Ein Blick hinter die Kulissen der Canyon-Crew

Will man aufzählen, wer in der ­Triathlon-Weltspitze ­alles auf ­einem Rad aus Koblenz unter­wegs ist, fällt es gar nicht so leicht, den Überblick zu behalten. Konkret waren es dieses Jahr auf Hawaii bei den ­Männern Jan Frodeno, Patrick Lange, Boris Stein, Nils Frommhold und Lionel ­Sanders und bei den Frauen Daniela Bleymehl, ­Laura Philipp,­ ­Imogen Simmonds und Sarah Crowley, die als offizielle Canyon-Athleten auf dem Queen-K unterwegs waren. Und damit die sich um ein perfekt funktionierendes Fahrrad keine Gedan­ken machen mussten, flog gleich ein ganzer Betreuerstab samt Werkstatt-Equipment und Ersatzmaterial mit nach Hawaii.

Im Radsport hat sich so eine Art der Rundumbetreuung schon lange etabliert, doch im Triathlon ist es immer noch eine Besonderheit. Canyon nennt dieses Engagement Pro Sport Management: Die Fahrer müssen sich hierbei um nichts weiter kümmern als das Sportliche. Einerseits natürlich, um das Maxi­mum an Leistung zu erbringen, auch für den Sponsor. Andererseits – und nicht ganz uneigen­nützig von ­Herstellerseite – um das Material immer hundertprozentig in Schuss zu haben. Wenig ist schließlich aus Sponsoren­sicht unglücklicher, als abgenutztes, ungepflegtes Material, oder noch schlimmer, eine Panne vor Publikum, am besten noch vor laufenden TV-Kameras, zu haben. Und Kameras waren schon in den Tagen vor dem Rennen auf die Canyon-Athleten und ihre Arbeitsgeräte gerichtet, ob nun von den internationalen Szene-Medien oder, wie sonst selten in dieser Tiefe, auch vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Eine Präsenz, die sich auszahlt, aber das ganze Jahr über kostet.

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Ein weiterer Grund für die Pazifik-­Expedition sind immer wieder auch neue Impulse für die Entwicklungsabteilung und das ­Feedback von der Wettkampffront. Der direk­te Draht zwischen den Profimechanikern und Entwicklern ist nämlich Teil des Systems von Canyons rollender Pro-Werkstatt. Wolfgang Kohl, der Entwicklungsingenieur hinter der Speedmax-Modellreihe, drückt dies so aus: „Am Computer funktioniert ein neues Rad immer wunderbar, aber wie es dann nach ein paar tausend Kilometern rund um den Globus aussieht und wo Probleme auftauchen können, ist für mich immens wichtig zu sehen.“

Zehn Leute für einen leichten Lauf

Normalerweise wird ein Mechaniker diverse Sportler über die Saison betreuen. Die beiden Topleute Lange und Frodeno bekommen ihr Wettkampfrad allerdings inklusive technischer Betreuung an jeden Ort auf der Welt zu ihren Wettkämpfen geflogen. Die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii ist aber auch für den Hersteller aus Koblenz immer noch mal eine andere Hausnummer. Neben der Zahl an Athleten natürlich auch wegen der Bedeutung eines Sieges und davon gab es ja bisher schon vier Stück. Deshalb waren in der Summe diesen Oktober gut zehn Mitarbeiter als Support vor Ort. Interessanterweise gab es seitens Canyon USA noch ein weiteres Team auf Hawaii, das sich unter anderem um Lionel Sanders kümmerte, der seit 2019 auch zum Athletenstamm gehört. Für die übrigen Athleten sind dies neben dem Stamm-­Mechaniker Jens Neubert, der diese Position nach dem tödlichen Unfall von Urgestein Stefan Keul im Frühjahr federführend übernommen hat, Andreas Walzer als Kopf der Pro-Sport-Abteilung, Wolfgang Kohl als Ingenieur hinter den Speedmax-Modellen, die Mitarbeiter, die auf der Messe an den Bikes von Age-Groupern schrauben sowie das Team rund um Jan Frodeno. Wie eng verbunden die Athleten sich mitunter mit ihren Mechanikern fühlen, ließ sich unter anderem am Rad von Patrick Lange ablesen, das in den Decals den Namen seines verstorbenen Service-Manns trug.

