Am Sonntag steigt bei der Championship der Professional Triathletes Organisation (PTO) auf dem International Speedway in Daytona (Florida/USA) das Saison-Highlight 2020. In dem Weltklasse-Starterfeld werden sich sowohl Lang-, Mittel- als auch Kurzdistanz-Spezialisten über die verkürzte Mitteldistanz duellieren. Sebastian Kienle spricht auf tri-mag.de über seine Erwartungen an das Rennen, die Vorbereitung und die größten Konkurrenten.
Sebastian Kienle, zum Start deines Acht-Wochen-Programms bis Daytona hast du auf Instagram ein paar Hausnummern genannt, um bei der Konkurrenz und der Rennstrecke eine Chance auf das Podium zu haben: beim Schwimmen einen maximalen Rückstand von 1:30 Minuten, einen Schnitt von 3:15 Minuten pro Kilometer beim Laufen und eine nahezu perfekte Aeroposition über die 80 Kilometer. Welche Vorgaben davon konntest du in der Vorbereitung deiner Einschätzung nach verwirklichen?
Endgültig sehen wird man das erst im Rennen. Da spielen auch ein paar andere Parameter eine Rolle, die ich nicht beeinflussen kann. Beim Schwimmen bin ich aber ziemlich zuversichtlich. 1:30 Minute Rückstand ist zwar sehr optimistisch, aber die Dichte des Feldes sorgt dafür, dass es einen starken Sogeffekt geben wird. Es gibt viele Möglichkeiten, im Wasserschatten dranzubleiben und das wird mir auf jeden Fall helfen. Wenn mit Neo geschwommen wird, sind die 1:30 Minuten nicht völlig unrealistisch – aber es wäre für mich eine sehr starke Leistung. Schwimmen war dennoch das, was in den letzten acht Wochen sehr gut gelaufen ist.
„Auf dem Rad habe ich ein ganz gutes Paket.“
Sebastian Kienle
Beim Radfahren und der Aeroposition bin ich relativ nah dran, obwohl wir ziemlich viel geändert haben. Der eine Bahntest, den wir mit dem neuen Rad gemacht haben, war vielversprechend und ich bin zuversichtlich, ein ganz gutes Paket zu haben. Aber 80 Kilometer – das werden vielleicht 1:45 Stunden bis 1:50 Stunden auf dem Rad. Das ist zu wenig, um da wirklich groß etwas zu bewegen. Es wird aber die 20-Meter-Regel geben. Einige der Kurzdistanz-Athleten sind es zwar nicht gewohnt, so lange in der Aeroposition zu fahren, aber man wird sehen, was das für das Laufen bedeutet. Ich habe die Konkurrenz beobachtet und glaube, dass dadurch niemand wirklich einen Nachteil hat. Viele sind einfach sehr gut aufgestellt.
„Insgesamt bin ich ziemlich fit.“
Sebastian Kienle
3:15 Minuten pro Kilometer beim Laufen sah bis letzte Woche sehr gut aus. Aber: „It’s a thin line between fit and fucked.“ Ich war ziemlich nah an dieser Linie dran, habe aber ein paar Wadenprobleme und wir mussten in den letzten Tagen sehr vorsichtig sein. Ich muss schauen, wie sich das auf das Rennen und aufs Laufen auswirkt. Insgesamt bin ich aber ziemlich fit. Solche Probleme vor einem Rennen sind bei mir anscheinend etwas Normales. Letztes Jahr habe ich mir vor Nizza das Fußgelenk umgedreht und bin dann echt gut gelaufen. Das sollte schon klappen.
Für gewöhnlich bereitest du dich in wärmeren Gefilden vor. Welchen Einfluss hatten die äußeren Bedingungen im kühlen Deutschland auf deine Vorbereitung?
Die hatten eigentlich kaum Einfluss, wir haben ohnehin viel indoor trainiert. Natürlich ist es schöner auf der Bahn zu laufen, wenn es warm ist, aber insgesamt war das Wetter gut und wir hatten keinen Nachteil gegenüber anderen Athleten. Gerade bei so einer Strecke macht es Sinn, relativ viel auf dem Ergometer zu trainieren.
„Die Arena scheint für Triathlon-Wettkämpfe gebaut zu sein.“
Sebastian Kienle
In Daytona erwartet euch eine außergewöhnliche Strecke: auf dem Rad ein flaches Profil mit 20 Runden über vier Kilometer im Rundkurs, 20-Meter-Drafting-Regel. Welchen Einfluss haben diese Umstände auf dein Rennen?
