Montag, 28. April 2025

Utah, ich komme!

Nils Flieshardt / spomedis Ironman Hamburg: Nacholympischer Kraftakt an der Alster.

Zweimal habe ich im vergangenen Jahr versucht, mich für die Ironman-Weltmeisterschaften zu qualifizieren. Der erste Versuch beim Ironman Hamburg war so etwas wie ein Freischuss – kurz nach den Olympischen Spielen in Tokio, meiner wohl emotional und körperlich kräftezehrendsten Erfahrung der letzten Jahre. Ich bin in Hamburg passabel geschwommen, richtig gut Rad gefahren und beim Laufen im Rahmen meiner Möglichkeiten geblieben. Die Quali gab es dafür nicht.

Beim zweiten Versuch in Südafrika hatte ich es selbst in der Hand: Ich war topfit, am Wettkampftag richtig heiß, Strecke und Klima waren ganz nach meinem Geschmack. Ich bin auch in Südafrika passabel geschwommen (sofern man das, was wir im aufgewühlten Indischen Ozean immerhin tun durften, Schwimmen nennen darf), noch besser Rad gefahren – bis das Schicksal seinen Lauf nahm, ich auf Agegroup-Podiumsplatz aus einer Kurve flog und mit drei Reifenpannen nur noch zusehen konnte, wie andere das Rennen der M45-49 unter sich ausmachten. Kona 2022 würde ohne mich stattfinden, jedenfalls auf der Strecke – denn so viel stand fest: Einen weiteren Versuch kann es vorerst nicht geben. Das Leben besteht aus so viel mehr als Triathlon.

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Ich muss allerdings gestehen: Ich habe nach der Rückkehr aus Südafrika meinen Posteingang einige Tage lang noch häufiger gecheckt als sonst sowieso schon – in der Hoffnung, doch noch einen Nachrückerplatz zu bekommen, weil die vor mir Platzierten schon so oft bei der WM am Start waren, Flugangst haben oder die Quali schon längst in der Tasche hatten. Die Mail kam nicht. Stattdessen erreichte mich vor einer Woche aus heiterem Himmel eine andere Mail von Ironman: „Congratulations on your recently-awarded 2022 All World Athlete status. We have a big year ahead of us and we hope you will join us to write the next chapter as we look ahead in 2022. This year IRONMAN will host an unprecedented three World Championship events, after the postponement and relocation of the 2021 IRONMAN World Championship to St. George, Utah, USA, in May, 2022. It’s going to be a year of many ‚firsts‘, and big opportunities. One such opportunity, we’d like to extend to you. Frank, as a Gold All World Athlete, we invite you to accept a slot and join us at the 2021 IRONMAN World Championship presented by Utah Sports Commission on May 7, 2022.“

Eine Woche gab der Veranstalter, der mein Leben und das vieler anderer in diese seltsam schönen Bahnen gelenkt hat, mir Zeit, mich zu entscheiden, ob ich die 1.050 US-Dollar plus Steuern und Abwicklungsgebühren investieren möchte, um an der WM teilzunehmen. Vieles sprach dafür: Nach dem späten Ironman Südafrika im letzten Jahr gibt es Formreserven, deren Aktivierung mir nach all meiner Erfahrung jetzt noch leicht fallen würde. Außerdem fliege ich am Samstag in die Sonne und kehre gut trainiert sechs Wochen vor der WM zurück ins dann nicht mehr ganz so kalte und dunkle Hamburg. Dann wäre es nur noch ein großer Trainingsblock und ich könnte wahrscheinlich eine passable Fitness mit an den Start bringen (Randnotiz: auch in Utah kann man sich für Kona qualifizieren). Die Landschaft und Kultur Utahs klingen spannend. Eine WM, die nicht auf Hawaii stattfindet, ist etwas Besonderes (und wird es hoffentlich bleiben). Die verschobene WM 2021 wäre quasi immer noch das 25. Jubiläum nach meinem Jungspund-Start in Kona 1996. Ich könnte nicht nur über das, sondern sogar aus dem Rennen berichten, denn meine Reise nach Utah ist sowieso geplant und ein weiteres Gepäckstück in Form meines perfekt gefitteten Speedmax kann man ja noch dazubuchen. Ich kann jeden verstehen, der eine so einmalige Gelegenheit wahrnimmt und einmal im Leben an einem großen Triathlonfest teilnimmt: Das Erlebnis ist eins, von dem man später seinen Enkelkindern erzählen wird – egal ob in Utah oder auf Hawaii. Und wer als Nach-Nachrücker aufgrund einer Sondersituation, für die es viele Begründungen gibt, einen solchen Startplatz bekommt, nimmt niemanden etwas weg. Im Gegenteil: Er sorgt mit dafür, dass es auch im Herbst 2022 und in vielen Folgejahren Ironman-Rennen und -Weltmeisterschaften geben wird. Ironman ist ein Sport, der von und mit den Agegroupern lebt.

