Dienstag, 23. April 2024

So verrückt war der erste Triathlon in Deutschland

Begibt man sich auf die Spuren des Ironman ­Hawaii, kann man schon bald nach dem Aus­steigen das Rauschen hören. Das Rauschen des Meeres, das hier unverschämt warm ist, und das der Palmen, durch die stets ein lauer Wind weht, der nicht nach Qualen, sondern nach Quality Time riecht. Daran muss ich denken, als ich aussteige, um mich auf die Spuren des ersten Triathlons in Deutschland zu ­begeben. Gleis 2, Essen Hauptbahnhof. Auch hier rauscht es mächtig, allerdings nur aus den Lautsprechern, die die S2 nach Gelsenkirchen ankündigen. ­Meinen Weg zum Bus weist mir ein kleines Schild an der Treppe. „Ausgang Freiheit“, steht dort. Immerhin.

Essen also. Hier hat alles angefangen. Nicht Roth, nicht Frankfurt und schon gar nicht Hamburg. Dass es stattdessen die Stadt im Herzen des Ruhrgebiets getroffen hat, war reiner Zufall und liegt einzig an den Typen, die hier leben. An ihrer Entschlussfreude und an einer gehörigen Portion Beklopptheit, wie sie selbst sagen. Drei dieser Menschen will ich treffen und mir an den ­Orten des Geschehens erzählen lassen, wie es damals war. Am 25. April 1982. Beim ersten Triathlon Deutschlands.

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Die erste Station der heutigen Reise in die Triathlonvergangenheit ist das Schwimmzentrum Rüttenscheid. Solider Zweckbau mit 50-Meter-­Becken und schon immer ein Hort des großen Schwimm­sports. Ich gehe hinein und bleibe mit dem Blick an einer Tafel neben der Eingangstür hängen. „Landesleistungsstützpunkt für Triathlon“ steht dort. Alles höchst offiziell. „Wer hätte denn damals sowas geglaubt? Wir jeden­falls nicht“, sagt Peter Berghaus zur Begrüßung. Gemeinsam mit Wolfgang Kremer, der gerade zur Tür hereinkommt, hat er den Wettkampf organisiert. Sie werden heute meine Reiseleiter sein – auf dem Ausflug in ihre Erinnerungen.

Als Verstärkung hat Peter (das „Sie“ lassen wir mal weg) Michael Allwermann mitgebracht, der, so wird stolz berichtet, dem Rennen damals seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt habe. Aber der Reihe nach. Zunächst muss ich Peter, der gedanklich schon voll im Renngeschehen ist, den Film in seinem Kopf zurück­spulen lassen. An den Tag, als er und Wolfgang sich beim Laufen im Stadtwald trafen. Die beiden kommen damals ins Quatschen und schnell geht es um die ZDF-Sport­reportage über „die Bekloppten auf Hawaii“, die damals ihr Rennen noch im Februar austragen. Verrückte ­Typen, die schwimmen, Rad fahren und laufen. Hintereinander. Auf irren Distanzen. „Haste die gesehen?“

Nils Flieshardt / spomedis Wolfgang Kremer, Michael Allwermann und Peter Berghaus (v. l. n. r.) schwelgen im Schwimmzentrum Rüttenscheid in Erinnerungen an den ersten Triathlon in Deutschland.

Beide sind sofort Feuer und Flamme. Peter kommt aus der Leichtathletik und organisiert zu jener Zeit bereits Laufwettbewerbe. Wolfgang hat eine erfolgreiche Karriere als Schwimmer hinter sich – war mehrere Male Deutscher Meister und zweimal bei den Olympischen Spielen. Er ist jetzt Schwimmtrainer, und für verrückte Vorhaben immer zu haben. „Ich hab damals zu ­Wolfgang gesagt: ‚Das müssen wir auch machen‘. Und dann war das irgendwie beschlossene Sache“, sagt Peter und man sieht ihm die spitzbübische Freude an, die ihn schon damals angetrieben haben muss.

