Wenn am 25. Juli um 23:30 Uhr deutscher Zeit (6:30 Uhr Ortszeit) beim Rennen der Männer der erste Startschuss der olympischen Triathlonwettbewerbe fällt, wird es heiß hergehen. Und das aus vielerlei Hinsicht. Punkt 1: die Hitze. Erwartet werden Temperaturen im Bereich zwischen 35 und 40 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von über 75 Prozent. Extrembedingungen, die ganz sicher zu einem Faktor im Kampf um die Medaillen werden.
Punkt 2: die Strecke. Die 1,5 Kilometer der Schwimmstrecke verteilen sich auf zwei Runden, die im knapp 30 Grad warmen Wasser zurückgelegt werden müssen. Um zu verhindern, dass die Wassertemperatur über die 30-Grad-Marke steigt, wurde bereits Tage vor dem Rennen kühleres Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche gepumpt. Wer mit diesen Bedingungen nicht umgehen kann, wird es im übrigen Rennen extrem schwer haben, noch eine Rolle spielen zu können. Denn die acht Radrunden werden voraussichtlich davon geprägt sein, dass einigen Athleten daran gelegen sein dürfte, die zweite Disziplin zu einem schweren Stück Arbeit zu machen, um dadurch zu verhindern, dass die besten Läufer die zweite Wechselzone in aussichtsreicher Position erreichen. Was uns zum dritten Punkt führt: die Startliste.
Veteranen vs. neue Generation
In Abwesenheit von Alistair Brownlee (GBR), dem Olympiasieger von 2016, deutet sich ein Wettkampf an, bei dem die großen Namen der vergangenen Dekade von der „neuen“ Generation herausgefordert werden. Einer der Gejagten dürfte der amtierende Weltmeister Vincent Luis sein. Der Franzose gilt als äußerst ausgeglichen in allen Disziplinen und ist beim Laufen auf den letzten hundert Metern nur schwer zu schlagen. Luis dürfte als starker Schwimmer ein großes Interesse daran haben, das Rennen von Beginn an so schnell wie möglich zu machen, um einige seiner größten Kontrahenten für die dritte Disziplin frühzeitig abzuschütteln oder zu schwächen. Denn was die gesamte Laufdistanz angeht, gibt es durchaus schnellere Kandidaten.
Zu den absoluten Routiniers im Startfeld zählen neben Luis auch Jonathan Brownlee (GBR) und Javier Gomez (ESP). Zwar haben Brownlee, der bereits einmal Olympia-Silber und einmal Olympia-Bronze vorweisen kann, und Gomez, der 2012 in London Silber holte, nicht mehr den Favoritenstatus der vergangenen beiden Olympischen Spiele, abschreiben sollte man die beiden jedoch nicht.
Nach seinem Langdistanzexperiment inklusive Hawaii-Start 2018 kam Gomez 2019 beeindruckend in die World Triathlon Series zurück, beendete die WM-Serie am Ende sogar auf Rang drei. Dass Gomez traditionell gut mit Hitze zurechtkommt, auf der Kurzdistanz schon immer deutlich erfolgreicher war als auf der Sprintdistanz, in Topverfassung seit jeher stark läuft und mehr Erfahrung hat als jeder andere Athlet im Feld, machen den Spanier, der sich zuletzt in der Hitze Mexikos auf die klimatischen Bedingungen in Tokio vorbereitete, trotz seines Alters zu einem Medaillenkandidaten.
Das gilt auch für Mario Mola, den Kurzdistanzweltmeister von 2016, 2017 und 2018. Der 31-jährige laufstarke Spanier konnte seit dem Beginn der Coronapandemie zwar nicht mehr so überzeugen wie in den vergangenen Jahren, doch aufgrund seiner Statur dürfte Mola, der bei den Olympischen Spielen 2012 und 2016 die Plätze 19 und 8 belegte, mit dem Wetter besser zurechtkommen als einige andere Athleten. Wenn der Spanier im Verborgenen zu alter Laufstärke zurückgefunden hat und nach dem Schwimmen zügig den Sprung in die erste Radgruppe schafft, ist für ihn eine Medaille durchaus realistisch.
