Wo soll ich anfangen? In meinem Kopf herrscht noch ein ziemliches Durcheinander: Erschöpfung von zwei Mitteldistanzen innerhalb einer Woche, riesengroße Freude über meinen ersten Profisieg und Überlegungen, wie es die nächsten Wochen weitergehen wird, denn mit der Qualifikation für die 70.3-WM in Utah hat sich eine neue Tür geöffnet. Andererseits beschäftigt mich auch die Enttäuschung über das unsportliche Verhalten anderer Athletinnen im Rennen.
Ausruhen und anheizen
Bereits am Mittwochmorgen fuhren meine Mutter und ich etwas mehr als 1.000 Kilometer an die Atlantikküste nach Les Sables d’Olonne. Die lange Autofahrt und die Nachwirkungen vom Rennen in Walchsee führten dazu, dass ich die ersten Tage in Frankreich schlapp und müde war. Dass ich in wenigen Tagen wieder einen Triathlon machen sollte, konnte ich mir an diesen Tagen beim besten Willen nicht vorstellen. Mein Trainer Reto Brändli versicherte mir jedoch immer wieder, dass ich mich erholen werde und anstatt viel Training stand viel Ausruhen auf dem Programm. Zum Glück läuft ja auch die Tour de France, die mich jeden Tag mehrere Stunden ans Sofa fesseln kann. Da ich bereits 2019 in Les Sables gestartet bin, war ich mit den meisten Dingen bereits vertraut. Die Radstrecke fuhr ich trotzdem nochmals ab, denn in 2019 konnte ich mich mit dieser nicht anfreunden. Auf den ersten Blick sieht die 92 Kilometer lange Radstrecke einfach aus und mit nur 500 Höhenmetern, die gleichmäßig verteilt sind, gehört sie auch zu den flacheren Kursen. Aber es zieht sich, es gibt keine Möglichkeit sich zwischendurch kurz zu erholen, zum Beispiel durch eine Abfahrt und besonders auf dem letzten Drittel kann der Wind, der vom Meer entgegen bläst, einem das Leben schwer machen.
Wie vor jedem Rennen habe ich mir auch vor Les Sables Gedanken zur Zielsetzung gemacht und während ich in Walchsee weniger eine Platzierung als Ziel hatte, war in Frankreich der Sieg das Ziel. Die, die mich kennen, wissen, dass das untypisch für mich ist und ich zumindest in der Öffentlichkeit meine Erwartungen nicht zu hoch ansetze. Es war für mich das erste Mal im Triathlon, dass ich die Rolle der Favoritin hatte und ich diese auch angenommen habe. Dass ich darin noch nicht so geübt bin, zeigt sich vielleicht gut an dieser kleinen Geschichte: Zwei Tage vor dem Rennen war ich im Meer schwimmen und habe mich im Wasser zwei französischen Altersklassenathleten angeschlossen. Wir sind ins Gespräch gekommen und nach dem Rennen haben sie mir eine Nachricht geschrieben, dass sie es für einen Scherz gehalten hätten, als ich auf ihre Frage nach meinem Ziel mit dem Sieg geantwortet habe.
Holpriger Start und Ärgernisse auf dem Rad
Nun zum Rennen: Der Start frühmorgens am Strand, bei dem man zunächst 150 Meter im Sand durch einen Korridor von Zuschauern, die Fackeln in der Hand halten, sprinten muss, ist schon wirklich besonders. Ich hatte einen guten Start und war als Erste im Wasser, wo mich die Wellen, die vom Strand aus noch klein aussahen, zunächst einmal überfordert haben. Mit dem Schwimmen bin ich insgesamt nicht so zufrieden, denn mein Rückstand auf die Spitze war mit 3:30 Minuten fast eine Minute größer, als ich mir erhofft hatte. Nach einem schnellen Wechsel ging es als Fünfte aufs Rad. Nach etwa 700 Metern musste ich leider nochmal kurz absteigen und meine Trinkflasche, die mir durch eine Unebenheit aus der Halterung gesprungen ist, holen. Die ersten 30 Kilometer waren dann sehr einsam – vor mir habe ich niemanden gesehen und hinter mir auch nicht. Auf einer mehrere Kilometer langen Geraden hatte ich dann endlich jemanden in Sichtweite. Es dauerte jedoch fast weitere 30 Kilometer und viel Energie bis ich an der vierköpfigen Gruppe dran war. Ich blieb erst mal an letzter Position, um mich zu erholen (trotz zwölf Metern Abstand profitiert man vom Windschatten