Die Legende besagt, alles habe mit einer Diskussion auf Oahu im Februar des Jahres 1977 begonnen. Eine Meinungsverschiedenheit zwischen Athleten der Mid-Pacific Road Runners und des Waikiki Swim Clubs auf Hawaii mündete an diesem Tag in einer Idee: Ein Ausdauerdreikampf aus Schwimmen, Radfahren und Laufen sollte endlich die ewige Frage beantworten, ob nun Läufer oder Schwimmer die fitteren Sportler seien. Navy-Commander John Collins schlug deshalb vor, die Strecken des „Waikiki Roughwater Swims“, des Radrennens „Ride around the Island“ und des Honolulu-Marathons zu einem einzigen großen sportlichen Wettkampf zusammenzufassen. „Whoever finishes first, we’ll call him the Ironman“, sagte Collins.
Es war die Erfindung des Ironman Hawaii – und damit der Grundstein einer Sportart, die auch fast 40 Jahre später noch den gleichen Mythos birgt wie zu Beginn: einen Beweis, was der menschliche Körper und der Geist zu leisten in der Lage sind, wenn nur genug Wille vorhanden ist. Der Erfolg und das gewonnene Selbstbewusstsein dieser noch so jungen Sportart haben die alte Frage verändert: Statt den fittesten Sportler aus ihren Reihen zu finden, haben die Schwimmer, Radfahrer und Läufer etwas Neues geschaffen. Triathlon dient noch immer als Beweis dafür, Grenzen verschieben zu können. Doch es ist längst auch ein eigenständiger Leistungssport mit eigenen Strukturen und Anforderungen, der es ins Programm der Olympischen Spiele geschafft hat. Seine besten Athleten sind nicht länger nur Verrückte oder Gescheiterte aus einer der drei Einzeldisziplinen, und sie erfahren weltweite Aufmerksamkeit und Anerkennung. Doch die alte Frage verliert wenig von ihrer Faszination, wenn man sie an die neuen Begebenheiten anpasst: Welcher von diesen drei Sportlern – Schwimmern, Radfahrern oder Läufern – hat die besten Voraussetzungen, ein erfolgreicher Triathlet zu werden?
Schwergewicht Radfahren
Ein Blick auf die Distanzen im Triathlonsport scheint bereits die Tendenz zu einer Antwort zu geben. Denn zieht man die klassische Langdistanz heran, fallen um die 55 Prozent der gesamten Renndauer auf das Radfahren. Jan Frodeno verleitete diese zeitliche Dominanz des Radparts im Triathlon nach seinem Olympiasieg in Peking 2008, lange vor seinem Wechsel auf die Langdistanz, zu der Aussage, jede Veranstaltung, bei der das Windschattenfahren verboten sei, sei sehr radlastig. „Im Ironman geht es im Prinzip nur darum, wer der beste Radfahrer ist. Auf der Kurzstrecke im Draftingformat ist der komplette Athlet gefragt“, äußerte Frodeno damals. Und doch mache nicht etwa das Radfahren, sondern das Laufen im Verhältnis zur Dauer der Disziplin in der Endabrechnung den größten Unterschied aus, erklärt Dennis Sandig, bei der Deutschen Triathlon Union unter anderem für die Trainerausbildung zuständig. Das hätten Studien auf der Kurzdistanz, an denen Sandig selbst beteiligt war, nahegelegt und später auch auf längeren Distanzen bestätigt. Und immerhin stammte ja auch der erste Sieger des Ironman Hawaii, Gordon Haller, ursprünglich aus dem Laufsport. Hat also der Läufer die besten Voraussetzungen, ein erfolgreicher Triathlet zu werden? „Das ist mit diesen Ergebnissen noch nicht gesagt“, sagt Sandig. Denn die stellen ja nur Analysen von Triathlonergebnissen dar, sagen aber nichts darüber aus, welchen sportlichen Hintergrund oder welches Niveau die untersuchten Sportler in einer Einzeldisziplin für sich genommen hatten.
Läufer laufen hinterher
Denn nur weil ein Sportler herausragend schnelle Marathonrennen laufen kann, heißt das noch nicht, dass ihm dies auch im Triathlon gelingt. In besonderer Weise belegte das ein Versuch, den der Triathlet Kevin Schwieger im Jahr 1998 wagte: Er nahm zwei Kenianer unter seine Fittiche, die den Marathon in oder unter 2:30 Stunden laufen konnten, und bereitete sie vier Jahre lang auf eine Triathlonlangdistanz vor. Es sollte der Versuch werden, ein Leistungszentrum für Triathlon in der Läufernation Kenia zu etablieren – und wurde der Beweis, dass Triathlon doch mehr ist als die Summe aus drei Einzelsportarten. Abgesehen davon, dass die Kenianer beispielsweise mit dem Schwimmen ohnehin schon große Probleme hatten, weil dieser Sport in ihrer Heimat im Grunde nicht existiert – auch läuferisch stachen die beiden Kenianer im Triathlonrennen nicht mehr besonders heraus. Beim Ironman Wisconsin erzielten sie Marathonzeiten von 3:16 Stunden und 3:23 Stunden, womit es die Ostafrikaner gerade so unter die besten 20 bzw. 40 Läufer im Feld schafften. Die Rennen beendeten sie nach rund 12 Stunden weit abgeschlagen von der Spitze.