Es ist Wahnsinn, wenn man mit dem Auto hier reinfährt und diese Arena sieht. Die scheint für Triathlon-Wettkämpfe gebaut zu sein, mit dem See in der Mitte. Es wird unheimlich interessant werden, was für einen Einfluss das haben wird. Auf der einen Seite 20 Runden komplett flach mit so vielen absoluten Topathleten – das sollte eigentlich ein extrem enges Rennen auf dem Rad ergeben. Wenn vorn starke Leute wie Alistair Brownlee auf dem Rad richtig Dampf machen, ist durch die 20-Meter-Regel ein gewisser psychischer Sog da – das wird dafür sorgen, dass sich einige richtig kaputt fahren werden. Dementsprechend werden wir vielleicht nicht die Zeiten sehen, die die Kurzdistanzler unter normalen Umständen hinlegen könnten, wenn Zwölf-Meter-Drafting-Zone wäre.
„Ich erwarte ein extrem aggressives Rennen.“
Sebastian Kienle
Die Kurzdistanzler werden dennoch sicherlich versuchen, ein Feuerwerk abzubrennen. Was erwartest du für einen Rennverlauf und wen erwartest du vorn als größte Konkurrenten?
Gerade die 20-Meter-Regel macht einen großen Unterschied. Es kommt aber darauf an, wie sie umgesetzt wird. Die Kurzdistanzler können inzwischen alle Rad fahren. Das Rennen wird vermutlich um die drei Stunden dauern, das kommt von der Belastung nah an die Kurzdistanz heran. Daher denke ich, dass die Favoriten im Feld der Kurzdistanzler zu suchen sein werden. Beim Schwimmen erwarte ich ein verhältnismäßig enges Rennen und glaube, dass dann Leute wie Alistair Brownlee auf dem Rad von Anfang an Druck machen werden, weil er jemanden wie Vincent Luis loswerden will. Ich erwarte ein extrem aggressives Rennen. Obwohl es eigentlich dazu einlädt, taktisch vorzugehen, wird die 20-Meter-Regel dafür sorgen, dass man so ein Rennen auch von vorne gewinnen kann. Das werden einige probieren. Gleichzeitig wird es durch Leute wie Lionel Sanders, Sam Long, Andi Dreitz und hoffentlich auch mich von hinten einen unheimlichen Druck geben. Es wird viel Bewegung drin sein. Beim Laufen wird es einige Opfer durch das harte Radfahren geben.
Die Corona-Pandemie rollt derzeit in einer zweiten Welle um den Globus. Mit was für einem Gefühl bist du in die USA gereist?
Durchaus mit sehr gemischten Gefühlen. Man fragt sich, ob das jetzt in dieser Zeit sein muss. Auf der anderen Seite ist es so: Wir hatten drei große Landesrundfahrten – Tour de France, Giro, Vuelta – wir haben Biathlon-Rennen, wir hatten die ganze Zeit Fußball. So ziemlich jeder andere Sport läuft. Du schaust dir das als Profi alles im Fernsehen an und bist traurig, dass wir eigentlich gar keine Möglichkeit hatten, Rennen zu machen. Ich hatte Tallinn, das war es eigentlich. Dementsprechend bin ich auf der anderen Seite auch mit Vorfreude in die USA gereist und glaube, dass es weniger darauf ankommt, wo man sich bewegt, sondern wie. Das liegt in meiner eigenen Hand. Das Rennen komplett in der Arena machen zu können, ist sicher ein Vorteil. Das Konzept ist sehr gut: Corona-Test vor der Abreise und noch einmal im Hotel. Ansonsten bewegen wir uns nicht groß aus dem Hotel heraus. Daher habe ich kein schlechtes Gefühl, aber natürlich wären mir andere Umstände auch lieber gewesen.
„Für Laura Philipp kann das ihr erster großer Sieg werden.“
Sebastian Kienle
Letzte Frage und ein kleiner Themenwechsel: Wer gewinnt das Frauenrennen?
Das wird auch sehr interessant. Wenn Nicola Spirig bei so einem Rennen startet, muss man sie als Favoritin mit auf dem Schirm haben. Aus unserer Trainingsgruppe ist Laura Philipp, die auch schon im letzten Jahr nur wenige Rennen machen konnte, wahnsinnig heiß auf das Rennen und unheimlich fit. Wenn sie ihre Nerven im Griff hat, kann das ihr erster großer Sieg werden.