Freitag, 29. März 2024

Aufgeben gibt’s nicht!

Für ihren Blog schreibt Sonja Tajsich wertvolle Erinnerungen aus ihrer Profikarriere auf.

Herzlich willkommen zu meinem dritten Blog auf meiner großen Reise zu einem besonderen Ziel: Nächsten Juni möchte ich gern den Swissman ins Ziel bringen, und zwar zusammen mit eurem Chefredakteur Nils Flieshardt. Ich hoffe, Ihr hattet ein wunderschönes Weihnachtsfest, besinnliche Stunden, Harmonie und Freude. Das neue Jahr hat begonnen und ich bin schon ganz aufgeregt, über welche Etappen, Hindernisse und Herausforderungen mich meine weitere sportliche Vorbereitungsreise führen wird.

Zwei Blogs habe ich bereits geschrieben, in denen ich über meinen Werdegang, meine Ängste, das Ende meiner Profikarriere und die „Wie-der-Blitz-Idee“, die zu meinem neuen Ziel geführt hat, berichtet habe. Und im ersten Teil hatte ich euch schon angekündigt, dass kein Rennen komplett tadellos geklappt hat, sondern irgendeine klitzekleine oder auch größere Kleinigkeit anders verlaufen ist, woraufhin ein Plan B gefragt war. Ich würde euch gern einige dieser Erlebnisse schildern, denn vielleicht ist euch Ähnliches widerfahren oder ihr müsst diese Fehler gar nicht erst machen. Der Blog soll euch den Mut geben, den Kopf bei der Sache zu behalten, nicht aufzugeben, weiterzukämpfen und zu wissen, dass das Ziel erst an der Ziellinie erreicht ist.

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Ein paar dieser Sachen werde ich mir für meine Vorbereitung zum Swissman auch ganz arg zu Herzen nehmen. Denn der Swissman ist ein Rennen der besonderen Sorte, mit etlichen Höhenmetern und daraus resultierend sicherlich auch andere Anforderungen an das Equipment. 

Mir hat das Schreiben dieses Blogs wirklich viel Spaß gemacht. Und stellt euch vor, dafür habe ich erst mal Wikipedia geöffnet und die Erfolge-Seite aufgemacht. Irgendwer hat lückenlos (zumindest bei den Langdistanzen) alles aufgelistet und meine Gedanken sind an der einen oder anderen Stelle hängengeblieben und haben mich schmunzeln lassen. Wahnsinn, wie viele Rennen das waren und Wahnsinn, was ich da alles auf der ganzen Welt erlebt habe. Herrlich, alles wieder einmal Revue passieren zu lassen, denn meine Anfänge liegen genau 20 Jahre zurück. Also lasst uns vorn beginnen – ich pflücke ein paar wichtige Erlebnisse heraus und versuche mich kurzzuhalten. Zu jedem Rennen gibt es seine eigene Geschichte …

Rookie in Roth

Meine erste Langdistanz war in Roth am 7. Juli 2002. Ich als kompletter Rookie, keine spezifischen Trainingspläne, einfach mal dabei gewesen sein, ins Ziel kommen. Mein persönliches Ziel war: Die Ziellinie mit einem Lächeln im Gesicht zu überqueren und das ganze idealerweise unter 12 Stunden. Das war für mich eine magische Schallmauer, die ich unbedingt unterbieten wollte. Ich kam mit dem breitesten Grinsen in den Zielkanal, tanzend, sodass die Sprecheraussage war, man könnte meinen, ich sei die Siegerin. Mir ging es hervorragend. Die Zeit: 10 Stunden, 37 Minuten und 24 Sekunden. Ich wurde zur Dopingkontrolle geordert. Unglaublich. Wie die Profis. Das war der Start zu einer neuen Ära für mich. Ich wollte unbedingt wissen, was passieren kann, wenn ich mal richtig trainiere. Zielgerichtet, fokussiert, strukturiert und auf mich abgestimmt. 

2004 wollte ich es schon gleich beim Ironman Lanzarote wissen. Ich war dort halb als Redakteurin im Rahmen meines Studiums und freiberuflichen Jobs unterwegs und halb als Immer-noch-Rookie. Mein Radsponsor war Storck, ich hatte ein ganz neues Rennrad aus Carbon und er versprach mir eine neue Gabel, die „Stiletto Light“, wenn ich aufs Podium komme. Am Vortag habe ich noch die ganzen potenziellen Profifrauen interviewt und am nächsten Tag lief es einfach hervorragend. Mir hallen immer noch die Worte von Tina Walter im Ohr, als ich beim Radfahren auf sie auffuhr und sie mir zurief: „Du traust dir was!“ Stellt euch das nur vor: Erst interviewe ich sie und dann setze ich zum Überholen an. Nicht zu fassen. 