Auch andere Wunderläufer tun sich im Triathlon mitunter schwer. Ein Beispiel auf Weltklasseebene ist Alan Webb: Der Amerikaner schwamm in seiner Jugend ambitioniert, entschied sich später aber für die Leichtathletik und hält in 3:46,91 Minuten den US-amerikanischen Rekord über die Meile (1.609 Meter). Ein Ausnahmeläufer, der zwar zuletzt nicht mehr an seine frühere Form herankam, die fünf Kilometer aber weiterhin deutlich unter 14 Minuten lief. Doch als er sich nach den Spielen in London im Drafting-Triathlon versuchte, hagelte es Enttäuschungen. Selbst bei ITU-Rennen, in denen Webb mit dem Hauptfeld vom Rad stieg, spielte er keine Rolle beim Kampf um die Entscheidung. Mehrfach wurde er in der letzten Disziplin von Triathleten abgehängt, für die Webb in einem reinen Laufwettkampf wahrscheinlich nur ein müdes Lächeln übrig gehabt hätte. Seinen Kampf um die Olympia-Teilnahme gab Webb auf. Eine mögliche Erklärung für diese Probleme der Läufer liefern australische Studien: Sie untersuchten den Laufstil von Triathleten ohne und mit vorheriger Radbelastung und stellten fest, dass viele Ausdauersportler nach der Vorbelastung auf dem Rad ineffizienter liefen. Bei Eliteathleten fielen die Effizienzunterschiede zwar geringer aus, existierten aber weiterhin.
Klarere Anforderungen im olympischen Format
„Der Schlüssel ist, wie entspannt ein Sportler vom Rad steigt“, sagt Sportwissenschaftler Stefan Zelle, der mehrere Jahre lang in der Triathlon-Bundesliga aktiv war. „Das Radfahren ist eine Grundvoraussetzung für gute Laufzeiten“, meint auch Dennis Sandig. Zwar kann es im Kampf Mann gegen Mann ein Vorteil sein, einen läuferischen Hintergrund mitzubringen – das bringt aber nichts, wenn die Läufer auf dem Rad zuvor nicht mithalten können oder sich dafür übermäßig verausgaben müssen. „Wir beobachten häufig, dass Läufer Probleme mit dem Raddruck haben. Die 340, 350 Watt dauerhaft zu treten, die in der Weltspitze nötig sind, ist schwierig“, sagt Sandig. Läufer sind es gewohnt, auf kurze Bodenkontaktzeiten hinzuarbeiten – und nicht, dauerhaft kräftig zu treten. Die Belastungsmuster sind unterschiedlich. Den Läufern fehlt viel von der Muskulatur, die Radfahrer schnell macht, denen wiederum auf der Laufstrecke aber zum Ballast wird. „Form follows function“, sagt Zelle: Der Triathlet ist ein Hybrid und die Suche nach der richtigen Statur ein Balanceakt, der nur unter Abstimmung aller drei Disziplinen aufeinander gelingt.
Im Draftingformat auf der Kurzdistanz ist die Suche nach den perfekten Sportlern einfacher. In Frankreich und den USA wurden beispielsweise gezielt Schwimmer gesucht, die auch einen läuferischen Hintergrund haben oder andersherum. Diese beiden Disziplinen haben taktisch eine herausragende Bedeutung, denn auf dem Rad müssen die Sportler vor allem kurze Antritte mitgehen und können sonst vom Windschatten profitieren. Auch das zu lernen braucht zwar Zeit, wie das Beispiel Alan Webb belegt – trotzdem erleichtert dieses Format den Schwimmern und Läufern das Leben.
Komplette Athleten
Wechseln diese Kurzdistanzathleten auf die Langdistanz, wie einst Frodeno es tat oder es vorher beispielsweise Andreas Raelert und Nils Frommhold gelang, müssen sie vor allem an ihren Zeitfahrqualitäten auf dem Rad arbeiten. Manche schaffen das kaum, andere dagegen wie zuletzt Olympiasieger Kristian Blummenfelt sehr schnell. Aus ihnen werden in Kombination ihres langjährig antrainierten Könnens im Schwimmen und Laufen mit dem neuen Radtraining „komplette“ Athleten, die das Niveau auf der Langdistanz anheben. „Wir haben in den letzten Jahrzehnten immer wieder Auseinandersetzungen zwischen Spezialisten in Einzeldisziplinen erlebt“, sagt Sandig und erinnert an die Hochzeit der Radspezialisten um Normann Stadler, Torbjørn Sindballe und Faris Al-Sultan Mitte der 2000er-Jahre. Jan Frodeno aber ist ein Beispiel dafür, dass das Nachrücken der Sportler von den Kurzdistanzen die Weltspitze immer mehr dahin verändert hat, dass die Athleten alle drei Disziplinen auf höchstem Niveau beherrschen müssen. Das ist vor allem auch ein zeitverzögertes Resultat daraus, dass der Triathlonsport im Draftingformat im Jahr 2000 olympisch wurde: Echte Schwächen sind nun auch auf der Langdistanz nicht mehr erlaubt.