Tino Pohlmann Meister ihres Fachs: Jan Frodeno und sein Mechaniker Roger Theel beim Rad-Check auf Hawaii.

Doppelgänger für die Stars

Wie bei allen großen Herstellern und Rennen ­üblich hatte Canyon für das Saisonhighlight mehr als ein Bike pro Athlet vor Ort. Denn die Boliden der Top­leute werden in der Rennwoche von Termin zu Termin gebracht und auf der Expo ausgestellt – während die Sportler zeitgleich ja auch noch trainieren müssen. Von Langes und Frodenos Rädern in Custom-Lackierung gab es dieses Jahr je zwei identische Exemplare auf der Insel, zusätzlich zu weiteren Back-ups. Ein wesentlicher Punkt, und das wird jeder Vielfahrer nachvollziehen können: Sowohl bei Frodeno als auch bei Lange wandert die Sattelstütze samt eingefahrenem Lieblingssattel stets in genau der einen Position mit an das Rad, welches im Wettkampf tatsächlich gefahren wird.
Jan Frodeno hatte dieses Jahr beim Thema ­Mechaniker übrigens einen Sonderstatus: Für ihn ist seit Frankfurt mit Roger Theel ein Profi am Werk, der auch schon für einen anderen Olympiasieger tätig war, nämlich für den Schweizer Fabian Cancellara, der nach seinem zweiten Olympiagold im Zeitfahren in Rio seine Karriere beendete. Wie Frodeno hat zwar auch Theel den Ruf, ein Perfektionist zu sein, doch wer nun meint, das Rad des Weltmeisters sei auf Teufel komm raus getunt und jede Schraube daran hohlgebohrt, den enttäuscht Theel fast ein wenig. Natürlich hat auch er seine Equipment-Geheimnisse, aber weil irgendwann beim Tuning auch das Pannenrisiko steigt, bleibt er lieber beim Bewährten, um nichts zu riskieren: „Wichtiger, als das letzte bisschen Tuningpotenzial auszureizen, ist für mich das Vertrauen zwischen Athlet und Mechaniker.“ Und er muss wissen, wie viel Risiko man am Rad eingehen kann, denn wenn er nicht gerade auf Hawaii ist und an Frodenos Rennmaschine schraubt, ist Theel Teil des Katusha-­Alpecin-Teams, das ebenfalls auf Canyon unterwegs ist. Hier schraubt er dann für einen ganzen Rennstall im Dauerbetrieb, bei dem ein Vielfaches an Material verschlissen wird und das auch unter Extrembedingungen funktionieren muss.

Für mehr als einen Profi-Athleten dürfte diese Rundumbetreuung neben dem Monetären ein wesentlicher Grund für Canyon als Radausrüster gewesen sein, sind doch speziell Triathlon-Räder mittlerweile recht anspruchsvoll beim Verpacken, Fliegen und besonders beim Aufbau für den Wettkampf im Hotelzimmer. Wenn man als Profi bei solchen Highlights wie dem Ironman Hawaii von einem Termin zum nächsten hetzt, dann ist man sicher froh, wenn man sein Arbeitsgerät Rad in besten Händen weiß und sich zumindest hier um nichts mehr kümmern muss.