Für mich persönlich gibt es aber auch viele Dinge, die gegen meinen Start in Utah sprechen: Der Trainingsdruck, dessen Nichtvorhandensein ich gerade mal sehr brauche (und genieße)! Die Familie, die nach dem Tokio-Hamburg-Südafrika-Egotrip des letzten halben Jahres mehr Papa, mehr Ehemann, mehr Handwerker und mehr Grillmaster verdient hat. Die vielen spannenden Projekte, die beruflich vor uns liegen. Die alten und neuen Kollegen, die mit dem sportlichen Ziel um meine begrenzte Zeit und Energie konkurrieren müssten. Das zwickende Knie. Und vor allem: Das Nicht-Wirklich-Dabeiseinkönnen, wenn Triathlongeschichte geschrieben wird. 1996 war ich zwar „dabei“, als Lothar Leder in Roth als Erster die Achtstundenmarke knackte. Gesehen habe ich es aber nicht. Die Ironman-WM in Utah hat alle Zutaten für große Geschichten. Und ich will sie mit meinen Kollegen erzählen, so wie ich es nach meinem eigenen Start noch 22-mal von Hawaii tun durfte.

Und schließlich bleibt das Gefühl, doch nur Füllmasse zu sein. Denn eingeladen wurde ich als AWA-Gold-Member. Wenn ich mich in die AWA-Statistiken einlogge, also das Ranking all derer, die im letzten Jahr Punkte durch ihre Finishes bei Ironman-Rennen verdient haben, dann finde ich da immerhin, aber auch nur, den Silber-Status. Ich gehöre weltweit zu den Top-5-Prozent (Silber), nicht zum ersten Prozent (Gold). So fühle ich mich zwar eingeladen, vielleicht auch gebraucht, aber nicht qualifiziert. Meine diesbezügliche Anfrage bei Ironman wurde schnell, freundlich und persönlich quittiert und an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Eine konkrete Antwort stand bis zum Fristablauf gestern aus. Und wie ich aus dem sozialmedialen und realen Freundeskreis höre, geht es nicht nur mir so. Wir sind Teil der nächsten Welle, die aufgemacht wurde, weil sich das Starterfeld für Utah nicht von selbst füllt (Tipp für alle mit Bronze-Status: Checkt in den kommenden Tagen euren Posteingang!).

Als ich vor zwei Jahren eingeladen wurde, als Ambassador ohne Quali bei der WM zu starten, habe ich mich geehrt gefühlt. Und keine fünf Minuten gebraucht, um mich zu bedanken und abzusagen. Ich möchte die WM-Quali nicht geschenkt haben. Weder als Ambassador noch als unter einem Vorwand Qualifizierter. Dabei spielt weniger die erwartbare Kritik eine Rolle: Gönnenkönnen fällt manchen Triathleten auch in Ausnahmesituationen bekanntermaßen schwer. Und mit Besserwissern habe ich umzugehen gelernt, seitdem ich mein eigenes Sporttreiben öffentlich gemacht habe. Es ist vielmehr mein eigener sportlicher Anspruch und der Blick in den Spiegel. Ich habe mir die Quali 2021 nicht verdient, weil andere mehr Form, mehr Geschick und mehr Glück hatten, ein perfektes Rennen ins Ziel zu bringen. Punkt.

So verstrich in den letzten Tagen Minute für Minute der Zeit bis zum Ablauf meiner Anmeldefrist für die Ironman-WM 2021, die erst 2022 in Utah ausgetragen wird. Und ich machte mir viele, viele Gedanken über das Für und Wider.

Gestern Abend habe ich es getan: Ich habe mich angemeldet! Für den Hallig Dreeathlon am 8. Juli 2022. Ein Rennen, das es landschaftlich mit der schroffen Wüste Utahs aufnehmen kann. Ein Rennen, bei dem ebenso wie in Utah die Freaks aus dem hohen Norden diejenigen sind, die es zu bezwingen gilt. Zur Ironman-WM nach Utah fahre ich auch. Sowieso. Und ich bin heiß! Als Journalist. Wie sehr ich mich auf dieses Rennen, das Triathlongeschichte schreiben wird, freue, erzähle ich seit gefühlt einem halben Jahr jeden Dienstag in unserem Podcast Carbon & Laktat. Ich werde aus St. George berichten. Über Sebastian Kienle, Jan Frodeno, Patrick Lange. Über Anne Haug und die deutschen Lauras. Über die Norweger und die Amis. Und über jeden deutschen Agegrouper – ganz egal, wann er sich wo auf welchem Weg für die WM qualifiziert hat.

Utah, wir kommen!

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Frank Wechsel
Frank Wechsel
Frank Wechsel ist Herausgeber der Zeitschriften SWIM und triathlon. Schon während seines Medizinstudiums gründete er im Oktober 2000 zusammen mit Silke Insel den spomedis-Verlag. Frank Wechsel ist zehnfacher Langdistanz-Finisher im Triathlon – 1996 absolvierte er erfolgreich den Ironman auf Hawaii.

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