Samstag, 24. Mai 2025

Meine Erfahrungen zum „Blood Flow Restriction Training“ im Triathlon

Gipfelkreuz, frischer Wind, der mir um die Nase bläst und weiter unten sehe ich einen kleinen See und grüne Wiesen. Ich versuche mich auf kleine Details zu konzentrieren und mir diese genau vorzustellen. Denn die Realität könnte anders nicht aussehen: ich liege in einem Kraftraum im Keller – genauer gesagt in Zürich bei „Training & Diagnostics“ – auf dem Boden, die Augen geschlossen und mit blauen Manschetten an den Oberschenkeln, welche die Blutzufuhr einschränken. Neben mir stehen Lorenz Leuthold und Reto Brändli, die meine Sauerstoffsättigung und die Zeit fest im Blick haben und mir immer wieder gut zureden. 

Aufmerksame Triathleten wissen durch Social Media vermutlich, von welchem Training ich berichte, denn Athleten wie Laura Philipp oder Jan van Berkel haben in der Vergangenheit auch immer wieder Eindrücke ins „Blood Flow Restriction Training“ gegeben. Ich befinde ich mich im Moment in einem solchen zweiwöchigem Block und möchte meine Erfahrungen mit euch teilen. 

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Warum tut man so etwas?

Ganz grob – was versteht man unter Blood Flow Restriction Training? Beim BFR-Training wird die Durchblutung bestimmter Körperteile eingeschränkt, was dazu führt, dass die betroffene Muskulatur kurzzeitig nicht mit genügend Sauerstoff versorgt wird. Der Körper reagiert auf diesen Zustand mit mehreren Prozessen, in Kombination mit einem Sprintintervall-Training unter anderem mit Mechanismen, die die Sauerstoffkapazität des Athleten verbessern. Wie bereits gesagt, absolviere ich einen zweiwöchigen BFR-Trainingsblock mit jeweils drei Einheiten pro Woche. Da die Einheiten wirklich fordernd sind, trainiere ich in den zusätzlichen, „normalen“ Trainingseinheiten vorwiegend locker. Ich habe das BFR-Training als Grenzerfahrung wahrgenommen und bin extrem dankbar, dass ich von Experten, die mehr als zehn Jahre Erfahrung mit dieser Methode haben, beaufsichtigt werde. Es sollte auf keinen Fall einfach ausprobiert und nachgemacht werden. 

Die Trainingsprotokolle können je nach Sportart, Athlet und Trainingsintention variieren. Mein Protokoll besteht aus einem Sprintintervall-Training mit insgesamt sechs Sprints auf dem Radergometer gegen einen hohen Widerstand. Nach 90 Sekunden Pause folgt der nächste und so weiter. Diese Sprints werden mit normalem Blutfluss und ohne Manschetten absolviert. An meinem Oberschenkel klebt ein kleines Gerät, das die Sauerstoffsättigung misst und an ein Endgerät sendet. So kann man live sehen, wie tief die Sauerstoffsättigung im Oberschenkel durch die Sprints absinkt. Mit dieser Information können Lorenz und Reto das Protokoll individuell anpassen und Dauer sowie Wiederholungsanzahl der Sprints verändern. Die Sprints sind hart, die Beine brennen, aber es ist ein „Schmerz“, der mir und vermutlich auch vielen von euch gut bekannt ist. Nach den Sprints geht es direkt in den Kraftraum und da man ohne Ausfahren vom Rad steigt, fühlen sich die ersten Meter an als ob man auf rohen Eiern laufen würde. 

Schmerzen in neuer Dimension

Im Kraftraum werden dann Manschetten um die Oberschenkel gelegt und aufgepumpt. Das Gefühl ist bereits ohne Bewegung etwas unangenehm und durch die nun bevorstehenden Kniebeugen wird es nicht besser: Zwar ist das Gewicht nicht sonderlich hoch, aber nach ungefähr 30 Sekunden wird es richtig hart, die Beine tun weh, man spürt, wie die Muskulatur übersäuert und neben mir steht Lorenz und ruft immer wieder „biiiiisse“ (schweizerdeutsch für beißen), so dass ich mehrere Male denke: „Nur noch einen“. Wir Triathleten sind zum Glück ja gut darin, uns selbst auszutricksen. Irgendwann geht dann aber wirklich keine weitere Kniebeuge mehr und ich lege mich direkt neben das Gerät auf den Boden. Jetzt heißt es drei Minuten lang ausharren, bis die Manschetten gelöst werden und das Blut ungehindert in und aus den Beinen fließen kann. Diesen Schmerz habe ich zuvor nicht gekannt und er ist auch anders als alles, was ich bislang erlebt habe. Bei den ersten Malen habe ich verkrampft und versucht gegen den Schmerz zu kämpfen und als Folge sind mir Finger und Teile des Gesichts eingeschlafen. Nun versuche ich, wie oben beschrieben, mir schöne Sachen vorzustellen, „locker“ zu bleiben und mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Das Gefühl, wenn nach drei Minuten das Blut wieder in die Beine fließt gleicht einer Erlösung. Nach einer kurzen Pause beginne ich mit dem zweiten von insgesamt drei Durchgängen aus Kniebeugen und Liegen.  

Nach dem Training auf dem Rückweg im leeren Zugabteil: Ich nehme bewusst die langsame Verbindung, denn da muss ich nicht umsteigen und esse mein wohlverdientes Stück Kuchen. Ich bin richtig zufrieden – ich habe es geschafft und meine Grenzen ein kleines Stück verschoben. Nicht nur physiologisch, sondern auch mental ist das Training eine Herausforderung, geben mir aber gleichzeitig Selbstvertrauen, dass ich auf die Zähne beißen und mich quälen kann. Das ist ein Gefühl mit Suchtpotenzial und deshalb freut sich ein Teil von mir schon fast wieder ein bisschen auf die nächste Einheit. Die lässt auch nicht lange auf sich warten und steht schon morgen wieder an.

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Anne Reischmann
Anne Reischmannhttp://annereischmann.de/
Anne Reischmann wurde am 4. April 1992 geboren und lebt in Winterthur in der Schweiz und in Ravensburg. An der Universität Konstanz studierte sie Lehramt. Seit 2019 ist sie Triathlon-Profi im hep Sports Team, ihr Coach ist der Schweizer Reto Brändli. Die größten Erfolge der ehemaligen Leichtathletin (Deutsche Vizemeisterin U23 über 5.000 Meter 2013) sind der Sieg beim Allgäu-Triathlon 2018 und der 2. Platz beim Ironman 70.3 Les Sables d’Olonne 2019.

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