Schnell ist man sich über die Strecken einig. Gelaufen wird im besagten Stadtwald, auf dem 3,9 Kilometer langen Waldweg. Das Radfahren soll um den Baldeneysee führen. 18 Kilometer pro Runde. Und als Schwimm­strecke, so erzählen sie, wäre aufgrund von Wolfgangs guten Beziehungen eben das Rüttenscheider Schwimmbad infrage gekommen. Zeit zum Nachhaken: Warum nicht für die erste Disziplin in den Baldeneysee? Peter schüttelt den Kopf. „Das konntest du zu der Zeit vergessen. Was da alles drin war. Schwimmen ging da nicht.“ 

Nils Flieshardt / spomedis T1 im Jahr 1982: Von den Umkleiden geht es für die damaligen Teilnehmer zum Radständer vor dem Schwimmbad.

Also alle in die Halle. Aber für wie lang? Da die anderen Strecken definierte Runden haben, kommen sie irgendwann auf folgendes Ergebnis: dreimal um den See und danach dreimal durch den Wald. Macht rund 70 Kilo­meter Rad und 12 Kilometer Laufen zum Abschluss. Also einigt man sich auf 1.600 Meter Schwimmen und war damit, ohne es selbstverständlich ahnen zu können, nicht weit entfernt von der olympischen Distanz.

Jetzt oder nie

Auf die Frage, warum sie mit dem Start denn nicht bis zum Sommer gewartet hätten, bekomme ich ein kollektives Kopfschütteln. „Nee, das ging nicht“, sagt ­Wolfgang. „Wir mussten das sofort machen. Fertig.“ Und so treffen sich am frühen Morgen des 25. April 1982 ganze 48 Sportler zu diesem Triathlonding, für das Peter und Wolfgang in den vergangenen Tagen getrommelt haben. Peter bei den Läufern und Wolfgang bei den Schwimmern. Und die Radfahrer? Schulterzucken.

Nils Flieshardt / spomedis Da sind wir lang: Die Radstrecke führt die Pioniere rund um den Baldeneysee.

„Ich seh das alles noch genau vor mir“, erzählt Peter. „Da vorn haben die Räder in den normalen Fahrrad­ständern gestanden. Und bevor ich reingegangen bin, kam ein hohes Tier von der Stadt vorbei. Der hat mich ­gefragt: ‚Was macht ihr denn hier?‘ Und als ich ihm ­gesagt habe: ‚Wir machen Triathlon!‘, hat er nur gesagt: ‚Ihr seid ­bekloppt‘.“ Spitzbübisches Grinsen.

Einer der Bekloppten, der sich das Abenteuer nicht entgehen lassen will, ist Michael ­Allwermann – 22 Jahre alt, Leistungsschwimmer und Bundeswehrsoldat auf Wochenenddurlaub. Das besondere an seinem Auftritt: Im Gegensatz zu seinen Konkurrenten besitzt er keine Rennmaschine. Also schiebt er sein Adler-Damenrad aus den 50ern in die „Wechselzone“ vor dem Schwimmbad und kettet es fest. Sicher ist sicher. 

Wo Michael während des Schwimmens den Schlüssel zu seinem Schatz lässt, ist nicht überliefert. Doch dass er alle in Grund und Boden schwimmt, daran erinnert sich Peter noch genau. „Das war irre. Als der aus dem Wasser geklettert ist, hat eine von den Zählerinnen ganz ­vorsichtig gesagt: ‚Herr ­Allwermann, Sie sind 100 Meter zu wenig geschwommen.‘ Da ist der einfach noch mal rein, hat die 100 Meter gemacht und ist trotzdem als erster in die Umkleide. Weißt du das noch, Michael?“ ­Michael nickt.

Nils Flieshardt / spomedis T2: Als zweite Wechselzone dient der Sportplatz an der Schillerwiese – inklusive Umkleiden.

In den Umkleiden trocknen sich die Triathleten ab, ziehen sich an und laufen, angeführt von Michael, über eine Rampe hinaus auf den Parkplatz. Dort schließt er das Vorhängeschloss auf, hängt sich die Kette wie eine Schärpe um den Körper und ballert Richtung Baldeneysee. Auf öffentlichen Straßen, die bei der ersten Ausgabe des Rennens noch nicht abgesperrt sind. „Ich kannte da jemanden bei der Stadt, der für den ruhenden Verkehr zuständig war. Da wusste man also Bescheid, aber abgesperrt haben die erst in den ­folgenden Jahren“, sagt Wolfgang. Und die ganzen Ampeln? „Die gab es damals noch nicht, oder Peter?“ „Nee.“ Verschmitztes Lächeln.

