Der Belgier gehörte zu den Favoriten auf den WM-Titel, dann änderten eine Fußverletzung, mentale Probleme und ein Radsturz in der Woche der Ironman-Weltmeisterschaft die Ausgangslage. Warum Marten Van Riel dennoch an seine Chance im Rennen glaubt.
Er ist der Weltmeister der T100 Triathlon World Tour 2024. Zuletzt hatte Marten Van Riel allerdings keine leichte Zeit. Vom Titelanwärter bei der bevorstehenden Ironman-Weltmeisterschaft in Nizza ist der Belgier mittlerweile zum Dark Horse geworden. Der 32-Jährige ist ein emotionaler Triathlet, der kleine Rückschläge nah an sich heranlässt – was ein mentales Tief nach sich ziehen kann. Die positive Kehrseite: Wenn alles gut läuft und die Ergebnisse stimmen, kennt die Euphorie bei ihm keine Grenzen. Was ist in Nizza möglich für den Belgier, der sich nach einer problematischen Phase wieder im Aufwind befindet?
Verletzung, Rückschläge und ein unerwartetes Comeback
Zum Saisoneinstieg präsentierte sich Van Riel in einer herausragenden Verfassung. Bei seiner zweiten Langdistanz, die er in Südafrika bestritt, belegte er mit dem schnellsten Schwimmen und dem schnellsten Lauf den zweiten Platz hinter Magnus Ditlev. Bei den Singapur T100 folgte ein dritter Platz ehe er in San Francisco und Vancouver die Plätze sechs und zwei belegte. Zum Kurscheck beim Ironman 70.3 Nizza war kein Kraut gegen ihn gewachsen – er lief den Sieg locker nach Hause. Doch dann sah es nicht mehr so rosig aus für Marten Van Riel. Der Start bei der Ironman-Weltmeisterschaft rückte in weite Ferne. Eine verletzungsbedingte Zwangspause machte das Laufen für mehrere Wochen unmöglich. Erst vier Wochen vor dem Rennen konnte er wieder ernsthaft mit dem Lauftraining beginnen.
„Ich habe mich selbst überrascht, wie schnell ich dann wieder ins Laufen reingekommen bin“, sagt er rückblickend. Während seine Umfänge in der dritten Disziplin begrenzt blieben, konnte er auf dem Rad seine Stärke weiterentwickeln. Die Fokussierung auf das Biken brachte ihn dort auf ein neues Level: „Ich habe vielleicht die beste Radform meines Lebens.“
Doch kurz vor dem WM-Rennen folgte nun der nächste Dämpfer: ein Sturz auf dem Rad. „Das war frustrierend. Vor allem, weil es genau am Ende einer wichtigen Einheit passierte“, erklärt Van Riel. Zwei Stunden Radfahren und zwei Stunden Koppellauf standen zum Abschluss auf dem Plan – der letzte Härtetest. Trotz Schürfwunden und schmerzender Hüfte zog er seinen langen Lauf von 30 Kilometern durch. „Es war ein Abwägen, ob ich den Lauf machen sollte oder nicht. Aber aufgrund der wenigen langen Läufe in der Vorbereitung entschieden wir uns im Team dazu, ihn zu machen“, so Van Riel.
Die mentale Gratwanderung im Leistungssport
Dass Rückschläge nicht nur den Körper, sondern vor allem den Kopf fordern, weiß Van Riel aus eigener Erfahrung. Über Jahre habe er die „Ups and Downs“ des Sports zu sehr an sich herangelassen, erzählt er offen. Gute Phasen trugen ihn in ein Hochgefühl, kleine Verletzungen oder Krankheit dagegen konnten ihn schnell in ein mentales Loch ziehen.
Im August sprach er erstmals öffentlich über seine mentalen Probleme – ein Schritt, der ihm Erleichterung brachte: „Es war befreiend, meine Gefühle zu teilen. Vorher dachten viele, bei mir laufe alles perfekt. Doch die Realität war anders.“
Diese Offenheit ermöglichte es ihm, auch mit Familie und engen Bezugspersonen anders ins Gespräch zu kommen. Van Riel beschreibt es heute als wichtigen Wendepunkt, mit dem er gelernt hat, Probleme nicht mehr nur in sich hineinzufressen. Für Nizza sei er den Umständen entsprechend in einer guten Verfassung. Das Ansprechen der mentalen Probleme war eine Befreiung für ihn, die in der jetzigen Situation für wesentlich mehr Gelassenheit sorgt. Deshalb schaut er Vorfreude auf das Rennen am Sonntag.
Zwischen Angst und Vorfreude – Nizza als mentaler Test
Die Radstrecke in Nizza gilt als eine der anspruchsvollsten im Ironman-Kalender: lange Anstiege, ein welliges Plateau und technisch fordernde Abfahrten. Van Riel hat den Kurs in den vergangenen Monaten mehrfach trainiert und fühlt sich sicher, auch wenn der Sturz kurzzeitig Selbstvertrauen kostete.
„Ich freue mich riesig auf die Radstrecke. Fast so, als stünde ich am Start einer Tour-de-France-Etappe. Diese Freude lenkt mich ein Stück weit von den Schmerzen ab, die beim Marathon sicher kommen werden.“
Sein Plan: offensiv auf dem Rad fahren, um sich früh in eine gute Position zu bringen. Dass er mit Läufern wie Patrick Lange oder Kristian Blumnenfelt am Ende wohl nicht mithalten kann, weiß er. Doch er will Akzente setzen – nicht nur mit Beinen, sondern auch mit mentaler Stärke.
Ein Athlet zwischen Vorbild und Lernprozess
Van Riel tut sich schwer mit dem Begriff „Vorbild“. Zu sehr, so sagt er, habe er selbst mit Unsicherheiten zu kämpfen. Gleichzeitig weiß er, dass sein offener Umgang mit Schwächen anderen Athleten und auch Menschen außerhalb des Sports Mut machen kann. „Vielleicht hilft es, wenn jemand sieht: Auch ein Profi macht Fehler, kämpft mit Selbstzweifeln und kommt trotzdem wieder zurück.“
Ein Rennen mit Symbolcharakter
Egal wie die Platzierung am Ende aussieht – für Marten Van Riel ist der Start in Nizza ein Sieg. „Allein die Startlinie zu erreichen, ist für mich, nach allem was vorgefallen ist, schon ein Erfolg“, betont er. Und dennoch, die Hoffnung auf ein sportliches Ausrufezeichen bleibt. So etwas wie vom Favoriten zum Dark Horse. Nach Südafrika hat er sich selbst zu den Athleten gezählt, die bei der WM ganz oben auf dem Podium stehen werden. Jetzt würde es seiner Meinung nach eine kleine Überraschung sein. Und dennoch, seine Wunsch-Überschrift nach dem Rennen lautet: „Marten Van Riel gewinnt Nizza mit unglaublichem Comeback.“
Der Belgier will in die Dynamik des Rennens eingreifen und seine Stärken optimal ausspielen. Hartes Schwimmen und beim Radfahren auf dem Plateau zeigen, was geht. Ob es dann im Marathon reicht, wird sich zeigen. Die Ziellinie will er auf jeden Fall sehen. Und dann, so sagt er, hat er genügend Wissen darüber, wie alle Profis ihr „A-Game“ bestreiten, um im kommenden Jahr auf Hawaii wieder angreifen zu können.