Freitag, 19. April 2024

Das große Geheule

Dieser Blog hätte anders lauten und eine Geschichte von einem fröhlichen und bums-fitten Triathleten erzählen sollen. Als Überschrift wäre in der Theorie nur eine in Frage gekommen: Drei Rennen, drei Siege, mit großen Schritten zum Ironman Austria. Ha, hat sich das Schicksal gedacht, wieso nicht ein wenig Pfeffer in dieses, öde, aalglatte Triathlon-Sommermärchen bringen. Ich meine, ich mag Pfeffer und ich hasse schnöde, vorhersehbare Geschichten, aber bitte doch in Nachbarsgarten!

So beginnt der Grund für mein Geheule

Der 2. Juni 2019 ist der erste richtige Sommertag. Brutale Hitze, lässt die Motoren der Triathleten beim schattenlosen Vierlanden Triathlon im Hamburger Osten stottern. Auch ich stehe mit geputzten und gut geölten Waffen am Start der ersten Mitteldistanz. Das Schwimmen ist angenehm unaufregend, ich komme als Zweiter nach zwei Kilometern Schwimmen sowie einem Landgang aus dem Wasser. Die Führung auf der technisch wenig fordernden etwas mehr als 80 Kilometer langen Wendepunktstrecke kann ich nach rund zehn Kilometern übernehmen. Nichtsdestotrotz bleibe ich auf dem Gas, denn ich will mich selber für Klagenfurt testen. Die letzten zehn Kilometer lasse ich doch wieder ruhiger angehen, bis zu diesem Zeitpunkt bin ich mit einem Schnitt von über 44 km/h auf der windanfälligen Strecke am Elbedeich unterwegs. Das Laufen wird zäh. Die erste Runde kann ich noch einen vernüftigen 3:30er-Schnitt laufen, danach hat die hochstehende Sonne jede Energie in meinem Körper verbrannt. Glücklicherweise ist bis hierhin der Abstand zum Zweitplatzierten schon so komfortabel, dass ich „entspannt leidend“ nach 3:46 Stunden ins Ziel laufen kann. Alles in allem war dies ein sehr gelungener Start in die Saison und zu dem Zeitpunkt ein super Marker für meinen Ironman in Klagenfurt.

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Kristina Assmann Als Zweiter kommt Philipp beim Vierlanden-Triathlon nach zwei Kilometern aus dem Wasser.

Einige weitere gute Trainingseinheiten später ging es am 15.Juni erst nach Brüssel zu Freunden und am 16. Juni weiter nach Geraardsbergen zur dortigen Challenge. Im Gegensatz zur Radstrecke in den Vierlanden wirkte die Radstrecke in Flandern anspruchsvoll und spannend durch das leichte Profil, die Kopfsteinpflasterpassagen sowie die etlichen engen Kurven. Alles ganz feine Sachen, wenn die Organisatoren sich darauf einstellen.