Mit Singlespeed an die Spitze

Wir springen ins Auto und fahren dem imaginären ­Michael von 1982 hinterher, während der echte Michael erzählt, wie es damals war. „Ich habe da gar nicht so ­einen großen Aufwand betrieben. Ich hatte ne Jacke aus Englischleder an, und mein Rad hatte keine Gangschaltung. Aber dafür war der Lenker cool. Ich habe mich mit den Unterarmen auf die geschwungenen Griffe gelegt und ganz klein gemacht. Wenn man so will, habe ich also den Triathlonlenker erfunden.“ „Das war total verrückt“, ergänzt Peter. „Als ich runter zur Radstrecke bin und gefragt hab, wer führt, hieß es nur: ‚der Bekloppte mit der Kette!‘.“ Und das sollte auch bis kurz vor dem Wechsel so ­bleiben.

Frank Wechsel / spomedis Laufstrecke: Zum Abschluss geht es auf einer Schleife durch den Essener Stadtwald. Rund 12 Kilometer bis ins Ziel.

Aber bevor es eine fiese Rampe hinauf zur Schiller­wiese geht, wo die Athleten Ihre Räder auf dem Sportplatz ablegen und sich in den Kabinen fürs Laufen umziehen, wird Michael dann doch noch eingesammelt. Er wird am Ende Vierter, erzählt er, obwohl Peter sich an einen dritten Platz erinnern will. Nachgucken kann man das nicht mehr. Es gibt weder Aufzeichnungen noch ­Fotos der Veranstaltung. Alles was geblieben ist, sind die Erinnerungen der Teilnehmer, und die bekommen mit den Jahren verständlicherweise immer ­größere Lücken. Der Sieger? Dreimal Schulterzucken. „Das war ein ganz schneller Lizenzradfahrer von Essen 1900. Aber wie der hieß …“

Das Rennen in Essen wird es noch ein paar Jahre geben, dann gibt es Zoff über irgendwas, und alle hören auf. Klassische Ehrenamtsproblematik. Mittlerweile ist die spontane Spinnerei eine Bewegung und hat mit der Deutschen Triathlon Union einen eigenen Verband. In Roth, Immenstadt, Köln und vielen weiteren Orten schreibt man längst eigene Kapitel der Triathlon­geschichte, während Peter wieder zurück zur Leicht­athletik geht und Läufe veranstaltet. Wolfgang habe eh genug mit seinen Schwimmern zu tun gehabt, erzählt er. Und Michael? Der macht noch einmal mit, beendet danach jedoch seine Triathlonkarriere und wird Fahrradsammler. Die großen Momente des Sports ­passieren anderswo, aber angefangen hat es hier. Im ­Herzen des Ruhrgebiets. Mit zwei Bekloppten und einem ­Gedanken. Im April 1982.  

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3 Kommentare

  1. Der Berghaus ist wirklich ein „Bekloppter“. Er hat wohl den TRC 84 mitgegründet, war da aber wohl nicht mehr tragbar und flog raus. Danach gründete er das Starlight Team. Da habe ich einige Zeit mit trainiert. Trainingsbeispiel: Januar kältester Tag im Jahr. Grugapark 200m Strecke leicht Berg an. Er steht oben und brüllt kurz vor der Ziellinie alle an „Ihr müsst mehr Gas geben…usw.“ Ich wurd dann im TRC84 ganz glücklich. Das Starlight Team hat ihn dann auch irgendwann weiter gereicht. Es sind halt solche Typen die so etwas „beklopptes“ wie Triathlon machen. Der Umgang mit ihnen ist dann schon schwieriger.

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Nils Flieshardt
Nils Flieshardt
Nils Flieshardt ist Chefredakteur der Zeitschrift triathlon und seit über 15 Jahren als Radexperte im Einsatz. Wenn er nicht am Rechner sitzt, findet man ihn meist hinter der Kamera auf irgendeiner Rennstrecke oder in Laufschuhen an der Elbe. Als Triathlet ist er mehr finish- als leistungsorientiert, aber dafür auf allen Distanzen zu Hause.

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