Mit beeindruckenden Leistungen hat Ironman-70.3-Weltmeister Gustav Iden die PTO Championship 2020 für sich entschieden. Was es dem 24-jährigen Norweger abverlangt hat, das größte Rennen der Triathlonsaison 2020 zu gewinnen, haben wir im Folgenden seinen Aufzeichnungen von Radfahrt und Lauf entnommen, ausgewertet, mit seinem 70.3-WM-Sieg 2019 verglichen und den Daytona-Daten von Frederic Funk und Sam Long gegenübergestellt.
322 Watt (4,81/kg) für 1:39 Stunden bei 67 Kilogramm
Den ersten kleinen Rückschlag für Gustav Iden gab es beim Schwimmen: Knapp anderthalb Minuten Rückstand (Schwimmzeit: 23:43 min / Schnitt 1:10 min/100 m) bekam er auf den führenden Henri Schoeman aufgebrummt, nachdem er während seiner zweiwöchigen Quarantäne in Norwegen im Anschluss an sein Trainingslager in Spanien zwischenzeitlich auf das Schwimmtraining verzichten musste.
Obwohl auf den 80 Kilometern insbesondere gegen Ende viel passierte und die Reihenfolge der Athleten extrem durcheinander gewirbelt wurde, änderte sich an diesem Rückstand von Iden auf die Spitze zeitlich nichts. Jedoch konnte er im direkten Vergleich einige direkte Konkurrenten wie Jonathan Brownlee und Javier Gomez überholen und im Anschluss einen Vorsprung auf sie herausfahren. Als 15. kam er gemeinsam mit Ben Kanute, Henri Schoeman und wenige Sekunden vor Boris Stein in die Wechselzone. Seinen Radcomputer startete Iden offensichtlich erst nach 1,5 Kilometern auf der Radstrecke. Für seine aufgezeichnete Zeit von 1:38:52 Stunden (offizieller Radsplit: 1:41:02 Stunden) erzielte er eine Durchschnittsleistung von 322 Watt (325 Watt gewichtete Leistung) bei 47,3 km/h und einer mittleren Trittfrequenz von 90 Umdrehungen pro Minute.
Auf Nachfrage bestätigte Iden ein Wettkampfgewicht von 67 Kilogramm, was ein Kraft-Last-Verhältnis von 4,81 Watt pro Kilogramm ergibt. Ein äußerst beeindruckender Wert, der aufgrund der komplett flachen Strecke auf dem Daytona International Speedway im Vergleich zur absoluten Leistung in diesem Fall allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielt. Zum Vergleich: Auf Hawaii werden die schnellsten Radsplits der männlichen Profis bei etwas mehr als vier Stunden Fahrzeit mit rund 4,0-4,2 Watt pro Kilogramm Körpergewicht erzielt. Ein weiterer interessanter Punkt: Die Herzfrequenz von Gustav Iden, die augenscheinlich (bis auf die allerersten zwei Minuten) äußerst konstant und valide gemessen wurde, erreichte über den gesamten Zeitraum der Radfahrt einen Durchschnitt von 166 Schlägen pro Minuten, im Maximum 184 Schläge relativ am Anfang der Fahrt, bevor sich der Puls einpendelte.
Pacing: Erste Hälfte mit 332, zweite mit 312 Watt
Das Pacing von Iden war nicht über die gesamte Dauer konstant: Die erste Hälfte der Radstrecke absolvierte der zweifache Ironman-70.3-Sieger mit 332 Watt, die zweite mit 312 Watt. Eine Reduzierung in der Leistung, die man zeitgleich auch anhand einer fallenden Herzfrequenz erkennen kann – ein mögliches Anzeichen dafür, dass es sich dabei nicht umbedingt um eine Schwäche gehandelt haben muss, sondern vielleicht mit einem Minimalaufwand in der aktuellen Position möglichst viele Körner fürs Laufen gespart werden sollten, ohne dabei den Platz in der „Gruppe“ zu verlieren oder den Rückstand an die Spitze erheblich größer werden zu lassen.