Wenn man im Gegenzug sieht, welch Nerven­bündel die Männer aus dem Hintergrund die Tage vor und speziell während des Radsplits im Wettkampf sind, dann kann man leicht erahnen, mit wie viel Herzblut sie bei der Sache sind und welche Last von ihnen abfällt, wenn es die Bikes ohne Panne wieder in die Wechselzone geschafft haben. Wobei im Vorfeld auch unter den Mechanikern ein bisschen um die Krone gerungen wird: In Kona ging das so weit, dass sich die Mechaniker mit den von ihnen betreuten Fahrrädern battelten, wie lange sich der Antrieb nachdrehte. Sprich: Wer die ­Lager am besten getunt und die Schaltung am besten justiert hatte. Jens Neubert verwendet hierfür interessanterweise Produkte von Dry Fluids, einem kleineren deutschen Anbieter, der unter anderem die Feinmechanik von ferngesteuerten Modell­helikoptern geschmeidig hält.

Zudem werden neuralgische Teile wie Ketten, Kassetten und Lager generell vor jedem A-Wettkampf getauscht. Eine weitere Baustelle bei einem so wichtigen Rennen wie Hawaii: Reifen. Deren ­Set-up wird auf den jeweiligen Sportler sowie die zu erwartenden Bedingungen angepasst. Mittlerweile sind das größtenteils Tubeless-Konfiguration der Ausstatter Schwalbe und Continental, die teilweise für die Sportler noch eigene Gummimischungen beisteuern, um das Optimum herauszuholen, und damit „ihr“ Athlet mit der Siegerkrone auf dem Podest steht. Dafür sind Ausrüster und ­Mechaniker das ganze Jahr verzahnt, damit am Tag X alles ­optimiert ist und passt. Jens Neubert geht hierbei sogar so weit, vorher bei Fahrtests Reifenpannen zu provozieren, um mit Mischungen aus Dichtmitteln experimentieren zu können. Sein aktueller Favorit für 25 Millimeter breite Reifen mit bis zu sieben Bar Druck: 2/3 von Schwalbes „Doc-Blue“ und 1/3 „Race Sealant“ von Stan‘s. Jens Neubert war es übrigens auch, der für die eigenen Logos auf den Schwalbe-Reifen von Patrick Lange und Laura Philipp die Initiative ergriffen hatte, quasi als Moti­vationshilfe für den Renntag.

Tino Pohlmann Jens Neubert bei Tests mit ­Patrick Langes Speedmax: Er ist der ­federführende Mechaniker in der Pro-Sport-Crew.

Wellness in der Rennwoche

Neben dem Tuning erfahren die Räder in so einer Rennwoche zudem eine tägliche Pflege wie sonst selten. Sie werden mit viel Wasser und Spülmittel von Grund auf gereinigt – sämtliche Rückstände von klebrigen Getränken, Schweiß und Schmiermitteln werden entfernt. Denn Jens Neubert weiß: „Nur ein sauberes Fahrrad ist ein glückliches Fahrrad.“
Der Aufwand, den die Marke in den Zustand der Athletenräder steckt, ist enorm. Wenn bei der ­Generalüberholung Parts mit Keramik-Lagern, wie die von CeramicSpeed, getauscht werden, dann geht schnell mal ein Tausender ans Rad, auch wenn die alten Teile eigentlich noch gut gewesen wären. Dafür sehen die Räder dann beim Einchecken aber auch aus wie aus dem Ei gepellt. Und das ist schließlich im Sinne des Radsponsors, der nun mal möglichst viele seiner Räder an Agegrouper verkaufen möchte. Canyon pirscht sich hier auch langsam nach vorn. Dieses Jahr waren die ­Koblenzer die Fahrradmarke Nummer fünf am Pier von Kailua-Kona. Erklärtes Ziel ist hier aber nichts anderes, als die Nummer eins zu werden und irgendwann die meisten Bikes an zahlende Triathleten zu verkaufen.
Wie materialintensiv die Betreuung eines ganzen Teams ist, zeigte sich dieses Jahr schon beim Transport. Allein für Werkzeug und Ersatzteile flogen mehrere große Übergepäckstücke à 25 Kilogramm mit, neben den diversen Bikes. Im ­Canyon-Hauptquartier in Kona gab es allein für das Trinksystem des von allen Athleten gefahrenen Modell Speedmax CF SLX zwei Sofas voller Kleinteile. Und bei manchen Bikes, wie in diesem Jahr bei dem von Jan Frodeno und 2018 an der Maschine von ­Patrick Lange, werden bei solchen A-Wettkämpfen wie Hawaii auch erstmalig neue Custom-Lösungen eingesetzt. Wie etwa das neue Cockpit an Frodenos Rad, an dem der Entwickler Wolfgang Kohl seit ein paar Monaten gearbeitet hatte.