Okay, erst ist sie mir noch mal davongefahren, aber beim Laufen konnte ich sie dann überholen. Und ich war auf Kurs auf den dritten Platz. Ich lief bei meinen Eltern vorbei, die vor unserem Hotel in Puerto del Carmen standen, und hörte meine Mama zu meinem Papa sagen: „Oh Gott, das schafft sie nie!“ So was muss man gleich mal ausblenden. Die Ängste der Mütter halt. Und dann überholte ich eine Kanadierin, deren Name mir entfallen ist. Bei der Wende rief sie mir zu: „I am very close!“ Was sind denn das für lustige Tricks? Ich habe sie ja gerade überholt! Das waren die ersten Kontakte mit Versuchen, mental überlistet zu werden. Mein Rat: Lasst euch niemals und von niemanden irgendwas einreden. Habt euer Ziel im Blick, den Fokus auf dem, was Ihr tut, und bleibt konzentriert. Mein Fokus galt der Stiletto light (habe ich wirklich bekommen!). Na ja, und dem Hawaii-Ticket. Das konnte ich mal gar nicht fassen.

Ich muss im Nachgang gestehen: Das Hawaii-Rennen war grausig. Ich weiß schon, jeder sagt danach immer, dass es die schlimmsten Bedingungen ever waren. Aber glaubt mir, wenn man sonst eine Radzeit um die 5 Stunden fährt und da sind es plötzlich 6 Stunden für die 180 Kilometer, dann war es nicht die plötzlich abgefallene Form. Die Aero-Position war wegen des Sturms unmöglich zu fahren und am liebsten hätte ich mein Rad gepackt und heulend in die Lava geworfen. Aber ich habe weitergekämpft und bin sehr froh darüber. Auf Hawaii habe ich tatsächlich ein paar Anläufe gebraucht, bis ich meine wirkliche Leistung zeigen konnte. Die Insel birgt ihre eigenen Überraschungen. 

Es wird heiß!

Im Mai 2005 sind wir für ein Jahr nach Malaysia gegangen (beruflich, ein Assignment meines Mannes). Ihr könnt euch überhaupt nicht vorstellen, wie unglaublich HEISS es dort ist. Heiß und schwül. Die Hawaii-Hitze ist nichts dagegen. Ich war erstens unwissend und zweitens anfangs blind. Ich habe trainiert, was ging, geschwitzt, was das Zeug hielt und an guten Stoffen verloren, was vorhanden war. Ich bin – ohne dass ich es gemerkt habe – so leer gelaufen, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. 

Ein Rennen vor Ort ist dann am Tropf geendet, mit Krämpfen in sämtlichen Muskeln. Meine Schwester kam zu Besuch und hat mir Elektrolyte mitgebracht. Nur so konnte ich mich wieder aufpäppeln. Und ich habe dabei extrem viel gelernt. Das wollte ich nie wieder erleben. Jetzt gibt es kein Rennen, in dem ich kein Salz mitnehme. Zumindest dabei habe. An heißen Tagen auch akribisch zu mir nehme: ein Gramm pro Stunde. Ich war dann nämlich auch mal (später) in Belgien an der Universität Leuven. Dort hat ein Professor einen Schwitztest unter Kona-Bedingungen gemacht. Die Schweißrate und die Verlustrate von Salzen und Wasser. Ich habe erfahren, dass ich 1,4 Liter pro Stunde ausschwitze und 1,2 Gramm Salz dabei ist. Nehmt Euch das zu Herzen! Wenn Ihr Krämpfe bekommt, ist das entweder Salzmangel, Flüssigkeitsmangel oder Zuckermangel. Also Gel, Trinken, Salztablette und dann ist bald wieder alles okay und Ihr könnt in gewohntem Tempo weitermachen. 

Lernen durch Schmerzen

Wir sind im November 2005 nach Western Australia zum Ironman in Busselton geflogen. Ist ja nicht weit von Malaysia. Und weil mein Rad ein Rennrad war, habe ich die gute Idee gehabt, noch kurz vor dem Rennen Aero-Bars aufzuschrauben. Macht das nie! Dadurch ergibt sich eine neue Sitzposition, die Druckpunkte sind verlagert und es wird euch auf 180 Kilometern fertig machen. Zudem ist die Nackenpartie überfordert. Ich konnte ab Kilometer 60 kaum mehr pedalieren. 

Das ist zum Beispiel eine Sache, an die ich mich bei meiner aktuellen Vorbereitung halten werde. Ich hatte euch ja schon erzählt, dass ich einen Schweizer kenne, der mir mit Rat und Tat und Tipps zur Seite steht. Und der hat mir erzählt, dass die ersten 50 und die letzten 70 Kilometer beim Swissman flach sind. Das heißt: Ein Aero-Lenker wäre gar nicht so verkehrt. Wegen der Höhenmeter werde ich aufs Rennrad setzen und mir sofort, wenn ich es nach dem Winter aus dem Schlaf hole, die Extensions anbringen, um genügend Zeit zu haben, mich daran zu gewöhnen. 

