Jonas Deichmann ist gut vorbereitet. So gut es geht jedenfalls. Das Equipment ist getestet, Kopf und Körper ausgeruht – und auch die Route steht. Jedenfalls in groben Zügen. Denn welchen Weg der 33-Jährige letztlich einschlagen muss und wird, lässt sich derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen. Der Abenteurer startet am heutigen Samstag um 12 Uhr zu seinem neuesten Rekordversuch, einem Triathlon rund um die Welt. 500 Kilometer Schwimmen, 20.000 Kilometer Radfahren und 5.000 Kilometer Laufen. In Summe umfasst der Trip circa 120 Langdistanzen, zwangsläufig unterbrochen durch zwei Segelpassagen über den Pazifik und den Atlantik. „Ich bin voller Vorfreude“, sagt Deichmann. „Mir kommt es gar nicht auf den Rekord an, der ist am Ende nur ein Bonus. Im Vordergrund steht das Abenteuer, die Erlebnisse, die ich haben werde. Ich werde jeden Morgen aufwachen und wissen, dass wieder etwas komplett Neues passieren wird.“ Der Grund für die Umrundung des Globus ist einfach. „Es ist ein Kindheitstraum von mir: einmal ohne Flugzeug um die Welt. Den werde ich jetzt verwirklichen.“
Deichmann ist Rekord-Radler
Für Deichmann ist es nicht das erste extreme Projekt. Der Münchner hält bereits Rekorde für die drei großen Kontinentaldurchquerungen mit dem Fahrrad. Die 18.000 Kilometer vom Nordkap nach Kapstadt hat er in 72 Tagen zurückgelegt und seine Erlebnisse in einem Buch festgehalten. Die Panamericana von Alaska bis nach Feuerland mit insgesamt 23.000 Kilometern absolvierte er in 98 Tagen. Eurasien hat Deichmann von Cabo da Roca in Portugal bis ins 14.000 Kilometer entfernte Wladiwostok in Russland in 64 Tagen durchfahren. Auf tri-mag.de hat er zuletzt in Tagebuchform von seinem Triathlon rund um Deutschland berichtet, den er vor knapp einem Monat beendet hat. Nachdem er sich für dieses Projekt in der Wildnis Norwegens ausgiebig vorbereitet hatte, ließ er es die letzten Wochen etwas ruhiger angehen. „Ich habe nicht besonders viel gemacht, bin ein bisschen geschwomen, Rad gefahren und gelaufen, aber ohne extreme Distanzen. Die letzten Tage habe ich gar nichts gemacht, damit ich frisch bin. Ich bin definitiv nicht in Topform, aber das kommt unterwegs.“
Sein Kindheitstraum wird nun zu einem Trip ins Ungewisse. Die Auswirkungen der anhaltenden Corona-Pandemie sorgen dafür, dass alle Routenplanungen nur theoretischer Natur sind. Der Süddeutsche wird mit Maske einkaufen gehen und Menschenansammlungen meiden. „Die Corona-Krise beeinträchtigt alles. Ich habe daher mittlerweile vier mögliche Streckenoptionen für den Weg zum Pazifik. Alles kann sich aber kurzfristig ändern“, erklärt Deichmann. Mehr Abenteuer geht kaum bei einem solchen ohnehin schon ambitionierten Projekt.
Sicher ist, dass der Start am heutigen Samstag um 12 Uhr auf dem Münchner Odeonsplatz erfolgen wird. „Wer möchte, kann gern dabei sein und mich ein Stück begleiten. Das gilt auch für die weiteren Abschnitte auf meiner Tour“, sagt der Abenteurer, der in dieser Hinsicht aber Realist ist. Mitfahrer durch etwa Sibirien kalkuliert er nicht unbedingt mit ein. Die ersten Etappen legt Deichmann derweil auf dem Rad zurück. Es ist vergleichbar mit dem Einrollen zum Check-in in die Wechselzone. Nach dreieinhalb Tagen, unter anderem über den Großglockner in Österreich, soll dann die eigentliche erste Disziplin anstehen: In Kroatien startet Deichmann die 500 Kilometer lange Schwimmstrecke durch das Adriatische Meer, bis er nach circa fünf Wochen in Montenegro wieder auf das Rad steigen will.
Wichtige Erkenntnisse beim Schwimmen
„Das Schwimmen wird gleich mit das Schwierigste. Ich konnte bei meinem Triathlon rund um Deutschland aber zwei wichtige Erkenntnisse sammeln. Bei Wunden muss ich ganz besonders aufpassen, dass die Haut nicht aufweicht, daher habe ich nochmal andere Cremes dabei und auch eine dickere Sonnencreme. Außerdem braucht man gar nicht erst zu versuchen, gegen Wind und Wellen anzuschwimmen. Das ist sinnlos. Ich richte mich stattdessen nach einer Windvorhersage per App. Tendenziell soll ich am Nachmittag Rückenwind haben“, so Deichmann. Bewährt hat sich unterdessen während der Generalprobe zu seinem anstehenden Trip das kleine Floß, auf dem das Equipment verstaut wird und das er per Hüftgurt hinter sich herzieht. Es fungiert auch als Signalboje für den Schiffsverkehr, damit der Abenteurer nicht von schnellen Motorbooten übersehen wird.
