Es hat ein paar Tage gebraucht, um die Eindrücke, und schlussendlich auch das Ergebnis, für mich einzuordnen. Im ersten Moment hat eine große Freude und ehrlich gesagt auch Erleichterung überwogen. Letztes Jahr hatte ich bei der 70.3 WM, die ja auch in St. George stattgefunden hat, einen absoluten Sahnetag erwischt. Es lief von vorn bis hinten wie am Schnürchen und war der perfekte Abschluss einer für mich erfolgreichen Saison 2021.
Highlight nach schwieriger Saison
Dieses Jahr standen die Vorzeichen etwas anders. Ich hatte während der Saison immer wieder mit verletzungsbedingten und gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, die ein kontinuierliches Training unmöglich machten und natürlich auch meine Rennpläne durcheinander wirbelten. Während diesen Monaten hatte ich das Rennen in St. George immer im Hinterkopf. Ich wollte mit dem Wissen an der Startlinie stehen, alles getan zu haben, um in der bestmöglichen Form zu sein. Dieses Jahr war die WM also nicht das i-Tüpfelchen, sondern DAS Rennen. Zudem wollte ich zeigen, dass der zehnte Platz letztes Jahr kein Ausrutscher war. Je näher der Renntag rückte desto unsicherer wurde ich, und desto mehr relativierte ich das Thema „Platzierung“. Dass ich mit Startnummer 9 ins Rennen ging und eine andersfarbige Badekappe bekam, hat mich mehr durcheinandergebracht als ich mir im ersten Moment eingestanden habe. Ich habe mich zwischen all den großen Namen nicht richtig wohl gefühlt. Mir ist klar, dass diese Einstellung alles andere als professionell ist und zum Teil auch dazu geführt hat, dass ich nach dem Schwimmen weit zurücklag. Natürlich fragt man sich „was wäre wenn“, aber viel wichtiger ist für mich die Erkenntnis, dass ich dort eine Schwäche habe, die es im Hinblick auf die nächste Saison anzupacken gilt.
Warm anziehen!
Das Rennen selbst war vor allem durch die kalten Bedingungen geprägt. Bereits vor dem Rennen war die größte Herausforderung, so warm wie möglich zu bleiben. Das Wasser war mit 17 Grad auch nicht warm, aber im Vergleich zu den Außentemperaturen noch der wärmste Part. Die Tage vor den Rennen kreisten die Gedanken bei allen Athleten und Athletinnen darum, was man anzieht. Einerseits will man nicht ewig in der Wechselzone bleiben und möglicherweise den Anschluss an eine Gruppe verpassen, andererseits bringt auch eine Gruppe nicht viel, wenn man im Rennen aufgrund der Kälte nicht richtig performen kann. Ich entschied mich für Handschuhe und eine Windweste, in die ich einen Fleece reingeklebt habe, nachdem eine extra bestellte dickere Radweste in der Post verloren gegangen ist.
Nach einem enttäuschenden Schwimmen ging es als 29. für mich aufs Rad und ich habe unmittelbar mit der Aufholjagd begonnen. Zu erleben, wie schnell ich an die Gruppen auffahre und überhole und zu sehen, dass mir keiner folgt, war natürlich eine große Motivation. Nachcirca 20 Kilometern ging es dann endlich in die Sonne. Ich kann gar nicht sagen, wie gut das tat. Aber so richtig auftauen wollten die Hände und Füße erstmal trotzdem nicht. Das größte Problem war, sich zu verpflegen, wie mir auch andere Athletinnen bestätigt haben. Einerseits ist die Lust zu trinken bei kalten Bedingungen sowieso eher gering, andererseits konnte ich meine Flasche mit den kalten Händen nicht greifen. Erst kurz vor dem Snow Canyon, also auf den letzten 25 Kilometern tauten die Hände langsam auf und ich nutzte den Anstieg, um meine Flaschen noch zu leeren.
Bestzeit und Gefühlscocktail
Auf den 90 Kilometern konnte ich mich auf Platz zwölf nach vorn arbeiten und hatte Blickkontakt zu den Plätzen zehn und elf. In der zweiten Wechselzone habe ich gefühlte Ewigkeiten gebraucht, bis ich Socken und Schuhe anhatten, denn ich hatte noch kein Gefühl in den Zehen und es dauerte circa sechs Kilometer, bis ich sie wieder normal spürte. Wie unangenehm sich das Laufen bis dahin angefühlt hat, könnt ihr euch bestimmt vorstellen. Ich bin die 21 Kilometer nach Gefühl gelaufen und habe nur bei der Zehn-Kilometer-Markierung auf die Uhr geschaut und freudig bemerkt: „Oha, ich bin ganz schön schnell“. Der Laufkurs in St. George hatte es trotz weniger Höhenmeter im Vergleich zur Strecke von 2021 in sich. Höhenmeter gab es immer noch mehr als in vielen anderen Rennen und der Streckenabschnitt über den Golfplatz war sehr unrhythmisch: rauf, runter, Kurven und wechselnder Untergrund. Auf der zweiten Laufrunde habe ich dann ziemlich gelitten, allerdings habe ich auch gesehen, dass andere vor mir noch mehr leiden. Das hat mein Leiden wiederum etwas erträglicher gemacht. Am höchsten Punkt der Laufstrecke habe ich Imo Simmonds und wenig später India Lee überholt und lag somit auf Platz 9. Auf der langen Gerade bergab musste ich Tamara Jewett ziehen lassen, die den schnellsten Laufsplit des Tages hingelegt hat. Mit neuer Halbmarathon-Bestzeit bog ich nach insgesamt 4:16 Stunden schließlich auf die Zielgerade ein. Das Gefühl in Worte zu fassen, fällt mir schwer: ein Mix aus Erschöpfung, Übelkeit, höchster Zufriedenheit, Stolz, dass sich das Durchhalten der letzten Monate ausgezahlt haben und Dankbarkeit gegenüber den Menschen, die mich begleiten. Im Ziel wurde ich von einer der 4.000 Volunteers herzlich empfangen und ins Warme begleitet. Genial, was St. George und seine Volunteers zum dritten Mal in 13 Monaten auf die Beine gestellt haben.
Von St. George ging es für meinen Mann und mich nicht wieder nach Hause, sondern direkt weiter in Richtung Cancun beziehungsweise Cozumel. Dort möchte ich am 20. November mein Ironman-Debüt geben. Ich bin sehr gespannt und freue mich riesig auf das neue Abenteuer!