In der aktuellen Ausgabe der triathlon beleuchten wir in dem Artikel „Dunkle Schatten über strahlenden Helden“ das Thema Depression. Zwei Beispiele zeigen auf, welchen Einfluss der Sport auf die Entstehung und Linderung einer Depression haben kann. Experten erklären, was eine Depression ist, wie sie entsteht, wie sie diagnostiziert wird und mit welchen Strategien sie gegebenenfalls überwunden oder zumindest gelindert werden kann. Der einhellige Tenor: Ziele sind wichtig – wenn sie eigenmotiviert und nicht fremdbestimmt sind. Robert Brummer, einer der Protagonisten aus der Magazin-Story, spricht auf tri-mag.de über seine Depression und seinen persönlichen Ausweg.
Robert, du gehst sehr offen mit deiner – ehemaligen – Erkrankung um. Warum war es dir wichtig, dass auch andere Triathleten von der eher dunklen Phase deines Lebens und deiner Sportkarriere erfahren?
Generell möchte ich Menschen dabei helfen, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen oder sich schneller aus der Situation manövrieren zu können. Ich wäre früher froh um jeden Rat gewesen. Doch leider ist vieles nur auf Leistung, Erfolg und Ansehen fixiert. Ich dachte früher immer, dass ich mit Sport nichts falsch machen kann. Schließlich wird es von jedem empfohlen und von der Gesellschaft als positiv, ja geradezu als vorbildlich, gesehen. Dass aber Sport auch ganz schnell zur Droge werden kann, wissen die wenigsten. Nicht falsch verstehen: Ich liebe Sport und er ist auch gesund – außer ich gebe ihm zu viel Macht. Daher ist mein persönliches Motto: Keine Macht dem Sport.
Ganz kurz geschildert: Wie bist Du überhaupt in ein Burnout und die Depression gerutscht?
Ich wollte Anerkennung, wollte der Beste sein und alles zu 100 Prozent perfekt machen. Beim Job angefangen bis hin zum Triathlon. Gerade Menschen die zur Perfektion neigen, sind aber mehr von Burnout und Depression betroffen als andere. Für mich war von Anfang an im Triathlon klar, den maximalen Ertrag bei maximaler Leistung herauszuholen. Ich wollte die Anerkennung über Ergebnisse, über die Teilnahme bei der WM auf Hawaii bekommen. Das war der Moment, in dem ich die Leidenschaft verloren habe und mein Ziel fremdbestimmt wurde. Von da an ging es bergab, ich hungerte mich mit unter 2000 kcal pro Tag und vier Stunden Training auf 68 Kilogramm runter, hatte noch circa acht Prozent Körperfett. Dann rebellierte erst mein Körper, indem er mich in ein Übertrainingssyndrom beförderte. Erste Symptome: Ich kam die Treppe im Büro kaum noch hoch und ich konnte nur noch zwei bis drei Stunden schlafen. Mein Hausarzt verschrieb mir sofort Antidepressiva, damit ich wieder schlafen konnte. Mir wurde sogar empfohlen, Sport zu treiben, weil er bei einer depressiven Episode hilfreich sei. Dass es sich um ein Übertrainingssyndrom handelte, wusste zu diesem Zeitpunkt keiner. Ich trainierte also unter Medikamenteneinfluss weiter und versuchte an meine alten Leistungserwartungen anzuknüpfen, was nicht funktionierte. Nur wenige Wochen später brach ich zusammen: Burnout. Ich war nicht mehr in der Lage das Bett zu verlassen. Das war der Anfang meiner Depression.
Wie lange hat es gedauert, bis du dir eingestanden hast, dass du an Depressionen erkrankt bist?
Heute kennen wir die Diagnose und die Chronologie, damals wurde es von keinem erkannt. Für mich brach damals eine Welt zusammen, ich wusste ja nicht, was mit mir los war. Ich war mental immer noch ein Triathlet, der wie ein Junkie seinen Zielen und seiner Anerkennung hinterherlief. Ich habe aber immer wieder aktiv bei den Ärzten angefragt, ob es sich um Depressionen handelt. Die Psychologen haben nur von einer depressiven Episode gesprochen. Es lag aber auch daran, dass ich die Fragen zur Ermittlung einer Depression anfangs unbewusst nicht richtig beantwortet habe. Erst nach ein bis zwei Jahren fing ich an, die Fragen für mich selbst ehrlich zu beantworten und meine Glaubenssätze zu hinterfragen: Mache ich Triathlon, weil er mir Spaß macht? Das war der Moment, in dem ich das erste Mal ehrlich zu mir selbst war. Der Moment in dem ich Verantwortung für mich und mein Handeln übernommen habe. Das war im Nachhinein der Wendepunkt.