Zu den Herausforderern gehören unter anderem Athleten wie Kristian Blummenfelt und Gustav Iden (beide NOR), Marten Van Riel (BEL), Henri Schoeman (RSA) und Alex Yee (GBR). Blummenfelt zeigte sich zuletzt in starker Form, gewann den Auftakt der World Triathlon Championship Series (WTCS) in Yokohama sowie den Weltcup in Lissabon. Der Norweger zählt definitiv zu den Goldkandidaten, ist im direkten Duell nur schwer zu schlagen und kann sich quälen. Seine Körperstatur könnte dem 27-Jährigen aber trotz gewissenhafter Hitzeanpassung auf den entscheidenden letzten Laufkilometern zum Verhängnis werden. Es ist deshalb nicht unwahrscheinlich, dass Blummenfelt versuchen wird, das Radfahren für seine Konkurrenten so hart wie möglich zu gestalten, um den Lauf in seinem Sinne „vorzubereiten“. Auch seinem Landsmann Gustav Iden, der zuletzt Schwächen beim Schwimmen hatte, dürfte diese Taktik entgegenkommen, wenn er in der ersten Disziplin wieder einen guten Tag erwischt.
Alle gegen Yee
Ähnliches gilt für Van Riel, Schoeman und Yee. Während der Südafrikaner Schoeman und der Belgier Van Riel, die in Rio die Plätze drei und sechs belegten, wohl bis zum Laufen ganz vorn dabei sein werden und im Medaillenkampf auf Schwächen der anderen Favoriten angewiesen sind, gilt für den jungen Briten Alex Yee bei seiner Olympiapremiere der umgekehrte Fall: Ist Yee beim zweiten Wechsel an der Spitze dabei, dürfte dieser Umstand seinen Konkurrenten überhaupt nicht gefallen. Denn seine Laufstärke, die der 23-Jährige zuletzt bei seinem WTCS-Sieg in Leeds zeigte, würde Yee in diesem Szenario zu einem Goldkandidaten machen. Die übrigen Topathleten werden deshalb alles daran setzen, Yee beim Radfahren zu schwächen oder sogar abzuschütteln.
Darüber hinaus gibt es noch einige Athleten, die unter bestimmten Umständen eine reelle Chance auf die Goldmedaille haben. Dazu zählen unter anderem Morgan Pearson (USA), Tyler Mislawchuk (CAN) und Hayden Wilde (NZL). Für alle drei sind es die ersten Olympischen Spiele. Mislawchuk gewann 2019 das Testevent auf dem Olympiakurs in Tokio, Wilde wurde Dritter. Beide sind äußerst ausgeglichen, aber vor allem hervorragende Läufer. Ihnen ist von der Leistungsfähigkeit und dem Umgang mit den klimatischen Bedingungen zuzutrauen, dass sie auch beim Olympiarennen auf dem Podest landen. Zu den Favoriten hätte auch Jelle Geens gehört, der sich im Mai mit seinem starken zweiten Platz beim WTCS-Rennen in Yokohama in Topform präsentierte. Doch der Belgier verkündete gestern, dass er wegen eines positiven Coronatests nicht starten kann.