der Vorderfrau). Als ich zwei Positionen nach vorn gefahren bin, habe ich erkannt, dass unsere Gruppe nicht, wie von mir angenommen, aus den ersten fünf Frauen besteht, sondern dass ein männlicher Profi unsere Gruppe anführt. Im ersten Moment war ich perplex, etwas später und vor allem nach dem Rennen, als mir bewusst wurde, wie diese Aktion das Renngeschehen beeinflusst hat, habe ich mich sehr geärgert. Ich hatte noch Glück und habe den Sprung in die Gruppe gerade so geschafft, bevor es in den starken Gegenwind ging, der uns teilweise mit 50 Kilometern pro Stunde entgegenschlug. Kurz nachdem ich in der Gruppe war, fuhren wir auf die bis dahin führende Julie Iemmolo auf. Ich war enttäuscht zu sehen, dass sich vor allem eine Athletin unserer Spitzengruppe nicht an die Spielregeln hielt, dicht auffuhr, zum Überholen ansetzte und wieder abbrach und vor allem ihre leeren Trinkflaschen einfach wegwarf. Eine Flasche landete im Grünen, die andere auf der Straße, was nicht nur als Littering mit einer direkten Disqualifikation hätte bestraft werden müssen, sondern auch die Gesundheit anderer Athleten riskiert, die die Flasche zu spät sehen. Leider waren bei der Frauenspitze keine Schiedsrichter, die hätte eingreifen können.
Zu fünft beziehungsweise zu sechst erreichten wir die Wechselzone und nach einem erneut schnellen Wechsel übernahm ich die Führung. Die Laufstrecke in Les Sables finde ich richtig cool, man läuft erst am Hafen entlang, wo bei schönem Wetter die Außenbereiche der Gastro gut gefüllt sind und ordentlich Stimmung herrscht, anschließend ein paar hundert Meter am Strand durch den Sand, bevor man auf die 6,2 Kilometer lange Wendepunktstrecke kommt, die man dreimal absolviert. Die Strecke ist flach und fast durchgehend von Zuschauern gesäumt. Mir ist das bereits 2019 aufgefallen und ich war sehr erstaunt, dass trotz der regnerischen und sehr windigen Bedingungen so viele Zuschauer am Streckenrand waren und für eine unglaubliche Stimmung sorgten! Wie beim Radfahren machte uns der Wind auch beim Laufen ziemlich zu schaffen. In die eine Richtung hatten wir zwar Rückenwind, in die andere Richtung stand man gefühlt zwischenzeitlich, wenn eine Böe von vorn kam. Ich konnte meine Führung auf meine drei Verfolgerinnen konstant ausbauen und einen gleichmäßigen Halbmarathon laufen. Auf der ersten Runde kamen mir auch die Profimänner entgegen, unter anderem Mika Noodt, mit dem ich mich im Vorfeld schon ausgetauscht hatte und der mich laut anfeuerte. Er sah entspannt aus und ich freute mich, dass er ein gutes Rennen bei seiner ersten Mitteldistanz machte – von seiner Platzierung hatte ich in dem Augenblick keine Ahnung. In meiner zweiten Runde sah ich dann Mikas Betreuer Uwe am Streckenrand, der mir zurief, dass es ein Doppelsieg für Deutschland geben wird. Ich glaube, das ist ein Moment, an den ich mich auch in vielen Jahren noch sehr gut erinnern werde, denn mir fiel echt die Kinnlade runter! Dass Mika ein sehr talentierter junger Triathlet ist, war mir klar, aber dass er einen Rudy von Berg, der zu den Besten der Welt gehört, einfach schlägt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Mikas tolles Rennen hat mich nochmal zusätzlich beflügelt und mir als Ergebnis eine persönliche Halbmarathonbestzeit im Triathlon beschert.
Die letzten beiden Kilometer habe ich einfach genossen und die Stimmung aufgesogen. Es war ein besonderer Moment, als Siegerin durchs Ziel zu laufen und ich habe mich auch sehr für Julie Iemmolo gefreut, die den Kampf um Platz zwei für sich entschieden hat, da sie wie ich auch einen Großteil der Radstrecke alleine gekämpft hat.
Die nächsten Tage sind etwas ruhiger, ich lege eine kurze Off-Season ein, in der ich mich nach Lust und Laune bewege, zwischendurch etwas Beachvolleyball spiele und mir Gedanken zur zweiten Saisonhälfte mache.