Der Wendepunkt war, als ich das erste Mal ehrlich zu mir selbst war.
Robert Brummer
Welche Anzeichen hattest Du?
Ich wollte keine sozialen Kontakte mehr, es war für mich jedes Mal eine riesige Überwindung, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Ich war ständig gereizt, gestresst und nicht belastungsfähig. Mein Schlaf war weiterhin beeinträchtigt. Das Schlimmste, gerade in Bezug auf Business war, dass ich mich nicht konzentrieren und mir nichts merken konnte. Es hat mich sehr viel Kraft gekostet, das zu überspielen, mein Selbstbewusstsein fing an, noch weiter zu schrumpfen.
Was war ausschlaggebend dafür, dass du dir zunächst fremde Hilfe geholt hast?
Das fehlende Eingeständnis, dass es an mir, meinen Gedanken und meinem Verhalten gelegen hat. Zu dem Zeitpunkt war mir leider nicht bewusst, dass ich das Problem hätte lösen können, ich aber im Außen nach den Gründen und Ursachen gesucht habe.
Die Ärzte konnten dir aber nicht helfen?
Es wurde ein Ärztemarathon. Der begann mit der Suche nach Infektionen, Borreliose, Herzmuskelentzündung und vielen anderen möglichen Ursachen – ohne Erfolg. Ich habe bei jeder Untersuchung gehofft, dass endlich eine Diagnose gestellt wird. Für mich brach jedes Mal wieder eine Welt zusammen, wenn es hieß: Herr Brummer, Sie sind physisch vollkommen gesund. Im Nachhinein bin ich erschüttert, wie wenig Aufmerksamkeit der Ganzheitlichkeit vonseiten der Ärzte geschenkt worden ist. Keiner hat mein Verhalten, meine Beweggründe oder meine emotionale Seite beleuchtet und hinterfragt. Entweder haben die Psychologen mir Psychopharmaka verschrieben oder die Allgemein- und Sportärzte nach rein physischen Ursachen gesucht. Ich möchte aber keinem Arzt eine Schuld geben, da ich heute weiß, dass ich Verantwortung für mich übernehmen muss. In meiner damaligen Situation war ich alles andere als mir selbst bewusst. Ein Hallo-Wach-Ruf durch einen Arzt oder eine kritisch hinterfragende Person hätte mir gut getan.
Wann hast du entschlossen, dich selbst aus dem Tief zu holen?
Irgendwann nach dem x-ten Arztbesuch und der damit verbundenen Enttäuschung, wieder keine Diagnose bekommen zu haben, war der Punkt da, an dem ich erkennen musste, dass mir kein Außenstehender helfen kann. In dem Moment, in dem ich diese Entscheidung getroffen habe, entdeckte ich zufällig einen Bericht im Internet: „Wie steigere ich mein Selbstbewusstsein?“. Bis dahin war ich überzeugt davon, dass ich nur so vor Selbstbewusstsein strotzte. Der Artikel belehrte mich eines Besseren. Das war der Moment, in dem ich angefangen habe, mich mit mir selbst zu beschäftigen.
Ich wollte mein Glück und meine Gesundheit nicht von anderen Menschen abhängig machen.
Robert Brummer
Wie hast du aus der Depression herausgefunden?
Mein Kampfgeist war mittlerweile geweckt. Ich wollte mein Glück und meine Gesundheit nicht von anderen Menschen abhängig machen. Ich fing an, mich mit meinem Denken, meinen Gefühlen und meinem Verhalten auseinanderzusetzen. Ich habe mit mir einen Deal vereinbart: Hosen runter, Pokerface ablegen und 100 Prozent ehrlich zu mir selbst sein. Ich verschlang Dutzende von Büchern, beschäftigte mich mit Studien und Erfahrungsberichten und öffnete mich sogar, zumindest bis zu einem gewissen Grad, der Spiritualität. Heute weiß ich, dass sich Menschen nur verändern, wenn der Leidensdruck das Maximum erreicht hat oder es eine Leidenschaft für etwas gibt. Bei mir war es der maximale Leistungsdruck der mich offen für fast alles machte. Mich hat letztlich mein persönlicher Fünf-Punkte-Plan gerettet: Akzeptanz der Vergangenheit und des Erlebten, welche Richtung soll ich im Leben einschlagen – die Entwicklung der Persönlichkeit, eigene realistische Ziele formulieren, Selbstmanagement und Selbstorganisation als Stressvorbeugung sowie Rituale und Regeln, an die ich mich halte.
Inwiefern würdest du dich mittlerweile als „geheilt“ oder „gesund“ bezeichnen?