Vom Überraschungskandidaten zum Mitfavoriten
Ein bis vor Kurzem im Triathlon noch unbeschriebenes Blatt war der US-Amerikaner Morgan Pearson, der nun jedoch zu den Medaillenkandidaten gehört. Der ehemalige Läufer wechselte erst 2017 zum Triathlon und bringt in der dritten Disziplin aus College-Zeiten eine Leistung von 13:30 Minuten über 5.000 Meter mit. Das Gefährliche für die Konkurrenz: Pearson kann auch schwimmen und Rad fahren sowie seine Solo-Lauffähigkeiten in den Triathlon übertragen. Der 28-Jährige kam bei den großen Rennen stets relativ weit vorn aus dem Wasser, wurde in der zweiten Disziplin nie distanziert und kam in den vergangenen Rennen jedes Mal mit der Spitzengruppe in die zweite Wechselzone. Platz drei und zwei bei den WTCS-Rennen in Yokohama und Leeds waren in diesem Jahr die Folge. Gelingt Pearson ein ähnlicher Rennverlauf bei den Olympischen Spielen, könnte sogar erstmals der Sprung auf den obersten Podestplatz greifbar sein.
Den beiden deutschen Athleten Jonas Schomburg und Justus Nieschlag ist ebenfalls einiges zuzutrauen: Schomburg bewies durch seine Resultate im vergangenen Jahr, dass er sich insgesamt, aber insbesondere beim Laufen enorm verbessert hat. Es wäre nicht überraschend, wenn Schomburg auch in Tokio mindestens einen Ausreißversuch unternehmen würde und durch seine außergewöhnlichen Wechselfähigkeiten die T2 wie so oft als Erster verließe. Zeigt er seine Leistung aus den vergangenen Monaten, ist trotz der starken Konkurrenz durchaus eine Top-10-Platzierung im Bereich des Möglichen, was auch Schomburg selbst als Ziel ausgegeben hat. Ähnliches gilt für Justus Nieschlag. Es ist wahrscheinlich, dass dem 29-Jährigen der Sprung in die erste große Radgruppe gelingt und er sich dort bis zum zweiten Wechsel behaupten kann. Erwischt Justus Nieschlag einen seiner besonders guten Tage beim Laufen und kommt er mit der Hitze zurecht, ist eine Top-10-Platzierung nicht unrealistisch.
Livestream bei der ARD
Das komplette Rennen gibt es in der Nacht von Sonntag auf Montag im Livestream der ARD zu sehen. Die Übertragung startet um 23:20 Uhr und ist bis 1:40 Uhr angesetzt.
Super Beitrag, vielen Dank aber verstehen muss man das nicht, dass überall und immer noch die Männer bevorzugt werden. Warum ein Bericht, wer bei dem Männern welche Chancen hat und die Damen finden in keinem Wort Beachtung. Leider ist das bei den Übertragungen im TV nicht anders. Sind beide Geschlechter im Rennen, wird besonders lang und breit über die Männer berichtet und sekundenweise und mit viel Glück mal der Strand der Frauen gezeigt. Warum ist das so?
Ich denke, dass die Damen bestimmt noch ihren eigenen Artikel bei Tri-mag bekommen werden.
Aber die Bildunterschrift zu Javier Gomez passt nicht:
„Hat mehr Erfahrung als jeder andere Athlet im Feld und will seine erste olympische Medaille: Javier Gomez.“
Kurz zuvor steht im Artikel, dass er in London silber gewonnen hatte.
Danny, du verfolgst uns wohl noch nicht lange genug. Aus Headline und Vorspann geht ganz klar hervor, dass es sich hier um den Vorbericht der Männer handelt. Die Frauen starten 24 Stunden später, daher ist auch die Berichterstattung dazu zeitversetzt.
Wer hat Danny den aus der Gendertoilette gelassen?
Denke die Frauen kriegen schon noch einen Artikel, da diese erst einen Tag später ihren Wettkampf haben. Ich persönlich traue Max Studer (SUI) ebenfalls einen Top10 Platz zu. Nur schade dass die Übertragungszeiten etwas ungünstig sind.
Schöner Artikel. Ich hatte aber eigentlich auf einen Olympia Special Podcast mit Simon gehofft, in dem alle möglichen Rennszenarien im Detail aufgedröselt werden. Vielleicht passt es ja fuer eine Nachbesprechung.
Gruesse aus Finnland,
Norman Zielke