eigentlich nur Spielraum für einen besseren Verlauf der Genesung gibt.

Wir haben letztendlich versucht, es ohne Operation hinzukriegen, und ich habe meinen Zeh für sechs Wochen gar nicht bewegt – in der Hoffnung, dass währenddessen alles wieder zusammenwächst. Das war dann auch zum Glück der Fall, aber man hat mir trotzdem gesagt, dass ich mich darauf einstellen solle, beim Laufen noch ein halbes Jahr Schmerzen zu haben und nur mit Carbon-Einlegesohle laufen zu können. Als ich dann wieder locker angefangen habe, war das glücklicherweise alles gar nicht so schlimm. Ich hatte keine Schmerzen und konnte nach und nach auch mal die Sohle herausnehmen und ohne laufen. Dass ich letztendlich doch noch Folgeprobleme hatte, lag daran, dass die Beweglichkeit des Zehs so extrem eingeschränkt war. Die ist auch jetzt noch nicht wieder komplett hergestellt, aber immerhin so weit, dass es mich beim Laufen nicht mehr behindert. Insgesamt habe ich beim Heilungsprozess wirklich noch Glück im Unglück gehabt.

Diese ersten drei Fragen sind ein Auszug aus dem großen Interview mit Justus Nieschlag in unserer aktuellen Ausgabe, der triathlon 178, wo ihr das gesamte Gespräch findet.

Nieschlags „Road to Tokio“ in Serie

In den kommenden ­Ausgaben von triathlon begleiten wir ­Justus Nieschlag in einer ­Serie durch die Saison 2020. Von seiner Vorbereitung bis zum ­internen Olympia-Quali-Wettkampf in Kienbaum und im ­Falle der Qualifikation bis hin zum Olympiarennen in Tokio am 27. Juli. Wir geben Einblicke in sein Training, seine Gedankenwelt, den Status quo und reflektieren die ersten Ergebnisse und Trainingslager des Jahres.

Die Themen im Überblick:

  • Patrick Lange 2.0: Wie der 33-Jährige zurück an die Weltspitze will
  • Prognosen 2020: Wir wagen den Blick in die Glaskugel
  • Justus Nieschlag: das Interview vor der Olympia-Qualifikation
  • Neopren: die große Kaufberatung + Neuheiten im Überblick
  • 1-fach: Das ist dran am Aero-Tuning des Antriebs
  • Radtest: das neue Storck Aero3
  • Laufökonomie: alles über die große Reserve in der dritten Disziplin
  • Herzfrequenz: alter Hut oder wichtiger Wert für die Trainingssteuerung?
  • Ernährung: fünf Alltagskonzepte im Überblick

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Simon Müller
Simon Müller
Simon Müller ist selbst als ambitionierter Athlet unterwegs. 2022 wurde er Deutscher Meister auf der Kurzdistanz, 2019 qualifizierte sich bei seinem ersten Ironman in Mexiko mit einem AK-Sieg in 8:45 Stunden für den Ironman Hawaii. In seiner Brust schlägt neben dem Triathleten- auch ganz besonders ein Läuferherz. Simons Bestzeite über 10 Kilometer liegt bei unglaublichen 30:29 Minuten.

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