Ich bezeichne mich als geheilt und gesund, weil ich nicht die Symptome behandelt habe, sondern die Ursache: Meine Persönlichkeit. Durch mein neues Bewusstsein kann ich gar nicht mehr in alte Muster, die für die Depressionen verantwortlich waren, zurückfallen. Das ist das Schöne daran.
Psychologen betonen, wie wichtig es ist, Ziele zu verfolgen, die aus innerem Antrieb aufgestellt werden und nicht fremdgesteuert sind. Wie wichtig waren solche Ziele für dich?
Für mich ist das einer der wichtigsten Indikatoren. Fremdbestimmte Ziele machen krank, das hat man bei mir gesehen. Meine eigenen Ziele und Visionen treiben mich heute gesund an und geben mir Sinn – es fühlt sich einfach gut an, weil ich weiß, dass ich das Richtige tue.
Experten sagen, dass sich Triathlon auch als Mittel eignet, aus einer Depression herauszufinden. Wie siehst du das?
Ich sehe das sehr skeptisch. Prinzipiell können Sport und sportliche Ziele einen Halt geben, einen Rahmen. Nur wissen wir alle, das Triathlon sehr aufwendig zu betreiben ist, speziell wenn ich mir hohe Ziele setze, die auch Erwartungen schüren. Der Grat zwischen „Rahmen geben“ und „Stress haben“ ist sehr schmal. Die größte Gefahr sehe ich jedoch im Triathlon als Mittel und Werkzeug. Was ist, wenn das Mittel versagt? Wir sind zu einem hohen Grad fremdbestimmt. Was ist, wenn der Triathlon – wie in der aktuellen Corona-Pandemie – abgesagt wird? Was ist, wenn ich mich verletze? Was ist, wenn ich meine Erwartungen, meine Zielzeiten oder gar das Finish nicht erreiche? Dann falle ich wieder zurück, da ich abhängig von vielen Faktoren bin. Genau das habe ich jahrelang durchlebt. War ich verletzt oder einfach nicht in der Lage zu trainieren, brach für mich eine Welt zusammen. Ich verlor komplett den Halt. Anderen Athleten geht es ähnlich. Ich habe mich also dazu entschieden, Mittel zu wählen, über die ich zu 100 Prozent selbst verfügen kann. Das sind meine Rituale, speziell am Morgen und Abend, mit Meditation und Yoga. Das kann ich überall und jederzeit machen. Hier kann ich auch nicht scheitern. Das gibt mir absolute Selbstbestimmtheit. Triathlon weiterhin ja – aber nicht als Mittel oder Werkzeug, sondern als Ausgleich, als Hobby.
Ein Rückfall ist am wahrscheinlichsten, wenn ich nicht die Ursachen, sondern die Symptome behandle.
Robert Brummer
Kann deiner Meinung nach jeder dauerhaft aus einem Burnout und einer Depression herausfinden?
Ja, aber nur wenn er oder sie an der Ursache arbeitet. Nur dann ist eine nachhaltige und langfristige Heilung ohne Mittel wie Sport als Medikament oder tatsächliche Medikamente möglich. Jeder hat die Ressourcen für eine Selbstheilung in sich. Ein Rückfall ist meiner Meinung nach dann am wahrscheinlichsten, wenn ich nicht die Ursachen, sondern die Symptome behandle und wenn ich Mittel nutze, die ich nicht zu 100 Prozent selbst bestimmen kann.
Inwiefern nimmst du das Leben mittlerweile anders wahr?
Komplett. Ich nehme mich, meine Umwelt und das Leben komplett viel bewusster wahr. Ich kann wieder fühlen, ich kann genießen – ich bin wieder Mensch. Natürlich hätte ich mir gewünscht, nicht dieses langanhaltende Tief erleben zu müssen. Aber heute weiß ich, dass ich mich nur deshalb geändert habe. Hätte ich diese Schmerzen nicht erlebt, wäre der Leidensdruck nicht so enorm gewesen, wäre ich heute noch immer der unbewusste Junge, der einer fremdbestimmten Rolle hinterhereifert und seinen Sinn im Leben sucht. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrungen sammeln durfte und ich den Mut und die Ausdauer hatte, mein Leben komplett zu hinterfragen und vor allem komplett zu verändern.
Hinweis: Wer mehr über Robert Brummer und seinen Weg aus der Depression erfahren möchte, hat die Möglichkeit, ihn über seinen Online-Auftritt robertbrummer.de zu kontaktieren.
Wenn ihr selbst depressiv seid oder Anzeichen verspürt, könnt ihr die Telefonseelsorge im Internet oder die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123 kontaktieren. Weitere Ansprechpartner und Informationen zum Thema Depressionen gibt es auch auf der Website der Stiftung Deutsche Depressionshilfe unter deutsche-depressionshilfe.de.