Lionel Sanders hat in den vergangenen Jahren so manche sportliche und mentale Achterbahnfahrt hinter sich gebracht. Nun meldet sich der kanadische Triathlet zurück – ruhig, reflektiert und mit einem klaren Ziel: Er will 2026 die beste Saison seiner Karriere erleben.
Der 37-jährige Kanadier nimmt nach einer Stressfraktur und der Absage beider Ironman-Weltmeisterschaften 2025 bewusst als Aufbaujahr, in dem nicht kurzfristige Ergebnisse, sondern langfristige Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Nach einer schwierigen Phase rund um die Vorbereitung auf die Ironman-Weltmeisterschaften in Kona hat Sanders seine Trainings- und Denkweise grundlegend verändert. Er spricht offen über den Druck, den Rennkalender zu früh zu füllen, um sich fit zu fühlen, und über die Unsicherheit, die dadurch entsteht. Dieses ständige Hetzen von einem Wettkampf zum nächsten will er beenden. Stattdessen verfolgt er nun einen geduldigen, wissenschaftlich fundierten Aufbau seines Körpers. Sein neues Leitmotiv lautet: Konstanz statt Chaos.
Er selbst sagt in einem aktuellen YouTube-Vlog, dass die aerobe Basis das Fundament jeder Langdistanzleistung sei und sich nicht in Tagen oder Wochen verändere, sondern in Monaten. Deshalb wolle er seinem Körper die nötige Zeit geben, um wirklich zu adaptieren. Nicht „try harder“, sondern „adapt better“ ist das Prinzip, das seine Trainingsphilosophie nun prägt.
Schluss mit Schnellschüssen – keine Rennen um jeden Preis
Sanders’ Einsicht kam nicht über Nacht. Er erzählt, dass es fünf Monate gedauert habe, bis er akzeptieren konnte, dass die Saison 2025 für ihn im Grunde bereits im Mai beendet war. Zunächst stand sein Name auf Startlisten wie dem Ironman 70.3 Augusta oder der 70.3-Weltmeisterschaft in Marbella – doch rückblickend bezeichnet er das als „ridiculous“. Realistisch wäre aktuell ein Ergebnis um Platz 15 bis 20 gewesen, und das sei für ihn nach zwölf Jahren Profisport keine Motivation mehr. Auch ein Start beim Ironman Arizona wurde gestrichen. Statt halb vorbereitet an der Startlinie zu stehen, will er sich dieses Mal die Zeit nehmen, um sich wirklich wieder aufzubauen.
Der aerobe Neuaufbau – Sanders’ neue Trainingsphilosophie
Sein Fokus liegt jetzt auf dem, was im modernen Ausdauersport als die wichtigste Grundlage gilt: der aeroben Kapazität. Mehr als 80 Prozent seines Trainings finden im niedrigen bis moderaten Bereich statt. Intensive Schwellenreize machen weniger als 20 Prozent des Gesamtumfangs aus. Diese langfristige Arbeit an der Basis ist für Sanders der Schlüssel, um dauerhaft leistungsfähig zu bleiben – insbesondere über die Ironman-Distanz.
Er erklärt, dass der aerobe Stoffwechsel extrem stabil ist, sobald er einmal richtig aufgebaut wurde. Wer die Geduld hat, diesen Prozess auszuhalten, wird später dafür belohnt. Genau das ist sein Plan: den Körper langsam, systematisch und verletzungsfrei wieder an eine hohe Dauerleistung heranzuführen.
Trainingsalltag mit Struktur und System
Ein Beispiel dafür ist eine aktuelle Schwellen-Einheit im Laufen, die er in seinem Video beschreibt: sechs Mal zwei Kilometer mit etwa 90 Sekunden Pause, gesteuert nach Leistung und Herzfrequenz. Sein Zielbereich liegt bei 365 bis 375 Watt, einer Pace um 3:20 Minuten pro Kilometer und einer Herzfrequenz im mittleren 140er-Bereich. Das sei keine Rekordform, aber sein bestes Ergebnis seit fünf Monaten – und vor allem ein Zeichen, dass die Richtung stimme. Für Sanders zählt aktuell nicht das Tempo, sondern die Tendenz: Konstanz und Fortschritt im richtigen Bereich.
Nächstes Ziel: Indian Wells – ein Rennen ohne Abkürzungen
Der einzige geplante Wettkampf für 2025 ist der Ironman 70.3 in Indian Wells am 7. Dezember. Doch anders als in früheren Jahren dient dieses Rennen nicht dazu, schnell wieder vorn mitzuspielen. Es soll vielmehr der erste Härtetest eines langfristigen Trainingsplans sein. Sanders will in Indian Wells an den Start gehen, ohne sein Training überstürzt zu haben – als logischer Zwischenschritt auf dem Weg zur Form für 2026.
Sein Ziel ist klar: Das aktuelle Jahr wird als Basisjahr betrachtet, um 2026 topfit und vollständig vorbereitet in die Langdistanzsaison zu starten. Dann will er zeigen, dass nachhaltiges Training langfristig erfolgreicher ist als hektische Wettkampfplanung.
Zwischen Demut und Selbstbewusstsein – eine neue Haltung
Bemerkenswert ist die Gelassenheit, mit der Sanders über seine derzeitige Situation spricht. Er sagt selbstkritisch, dass er in den vergangenen Monaten mehrere Videos gedreht, aber bewusst nicht veröffentlicht habe. Wer fünf Monate Pause hinter sich und beide Weltmeisterschaften verpasst habe, sei wohl nicht der Richtige, um anderen Trainingsratschläge zu geben. Stattdessen wolle er selbst wieder lernen – ein Zeichen von Demut, das man bei einem Profisportler seines Kalibers selten höre.
Ein langsamer Weg zum langfristigen Erfolg
Wenn alles nach Plan läuft, könnte 2026 tatsächlich das Jahr werden, in dem Lionel Sanders die Früchte seiner Geduld erntet – nicht als impulsiver Racer, sondern als Athlet, der die Langstrecke endlich so angeht, wie sie gedacht ist: langfristig.