Tipps von der Canyon-Crew

  • Lasst das Rad vor der Abreise professionell durchchecken.
  • Erneuert vorher alle Verschleißteile und fahrt das Rad vor dem Verpacken kurz Probe.
  • Nehmt euch Zeit für das Verpacken. Hektik geht hier nach hinten los.
  • Alle neuralgischen Stellen sollten gut geschützt werden. Nehmt lieber mehr als weniger Verpackungsmaterial und polstert alles gut ab.
  • Nehmt genug Ersatzteile mit, bevor ihr euch vor Ort auf die Suche machen müsst. Achtung: Gas-Kartuschen sind im Flieger tabu!
Tino Pohlmann Bei A-Wettkämpfen ­erhalten die ­Bikes der Besten eine ­gründliche Wellness-Behandlung.

Viel Geld für viele Titel

Dass ein Fahrrad auf Profiniveau eigentlich nie fertig ist, sondern eher ein steter Prozess, zeigte sich nicht nur an Frodenos Rad: Auch Laura Philipp war mit einem Aero-Cockpit, basierend auf ihren eingescannten Maßen, unterwegs und fuhr spezielle Armschalen und extrem lange Extensions außerhalb der Serie. Damit das alles logistisch funktioniert, legten sich alle Beteiligten samt Drittausstattern mächtig ins Zeug. Und weil das Rennen immer am anderen Ende der Welt stattfindet, liegen die Kosten hierfür deutlich im fünfstelligen Bereich – alleine für Flüge und Unterbringung vor Ort.

Dass mit dem Sieg von Jan Frodeno dann wieder ein Canyon-Athlet die Krone von Kona aufsetzten durfte, jetzt nahtlos zum fünften Mal seit 2015, war dann so etwas wie die Belohnung für das ganze Team vor Ort. Wenn man gesehen hat, wie erleichtert Roger Theel auf der Zieltribüne war, dann kann man sich in etwa vorstellen, was passiert wäre, hätte Frodeno mit einem Platten an der Strecke gestanden, so wie in seinem Premierenjahr 2014.

Für den Sponsor ist das eine ­Bilanz, die es so wohl noch nicht gab und die den ganzen Aufwand dann fast schon wieder erschwinglich erscheinen lässt: fünf Hawaii-­Siege in Folge auf der gleichen Rahmenplattform, dem Speedmax CF SLX durch Frodeno und Lange. Dazu dieses Jahr noch der dritte Platz von Sarah Crowley und der vierte von ­Laura Philipp bei ihrer Hawaii-­Premiere – mehr geht da kaum. ­Wobei, und da trifft Jens Neubert den Nagel aus Koblenzer Sicht ganz trocken auf den Kopf: „Eigentlich ist mir immer egal, wer gewinnt. Hauptsache er fährt auf Canyon.“

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Marcus Baranski
Marcus Baranskihttps://www.derbaranski.de/blog
Marcus Baranski ist unser Zeitfahrer. Weil es dabei neben hartem Training vor allem auf Material und Sitzposition ankommt, beschäftigt er sich seit über 15 Jahren mit allen Stellschrauben, um dem Wind ein Schnippchen zu schlagen. Dass sich Detailverliebtheit hierbei auszahlt, zeigen seine Erfolge: 2019 wurde er in seiner Altersklasse Vizeweltmeister der UCI.

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