Mit klugem Pacing und 3:13 min/km im Durchschnitt zum Sieg
Auf den abschließenden 18 Laufkilometern übernahm Gustav Iden nach rund einem Drittel der Strecke die Führung des gesamten Feldes. Auffällig: Sein Durchschnittstempo über die gesamte Laufstrecke betrug 3:13 Minuten pro Kilometer, während er den ersten Kilometer „nur“ in 3:11 Minuten lief – also unwesentlich schneller als der Gesamtschnitt trotz eines Rückstands von 1:30 Minuten auf Alistair Brownlee zu diesem Zeitpunkt. Ein klares Anzeichen für durchdachtes Pacing und dem Wissen, nicht zu schnell loslaufen zu dürfen. Dieser kühle Kopf führte Iden 2019 bereits zum WM-Titel, während Alistair Brownlee sich 2018 und 2019 bei der Ironman-70.3-WM einen möglich Titel dadurch kaputt machte, dass er die ersten Kilometer des Halbmarathons deutlich unter drei Minuten lief.
Nach dem verhaltenden ersten Kilometer beschleunigte Gustav Iden merklich und lief die ersten fünf Kilometer in 15:35 Minuten – also mit einem Tempo von 3:07 Minuten pro Kilometer. Im Verlauf der dritten Disziplin wurde der Hawaii-Qualifikant für 2021 etwas langsamer – die letzten fünf Kilometer absolvierte er in 16:23 Minuten. Dies könnte allerdings auch der Tatsache geschuldet sein, dass Iden einem ungefährdeten Sieg entgegenlief und seinen Vorsprung nur noch absichern musste. Wie viel schneller der Youngster bei einem direkten Laufduell Seite an Seite noch hätte schneller laufen können, ist sicherlich eine spannende Frage, die sich in den kommenden Jahren mit Sicherheit noch bei anderen Wettkämpfen klären wird. Auch hier wieder ein Vergleich: Bei der Ironman-70.3-WM 2018 lief Jan Frodeno den Halbmarathon bei seinem Sieg mit einem Schnitt von 3:10 Minuten pro Kilometer – bei einer insgesamt längeren Renndauer und ohne Carbonschuhe, während Gustav Iden mit den Nike Alphafly Next% unterwegs war.
Datenvergleich zwischen Nizza und Daytona
Die Strecken von Gustav Idens zwei großen Siegen auf der Mitteldistanz hätten nicht unterschiedlicher sein können: extrem bergig in Nizza mit rund 30 Kilometern Anstieg und 30 Kilometern Abfahrt am Col de Vence und ein komplett ebenes Profil in Daytona. Zwei Kurse, die komplett andere Fähigkeiten benötigen. In Nizza war Iden (unfreiwillig) mit einem Rennrad inklusive Auflieger unterwegs, in Daytona mit einem Zeitfahrrad, nachdem der große Sieg in Frankreich ihm im vergangenen Jahr zum ersten Mal einen Radsponsor bescherte. 2019 profitierte er bei der WM auf dem Rad in erster Linie von seinem starken Kraft-Last-Verhältnis und effizienten sowie risikofreudigen Abfahrtskünsten. In Daytona saß Iden nur 1:41 Stunden auf dem Rad, in Nizza 2:17 Stunden (91,3 Kilometer). Dabei erzielte er eine Durchschnittsleistung von 278 Watt. Ein verhältnismäßig niedriger Wert, geschuldet durch die gut 30 Kilometer lange Abfahrt, in der kaum getreten wurde. Bei der gewichteten Leistung kam Iden auf 303 Watt – 4,5 Watt pro Kilogramm. Den Hauptanstieg des Col de Vence fuhr er in 27 Minuten mit 360 Watt hoch: 5,4 Watt pro Kilogramm. Interessant: Trotz der unterschiedlichen Dauer und des verschiedenen Anforderungsprofils kam Iden in Nizza – genauso wie in Daytona – auf eine durchschnittliche Herzfrequenz von 166 Schlägen in der Minute. Den Halbmarathon in Nizza lief Iden mit einem Schnitt von 3:17 Minuten pro Kilometer, wobei man anhand der Aufzeichnung auch hier die gleiche zurückhaltende Pacing-Strategie festmachen kann. Denn den ersten von 21 Kilometern auf der Promenade des Anglais lief der Weltmeister in 3:18 Minuten.
330 Watt und 3:32 min/km: Frederic Funks Leistungsdaten im Vergleich
Jemand, der bekanntermaßen auch sehr transparent mit seinen Daten umgeht, ist Frederic Funk. Der jüngste Starter im prominenten Feld der Challenge Daytona stellte seine Radstärke auch auf dem International Speedway unter Beweis. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 47,6 km/h (1:40:01 Stunden) brachte Funk die zwanzig Radrunden hinter sich und erzielte dabei eine durchschnittliche Leistung von 330 Watt (334 Watt gewichtete Leistung) mit einer mittleren Trittfrequenz von 83 – im Schnitt sieben Umdrehungen weniger als Gustav Iden. Funks Pacing dabei ist maschinenartig: 332 Watt für die ersten 40 Kilometer, 328 Watt für die zweiten 40 Kilometer.
