Donnerstag, 28. März 2024

Die Favoriten des Männer-Rennens im großen Check

Das deutsche Aufgebot

Ironman 70.3 Lanzarote

Zum deutschen Aufgebot in Daytona gehören neben Sebastian Kienle auch Frederic Funk, Andreas Böcherer, Maurice Clavel, Boris Stein, Andreas Dreitz, Nils Frommhold und Florian Angert. Diese Liste unterstreicht den Mythos der deutschen „Überbiker“, denn alle haben eines gemeinsam: Sie sind stark auf dem Rad und haben bereits häufiger Rennen in der zweiten Disziplin für sich entschieden. Für alle wird es demnach darauf ankommen, möglichst weit vorn aus dem Wasser zu kommen, um diese Karte auch effektiv ausspielen zu können. Während Andreas Dreitz und Boris Stein erfahrungsgemäß einige Minuten im Wasser aufgebrummt bekommen und im Anschluss die Aufholjagd beginnen, sind Florian Angert und vielleicht sogar Frederic Funk und Maurice Clavel bei einem Schwimmen mit Neo der Sprung in die Spitzengruppe oder zumindest in die erste Verfolgergruppe zuzutrauen. Können sich einige von ihnen beim Radfahren ganz vorn positionieren, ohne dabei zu viele Körner für das Laufen zu lassen, sind an einem besonders guten Tag mit starker Laufleistung und passendem Rennverlauf insbesondere Funk, Böcherer und Angert vielleicht sogar Top-10-Platzierungen zuzutrauen. Funk, der besonders transparent mit seinem Training ist und alles veröffentlicht, fuhr in den vergangenen vier Wochen im Schnitt 12-13 Stunden Rad, davon einen Großteil auf der Rolle, und lief etwas mehr als 70 Kilometer pro Woche – viel davon mit hoher Qualität.

Die Geheimfavoriten

ITU Media / Wagner Araujo

Zu den Geheimfavoriten bei der PTO Championship zählen unter anderem Morgan Pearson, Henri Schoeman, Andrea Salvisberg und Ben Kanute.

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Für den US-Amerikaner Morgan Pearson ist es die erste (wenn auch abgewandelte) Mitteldistanz seiner Karriere, auch das Zeitfahrrad ist Neuland. Pearson kommt ursprünglich aus dem Laufsport, war auf dem College äußerst erfolgreich, gewann mit seinem Team vor einigen Jahren die renommierte NCAA-Cross-Country-Meisterschaft in den USA und lief 2015 die 5.000 Meter bereits unter 13:30 Minuten. Vor einigen Wochen gewann Pearson den Michigan Half Marathon in 1:02:15 Stunden – die schnellste Solozeit eines Triathleten, die bisher jemals erzielt wurde. Bei der Kurzdistanz-WM in Hamburg wurde der 27-Jährige dieses Jahr Achter mit der zweitschnellsten Laufzeit hinter Alex Yee, stürzte allerdings einige Wochen später beim Weltcup in Karlovy Vary und musste daher vier Wochen auf das Schwimmtraining verzichten. Wie sich dieses Trainingsdefizit auf die erste Disziplin auswirkt, ist daher fraglich. Wahrscheinlich scheint, dass Pearson auf dem Rad ordentlich an Zeit einbüßen muss. Spannend wird daher zu sehen, was der Überläufer auf den 18 Kilometern am Ende noch an Boden gut machen kann. Kommt Pearson weit vorn aus dem Wasser, pacet sich gut auf dem Rad mit entsprechender Verpflegung und kann seine Sololaufleistung dann auch noch ansatzweise übertragen, scheint es wahrscheinlich, dass der Mitteldistanz-Rookie sich noch einen Platz in den Top 10 erkämpfen kann.

