Freitag, 18. April 2025

Wenn Träume platzen

Touren statt Training: An eine gezielte Vorbereitung ist für Sonja Tajsich nach ihrer Coronainfektion nicht mehr zu denken.

„Es hätte noch viel schlimmer kommen können!“ Ich versuche, diese aufmunternd gedachten Worte anzunehmen. Ja, natürlich, es hätte viel schlimmer kommen können … immer wieder versucht sich die Frage aufzudrängen, warum es überhaupt so kommen musste. Mit allen Kräften bin ich der beste Unterdrücker dieser eher wenig helfenden Gedanken wie „ist das ungerecht“, „warum ich?“ und „ausgerechnet jetzt“. Und tatsächlich: Wenn ich ganz nüchtern von außen darauf blicke, dann haben diese Gedanken keinen echten Halt. Klar fühlt man sich von der Welt ungerecht behandelt, dass es so kommen musste. Aber es ist ein Virus. Den Millionen Menschen zurzeit durchleben. Und zwar genau jetzt. Und ich bin mir sicher, dass ganz viele von euch in einer ähnlichen Situation sind. Und viele sicherlich noch viel schlimmer. Bei mir ist es ein Event, auf das ich verzichten muss, auf das ich mich irre gefreut habe. Bei einigen geht es um die Weltmeisterschaft, bei anderen um mehr als Sport. Um Existenz, sogar ums eigene Leben. 

Damals hatte ich mich entschieden, mich impfen zu lassen, weil ich die Long-Covid-Symptome vermeiden wollte. Ich hatte weniger Angst vor dem Lungenautomaten oder vor dem Tod als vor diesen längerfristigen Krankheitssymptomen. Hat mir doch mal eine Freundin erzählt, dass ihre Bekannte eine ambitionierte Sportlerin ist und selbst nach einem Dreivierteljahr nach Erkrankung keine drei Kilometer mehr laufen kann. Davor hatte ich wirklich Angst. Weil das mein Lebenselixier ist, meine Leidenschaft. Ich konnte mir unmöglich vorstellen, dass mein Leben so drastisch verändert werden könnte. 

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Ganz oft frage ich mich, wie der Verlauf wohl gekommen wäre, wenn ich nicht geimpft und geboostert wäre. Und warum der Rest meiner Familie überhaupt nichts abbekommen hat, obwohl ich mich zu Hause völlig normal verhalten habe, keine Maske in unseren vier Wänden aufhatte und wir zu viert unter demselben Dach gewohnt haben. Liegt es an der Blutgruppe? Ich habe als einzige A in diesem Haushalt. Das ganze Thema Covid ist schon auch spannend, so unberechenbar, so unterschiedlich bei jedermann. Ebenso die Folgen und die Heilprozesse. Und keiner weiß, was im Körper zurückbleibt. Das ist es, was mir ein bisschen Angst macht. 

Fakt ist, dass ich in einem vierwöchigen Prozess langsam aber sicher einsehen musste, dass es am 25. Juni 2022 keine Sonja Tajsich auf der Kleinen Scheidegg geben wird. Schlussendlich hatte ich alles von einem Arzttermin abhängig gemacht. Den Termin hatte ich exakt zwei Monate vor meinem großen Start. Doch dazu später. 

Die Tage vor dem Test

Gehen wir zuerst einige Wochen zurück. Ich kam gerade von Lanzarote heim und bin in derselben Woche noch nach Kroatien gereist, um eine Hotelanlage und die Umgebungsbedingungen zu besichtigen. Sportlich hoch fokussiert war ich und obendrein total begeistert, dass meine Lanzarote-Camps stattfinden konnten und meine gesamte Familie gesund geblieben ist, dass das Training gut funktioniert hat und meine Form die Freude steigen ließ, bald beim Swissman 2022 starten zu dürfen. 

Ich hatte mich intensiv mit den Details des besagten Rennens befasst und am selben Tag – ich weiß das noch ganz genau – als ich den letzten Blog-Artikel mit dem Rennverlauf zur Veröffentlichung abgeschickt hatte, spürte ich ein kleines, aber doch präsentes Bisschen Halsschmerzen. Im Prinzip wollte ich sie wegdenken. Ignorieren. Deshalb habe ich mich auch direkt noch zu einer Radtour aufgemacht. Man muss ja nicht gleich aus Mücken Elefanten machen. Zum Hypochonder werden, nur weil mittlerweile so gut wie jeder dieses ominöse Covid hat. Morgen ist es bestimmt wieder gut. 

War es nicht. Statt Sport stand Hausputz auf der Agenda. Aber wenn ich ganz ehrlich zu mir selbst war, habe ich mich irgendwie elend gefühlt. Also war es an der Zeit, einen PCR-Test zu machen. Und auch das weiß ich noch ganz genau: Ich bin am Donnerstagmorgen aufgewacht und habe mich noch elendiger gefühlt. Mein allwöchentliches Zoom-Athletiktraining wollte ich aber nicht ausfallen lassen, sind doch meine Teilnehmer extra früh aufgestanden. Und genau während ich diese Einheit noch durchziehe, poppt das PCR-Testergebnis auf meinem Handy auf. Positiv.

