Vor 30 Jahren legte ihr Vater vor, im Herbst 2023 zieht Nicole Müller nach: Sie finisht auf Hawaii. Der vorläufige Höhepunkt ihrer langen sportlichen Laufbahn. Denn die 26-Jährige aus Schramberg im Schwarzwald ist bereits seit 18 Jahren aktive Triathletin. Die Langdistanz hat die Physiotherapeutin mächtig geschlaucht, nun geht es zurück auf die Mitteldistanz.
Es gab Leute in ihrem Umfeld, erzählt die diplomierte Physiotherapeutin, die vermuteten, ihr Vater hätte sie zum Triathlon gezwungen. „Das Gegenteil ist der Fall: Er sorgte stets dafür, dass ich nicht zu früh mein Pulver verschieße“, sagt sie. Im Jahr 2022 hat Nicole Müller jedenfalls noch reichlich Munition und setzt die Familientradition fort: Sie schafft die Qualifikation für den Ironman Hawaii.
Nicole kennt all die Hawaii-Geschichten von ihrem Vater und träumt seit ihrer Kindheit von einem Start bei diesem Rennen: „Ich wollte unbedingt dorthin und den Mythos erleben.“ Gleich bei ihrem ersten Langdistanzrennen, dem Ironman Emilia-Romagna in Italien, qualifiziert sie sich. Sie erwischt einen „Sahnetag“, wie sie sagt, und bleibt mit 9:55:49 Stunden unter der Zehn-Stunden-Marke. Doch mit dem Slot in der Tasche kommt die Frage auf sie zu, wie sie die finanzielle Hürde eines Trips nach Big Island nehmen könnte.
Ein Crowdfunding ist schließlich die Lösung. 50 Tage hat Nicole Zeit, um mindestens 7.000 Euro einzusammeln. Am Ende kommen 9.000 Euro zusammen, die Spender sind zumeist Firmen und Bekannte aus dem Umkreis ihres Wohnorts Schramberg im Schwarzwald, knapp 50 Kilometer nordöstlich von Freiburg. Nicole ist geflasht von der Unterstützung: „Ich bin so unfassbar dankbar dafür! Viele Spender haben mir kleine Nachrichten hinterlassen und gute Wünsche mit auf den Weg gegeben, einige Firmen haben YouTube-Videos mit mir gedreht. Dabei bin ich doch nur eine Hobbyathletin.“
Ein kurzer Schreckmoment im Vorjahr lässt Nicole zusammenzucken: Ironman gibt bekannt, dass die Weltmeisterschaften von Frauen und Männern getrennt werden. Doch sie hat Glück: Es sind die männlichen Athleten, die in Nizza starten. Für Nicole kann das Abenteuer Hawaii beginnen. Ihr Freund Jonas und ihre Eltern begleiten und unterstützen sie, Anreise, Jetlag und das Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit machen ihr zu schaffen. „Natürlich hat mein Vater erzählt, dass die Bedingungen bei ihm viiiiel schwerer waren. 40 Grad, starker Wind und so“, sagt Nicole und lacht. „Wir haben uns gegenseitig gefrotzelt, wer am Ende der bessere Hawaii-Finisher ist. Zumindest beim Schwimmen war ich schneller …“ Nicole Müller kommt nach 10:56 Stunden ins Ziel und ist mächtig stolz: „Ein krasses Erlebnis!“
Zurück in der Heimat verschickt sie Mails und Dankeskarten an ihre Spender und veranstaltet für diesen Kreis einen hawaiianischen Abend. „Ich hatte das Bedürfnis, mich bei den Leuten zu bedanken.“ Nicole hält vor 150 Menschen einen Vortrag über ihre Erlebnisse auf der Pazifikinsel, dazu gibt es, nicht ganz stilecht, Piña Colada und Toast Hawaii. „Das war ein toller Abschluss. So ein Crowdfunding kann ich nur empfehlen. Wer sich einen Traum erfüllen möchte wie ich, sollte das nicht unversucht lassen.“
Nun kehrt Nicole Müller auf die Mitteldistanz zurück, möchte wieder „an der Spritzigkeit arbeiten“, wie sie sagt. „Zwei Jahre Langdistanzvorbereitung haben echt geschlaucht. Das ist ein hoher Aufwand, der meinem Umfeld und mir eine Menge abverlangt hat.“ In der heißen Phase hat sie bis zu 20 Stunden in der Woche trainiert und „nebenbei“ ihr Diplomstudium beendet. Da leidet das Privatleben und die Beziehung, stellt sie fest. Jonas hat sie bei dem Projekt Hawaii unterstützt und sie bei Radeinheiten begleitet. Aber er ist nicht unglücklich darüber, dass sie jetzt den Aufwand heruntergefahren hat. „15 Stunden Training wöchentlich kann ich mit meinem Vollzeitjob gerade noch einrichten.“
In diesem Jahr möchte Nicole wieder für den Verein Post-SV Tübingen in der 2. Triathlon-Bundesliga an den Start gehen und sie hat sich für den Ironman 70.3 Kraichgau Ende Mai angemeldet. Eine schnelle Mitteldistanz unweit ihrer Heimat. Sie möchte ihre Serie unbedingt aufrechterhalten, jedes Jahr mindestens einen Wettkampf zu absolvieren. Auf ihrer Bucket List stehen noch die Challenge Roth und der Inferno Triathlon, ein spektakulärer Ausdauerwettkampf in den Schweizer Bergen.
Konkrete Daten hat sich Nicole Müller dafür aber nicht ausgeguckt. Zum Abschluss sagt sie: „Triathlon möchte ich schon noch ein paar Jährchen machen. Als Hobbyathletin. Das sind für mich Helden des Alltags.“
Nicole Müller
Geburtsdatum > 19. Februar 1998
Geburtsort > Schramberg (Baden-Württemberg)
Beruf > Diplom-Physiotherapeutin
Triathletin seit > „ich denken kann“
Lieblingsdisziplin > Radfahren
Erster Triathlon > Vereinstriahtlon 2006
Bisher letzter Wettkampf > Ironman Hawaii 2023
Lieblingswettkämpfe > Allgäu Triathlon, Ironman 70.3 Zell am See
Größter Erfolg > Podium bei den Deutschen Jugendmeisterschaften und Start in der 1. Triathlon-Bundesliga
Bestzeiten > 2:16:00 Stunden (olymp. Distanz, Kraichgau 2017), 5:05:30 Stunden (Mitteldist., Allgäu Triathlon 2022), 9:55:49 Stunden (Langdistanz, Ironman Italy 2022)
Aktuelles Wettkampfrad > Argon 18 „E-116“