Lionel Sanders, wie ist dein emotionaler Zustand mit ein paar Tagen Abstand zum Rennen in Coeur d’Alene, in denen du das Ergebnis verarbeiten konntest?
Ich bin sehr motiviert. Ich bin in sehr guter Form. Ich bin wirklich gut geschwommen und auf dem Rad war ich sehr kontrolliert. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich über meine Fähigkeiten hinausgefahren bin. Und dann habe ich das Gleiche beim Laufen gemacht und mein Körper hat buchstäblich keinen Treibstoff mehr verarbeitet. Also denke ich, dass es ein Problem ist, das sich leicht lösen lässt, und ich somit schnell wieder zeigen kann, wie fit ich momentan eigentlich bin.
Ist die Enttäuschung über das Ergebnis und die verpasste Kona-Qualifikation noch groß?
Um ehrlich zu sein, bin ich überhaupt nicht enttäuscht. Ich bin eher frustriert, weil ich dieses Problem schon einmal hatte und ich dachte, dass ich es gelöst hätte. Aber offensichtlich war das nicht der Fall. Jetzt bin ich sehr motiviert, mit 100-prozentiger Sicherheit klarzustellen, dass ich es in den Griff bekomme. Schaffe ich das in einer Woche? Wahrscheinlich nicht. Aber werde ich in der Lage sein, Schritt für Schritt in die richtige Richtung zu gehen? Auf jeden Fall. Beim Wettkampf in Deutschland wird es nicht so heiß sein, was mir aus ernährungstechnischer Sicht zugutekommen wird. Wenn ich auch nur zwei bis drei Prozent zulegen kann, dann kann ich viel besser zeigen, was ich wirklich drauf habe.
Die Chance, im Allgäu gegen Jan Frodeno im Mann-gegen-Mann-Duell anzutreten, wolltest du dir auf keinen Fall entgehen lassen, auch wenn du damit eventuell deine Teilnahme an der WM auf Hawaii in diesem Jahr gefährdest?
Gegen Jan anzutreten, ist die Chance meines Lebens, und ich würde lieber gegen Jan antreten als in Kona.
In welchem Rennen willst du dich dieses Jahr noch für Hawaii qualifizieren? Es gibt mit dem Ironman Frankfurt am 15. August und dem Ironman Kopenhagen am 22. August nur noch zwei realistische Möglichkeiten für dich.
Ich habe nach wie vor die volle Absicht, einen Kona-Slot zu bekommen. Ich werde höchstwahrscheinlich den Wettkampf gegen Jan bestreiten, dann zurück nach Hause fliegen und weiter an meiner Ernährung und meiner Fitness feilen. Dann fliege ich zurück nach Europa, um vor dem Collins Cup den Ironman Kopenhagen zu bestreiten. Wenn ich dort keinen Platz für Kona bekomme, werde ich wahrscheinlich den Ironman California zwei Wochen nach Kona bestreiten, wo ich weiter an meinem Verpflegungsproblem arbeiten werde. Ich werde nicht eher ruhen, bis ich eine Ironman-Ziellinie überqueren und dann sagen kann: Ernährung ist kein Faktor.
Das Rennen in Frankfurt war keine Option? Die Ironman-Europameisterschaft fehlt dir ja eigentlich noch auf deiner Bucket List …
Ich denke, Frankfurt wäre vielleicht etwas übertrieben, weil es ziemlich nah am Duell gegen Jan liegt. Also denke ich, dass Kopenhagen eine bessere Wahl wäre.
In den letzten Videos auf YouTube und Instagram hast du immer wieder davon gesprochen, dass du darüber nachdenkst, deine Langstreckenkarriere zu unterbrechen oder zu pausieren. Wie viel war da wirklich dran? Waren das realistische Gedanken für dich in den letzten Wochen und Monaten?
Das, was Coeur D’Alene so schwierig gemacht hat, war, dass ich eigentlich alles richtig gemacht habe. In Sachen Ernährung habe ich den Plan eingehalten. Was das Training angeht, habe ich den Plan eingehalten. Und auch in der Umsetzung im Rennen bin ich streng bei meinem Plan geblieben. Dass ich dann das gleiche Problem wie auf Hawaii 2019 hatte, war wirklich sehr frustrierend und traurig. Also ja, in dem Moment habe ich ernsthaft gesagt, dass ich das nie wieder machen will. Aber hinterher, wenn du deine Energie zurückbekommst und die Schmerzen verschwinden, fragst du dich, ob es wirklich so sein muss. Niemand sonst in diesem Rennen hatte einen so starken Verlust an Muskelfunktion wie ich, also ist es offensichtlich möglich. Die Leute, die jedes Jahr in Kona dabei sind, laufen immer noch gut und sehen nicht so aus, als würden ihre Muskeln versagen, als wären ihre Körper dem Tod nahe. Natürlich ist es schmerzhaft, aber es ist nicht die gleiche Art von Schmerz. Ich kenne gute Schmerzen, ich habe auch schon gute Schmerzen erlebt. Jetzt bin ich also wirklich motiviert, das zu korrigieren. Tatsächlich ein Rennen zu bestreiten, ohne schwere biologische Schmerzen zu erleben und meinen Körper schreien zu hören „du schadest mir“ und stattdessen Geschwindigkeit und Freude an dieser Geschwindigkeit zu erleben. Ich werde mein Leben immer noch dem Triathlon widmen, bis ich für mich selbst überzeugt bin, dass ich alles gegeben und das Beste getan habe, was ich konnte. Und an diesen Punkt bin ich noch nicht gelangt. Ich möchte im Moment nicht über einen Plan B nachdenken, denn ich habe nicht das Gefühl, dass ich auch nur annähernd da bin, wo ich leistungsmäßig sein könnte. Also werde ich weitermachen. Zum Glück bin ich noch nicht so alt und habe noch etwas Zeit, um dieses Rätsel zu lösen. Viele Leute haben mit diesem Aspekt des Ironman gekämpft und haben dann große Rennen gewonnen. Auch ich habe vor, einer dieser Leute zu sein.