In Montenegro folgt der erste Wechsel zu Deichmanns stärkster Disziplin – und die Fahrt entlang einer ungewissen Route. „Es kann und wird passieren, dass eine Grenze dicht ist und ich plötzlich einen anderen Weg einschlagen muss“, weiß Deichmann. „Auf dem Fahrrad werde ich mich sicherlich erstmal vom Schwimmen erholen können, wenn es durch den Balkan und die Türkei geht. Diese Strecke ist aktuell noch möglich.“
Fünf Routen für alle möglichen Alternativen
Allerdings wartet auch dort bereits ein anderer Weg als der geplante. „Die Grenze zwischen Albanien und Griechenland sowie Griechenland und der Türkei ist derzeit dicht. Das sollte aber kein Problem sein, ich kann dann einfach über Bulgarien ausweichen.“ In der Türkei steht Deichmann dann am Scheideweg: Route A, B, C oder D?
Variante A war die ursprüngliche Planung und führt über den Iran, den Pamir in Tadschikistan, Pakistan, Indien, den Himalaya und Südostasien weiter bis nach Shanghai in China. „Meine Lieblingsroute. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass das klappt“, so Deichmann.
Option B führt ebenfalls durch den Iran, ehe es weiter nördlich über Kirgistan und das Tian-Shan-Gebirge in die Grenzgebirgskette des Altai zwischen Kasachstan, Russland, der Mongolei und China geht. Durch Sibirien und die Mongolei stünde dann erneut die Strecke durch China an, die bis nach Shanghai führt. Die Wahrscheinlichkeit dieser Route ist ebenfalls gering.
Variante C würde Jonas Deichmann über Georgien, Russland und Kasachstan nach China führen.
Derzeit die wahrscheinlichste Option ist Route D. Die führt den Extremsportler über den Kaukasus zunächst komplett durch Russland, ehe es über die Mongolei und China mit der Wüste Gobi in Richtung Ostchinesisches Meer und damit den Zugang zum Pazifik geht. „Wenn die Einreise nach China nicht klappen sollte, würde ich nach Wladiwostok in Russland fahren – das wäre dann sogar Route F„, betont Deichmann, dass er flexibel ist. „Ich fahre einfach erstmal los und schaue, was kommt. Eventuell muss ich auch mal zwei Wochen in Quarantäne, um weiterzukommen.“
Gefahr: extreme Kälte
In jedem Fall stellt die Nordroute extreme Anforderungen an den Abenteurer und sein Material. Er wird im Winter durch Sibirien fahren. Die Temperaturen sinken auf bis zu minus 40 Grad Celsius. Durch Wind kann die gefühlte Temperatur noch deutlich darunter liegen. Zur Vorbereitung war Jonas Deichmann am Montag in einer Kältekammer der Deutschen Bahn. Seine Erkenntnis: „Man darf keine Fehler machen. Sibirien ist eine abgelegene Gegend, in der Wüste Gobi kommt 300 Kilometer lang auch mal nichts.“ Ein technischer Defekt kann bei den erwarteten Temperaturen zum Verhängnis werden. „Ich habe in der Kältekammer einen Reifenwechsel geprobt. Das ist echt ein Problem. Es hat zwar geklappt, aber nur mit den Innenhandschuhen der beiden Paare, die ich trage. Das habe ich an den Fingern sofort gespürt. Es war grenzwertig.“ Während die Kleidung den Extremsportler warm hält, stellen die Minusgrade das weitere Equipment auf eine harte Probe. „Die Akkus haben zu kämpfen, außerdem ist meine Kette bei der Kälte gesprungen, weil die Ritzel mit Eis belegt waren. Das sind Sachen, an die man normalerweise nicht denkt. Der Test war auf jeden Fall eine gute Warnung. Ich bin vorbereitet.“
Man darf keine Fehler machen.