Die rund 18 Laufkilometer absolvierte der 23-Jährige in 1:04:01 Stunden mit einer Durchschnitts-Pace von 3:32 Minuten pro Kilometer. Es ist die beste Laufleistung, die er bisher im Triathlon über diese Distanz erzielt hat, wie Funk selbst zufrieden einordnete. Im Gegensatz zu Iden lief Funk den ersten Kilometer deutlich schneller als sein Durchschnittstempo an: in 3:13 Minuten, bevor sich sein Tempo konstant einpendelte. Wie schon bei vorherigen Mitteldistanzen kann man anhand von Funks Aufzeichnung erkennen, dass auf den letzten fünf Kilometern etwas die Kräfte nachlassen: seine bisher noch größte Schwäche, wie er selbst sagt. Die letzten fünf Laufkilometer läuft der Erdinger-Athlet in 18:09 Minuten – ein Schnitt von 3:38 Minuten pro Kilometer. Angesichts von Funks Alter, seinen Fähigkeiten auf dem Rad und den Unterdistanzleistung von 14:47 Minuten auf fünf Kilometern beim Laufen vor wenigen Monaten, ist davon auszugehen, dass der Ironman-70.3-Lanzarote-Sieger von 2019 in Zukunft noch einige Leistungssprünge machen kann.
„Big Unit“ liefert ab: Sam Long mit 361 Watt Durchschnittsleistung
Jemand, den so einige im Vorfeld des Rennens in Daytona als möglicherweise schnellsten Radfahrer auf der Rechnung hatten, ist der junge US-Amerikaner Sam Long. Der 24-Jährige, der sich selbst in Anlehnung an sein kräftigeres Athletenprofil liebevoll den Spitznamen „Big Unit“ verpasst hat, hatte in Daytona nach dem Schwimmen einen Rückstand von rund 3:30 Minuten und zeigte sich im Anschluss in seiner Paradedisziplin von der besten Seite.
Long erzielte für die 80 Kilometer eine Durchschnittsleistung von 361 Watt (363 Watt gewichtete Leistung), was für eine Geschwindigkeit von 48,4 km/h reichte. Dabei fuhr „Big Unit“, der am Ende auf Rang neun landete, mit einer Trittfrequenz von 83 Umdrehungen pro Minute. Der Ironman-Chattanooga-Sieger wiegt 78 Kilo, was für ein Kraft-Last-Verhältnis von 4,63 Watt pro Kilogramm sorgt – weniger als bei Gustav Iden. Die Tatsache, dass Long trotzdem mehr als zwei Minuten schneller unterwegs war, untermauert, wie sehr es auf einem komplett flachen Kurs auf die absolute Leistung und die Aerodynamik ankommt. Long, der sich anhand seines Leistungsprofils und der Radstärke für die Zukunft eher als Langdistanz-Spezialist sieht, kommen demnach flache oder wellige Kurse am ehesten entgegen, um als kraftvoller Athlet seinen Vorteil in der zweiten Disziplin ausspielen zu können. Dennoch: Auf 80 Kilometern und einem ebenen Kurs mehr als 360 Watt zu treten, können im Triathlon neben Long wohl aktuell nur eine Handvoll weiterer Athleten.
Danke für den super Artikel, der die Details mit Akribie rauskitzelt!
Nach dem wiederholt mehr als schlechtem Livekommentar der ARD Moderatoren, ist dieser Artikel von Simon Müller eine Wohltat zu lesen. Vielen Dank für Topqualität.
Ja, der Live-Kommentar war stellenweise wirklich nicht so prall. Klar, das Bildmaterial aus den USA war jetzt auch nicht immer top, aber was zum Beispiel dieser blöde Spruch sollte, dass Laura Philipp sich von ihrem Preisgeld ne Handtasche kaufen könne … naja.
Mich würde mal seine Wattleistung im Laufen interessieren, habt Ihr die zufällig auch?
Super Artikel, auch deinen Live Ticker fand ich richtig gut!
Super Beitrag!!! Mich wuerde interessieren was Magnus Ditlev so getreten hat. Es ist abzusehen, dass wir in der Zukunft auf der Langdistanz das eine oder andere Duell zwischen Fred Funk, Sam Long und Magnus Ditlev sehen werden.