Auch die Kurzdistanzler Andrea Salvisberg, Henri Schoeman und Ben Kanute sollte man für Top-10-Platzierungen auf der Rechnung haben. Alle werden vermutlich weit vorn aus dem Wasser kommen und während Kanute seine Stärken im Anschluss eher auf dem Rad hat und seiner hohen Leistung in der zweiten Disziplin schon häufiger beim Laufen Tribut zollen musste, ist es bei Salvisberg und Schoeman eher umgekehrt. Bei beiden ist das Radfahren die ungewisse Komponente, während davon auszugehen ist, dass sie am Ende die 18 Kilometer noch sehr schnell laufen werden. Insbesondere Salvisberg, der vor einigen Wochen Schweizer Meister im Halbmarathon mit einer Zeit von 1:04:44 Stunden wurde, sollte dabei nicht zu unterschätzen sein.

70.3-Seriensieger: Rudy von Berg (USA)

Frank Wechsel / spo

Rudy von Berg gewann im vergangenen Jahr drei Ironman-70.3-Rennen und wurde Dritter bei der 70.3-WM in Nizza. Der 27-jährige US-Amerikaner, der in Frankreich groß geworden ist, gilt als sehr ausgeglichener Athlet. Im Normalfall ist von Berg ein starker Schwimmer und profitiert davon, dass er im Anschluss auf dem Rad viele seiner Konkurrenten distanzieren kann. Denn obwohl sich von Berg in den vergangenen zwei Jahren extrem weiterentwickelt hat, ist er im Vergleich zur absoluten Weltspitze nicht der allerschnellste Läufer und verlor bei einigen Mitteldistanz-Rennen bereits drei bis vier Minuten auf Athleten wie Javier Gomez, Gustav Iden oder Kristian Blummenfelt. Dieser Umstand könnte ihm auch in Daytona zum Verhängnis werden, wenn es um den Kampf um die Top-5-Platzierungen geht. In Nizza profitierte von Berg davon, dass er mit mehreren Minuten Vorsprung vom Rad stieg, denn seine Laufzeit lag nicht in den Top 10 des gesamten Feldes. Auf den 80 flachen Kilometer der Rennstrecke wird es für den US-Amerikaner deutlich schwieriger, einen ähnlichen Plan zu verfolgen. Steigt er dennoch weit vorn vom Rad und ruft seine bestmögliche Laufform ab, sind auch die Top 5 nicht unbedingt ausgeschlossen.

Newcomer: Daniel Bækkegård (DEN)

Simon Müller

Daniel Bækkegård war bis zum vergangenen Jahr für viele in der Triathlonszene noch ein unbeschriebenes Blatt. Doch innerhalb von acht Tagen änderte sich das gesamte sportliche Leben des 24-jährigen Dänen: Er gewann seinen ersten Ironman 70.3 in Finnland und acht Tage später sein Ironman-Debüt in Klagenfurt. Auch bei den Weltmeisterschaften in Nizza und Kona deutete er sein großes Potenzial an, wurde allerdings vom Pech verfolgt und musste mechanische Probleme sowie eine Zeitstrafe bei der 70.3-WM hinnehmen. Diese Saison gewann er eindrucksvoll den Ironman 70.3 Tallin und blieb bei diesem Rennen vor Sebastian Kienle und Andreas Dreitz. Bækkegård ist sehr ausgeglichen in allen drei Disziplinen und profitiert davon, dass er beim Schwimmen stets ganz vorn mit dabei ist – 2019 kam er auf Hawaii mit der Spitzengruppe um Jan Frodeno, Josh Amberger und Alistair Brownlee aus dem Wasser. Auch auf dem Rad zählt Bækkegård ebenfalls zu den stärkeren Athleten, lediglich beim Laufen fehlen ihm noch ein paar letzte Prozent zur absoluten Weltspitze – obwohl er bereits mehrere schnelle Zeiten vorweisen kann und den Halbmarathon im Ironman 70.3 schon in 1:10 Stunden absolvierte. Macht Bækkegård in Daytona sein eigenes Rennen ohne sich zu verzocken und hält sich bis zu T2 mit an der Spitze, scheint eine Top-10-Platzierung äußerst wahrscheinlich. Vielleicht ist – je nach Rennszenario – sogar der Sprung in die Top 5 möglich.

