Ein Samstagmorgen im Pazifik: Wir schreiben den 26. Oktober 1996, die Sonne sendet ihre ersten Strahlen über den Hualaialai und ich dümpele in der Bucht von Kailua-Kona auf der Stelle. In wenigen Minuten geht er los, der größte Tag des Jahres. Mein Puls ist bei 150 …
Ich bin dabei, beim härtesten Ein-Tages-Event der Sportwelt, ich bin einer von rund 1.500 Teilnehmern des Ironman Hawaii 1996. Fünf Jahre habe ich von meinem allerersten Triathlon in Georgsmarienhütte bei Osnabrück bis hierher gebraucht. Ein Jahr zuvor hatte ich in Schwerin meine Langdistanzpremiere gefeiert, mich danach für Roth angemeldet. Per Post ging das damals noch, mit langer Wartezeit auf die hoffentlich positive Antwort aus dem Rennbüro im Frankenland.
1996 im Überblick
Die Quali gab’s in Roth
Roth, 15. Juli 1996. Da stand ich nun mit meinen 9:11 Stunden, in denen ich die 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42,195 Kilometer Laufen am Vortag absolviert hatte. Tina Turners „Simply the Best“ hatten sie zu meinem Zieleinlauf gespielt (nicht für mich, sondern für Ute Mückel, die das zehn Minuten vor uns gestartete Frauenrennen gewonnen hatte und mit mir ins Ziel gelaufen war). An diesem Montagmorgen war es deutlich stiller in Roth, die Einschreibung für Hawaii stand auf dem Programm – und ich hatte ein Problem: Mein Name stand auf der Liste, Platz fünf, ich hatte die Quali in der M18–24 in der Tasche – aber kein Geld. Die Vorbereitung und das Rennen in Roth hatten meine studentischen Finanzressourcen aufgezehrt. Was tun?
„Na klar: Anmelden!“, riefen mir meine Eltern am Telefon zu. „Wir bekommen das hin!“ Und wir bekamen es hin. Ich war der Erste aus meiner Heimatstadt Osnabrück, der zum Ironman nach Hawaii fliegen durfte, die Sponsoringakquise im privaten und lokalen Umfeld und die Unterstützung durch meinen Verein TSV Wallenhorst liefen gut an, die Reise wurde gebucht. Schließlich war es ein Auftrag, für das Osnabrücker Szenemagazin „Insider“ über die Hawaii-Vorbereitung und das Rennen zu schreiben, der nicht nur das Reisebudget komplett machte, sondern auch meine journalistische Karriere begründete.
Vor Ort – ein Kribbeln! Aus heutiger Sicht steckte das Rennen damals noch in den Kinderschuhen. Organisatorisch war man in Roth und anderswo längst viel weiter als auf dieser abgelegenen Insel im Pazifik. Aber machte das nicht auch einen Teil des Charmes des Ironman Hawaii aus? Roth und der dortige Ironman Europe galten damals als das härteste der nicht einmal zehn weltweiten Qualirennen, weil man so unglaublich schnell gewesen sein muss, wenn man sich dort qualifiziert hatte. Vorschusslorbeeren, die am Renntag natürlich nicht mehr viel wert waren.
Der Renntag. An was erinnert man sich 20 Jahre später noch, wenn man nach seinem eigenen Start so oft nach Kailua-Kona zurückgekehrt ist? Beim Schwimmen hatte ich Ambitionen. Und wurde seekrank. Eine Tradition, mit der ich erst beim vor vier Jahren eingeführten Hoala Swim am 1. Oktober 2016 brechen werde, wenn ich endlich einmal nicht brechen werde. Salzwasser und Wellen sind nicht so meins, und so endeten die 3,86 Kilometer im Pazifik nicht wie erhofft auf Platz 30, sondern auf Platz 300, als ich endlich wieder den Pier unter meinen Füßen hatte.
