Dienstag, 30. Dezember 2025

Auf der Suche nach der sportlichen Gerechtigkeit: Ein Kommentar zur neuen Kona-Quali

Nach nur vier Monaten hat Ironman die Qualifikationsregeln für die Weltmeisterschaften auf Hawaii überarbeitet: Mehr Frauen sollen in Kona an den Start gehen können. Ist das gerecht?

Frank Wechsel / spomedis

Anfang Juli hat Ironman die neuen Qualifikationsregeln für den Ironman Hawaii veröffentlicht, Mitte August kamen sie mit den Rennen in Kalmar und Kopenhagen erstmals zum Tragen, zuletzt jedoch immer mehr in die Kritik: In der Slotvergabe aus dem sogenannten Performance Pool, der Gesamtrangliste von Frauen und Männern aller Agegroups, haben nur wenige Frauen das Kona-Ticket gelöst. Spätestens nach dem Ironman California Ende Oktober, als nur eine Frau einen Slot aus dem Performance Pool annahm (einige andere haben abgelehnt), wurden die Stimmen lauter. Ob Ironman das System deswegen nun einer Revision unterzog, ist Spekulation. Die veränderten Kriterien wurden jedenfalls heute veröffentlicht.

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Viele Gründe für geringe Frauenquote

Die sachlichen Gründe für die geringe Frauenquote bei den Kona-Qualifizierten sind vielfältig: Die Leistungsdichte der Männerrennen ist viel höher, ebenso die Bereitschaft mittelalter Männer, sich mit den neuesten technischen Errungenschaften einen Vorteil gegenüber dem Durchschnitt der letzten fünf Hawaii-Rennen zu erkaufen. Sowieso ist bei den weltweiten Ironmanrennen weiterhin nicht einmal jede sechste Person im Ziel eine Frau. Und wenn die ein richtig gutes Rennen hinlegt und nach dem über 1.500 Euro teuren Kona-Startplatz gefragt wird, sagt sie statistisch gesehen häufiger „Nein!“ als ein Mann.

Sollten deshalb weniger Frauen auf Hawaii starten als Männer? Für einen solchen Standpunkt gäbe es gute Gründe: Die Weltmeisterschaften der Frauen in Kona und Nizza waren trotz vermeintlich geringerer Qualifikationshürden deutlich schlechter gebucht als die der Männer. Von der Aufbruchstimmung einer reinen Frauen-WM auf Hawaii aus 2023 war jüngst im Oktober 2025 nicht mehr viel zu spüren. Und der gewünschte Effekt, dass durch das erreichbare Ziel Hawaii mehr Frauen Langdistanztriathlon machen, blieb aus. Bei Ironman mit weltweit weiterhin nur 15,6 Prozent weiblicher Finisher, aber auch andernorts: In Roth beispielsweise finishten weniger als zehn Frauen unter 25 Jahren – in der Summe der drei letzten Jahre, trotz idealer Rahmenbedingungen und jahrelanger Werbung durch Events wie die Challenge Women.

Andere Kriterien im Spitzensport

Im Spitzensport sind gleich große Starterfelder für Frauen und Männer etabliert, und nicht nur das: Die Preisgelder wurden längst angeglichen, vor einem Jahr saßen sowohl Laura Philipp als auch Patrick Lange nach ihren Weltmeistertiteln im Aktuellen Sportstudio. Auch die Zugriffszahlen auf unsere Berichterstattung haben sich immer mehr angenähert, auch dank großartiger Protagonistinnen unseres Sports hierzulande. Die Geschlechtergerechtigkeit im Triathlon war eines der zentralen Themen der Amtszeit von World-Triathlon-Präsidentin Marisol Casado, auch Ironman hat die Profifelder irgendwann gleich bemessen. Und ich glaube, postulieren zu können: Der Weg an die Weltspitze der Frauen ist genauso hart wie der der Männer. Eine Laura Philipp trainiert nicht weniger hart als ein Patrick Lange. Eine Solveig Løvseth hat nicht weniger Sportlerherz als ein Casper Stornes. Und Laura Lindemann und Lisa Tertsch tragen einen ebensogroßen, wenn nicht sogar größeren Anteil am Olympiagold von Paris wie ihre Staffelkollegen Lasse Lührs und Tim Hellwig. Triathlon hat oft eine Vorreiterrolle übernommen im Kampf um die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.

Und genau diese Gerechtigeit wünsche ich mir auch im Leistungssport der Agegrouper. Auch ich liebäugele seit vielen Jahren mit einem Hawaii-Slot. 1996 durfte ich bereits einmal starten, das Rennen hat mein Leben verändert, sonst würdest du gerade nicht diesen Text lesen – und ich möchte es gern noch einmal tun. Bei fünf Anläufen seit 2017 ist es mir bisher nicht gelungen, da das Gesamtpaket nicht gepasst hat. Ich habe mir diesen Slot nicht verdient – und ich bin ganz ehrlich: Ich möchte auf Hawaii gern Menschen am Start sehen, die sich ihren Slot verdient haben. Die sich wie ich – oder mehr als ich – im Training quälen, früh schlafen gehen um früh auf der Rolle zu sitzen, auf manchen Genuss verzichten und ihr Material im Griff haben. Und nicht, weil sie im richtigen Jahrgang im richtigen Geschlecht geboren wurden.

Das ist sportliche Gerechtigkeit.

Mit den heute veröffentlichten Kriterien wird die Hawaii-Quali für wenige hart arbeitende Frauen greifbarer, für einige Männer (wie mich) nochmal etwas schwerer. Die nun möglichen 30 Prozent Frauenanteil sind mehr als die 15,6 Prozent Finisherinnenquote und mehr als die zuletzt zu 21 Prozent von Frauen gelösten Kona-Slots. Ich verstehe sie als Motivation, nicht als Geschenk oder Einknicken. Die Kona-Quali bleibt für alle härter, als sie es in den vergangenen Jahren mitunter war. Weil Leistung belohnt wird, stehen wir als Gesellschaft dort, wo wir stehen – und Sport ist ein Teil und Abbild der Gesellschaft.

Die heutige Regelanpassung ist in meinen Augen ein guter Kompromiss. Wie gerecht er ist, wird sich zeigen. Am 10. Oktober 2026 in der Kailua-Bay, auf Palani Road und Queen Kaahumanu Highway, auf dem Weg ins Energy Lab und unter dem Zieltor auf dem Alii Drive. Wir werden berichten.

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Frank Wechsel
Frank Wechsel
Frank Wechsel ist Herausgeber der Zeitschriften SWIM und triathlon. Schon während seines Medizinstudiums gründete er im Oktober 2000 zusammen mit Silke Insel den spomedis-Verlag. Frank Wechsel ist zehnfacher Langdistanz-Finisher im Triathlon – 1996 absolvierte er erfolgreich den Ironman auf Hawaii.

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