Mitteldistanz-Spezi: Pieter Heemeryck (BEL)

Pieter Heemeryck Challenge Peguera Mallorca 2019
José Luis Hourcade

Pieter Heemeryck ist ein echter Mitteldistanz-Spezialist und gewann 2018 sogar das Debüt-Rennen der Challenge Daytona: In den vergangenen zwei Jahren siegte der Belgier bei insgesamt sieben Mitteldistanzen. Heemeryck ist in allen Disziplinen auf einem hohen Niveau sehr ausgeglichen, hat deshalb keine richtige Schwäche, im Umkehrschluss allerdings auch keine außergewöhnliche Stärke. Davon könnte er am Sonntag profitieren, wenn andere Konkurrenten im Eifer des Gefechts am Ende für ihre hohe Risikobereitschaft bezahlen müssen. Der 30-Jährige profitiert neben seiner großen Mitteldistanz-Erfahrung außerdem von der Kenntnis über den Daytona-Kurs während einer Rennsituation mit anderen Konkurrenten, was ebenfalls ein kleiner (mentaler) Vorteil sein könnte. Wenn es am Ende auf eine Laufentscheidung ankommt, wird es für Heemeryck wohl kaum für ganz vorn reichen, eine einstellige Platzierung oder die Top 5 dürften aber im Bereich des Möglichen liegen.

Der unterschätze Brownlee-Bruder: Jonathan Brownlee

Tommy Zaferes / World Triathlon

Viele Leute würden in ihm den Athleten sehen, der von seinem Bruder über die Ziellinie getragen wird. Er selbst möchte lieber gesehen werden als jemand, der immer bis zum Ende kämpft und in seiner Bestform nur schwer zu schlagen ist. Das sagt Jonathan Brownlee, der jüngere der beiden Brownlee-Brüder und Bronze-Medaillengewinner von London 2012 sowie Silber-Medaillengewinner von Rio 2016, über sich selbst. Im Gegensatz zu Bruder Alistair hat er noch nicht so viel bis gar keine Erfahrung mit den längeren Distanzen, auch das Zeitfahrrad ist (noch) nicht sein natürliches Habitat. Dennoch sollte außer Frage stehen, dass Jonathan Brownlee das Leistungsvermögen besitzt, um in Daytona direkt auf dem Podium zu landen. Ein springender Punkt wird sicherlich die ungewohnte Verpflegungsstrategie sein, dazu kommen die neue 20-Meter-Windschattenregel und ein komplett anderes Pacing.

Dass „Jonny“ an der Spitze aus dem Wasser kommt, sollte unter normalen Umständen eine sichere Sache sein. Spannend wird bei ihm sein, wie er auf dem Rad agiert und wie viele Körner es ihn kosten wird, wenn er es mit der Spitze in die zweite Wechselzone schafft. Die längere Laufstrecke ist für ihn ebenfalls ungewohnt, Bruder Alistair wurde das zu schnelle Loslaufen bereits mehrmals zum Verhängnis. Ungewisse Komponenten, die die Teilnahme von einem der erfolgreichsten und stärksten Triathleten der vergangenen Dekade an diesem Rennen umso spannender macht. Denn beides ist denkbar: Dass Jonathan Brownlee derjenige ist, der ein glamouröses Mitteldistanz-Debüt feiert oder jemand ist, der beim Umstieg direkt eine gehörige Portion Lehrgeld zahlt.

Der Kurzdistanz-Weltmeister: Vincent Luis

Frank Wechsel / spomedis

Ähnlich wie Jonathan Brownlee ergeht es auch dem aktuellen Kurzdistanz-Weltmeister Vincent Luis: Für den Franzosen ist es die erste Mitteldistanz seiner Karriere. Der 31-Jährige gewann in 2020 alle Rennen, bei denen er gestartet ist: die Sprint-WM in Hamburg sowie die Weltcups in Tschechien, Italien und Valencia. Wie weit Vincent Luis in Daytona nach vorne kommt, wird wohl in erster Linie von seiner Radleistung abhängen. Denn dass Luis beim Schwimmen und Laufen aktuell vielleicht sogar das Maß der Dinge ist, stellte er in der jüngsten Vergangenheit oft genug unter Beweis. Wahrscheinlich scheint deshalb, dass jemand wie die beiden Brownlees oder auch Gustav Iden den Franzosen auf dem Rad unbedingt abschütteln wollen.