Eigentlich war das gar keine so großartige Tragödie für mich. Erst mal. Einige meiner Athleten waren und sind mit Covid beschäftigt, die wenigsten längerfristig. Die Meisten haben keine oder geringe Symptome und sind schnell wieder auf den Beinen. Die „erste Welle“ meines Krankheitsverlaufs war also noch gut zu ertragen: Halsschmerzen, Kopfschmerzen, Gliederschmerzen. Zu Beginn Fieber. Ich war müde und matt. Wie ein ganz normaler grippaler Infekt. Nicht toll, aber auch nicht schrecklich. Nach etwa sieben Tagen ging es bergauf und nach zehn Tagen war ich wieder einigermaßen hergestellt. Dachte ich. Eine einzige Radausfahrt draußen habe ich mir – wirklich sehr, sehr locker – gegönnt. Mit dem Endergebnis: Eine satte Bronchitis. Ich war mir gar nicht sicher, ob das noch Covid ist oder eine eigenständige Bronchitis, weil mein Immunsystem down ist. Wieder Halsschmerzen, Heiserkeit und fast ein Verlust der Stimme, fieser Husten und Schnupfen. Diese „zweite Welle“ dauerte erneut zehn Tage und ich war ganz schön geplagt. Die Stimme klang heiser. Das Gesamtgefühl mies. 

Dann kam ein typisches Covid-Symptom, auf das man am allermeisten verzichten kann. Ich hatte vorher von einem Freund davon gehört und damals schon zu ihm gesagt: „Wenn du das bekommst, das ist ja das Obermieseste“. Nämlich eine Geschmacksverirrung. So nenne ich es: Immer wenn ich etwas gegessen habe, war der Nachgeschmack modrig. Zuerst dachte ich, der Kartoffelsalat aus dem Glas ist nicht mehr ganz in Ordnung. Im Nachhinein glaube ich, hätte ich ihn gar nicht zwingend entsorgen müssen. Weil nach der Erdbeere hatte ich den gleichen modrigen Geschmack wie nach meinem feinen Früchtetee, der Weintraube oder dem Joghurt. Boah, das war echt arg. Die größte Angst war, das könnte ewig andauern. Unvorstellbar. Aber zum Glück ging das nur drei lange Tage.

Dann kam die „vierte Welle“: Ich habe mich müde und schlapp gefühlt, antriebslos. Schlussendlich wollte ich dann erst wieder ins Training einsteigen, wenn ich die Gewissheit von Fachärzten habe, dass ich in Ordnung bin. Vor Herzmuskelentzündung und Lungenentzündung hatte ich wirklich Sorge. 

Ich war in der Pulmonolgie im Klinikum Klagenfurt zum Lungenröntgen, Blutbild machen und ein paar Tests inklusive Lungenfunktion. Der Abteilungsleiter der Station ist selbst sportlich aktiv, hat sogar schon mal einen Ironman gemacht. Er wusste, wovon ich spreche und konnte die Daten dementsprechend auswerten. Am Tag darauf durfte ich direkt noch zum Herz-Echo und zum Belastungs-EKG mit Spirometrie. Der Befund war dermaßen erfreulich für mich: keine bleibenden Schäden, keine Entzündungsprozesse. Auf einmal verschieben sich die Prioritäten. Mir war absolut klar, dass eine Herzmuskelentzündung noch mal eine ganz andere Nummer ist. 

Diagnose: Post-Covid-Fatigue

Die Abgeschlagenheit haben sie mir ganz nüchtern erklärt: Post-Covid-Fatigue heißt das Ding, haben viele. Ist nicht greifbar. Dauert mal länger, mal kürzer. Aber an der Startlinie in zwei Monaten sehen sie mich nicht. Seit vier Wochen keinen Meter gelaufen, keinen Meter geschwommen und auf dem Rad Alibi-Rollen-Einheiten über eine Stunde bei 80–100 Watt. 

Als ich das Klinikum am zweiten Tag verlassen habe, war ich total durcheinander. Die eine Seite himmelhoch jauchzend, dass es keinen Worst-Case gibt und ich eigentlich mit einem blauen Auge davongekommen bin. Und die andere Seite total betrübt, dass ich mich von meinem großen Ziel verabschieden muss. Zwischenzeitlich hatte ich ein paar Momente, in denen ich – und das war eigentlich recht häufig – eingehend überlegt habe, ob es nicht zu schaffen wäre. Aber dann hätte ich mich gestresst und die Holzhammermethode hätte mir sicher nicht gutgetan. Mit dem Alter wird man vielleicht ein klein wenig weise. 

Klar war, dass ich zuerst ein paar Dinge regeln musste: Ich wollte als erstes triathlon-Chefredakteur Nils Flieshardt anrufen und fragen, wie er das Ganze sieht. Seine Antwort war klar und prompt: Die Gesundheit geht vor. Wenn ich um ein Jahr verschieben darf, könnten wir nächstes Jahr dort weitermachen, wo ich jetzt aufgehört habe. Das hat mir sehr geholfen, ich habe mich gleich besser gefühlt. Vielen Dank dafür! Wir haben beschlossen, dass ich euch weiterhin auf dem Laufenden halte und bin euch auch dankbar, wenn Ihr Tipps für mich habt.

Und die Veranstalter haben wohl erklärt, dass sie grundsätzlich keine Startplätze verschieben, weil ja doch öfter mal jemand einen triftigen Grund hat, nicht an der Startlinie stehen zu können, aber für das Projekt würden sie höchstwahrscheinlich im nächsten Jahr einen neuen Startplatz zur Verfügung stellen. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Jetzt habe ich ein neues tolles Ziel und ich habe Zeit gewonnen, diesen elendigen Viren ein für alle Mal den Garaus zu machen. Und ich bin sehr dankbar, dass ich weiterhin das große Ziel vor Augen haben darf: Ich werde es schaffen, die Kleine Scheidegg zu erklimmen. Wenn nicht 2022, dann eben 2023!

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