Montag, 1. Dezember 2025

Den Traum leben mit Baby im Bauch: Warum Anne Reischmann den Ironman Hawaii „nur“ finishen möchte

Mit dem Sieg bei der Afrikameisterschaft und Platz 4 bei der Europameisterschaft in Hamburg dürfte man Anne Reischmann eigentlich zum Kreis der Favoritinnen auf eine Top-Platzierung bei der WM in Kailua-Kona rechnen. Doch sie selbst möchte nur finishen – aus gutem Grund.

Frank Wechsel / spomedis Anne Reischmann in Kailua-Kona: das Ironman-Finish als Lebenstraum

Eigentlich hatte Anne Reischmann noch eine Rechnung mit den Ironman-Weltmeisterschaften offen. Im vergangenen Jahr war sie als WM-Rookie in den französischen Seealpen auf Kurs für eine Top-Ten-Platzierung, bis sich auf einer Abfahrt eine Wasserflasche aus dem Halter löste und die damals 32-Jährige zu Fall brachte. Das Rennen war beendet, die Schürfwunden verheilten und das Ziel wurde immer klarer: Am 11. Oktober 2025 – in Kailua-Kona auf Hawaii – soll an diese stetig aufsteigende Form angeknüpft werden.

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Sieg bei Afrikameisterschaft zum Saisonauftakt

Der Saisonstart verlief entsprechend: Sieg beim Ironman Südafrika. Ein fünfter und ein vierter Platz bei den Ironman-70.3-Rennen in Venedig (Italien) und Swansea (Großbritannien). Und Platz vier bei der Ironman-Europameisterschaft in Hamburg hinter Laura Philipp, Katrina Matthews und Solveig Løvseth brachten Reischmann in Ausgangsposition für eine vordere Platzierung in der gut dotierten Ironman Pro Series, die sie mit einem Top-10-Ergebnis in Kona absichern könnte.

Mit Baby im Bauch nach Hawaii

Doch den letzten Test beim Ironman 70.3 Zell am See trat sie gar nicht an, in Kona hielt sie sich medial bedeckt – um erst zum Start der Ironman-WM zu verkünden: „Ich bin schwanger!“ Die Vorbereitung auf Hawaii hat im Sommer eine andere Richtung angenommen als ursprünglich geplant, sagt Reischmann. „Vor ein paar Wochen habe ich herausgefunden, dass ich schwanger bin, was uns riesig gefreut hat. Und dann haben sich die Ziele oder die Ambitionen für das Rennen hier ziemlich verschoben. Im ersten Moment dachte ich, das kann ich gar nicht machen, ich kann direkt absagen. Aber nach ein paar guten Gesprächen mit Ärztinnen und anderen, die sich aus dem Gebiet ein bisschen besser auskennen und die mir auch empfohlen haben, jetzt mal zu schauen, wie es im Training weitergeht, ist es immer realistischer geworden, dass ich vielleicht doch starten kann. Das hat mich riesig gefreut, weil Hawaii einfach immer ein unfassbar großer Traum war. Dieser Traum, hier einmal zu starten, war zuerst da. Lange, bevor ich an Platzierungen oder so gedacht habe …“ Und so stellt sich Anne Reischmann in der 13. Schwangerschaftswoche der Herausforderung des Ironman Hawaii.

Traum vom Kona-Finish seit 2016

2016 hat die ehemalige Mittelstreckenläuferin Anne Reischmann die ersten Anfänge im Triathlon gemacht. „Den Ironman Hawaii habe ich seitdem zu Hause immer verfolgt. Daher habe ich mich riesig gefreut, dass es mir so gut geht, dass ich weiter trainieren kann. Ich habe schon auch Tage gehabt, an denen ich sehr müde war, gerade in den ersten Wochen, in denen dann auch kein Training stattgefunden hat. Aber im Großen und Ganzen bin ich einigermaßen fit und traue mir zu, das Rennen auch zu beenden.“

