Dienstag, 6. Juni 2023
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Szene(K)ein weißer Sport

(K)ein weißer Sport

­Aufgewachsen ist Maurice ­Ehinlanwo in Pfullingen, knapp 50 Kilometer von Stuttgart entfernt. Sein Vater stammt aus ­Nigeria und kommt mit Mitte 20 aus beruflichen Gründen nach Deutschland, seine Mutter ist hier geboren. Im Alter von vier Jahren beginnt ­Maurice beim VfL Pfullingen mit Kinderleichtathletik, bevor er wenige Jahre später zusammen mit seinem vier Jahre älteren Bruder Dominic in die Triathlon­sparte des Vereins wechselt. Nach zahlreichen Schüler­wettkämpfen folgt im Alter von 13 Jahren die ­erste Nominierung in den Landeskader Baden-Württemberg. Seinem ­Bruder Dominic gelingt dies bereits einige Jahre zuvor. Er wagt als Erster aus der Familie den Sprung in den Leistungssport und startet 2015 als Junior für Deutschland bei zwei Europacup-Rennen. Maurice, der den sportlichen Erfolgen seines Bruders seit jeher fleißig nacheifert, trainiert im Laufe der Jahre unter anderem an den Bundesnachwuchsstützpunkten in ­Potsdam und Freiburg, bevor er 2017 erstmals für das „hep Team ­Neckarsulm“ in der 1. Triathlon-Bundesliga startet, in den Jahren 2018 und 2019 für Deutschland insgesamt zwei ­Junioren-Europa-Cup-Rennen bestreitet und im vergangenen Jahr zum Studieren nach Heidelberg zieht. Neben dem Sport ist der 19-jährige Schwabe seit einigen Jahren auch politisch aktiv, macht sich bewusst gegen Rassismus stark und stellte zuletzt in seiner neuen Heimat Heidelberg Strafanzeige gegen das „Gasthaus Zum Mohren“, um ein Zeichen zu setzen und eine Debatte anzustoßen. Im Interview spricht Maurice Ehinlanwo unter anderem über die Wahrnehmung, den inneren Entwicklungsprozess und seine Gedankenwelt als dunkelhäutiger Triathlet in einer überwiegend weißen Sportart, seine Erfahrungen mit Rassismus innerhalb und außerhalb des Sports und die verschiedenen Facetten der Mohren-Debatte in Heidelberg.

2018 und 2019 startet Maurice ­Ehinlanwo für Deutschland bei zwei Junioren-­Europacup-Rennen.

Maurice Ehinlanwo, du bist sehr früh zum Triathlon gekommen. Wann hast du dir das erste Mal Gedanken darüber gemacht und bewusst wahrgenommen, dass du als dunkelhäutiger Triathlet, speziell in Deutschland, aber auch im ­Allgemeinen in dieser Sportart, zu einer sehr kleinen Gruppe gehörst, und inwieweit hat das deine Eigenwahrnehmung geprägt?

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Ich habe da keinen konkreten Zeitpunkt, es war eher ein langsamer und sich verändernder Prozess. Ich habe mit fünf Jahren angefangen und mir zu dem Zeitpunkt natürlich noch keine Gedanken darüber gemacht. Los ging es erst im Jugend­alter bei den Schülerwettkämpfen damit, dass ich gemerkt habe, dass man mich und auch meinen Bruder sehr schnell wiedererkannt hat. Das war das erste Mal, dass mir bewusst geworden ist, dass wir beide ein klares Alleinstellungsmerkmal ­haben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es tatsächlich nur sehr wenige andere dunkelhäutige Leute im Triathlon gibt. Das war dann so mit 12 oder 13 Jahren. Ich hatte immer meinen Bruder an der Seite, damit waren wir meistens schon zu zweit, das hat sicherlich vieles erleichtert. Aber zeitlich war das so der Punkt, an dem mir das richtig bewusst ­geworden ist und ich begonnen habe, mir aktiv Gedanken darüber zu machen.

Hat es dich in dem Alter gefreut, dass du von anderen direkt erkannt wurdest und beispielsweise sofort ins Gespräch gekommen bist, oder hast du diese Tatsache als negativ oder verletzend aufgefasst?

Das war sehr vielschichtig. Am Anfang ging es damit los, dass ich mich ausschließlich darüber gefreut habe. Gerade als junges Kind war es ein schönes Gefühl. Die Leute wussten, wer ich bin, und ich habe es zum Teil auch als Bestätigung verstanden. Je älter ich wurde, desto mehr habe ich das allerdings auch hinterfragt, weil mein Wissen und Verständnis zu dem Thema natürlich gewachsen sind. Da kam es schon vor, dass es teilweise ein verletzendes Gefühl war, weil ich den Eindruck hatte, dass ich eben nur durch die Hautfarbe heraussteche und ich darauf reduziert werde. Wohlwissend, dass es speziell im Sport und insbesondere in dem Alter von anderen nicht böse gemeint oder bewusst rassistisch ist. Aber diese Gefühle sind manchmal unumgänglich. Ich würde mich rückblickend weder klar auf die eine noch auf die andere Seite stellen. Es war eine komplexe Wahrnehmung, in der sich positives und negatives Empfinden je nach Situation und entsprechendem Zusammenhang abgewechselt haben.