Weiter ging es auf meinem Noname-Alurenner mit den stylischen Rödelspeichen und dem innovativen Grip-Shift-Schaltsystem auf den Queen Kaahumanu Highway. Wir waren Pioniere, auf 26 Zoll. Ich kam nicht wirklich in Tritt, der Ironman Hawaii und ich – wir brauchten etwas, um unsere bis heute bestehende Freundschaft zu etablieren. Schwer fiel jeder Kilometer an diesem eigentlich recht freundlichen, da windstillen Tag mitten im Pazifik. Erst nach dem Wendepunkt in Hawi fing das Rennen an, Spaß zu machen. Der Rückweg fiel mir deutlich leichter als der Hinweg, auch wenn mein Magen nach 140 Kilometern in der unglaublichen Hitze jegliche Aufnahme von Energie und Flüssigkeit verweigerte.
Zurück in Kailua-Kona hieß damals noch: langer Endspurt! Denn die zweite Wechselzone lag nicht wie die erste auf dem Pier, sondern am anderen Ende des Alii Drive auf einem Hotelparkplatz, fernab vom lauten Geschehen im Epizentrum. Von dort aus ging es zu Fuß zurück, aber nicht unmittelbar: Wir mussten erst noch „The Pit“ durchlaufen, die legendäre Senke, die auf den ersten zwei Kilometern zwei heftige Steigungen mit sich brachte. Ein früher Scharfrichter auf der Marathonstrecke. Danach ging es auf dem Alii Drive stadteinwärts, wieder hinaus auf den Highway in die damals fast noch einsame Lava.
Ein Österreicher?
Auf dem Queen K Highway, der damals noch eine Straße war und keine Autobahn, kam uns die Spitze entgegen – doch wer war diese Spitze? Wir fragten uns gegenseitig, ob jemand den Führenden erkannt habe. „Ein Österreicher“, sagte uns ein Helfer, der mit dem Belgier Luc Van Lierde ebensowenig anfangen konnte wie wir. Es war noch nicht der Tag der Deutschen – aber immerhin konnten die Europäer erstmals auf Hawaii auftrumpfen. Thomas Hellriegel wurde wie schon 1995 Zweiter. Erst 1997 war sein großer Moment gekommen.
Zwischen mir und meinem großen Moment lag noch die Straße zum Natural Energy Lab, einem Ort, um den sich viele Geschichten rankten, die sich im Rennen als Mythen entpuppten. Gespenster habe ich damals nicht gesehen – und auch keinen Sonnenuntergang. Zu diesem musste ich unzählige Male später (per Motorrad) zurückkehren, um die Fotos zu schießen, die den Spirit des Ironman Hawaii in die Welt tragen.
Die Sonne schien auch noch, als ich auf den Alii Drive einbog. Mein Plan hatte drei verschiedene Zielstufen. Die mindeste: Finishen – geschafft! Stufe zwei: Selbiges tun, bevor die Sonne untergeht – auch hier ein Haken dran! Nur das härteste Ziel, das Sub-10-Finish, blieb mir verwehrt: 10:04:56 Stunden zeigte die Uhr, als ich die Ziellinie überquerte. Aber Zeiten sind in Momenten wie diesen nicht mehr als Ziffern auf einer Digitalanzeige. Ich hatte es geschafft – und erlebte einen Moment, der mein Leben verändern sollte wie bei vielen anderen auch. Vorher ist man Träumer, hinterher Finisher. Mit diesem Zieleinlauf hat man ein Erlebnis auf der Haben-Seite, das man sich erarbeitet hat, nicht erkauft. Einmal auf einem Gipfel der Sportwelt stehen: ein Gefühl, das alle Strapazen vergessen macht.
Der Alltag ist danach ein anderer, besonders für mich: Dieses Rennen hat mich derart in den Bann gezogen, dass ich daraus später einen Beruf machen sollte, eine Existenz für mich und viele andere. Die Reise zum Ironman Hawaii 2019 wird meine 22. sein. Und es wird so sein wie vor 23 Jahren. Ein Samstagmorgen im Pazifik: Wir schreiben den 12. Oktober 2019, die Sonne sendet ihre ersten Strahlen über den Hualaialai, und ich dümpele (auf einem Boot) in der Bucht von Kailua-Kona auf der Stelle. In wenigen Minuten geht er los, der größte Tag des Jahres. Mein Puls ist bei 150 …
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