Es ist davon auszugehen, dass sich Luis auf dem Rad nicht unbedingt an der Spitze halten kann. Genau da beginnt das Rechenspiel, denn entscheidend wird dann sein, wie viel Zeit er einbüßen muss und wer zu diesem Zeitpunkt vor ihm ist. Seine Hausaufgaben wird Luis, der von Joel Filliol gecoacht wird, sicherlich auch in Bezug auf Aeroposition und Verpflegung gemacht haben – auch wenn er bis vor zwei Wochen noch nicht wusste, dass er für dieses Rennen ein Startnummernband braucht, wie er zuletzt verriet. Auch hier gibt es die Alles-oder-Nichts-Möglichkeiten: Luis setzt seinen Trend fort und auch bei seinem Umstieg direkt ein dickes Ausrufezeichen oder wird auf dem Rad so in die Schranken gewiesen, dass es nicht mehr für ganz vorne reichen kann.

Der vielseitige Routinier: Javier Gomez

spomedis

Fünfmaliger Kurzdistanz-Weltmeister, Silbermedaille bei Olympia, zweifacher Ironman-70.3-Weltmeister, XTERRA-Weltmeister, Ironman-Sieger und vieles mehr: Javier Gomez hat in den vergangenen 15 Jahren unzählige Titel gewonnen, Siege eingefahren und sich auf allen Formaten bewiesen. In seiner Trophäensammlung fehlen lediglich der Olympia- und Hawaii-Sieg. Bei seinen ersten Rennen auf der Mitteldistanz setzte Gomez neue Maßstäbe im Laufen, dominierte seine Konkurrenz beim 70.3-WM-Sieg in Chattanooga 2017 auf dem hügeligen Halbmarathon und hat als Bestleistung über die 21,1 Kilometer im Ironman 70.3 eine Zeit von 1:07 Stunden stehen. Allerdings offenbarte Gomez jedes Mal ein kleines oder sogar großes Zeichen von Schwäche auf dem Rad – und das wissen mit Sicherheit auch seine Konkurrenten.

Denn wenn der spanische Routinier in einer Top-Verfassung beim Laufen ist, bleibt der Konkurrenz nur übrig, ihm die Beine so müde wie möglich zu fahren und auf eine aggressive Fahrweise bei der zweiten Disziplin zu setzen. Wie Gomez die 80 Kilometer wegsteckt, wird dafür entscheidend sein, ob er im Anschluss noch um den Sieg mitlaufen kann. Dass der 37-Jährige mit den Führenden aus dem Wasser kommt, ist unter normalen Umständen eine sichere Sache. Große Aufholjagden beim Laufen kann er sich in Daytona im Vergleich zu vielen seiner anderen Mitteldistanz-Siege aber nicht mehr erlauben: Denn damals waren weder die beiden Brownlees, noch Gustav Iden oder Vincent Luis am Start.

Der herausfordernde Langdistanzler: Sebastian Kienle

Nils Flieshardt / spomedis

Um in Daytona auf dem Podium landen zu können, gab Sebastian Kienle zum Start seiner Vorbereitung klare Richtwerte aus, an denen er sich orientierte: weniger als 1:30 Minuten Rückstand auf die Spitze beim Schwimmen, so aerodynamisch wie möglich über die 80 Kilometer kommen und einen Schnitt von 3:15 Minuten pro Kilometer für die 18 Laufkilometer. Im direkten Vorfeld des Rennens gibt sich der zweifache Ironman-70.3-Weltmeister optimistisch, wie er uns im Interview verrät. Gerade das Schwimmtraining sei in den vergangenen acht Wochen sehr gut verlaufen.