Dabei haben Radfahrer und Läufer vor allem mit dem Schwimmen Probleme, der technisch anspruchsvollsten der drei Sportarten. Kinder tun sich leichter, in diesem Sport ein hohes Niveau zu erreichen – Erwachsene müssen dagegen viel Zeit und Kraft in Techniktraining investieren, die ihnen dann im normalen Trainingsbetrieb fehlen. „Der Beckenschwimmer bringt auch eine hohe aerobe Kapazität mit. Allerdings funktioniert sein Stoffwechsel anders. Schwimmer trainieren kürzere Serien und intensiver“, erklärt Stefan Zelle. Auch Sandig berichtet, dass Schwimmer einen höheren Anteil schneller Muskelfasern aufweisen – dafür aber nicht so einen ausgeprägten Fettstoffwechsel, wie er gerade auf langen Triathlondistanzen wichtig ist. Zwar bringen die Schwimmer durch das Bahnenziehen und das intensive Training meist viel mentale Stärke mit, an Land müssen sie trotzdem Vorsicht walten lassen, meint Zelle und berichtet von Beobachtungen bei Studien mit hochintensivem Training: „Den Schwimmern wurde dabei kotzübel. Sie sind zwar fit, aber die Belastung an Land nicht gewohnt.“ Dazu kommt die Verletzungsanfälligkeit: Schwimmer haben eine gute Rumpfstabilität und damit beste Voraussetzungen zum Erlernen des Laufstils. Durch die ungewohnte Belastung der unteren Extremitäten drohen ihnen aber schnell Schienbeinprobleme oder andere Verletzungen. Die Schwimmer haben also große Stabilität und mehr Zeit für das Training der anderen Disziplinen. Trotzdem müssen sie es ruhig angehen lassen, um ihre Körper orthopädisch nicht zu überfordern.
Zeitbonus für Schwimmer
Diese Neigung zu Überlastungsverletzungen eine die Schwimmer mit den Radfahrern, erzählt Sandig. „Ich kann Radfahrer, die Triathlon machen wollen, kaum vier Stunden wöchentlich laufen lassen. Diese Robustheit aufzubauen erfordert viel Geduld“, sagt der Sportwissenschaftler. Genau das sei häufig das Problem der Radfahrer, meint auch Zelle: „Radfahrer sind es gewohnt, fünf Stunden oder länger zu trainieren. Das Problem ist, dass viele das aufs Laufen übertragen und dort prompt mit Einheiten von zwei Stunden Länge loslegen wollen“, sagt er.
Radfahrer müssen lernen
„Es gibt Beispiele dafür, dass das mal gutgehen kann“, sagt Sandig – häufiger aber ginge es schief. „Dazu kommt, dass Radfahrer gleich zwei Disziplinen erlernen müssen, in denen Technik und Effizienz eine wichtige Rolle spielen“, sagt Zelle: Radfahrer haben zwar häufig den besseren Fettstoffwechsel – dafür müssen Läufer und Schwimmer weniger in Techniktraining investieren und haben mehr Zeit, ihren Stoffwechsel dem der Radfahrer anzupassen. Läufer haben sich zudem bereits an die orthopädisch anspruchsvollste Disziplin gewöhnt, das Überlastungsrisiko ist für sie im Triathlon geringer. Deshalb könnten auch Quereinsteiger wie Fußballer und Ruderer, die, zumindest wenn sie auf einem hohen Niveau aktiv sind, meist vielseitig trainieren und athletisch gut ausgebildet sind, im Triathlon schnell aufholen, glaubt Zelle. Denn entscheidend ist letztlich nicht, welche der Disziplinen der Sportler vor seinem Start im Triathlon möglicherweise noch beherrscht. „Eine klare Tendenz gibt es da nicht“, sagt Zelle. Entscheidend für die Antwort auf die Frage, wer der beste Triathlet wird, ist etwas ganz anders: Nämlich, wie viel Geduld, Ehrgeiz und Freude die Sportler dabei aufbringen, an den beiden anderen Disziplinen zu arbeiten.
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Dieser Artikel ist zunächst in der triathlon 140 erschienen. Mehr aus unserem digitalen Archiv findet ihr hier.
Hm. Frodeno hat mit seiner Aussage schon recht. Es entfallen gut 55% der Zeit auf das Radfahren und daher ist im Triathlon die Leistungsdichte auf dem Rad auch höher als beim laufen, da der größte Fokus im Langsistanztraining darauf gelegt werden muss. Von daher ist auch klar, dass das Radfahren im Zweifel die ,,wichtigste“ Teildisziplin ist.