Die Anpassung an die Hitze hat dann beim Ironman Malaysia zum ersten Sieg meiner Karriere geführt. Und ich bin mir sicher, dass ich durch meinen Malaysia-Aufenthalt das Schwitzen „gelernt“ habe, und mein Körper nun weniger der guten Stoffe ausscheidet und ich mit Hitze besser zurechtkomme. 

Der Ruf des Teufels

Nichtsdestotrotz habe ich, wie schon erwähnt, auf Hawaii recht lange gebraucht, um dort Fuß zu fassen. Es folgten ein 15. (2009) und ein 14. Platz (2010). Nach einem tollen Saisonstart 2010 mit zwei Siegen hatte ich viel vor: Eine Top-Ten-Platzierung sollte es werden. Bei dem Rennen hatte ich dann aber einen unglaublich schlechten Schwimmstart, verlor die Gruppe und war ganz allein auf weiter Flur. In dem großen Meer verteilen sich die 30 Profifrauen ganz schön – Wellen und Strömung machen die Orientierung schwer. Und dann habe ich einen sehr großen Fehler begangen: Ich habe beim Wendeboot auf die Uhr geschaut. Meine Hochrechnung war verheerend. Was für ein Schreck! Ich habe meinen Wunsch, eine Top-Ten-Platzierung zu erzielen, im wahrsten Sinne des Wortes davonschwimmen sehen. Ich bekam Bleibeine und jeder Zug wurde schwer. Ich hatte das Gefühl, dass ich nie ankommen würde. Beim Ausstieg erneut der Blick auf die Uhr: Die schlechteste Schwimmzeit, die in meinen Träumen nur möglich war. Und dann kamen die miesen Gedanken. 

Kennt Ihr das? Auf eurer Schulter sitzt im Rennen ein Engelchen und ein Teufelchen. Der Engel treibt euch an: „Mach weiter, kämpfe, auf geht’s, geht schon!“ Und der Teufel ruft: „Was soll das Ganze noch, ist doch eh schon alles egal, kannst auch gleich aufhören, alles umsonst, die ganze Vorbereitung für die Katz!“ Und dann muss man tunlichst versuchen, den Teufel zu ignorieren und nur dem Engel zuzuhören. Wenn nämlich der Teufel die Oberhand bekommt, dann wird alles so schwer und so zäh und so mühsam. Ich habe die gesamten 180 Kilometer auf dem gehadert. Meine Beine sind überhaupt nicht gefahren. Erst zum Marathon ging es ein bisschen besser. Resultat: Platz 14. Und bei der Analyse der Ergebnisliste die Erkenntnis: Wenn ich mich auch nur ein bisschen zusammengerissen hätte, mich ein bisschen weniger beirren hätte lassen, ein bisschen mehr an mich geglaubt hätte, dann wäre meine Top-Ten-Platzierung möglich gewesen. 

Ich hatte einfach übersehen, dass die anderen auch kämpfen und auch bei ihnen nie alles reibungslos läuft. Gewinnen wird der, der unter den Umständen seinen Kopf am besten bei der Sache hält und am konzentriertesten und fokussiertesten bleibt. Die Ziellinie vor Augen, denn erst da ist das Rennen beendet. 

Diese Erkenntnis hat mir dann 2011 beim Ironman Frankfurt und beim Ironman Cozumel sowie 2012 beim Ironman auf Hawaii meine eindringlichsten sportlichen Erlebnisse und Ergebnisse gebracht. Ich denke aber, dass das jetzt den Rahmen sprengen würde. Lasst mich einen zweiten Teil schreiben, in dem es um die Umsetzung von den mentalen Fähigkeiten geht, die ich „learning by doing“ schmerzlich erfahren musste. Nehmt an dieser Stelle mit: Aufgeben gibt es nicht. Und egal, wie schlecht es euch geht, vielleicht geht es euren Mitstreitern nicht besser. Versucht das Teufelchen nicht zu laut werden zu lassen und versucht nur aufs Engelchen zu hören. Auch wenn das jetzt abgefahren klingt, es ist etwas dran! An der Ziellinie ist das Rennen entschieden. Und ich denke, diese Erkenntnis wird mich auch die letzten 1.000 Höhenmeter noch antreiben. Zusammen mit Nils rauf auf die Kleine Scheidegg. Im Juni 2022, 20 Jahre nach meinem Langdistanzdebüt. 

In diesem Sinne wünsche ich euch einen guten Start in ein spannendes Jahr mit neuen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Und ich freue mich, wenn ich meine Geschichte weitererzählen darf, wie ich das Ganze für positive Ergebnisse nutzen konnte.

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