Beim Lauftraining sah man den Hawaii-Sieger von 2014 zuletzt vermehrt mit dem jungen Nachwuchs-Kurzdistanzler Jannik Schaufler, der als Saisonabschluss 2020 die 30-Minuten-Barriere für 10 Kilometer knackte. Für Kienle wäre es sicher von Vorteil, wenn das Schwimmen mit Neo absolviert werden würde. Wahrscheinlich scheint, dass der 36-Jährige einen Großteil der Spitzengruppe vom Schwimmen irgendwann einholt, im Optimalfall sogar bis an die Spitze des Feldes gelangt. Die 20-Meter-Regel kommt ihm dabei entgegen – wenn sie denn regelkonform umgesetzt wird. (Psychisch) helfen könnten ebenfalls Mitfahrer wie Lionel Sanders, Sam Long oder Andreas Dreitz. Bis nach vorn zu gelangen, wäre allerdings auch nur die erste Hürde, wie man auch jedes Jahr auf Hawaii sehen kann. Sich dann aber auch noch von der Konkurrenz zu lösen und einen Vorsprung herauszufahren, ist meist die noch größere Herausforderung – gerade auf einem Kurs wie in Daytona.

Auch wenn Kienle 2019 beim Laufen sehr überzeugte und speziell in Nizza mit einem Halbmarathon von 1:09:31 Stunden nach harter Radstrecke sogar schneller war als Athleten wie Javier Gomez oder Kristian Blummenfelt, macht es ihm die Dichte von starken Läufern in Daytona noch schwerer. Das Resultat wird mit Sicherheit davon abhängen, wie viel Rückstand Kienle beim Radfahren aufholen muss, ob er nach vorne kommt, vielleicht sogar einen Vorsprung herausholt und wie viel Kraft ihn diese Aufholjagd kostet. In Anbetracht der starken Konkurrenz wäre ein Sieg bei diesem Format eine deutliche Überraschung und auch eine Podiumsplatzierung wäre vermutlich mit einer Leistung verknüpft, die der 36-Jährige so bisher noch nie gezeigt hat. Doch dass Kienle immer für eine Überraschung gut ist und sich das Kämpfen bis zur letzten Sekunden lohnen kann, hat er zuletzt mit seiner grandiosen Aufholjagd bei „The Championship 2019“ in Samorin gezeigt. Wenn sich einige Konkurrenten schlecht pacen, die Verpflegung unzureichend timen und Kienle diese Schwächen ausnutzen kann, ist an einem starken Tag auch das Podest in Reichweite.

Der Vorjahressieger: Lionel Sanders (CAN)

Talbot Cox

Lionel Sanders hat die Challenge Daytona 2019 nach einem außergewöhnlich spannenden und langen Lauf-Krimi gegen Pablo Dapena für sich entschieden. Ein ähnliches Szenario könnten dem Kanadier auch in diesem Jahr erneut widerfahren: Sanders ist vielleicht der stärkste Radfahrer im gesamten Feld – 2016 erreichte er bei der Ironman-70.3-WM in Mooloolaba eine Durchschnittsleistung von 364 Watt bei rund 72 Kilogramm Körpergewicht. Sanders‘ Achillesferse ist seit jeher das Schwimmen. Schon 2014 bei der Ironman-70.3-Heim-WM im kanadischen Mont-Tremblant war der viertplatzierte Sanders der Athlet mit der schnellsten Rad-Lauf-Kombination. Und das, obwohl Javier Gomez und Jan Frodeno die ersten beiden Plätze belegten.

Seine jüngsten Trainingseinheiten, der kanadische Stundenrekord auf der Radbahn und eine 5.000-Meter-Zeit von 14:34 Minuten als absoluter Langstreckler sprechen dafür, dass Sanders seine gefürchtete Rad-Lauf-Kombination auch in Daytona wieder zeigen kann. Die Frage ist nur, ob das auch für ganz vorne oder eine Podiumsplatzierung reichen kann. Abhängig dafür wird dafür Sanders‘ Schwimmdefizit sein. Denn bekommt der 32-Jährige einen Rückstand von mehr als 2:30-3:00 Minuten aufgebrummt, scheint das Podium unter normalen Umständen schon nach dem Schwimmen außer Reichweite zu sein.