Und dieses Finishen ist plötzlich wieder das große Ziel. 3,86 Kilometer Schwimmen, 180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen unter den heftigen hawaiianischen Bedingungen sind die Herausforderung, die in jedem Jahr viele Zehntausend Athleten weltweit um die Qualifikation kämpfen lässt. „Mein Plan ist nun, mein eigenes Ding zu machen – und nicht zu racen, wie ich das normalerweise mache. Nicht mit ehrgeizigen Zielen, nicht als Teil der Renndynamik. Sondern immer wieder in mich hineinzuhören, zu schauen, was meine Herzfrequenz macht, wie sich meine Körperkerntemperatur entwickelt. Ich werde das Trinken priorisieren, das Kühlen. Und dann hoffe ich, dass ich es bis ins Ziel schaffe. Und wenn nicht, auch zu sagen, dass ein DNF unter diesen Umständen komplett in Ordnung ist.“

Das Training und die Akklimatisation hat Anne Reischmann gut weggesteckt. „Seitdem ich hier auf Hawaii bin, geht es mir super! Die letzten Einheiten liefen alle viel besser als erwartet. Ich komme mit der Hitze gut zurecht, ich hatte da bisher auch in der Vergangenheit nie große Probleme. Ich bin sehr optimistisch, dass ich starten kann und hoffentlich auch finishe“, erzählt sie uns zwei Tage vor dem Rennen.

Geheimnis bis zum Start

Nur wenige Konkurrentinnen wissen über den Zustand von Anne Reischmann Bescheid. Ganz bewusst hat sie ihre Schwangerschaft bis zum Rennstart geheim gehalten – zumal man ihr diese auch (noch) nicht ansieht. „Ich stelle mich ohnehin nicht so oft auf die Waage“, sagt Reischmann. Die wenigen, die Bescheid wissen, haben auf ihre Startpläne positiv reagiert: „Die kennen mich gut genug und wissen, dass ich eher ein vorsichtiger und nicht so risikofreudiger Mensch bin und deshalb auch ein gutes Gespür habe für mich und meinen Körper. Ich war die letzten fünf, sechs Jahre auch nie verletzt, weil ich doch immer rechtzeitig aufhöre und merke, wenn irgendwas nicht gut für mich ist. Deshalb waren die meisten sehr unterstützend und haben sich mitgefreut.“

Trotzdem rechnet Anne Reischmann auch mit kritischen Stimmen. „Es kommen bestimmt unterschiedliche Meinungen. Schwangerschaft ist ein Thema, das sehr emotional belegt ist. Und deshalb war es für mich jetzt auch wichtig, das Ganze im Vorfeld nicht zu kommunizieren, um mich zu schützen und mir die notwendige Ruhe vor dem Rennen zu geben. Ich wollte möglichst entspannt und positiv in das Rennen gehen, das ich selbst nicht mehr als Rennen, sondern als Event bezeichne. Wenn irgendwelche andere Meinungen kommen, ist das okay. Wenn aber jetzt irgendwelche blöden Kommentare kommen, dann kümmere ich mich nach dem Rennen drum – oder vielleicht auch gar nicht.“

Wie lange sie im Pazifik, auf dem Queen Kaahumanu Highway, dem Alii Drive und der Straße zum Natural Energy Lab unterwegs sein wird, bis sie ihren Mann Joel im Ziel wiedersehen wird, ist für Anne Reischmann nicht wichtig. „Der Körper verändert sich in einer Schwangerschaft, und nicht unbedingt leistungsförderlich – aber es hat einen schönen Grund.“ Sport möchte sie auch weiter betreiben. „Mal schauen, wie es später wird, wenn der Bauch dann immer mehr im Weg ist.“ 

Kona-Comeback als Mutter?

Und wenn er nicht mehr im Weg ist: „Man sieht hier auf Hawaii genügend Beispiele, wie Athletinnen als Mütter zurückkommen, neu angreifen und wieder sehr, sehr gut in Form sind. Ich möchte schon weiter Triathlon machen. Aber so ganz konkret überlegt, wie wir Sachen organisieren, haben wir noch nicht. Jetzt machen wir erst mal Hawaii und versuchen, das zu genießen.“

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Frank Wechsel
Frank Wechsel
Frank Wechsel ist Herausgeber der Zeitschriften SWIM und triathlon. Schon während seines Medizinstudiums gründete er im Oktober 2000 zusammen mit Silke Insel den spomedis-Verlag. Frank Wechsel ist zehnfacher Langdistanz-Finisher im Triathlon – 1996 absolvierte er erfolgreich den Ironman auf Hawaii.

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