Jonas Deichmann
Auf seiner Fahrt durch den Norden wird es der 33-Jährige ruhiger angehen lassen. Schwitzen und auskühlen wären fatal in der trockenen Kälte. Plant er in wärmeren Gefilden noch mit 180 bis 220 Kilometern pro Tag, sind es dann nur noch 120. „Das ist immer noch sportlich, aber nicht am Limit. Ich stehe nicht unter Zeitdruck.“ Übernachten wird Deichmann nach Möglichkeit in Hotels. „Ich werde auf der Hauptstraße fahren. Das hört sich beruhigend an, aber dort kommen pro Tag nur 20 Autos vorbei und Hotels sind nicht so häufig in der Gegend. Daher stelle ich mich darauf ein, einige Nächte im Zelt zu verbringen. Ich habe dort einen Schlafsack dabei, der bis minus 30 Grad Celsius Komforttemperatur bietet und so groß ist wie meine gesamte sonstige Ausrüstung. Ein paar Daunanjacken drüber – dann kann ich bis minus 60 Grad draußen übernachten.“ Wölfe und Bären in dieser Gegend – für Deichmann kein Problem. „Die sind mir schon öfter begegnet. Die Gefahr, die von den Tieren ausgeht, wird überbewertet. Man muss nur aufpassen mit dem Essen.“ Sein Tipp: „Am besten hängt man das 20 Meter entfernt in einen Baum, falls ein Bär mal neugierig wird. Dann schaut er nicht im Zelt vorbei.“
Weihnachten allein in Sibirien
Der Zeitplan sieht vor, dass der Münchner Weihnachten allein im Altai-Gebirge verbringt. „Der Gedanke daran ist schön. Vergangenes Jahr habe ich das am Strand von Brasilien verbracht. Da fühlt sich Sibirien mehr nach Weihnachten an.“
Wenn Deichmann an der Ostküste Asiens angekommen ist, geht es per Segelboot über den Pazifik. Das kann zehn Tage dauern, oder sechs Wochen, je nachdem, welche Mitfahrgelegenheit sich bietet. Er will eigentlich per Anhalter über den Stillen Ozean und später den Atlantik. Ein erster Kontakt besteht aber bereits zu der Crew eines Bootes, das beim Volvo Ocean Race startet und zu der anvisierten Zeit zum Training im Pazifik weilt. „Das wäre dann zwar keine erholsame Überfahrt, weil man in einer Röhre schläft und als Nichtsegler nonstop am Kotzen ist. Aber wann hat man schonmal die Chance, mit so einem Boot zu fahren?“
Auf den Spuren Forrest Gumps
Die nächste Station heißt dann Los Angeles. Oder San Francisco. Oder Seattle. Wo genau Deichmann anlanden wird, ist wie so vieles auf seiner Reise noch ungewiss. Dass es in die USA geht und er 5.000 Kilometer quer bis an die Ostküste laufen wird, steht allerdings fest. Es ist der Abschnitt seines Abenteuers, auf den er sich am meisten freut. Das hat einen besonderen Grund. „Forrest Gump war mein Lieblingsfilm in der Kindheit. Das möchte ich auch einmal machen“, erklärt der gebürtige Schwabe, der in dieser Zeit eine weitere Parallele zu der Hauptfigur zeichnen wird: „Ich rasiere mich erst in 14 Monaten wieder, wenn ich zurück bin.“
Es ist ein unglaubliches Gefühl von Freiheit, wenn man auf den Highways unterwegs ist.
Jonas Deichmann
Die Strecke durch die USA, bei der Deichmann einen kleinen Trailer mit seinem Equipment hinter sich herziehen wird, führt ihn über das Death Valley in der kalifornischen Mojave-Wüste, entlang der Great Plains im Bundesstatat Kansas und das Appalachen-Gebirge bis in den Nordosten nach New York. Unter Umständen legt er einen Zwischenstopp an der Slotmachine oder am Roulettetisch in Las Vegas ein. „Das wäre eine Überlegung wert, wenn das Reisegeld knapp wird…“ Ansonsten erklärt Deichmann: „Die USA sind sicherlich kein Abenteuer wie Sibirien, wobei ich erstmal die Wahlen abwarte. Es ist aber ein unglaubliches Gefühl von Freiheit, wenn man dort auf den langen Highways unterwegs ist. Das hat seinen Charme.“
Rückkehr 14 Monate nach dem Start
Von New York wird er schließlich erneut per Segelboot über den Atlantik nach Lissabon übersetzen, dann gern mit der Alternative, die ihm bei seiner ersten Ozeanquerung verwehrt geblieben ist. In der portugiesischen Stadt wechselt Deichmann noch einmal auf sein Rad, um zurück zum Ausgangspunkt seiner circa 14 Monate zuvor gestarteten Weltreise zurückzukehren: den Odeonsplatz in München.
Jonas Deichmann berichtet auf tri-mag.de regelmäßig in Tagebuchform von seinem Triathlon rund um die Welt. Weitere Informationen zu seinen bisherigen und aktuellen Abenteuern sowie ein Livetracker zu seinem Triathlon rund um die Welt finden sich auf seiner Website jonasdeichmann.com.
- Im Podcast triathlon talk spricht Jonas Deichmann darüber, wie man Abenteurer wird, über seinen Triathlon rund um Deutschland, die Welt und seinen Werdegang