Erwischt Sanders im Wasser gute Füße und findet sich früh auf dem Rad an der Spitze des Feldes wieder, ist es bei ihm auch nicht ausgeschlossen, dass es viel riskiert und es auf einen Ausreißversuch anlegt. Denn dass Sanders nach einem derartig harten Radfahren zwar nicht besonders schön, aber verdammt schnell laufen kann, bewies er in den vergangenen fünf Jahren bei seinen mehr als 15 Mitteldistanz-Siegen oft genug. 2016 erzielte er bei der Ironman-70.3-WM sogar die schnellste Laufzeit des gesamten Feldes. Je nach eintreffendem Szenario ist für Sanders von einem wiederholten Sieg oder einer Podiumsplatzierung bis zu einem Platz am Ende der Top 10 vieles möglich. Dafür, dass Sanders noch weiter hinten landet, müsste unter normalen Umständen schon jede Menge schief gehen. Aber was heißt im Triathlon schon normal.

Der Ironman-70.3-Weltmeister: Gustav Iden

Gustav Iden gewinnt die Ironman-70.3-Weltmeisterschaft 2019
Frank Wechsel / spomedis

2019 überraschte Gustav Iden mit seinem Ironman-70.3-WM-Sieg in Nizza viele in der Triathlonszene. In Daytona dürften deutlich mehr Leute den 24-jährigen Norweger auf dem Zettel haben. Auch für Lionel Sanders sei Iden „derjenige, den es zu schlagen gilt.“ Nach seinem Trainingslager in Spanien musste er in Norwegen zwei Wochen in Quarantäne, in denen er nicht schwimmen konnte. Ob das bei Iden, der auf der Kurzdistanz eher zu den schwächeren Schwimmern zählt, irgendwelche Auswirkungen in Daytona hat, bleibt abzuwarten. Schwieriger wird es für Iden auf alle Fälle, wenn er auf dem Rad zuerst noch eine Lücke schließen muss.

Dass Iden flache Kurse liegen, bewies er beim Ironman 70.3 Bahrain 2018, wo er die Radstrecke mit etwas mehr als 300 Watt in unter zwei Stunden absolvierte und im Anschluss den Halbmarathon in 1:07:14 Stunden lief. In einem Laufduell um den Sieg dürfte Iden, der sich 2019 in Nizza im Halbmarathon gegen Alistair Brownlee durchsetzte, tatsächlich derjenige sein, den es zu schlagen gilt. Hinzu kommt, dass der 24-Jährige auch auf der Kurzdistanz im Verhältnis beim olympischen Format bessere Ergebnis erzielt als bei den Sprintrennen. „Je länger, desto besser“, sagt Iden zu der Frage, welche Distanzen ihn am besten liegen würden. Sein Plan wird daher vermutlich sein, sich bis zur zweiten Wechselzone so weit vorn wie möglich zu positionieren und das Rennen dann beim Laufen zu gewinnen. In den vergangenen vier Wochen fuhr Iden im Schnitt 10-12 Stunden Rad und lief 93 Kilometer.

Obwohl Iden auf der Kurzdistanz stets viel Führungsarbeit auf dem Rad leistet, ist von ihm – selbst wenn er vorne dabei ist – keine allzu aggressive Fahrweise mit Ausreißversuchen zu erwarten. Zu sehr wird er sich vermutlich auf seine Laufstärke besinnen. Entscheidend wird für ihn sein, dass er beim Schwimmen für eine möglichst gute Ausgangsposition den Kontakt zur Spitze hält. Sollte es wirklich auf eine Laufentscheidung ankommen, bleibt spannend, ob sich Gutav Iden erneut gegen Athleten wie Alistair Brownlee, Javier Gomez oder „Wundertüten“ wie Vincent Luis oder Jonathan Brownlee durchsetzen kann. Für Idens eigenen Anspruch und den Status als amtierender 70.3-Weltmeister wird nur der Sieg zählen.