„Ein Problem ist, dass es an dunkelhäutigen Vorbildern im Triathlon fehlt.“

Maurice Ehinlanwo

Du hast deinen vier Jahre älteren Bruder Dominic angesprochen. Welche Rolle hat er zu dieser Zeit in der sportlichen und persönlichen Entwicklung für dich eingenommen?

Dass er da war, ist sicherlich einer der Gründe dafür, warum viel überhaupt so gekommen ist. Er hat mir vieles vorgelebt und war damals ein großes Vorbild für mich, dem ich immer nachgeeifert habe. Diese Vorbildfunktion besitzt er bis heute. Er hat mir damals im Triathlon einen klaren Weg aufgezeigt, den er bereits gegangen ist. Das hat es für mich deutlich einfacher gemacht und viele Umstände erleichtert. Ich wusste dadurch, dass es geht, und musste nur noch nachmachen, was mir vorgemacht wurde. Viel davon ist mir auch erst rückblickend so richtig klar geworden, weil ich es damals gar nicht anders kannte. Ich glaube nicht unbedingt, dass ich daran gescheitert wäre, wenn mein Bruder nicht Triathlon gemacht hätte, aber vieles wäre sicher deutlich schwieriger gewesen. Letztendlich bin ich sehr dankbar dafür, dass wir beide das alles in dieser besonderen Konstellation erlebt haben.

2017 startet ­Maurice Ehinlanwo ­erstmals in der 1. Triathlon-Bundesliga.

Dass es im Triathlon sowohl in Deutschland als auch international verhältnismäßig wenige dunkelhäutige Athleten gibt, hat zunächst im Grundsatz nichts mit Rassismus zu tun. Aber was sind deiner Erfahrung und Meinung nach die Hauptgründe dafür, dass der Sport für diese Gruppe offensichtlich schwieriger zugänglich ist?

Ich glaube, es sind mehrere Gründe, die da zusammenkommen. Das hat sicherlich einerseits damit zu tun, dass Triathlon ein äußerst teurer Sport ist. Und es ist nun mal so, dass viele dunkelhäutige Leute eben nicht zu dieser wohlhabenden Bevölkerungsschicht gehören. International kommt sicherlich auch noch dazu, dass in vielen afrikanischen Ländern die Infrastruktur dafür nicht gegeben ist. Es gibt nur wenige bis keine Schwimmbäder, schlechte Straßen und kaum oder gar keine entsprechenden Vereine, die einen in den Sport ziehen könnten. Die einzige positive Ausnahme dafür ist Südafrika, wo Triathlon einen deutlich größeren Stellenwert besitzt. Ein weiteres Problem ist sicherlich, dass es an dunkelhäutigen Vorbildern im Triathlon fehlt, selbst wenn bei schwarzen Menschen aus Mitteleuropa die finanzielle Hürde keine entscheidende Rolle spielt und die Angebote da wären. Es gibt in unserer Sportart leider kein großes dunkelhäutiges Idol auf dem Niveau von beispielsweise Usain Bolt, Mo Farah oder Muhammad Ali, das so sehr heraussticht und inspiriert, dass insbesondere Kinder und Jugendliche auf die Sportart aufmerksam werden und sie unbedingt ausprobieren wollen. Vorbilder sind extrem wichtig und gerade bei dunkelhäutigen Kindern durchbricht es Grenzen im Kopf, wenn man jemanden hat, dem man nacheifern kann. Diese verschiedenen Faktoren und Hürden kommen am Ende alle zusammen, aber das hat in dem Zusammenhang nichts mit Rassismus zu tun.

Das komplette Interview mit Maurice Ehinlanwo und die gesamte Hintergrundgeschichte zum Thema Diversität und Rassismus im Triathlon gibt es in der aktuellen Ausgabe des Magazins, der triathlon 183.

Simon Müller
Simon Müller
Simon Müller ist selbst als ambitionierter Athlet unterwegs. 2022 wurde er Deutscher Meister auf der Kurzdistanz, 2019 qualifizierte sich bei seinem ersten Ironman in Mexiko mit einem AK-Sieg in 8:45 Stunden für den Ironman Hawaii. In seiner Brust schlägt neben dem Triathleten- auch ganz besonders ein Läuferherz. Simons Bestzeite über 10 Kilometer liegt bei unglaublichen 30:29 Minuten.
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