Spektakulär, selektiv und voller Überraschungen – die Ironman-70.3-WM 2019 in Nizza schrieb Triathlon-Geschichte. Auf einem der anspruchsvollsten Kurse der Seriengeschichte triumphierte ein junger Norweger gegen die Weltelite, während Daniela Ryf erneut ihre Dominanz unter Beweis stellte. Ein Rückblick auf zwei unvergessliche Renntage an der Côte d’Azur.
2019 kehrte die Ironman-70.3-Weltmeisterschaft erstmals seit vier Jahren wieder nach Europa zurück – und das mit einem spektakulären Austragungsort. Die französische Riviera bot mit türkisblauem Wasser, steilen Serpentinenstraßen und einer ikonischen Strandpromenade nicht nur eine traumhafte Kulisse, sondern auch eine der anspruchsvollsten WM-Strecken, die es auf der Mitteldistanz je gegeben hat. Nizza präsentierte sich am 7. und 8. September als perfekte Bühne für zwei hochklassig besetzte Rennen – mit einem Sensationssieger, einer souveränen Titelverteidigerin und vielen spannenden Geschichten abseits des Podiums.
Ein Kurs, der Radfahrerherzen höherschlagen ließ
Die Streckenführung war eine Kampfansage an alle Allrounder und ein Geschenk für gute Kletterer. Nach dem 1,9 Kilometer langen Schwimmen im Mittelmeer warteten auf dem Radkurs 91 Kilometer mit insgesamt 1.367 Höhenmetern – der Col de Vence als längster Anstieg war mit 9 Kilometern und 6,6 Prozent Steigung der prominenteste Teil der Strecke. Der größte Teil der Höhenmeter wurde in einem 30-Kilometer-Abschnitt gesammelt. Im Anschluss ging es über eine technisch anspruchsvolle Abfahrt zurück in die Stadt. Wer hier nicht gut Rad fahren konnte, hatte keine Chance – oder musste wie viele der Athleten erwägen, mit einem Rennrad statt eines Zeitfahrrads anzutreten.
Im Kontrast dazu war die Laufstrecke flach und schnell – ein Zwei-Runden-Kurs entlang der berühmten Promenade des Anglais, die wie gemacht war für packende Finishs. Schon damals gab die Strecke einen ersten Vorgeschmack auf die bisher zwei Ironman-Weltmeisterschaften, die bisweilen in Nizza stattgefunden haben, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen.
Die Wachablösung
Schon vor dem Start war klar: Die 2019er-Ausgabe würde einen neuen Champion hervorbringen. Titelverteidiger Jan Frodeno verzichtete nach einem Streckencheck bewusst auf einen Start in Nizza, um sich voll auf die Ironman-WM in Kona zu konzentrieren. Lionel Sanders, der sich eigentlich nach jahrelanger Abstinenz wieder für die WM qualifiziert hatte, musste verletzungsbedingt absagen. Damit war die Bühne frei für eine neue Generation – allen voran die Kurzdistanzstars Alistair Brownlee, Javier Gomez, Kristian Blummenfelt und Gustav Iden.
Während das Schwimmen durch eine große Führungsgruppe geprägt war, kristallisierte sich der Col de Vence als erste Selektion heraus: Brownlee setzte sich gemeinsam mit Ben Kanute ab, ehe sich auf der Abfahrt Rudy von Berg nach vorn schob. Auch Gustav Iden, der nach einem technischen Problem zu Beginn zwischenzeitlich zurücklag, machte auf dem Rad Boden gut und wechselte mit von Berg und Brownlee auf die Laufstrecke.
Der Norweger setzte sich früh im Halbmarathon ab – und ließ sich den Vorsprung nicht mehr nehmen. Nach 3:52:35 Stunden lief er zum ersten großen Titel seiner Karriere. Brownlee und von Berg komplettierten das Podium. Kristian Blummenfelt wurde Vierter. Sebastian Kienle lief mit starkem Finish auf Rang fünf vor – der einzige Deutsche in den Top Ten.
Vom Geheimtipp zum Weltmeister
Gustav Iden war im Vorfeld der große Unbekannte. Zwar hatte er beim Ironman 70.3 Bahrain im Dezember 2018 mit einer Zeit von 3:29:25 Stunden bereits für Aufsehen gesorgt – doch dass der Norweger in seinem erst dritten Mitteldistanzrennen gleich Weltmeister werden würde, ahnten nur wenige. Dabei war seine Leistung keineswegs Zufall: Das norwegische Nationalteam sollte sich mit akribischer Trainingssteuerung, systematischer Leistungsdiagnostik und hohem Trainingsvolumen in den nächsten Jahren an die Weltspitze setzen und auf allen Distanzen dominieren. Iden und Blummenfelt gingen ohne spezifisches 70.3-Training an den Start – direkt aus der Olympia-Vorbereitung, ohne Zeitfahrrad-Erfahrung in den Monaten zuvor.
Ryf triumphiert trotz starker Konkurrenz
Am Tag zuvor hatte das Frauenrennen bereits für Spannung gesorgt. Daniela Ryf, die Dominatorin der vergangenen Jahre, war trotz leichter Verletzungsprobleme im Vorfeld die klare Favoritin. Doch mit Holly Lawrence, Lucy Charles-Barclay und Imogen Simmonds stellten sich ihr gleich mehrere Konkurrentinnen in den Weg.
Nach dem Schwimmen führte erwartungsgemäß Charles-Barclay das Feld an. Doch die Britin erhielt auf dem Rad eine Zeitstrafe wegen Windschattenfahrens – ein Rückschlag, von dem sie sich nicht mehr erholte. Daniela Ryf hingegen spielte auf der technisch schwierigen Radstrecke ihre ganze Klasse aus, setzte sich in der Abfahrt ab und erreichte die zweite Wechselzone mit mehr als zwei Minuten Vorsprung. Holly Lawrence versuchte im Halbmarathon noch einmal heranzukommen, musste aber abreißen lassen. Ryf siegte souverän in 4:23:04 Stunden – ihr fünfter Titel. Lawrence und Simmonds folgten auf den Plätzen zwei und drei.
Eine WM der besonderen Art
Die Weltmeisterschaft 2019 in Nizza war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich: Das Streckenprofil veränderte die Dynamik des Rennens spürbar, viele Kurzdistanzstars mischten das Feld auf, und mit Gustav Iden feierte ein junger, taktisch kluger Norweger seinen internationalen Durchbruch. Das Rennen war der erste Fingerzeig, wie sich der Triathlon in den folgenden Jahren verändern würde. Tut es das auch im kommenden?