Der Doppel-Olympiasieger: Alistair Brownlee

Delly Carr / ITU Media

Für viele DER Top-Favorit der PTO Championship in Daytona. Doppel-Olympiasieger Alistair Brownlee ist vermutlich der kompletteste Athlet im gesamten Feld. Der 31-Jährige ist außerdem bekannt dafür, Rennen immer von vorne bestreiten zu wollen und stets eine aggressive Taktik zu wählen. Das wurde ihm bereits zum Verhängnis: Seine leichtsinnigen Laufattacken gegen Jan Frodeno und Gustav Iden bei den Ironman-70.3-Weltmeisterschaften 2018 und 2019 waren mitverantwortlich dafür, dass für Brownlee am Ende „nur“ Rang zwei heraussprang. Bedeutet: Seine Ungeduld ist gerade bei den längeren Strecken vielleicht die größte Schwäche. Auf der anderen Seite ist davon auszugehen, dass Brownlee probieren wird, sich auf dem Rad von allen abzusetzen, die ihn beim Laufen im direkten Duell schlagen könnten: Vincent Luis, Gustav Iden, Javier Gomez und Bruder Jonathan Brownlee.

Dass so eine zu harte Harakiri-Radfahrt nach hinten losgehen kann, musste Brownlee schmerzlich bei The Championship 2017 lernen, als er sich von Lionel Sanders und Sebastian Kienle absetzte und nach fünf Kilometern beim Laufen unterversorgt und nur noch locker joggend ausstieg. Das war jedoch ein Einzelfall. Wie bereits erwähnt, wird es für ihn im Anschluss an das Radfahren vermutlich wichtiger sein, den ersten Kilometer nicht unter 2:45 Minuten zu laufen. Erfahrung mit Verpflegung, Aeroposition und Renndynamik auf längeren Strecken hat der ältere Brownlee-Bruder in den vergangenen Jahren reichlich gesammelt. Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Alistair Brownlee durch derartige Kurzschlusshandlungen (wieder) selbst schlägt, ist vielleicht größer als ein Szenario, bei dem er wirklich klar unterlegen ist. Dass der zweifache Olympiasieger im Jahresverlauf mit kleineren Verletzungsproblemen zu tun hatte, macht es umso ungewisser, in welcher Verfassung er in Daytona wirklich am Start steht. Seine Rennen über die Kurzdistanz bei den Rennen in Hamburg, Italien und Valencia waren jedenfalls vielversprechend und deuteten allesamt auf eine starke Laufform hin.

Ob Alistair Brownlee es wirklich schafft, das Feld zu sprengen und dem Rennen auf der monotonen Radstrecke einen dynamischen Verlauf zu verleihen, wird sich erst am Renntag zeigen. Es ist davon auszugehen, dass er unter keinen Umständen noch einmal ein direktes Laufduell gegen Gustav Iden verlieren oder erneut bei einer so großen Meisterschaft im Non-Drafting-Format von jemandem auf Rang zwei verdrängt werden will. Alistair Brownlee ist vielleicht der einzige Athlet, der die Fähigkeiten und Chancen besitzt, das Rennen aus jeder Situation und in jedem Szenario für sich entscheiden zu können. Aber wie es so oft ist: Theorie und Praxis. Ob Brownlee dieses Mal nach zwei Jahren auf Rang zwei der Sprung nach ganz oben gelingt oder ihm erneut jemand die Suppe versalzt? Am späten Sonntagabend sind wir alle schlauer!

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Simon Müller
Simon Müller
Simon Müller ist selbst als ambitionierter Athlet unterwegs. 2022 wurde er Deutscher Meister auf der Kurzdistanz, 2019 qualifizierte sich bei seinem ersten Ironman in Mexiko mit einem AK-Sieg in 8:45 Stunden für den Ironman Hawaii. In seiner Brust schlägt neben dem Triathleten- auch ganz besonders ein Läuferherz. Simons Bestzeite über 10 Kilometer liegt bei unglaublichen 30:29 Minuten.

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