Nach dem Sturz erst noch einmal zurück aufs Rad

Ich war fit für den letzten Test vor dem Saisonhighlight. Zwar nicht ausgeruht, denn es sollte nicht mehr als eine harte Einheit am Sonntag werden, aber ich hatte Bock! Die 1,9 Kilometer in der Auftaktdisziplin verbrachte ich an den Füßen eines Kontrahenten unspektakulär und solide. Auf dem Rad startete ich prompt meine Aufholjagd, ich war überrascht wie gut meine Beine waren, aber auch wie nachlässig bereits die engen Kurven und trickreichen Ecken beschildert waren. Nichtsdestotrotz gab ich alles, um die Führung des Agegrouper-Felds zu übernehmen. Nach knapp 50 Kilometern fuhr ich auf einer lang gezogenen Geraden auf eine T-Kreuzung zu. Kein Schild, keine Markierung auf dem Boden, selbst der Streckenposten auf der Kreuzung machte keine Anzeichen, dass mir bald ein Abbiegevorgang bevorstand. Es treibt mir die blanke Wut in den Schädel, wenn ich mir den letzten Carbon-und-Laktat-Podcast ins Gedächtnis rufe und mich an Simons Schwärmereien von Warnschildern bei der Ironman-70.3-EM in Elsinore erinnere. Naja, wo war ich stehen geblieben, beziehungsweise wo bin ich nicht zum Stehen gekommen. Ich fuhr also fröhlich mit 45-50 km/h auf die Kreuzung zu. In letzter Sekunde wachte der Posten auf, zeigte mir an, ich müsse nach rechts, also scherte ich nach links aus, um mich tief in die Rechtskurve legen zu können und bremste natürlich. Halb in der engen Kurve merkte ich, dass ich noch zu schnell war und die Kurve nicht packen würde. Erste Regel beim Motorradfahren: Wenn du denkst, du packst die Kurve nicht, leg dich noch tiefer in die Kurve. Dafür braucht man natürlich Eier und in der Situation kam mir zwar tatsächlich der Gedanke, aber Bremsen wirkte doch verlockender, denn einfach weiter geradeaus zu fahren war auch keine Option, ohne das Rad im tiefen Graben völlig zu schroten. Gesagt, getan, gepackt. Ich flog über den Lenker, landete auf dem Kopf, mein Körper überschlug sich und ich prallte auf die Schulter. Mein Rad fiel auf weiches Fleisch – das wohl einzig Positive an der Situation. Meine Schulter schmerzte sofort, mein Arm wollte sich auch nicht mehr richtig bewegen lassen, aber ich war getrieben und wütend. Es klingt für den einen oder anderen völlig bescheuert, dennoch stieg ich wieder aufs Rad und fuhr noch fünf oder sechs Kilometer weiter, bis ich merkte, dass ich das Rennen wohl nicht beenden konnte. An der nächsten Verpflegungsstation stieg ich vom Rad. Die freundlichen Helfer riefen sofort den Krankenwagen.

Sieg oder Blaulicht – in Geraardsbergen entschied ich mich für Letzteres. 25 Minuten später kam endlich der Krankenwagen. Die Fahrt ins Krankenhaus war abenteuerlich, nur meine Knöchel und Knie waren auf der Trage fixiert, durch die verwinkelten Straßen Belgiens düsend flog ich auf der Trage hin und her. Wenn da noch nichts gebrochen war, dann auf jeden Fall hinterher. Resultat des kleinen Ausflugs nach Belgien: ein gebrochenes Schlüsselbein, miese Laune aber ein Beutel voller Waffeln.

Privat Trotz gebrochenem Schlüsselbein trainiert Herber weiter für die Hawaii-Quali.

Wer weiß nun also, wofür das gut war? Helft mir gern aufs Pferd und schreibt mir bei Instagram, ich weiß es bis heute nicht wirklich. Mein Start in Klagenfurt ist natürlich abgesagt, mein Wunsch, mit der Specialized Zwift Tri Academy als Starter nach Hawaii zu fliegen, noch nicht. Momentan sammle ich zweimal täglich Radkilometer bei Zwift. Laufen darf ich langsam wieder beginnen, schwimmen werde ich jedoch mindestens noch drei Wochen nicht dürfen. All das hält mich nicht davon ab, alles zu geben. Aufgeben kann man bei der Post, aber nicht sich selbst. Mein Coach Golo Röhrken sowie alle meine Teamkameraden aus der Academy haben weiterhin Vertrauen in mich. Der Trainingsplan wirkt im Moment natürlich wenig vertrauensbildend, aber wenn der Coach sagt, es wird gut, hört hin. 😉 Meine Anmeldung für den Ironman Copenhagen am 18. August ist durch und so weiß ich also schon, was mein erstes Rennen mit 30 Jahren sein wird. Es wird nicht das beste Rennen meines Lebens, das ist mir bewusst. Am Ende zählt nur, alles gegeben zu haben – ich freue mich drauf!

Lasst die Haare wehen,

Euer Philipp

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