Sebastian Kienle, wie erlebst du die aktuelle Situation und wie denkst du darüber, dass der Wettkampfsommer wohl komplett ausfallen wird?
In diesen Tagen ist alles relativ. Meiner Familie geht es gut und wir konnten und können zum Beispiel im Gegensatz zu den Menschen in Spanien und Italien im Freien Sport machen. Das weiß ich unheimlich zu schätzen. Am meisten macht mir, wie allen anderen auch, die Unsicherheit zu schaffen. Logischerweise gibt es für die Menschheit gerade größere Probleme als Wettkampfsport. Aber gleichzeitig zeigt sich, wie wichtig es ist, fit zu sein und sich zu bewegen, nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gesellschaft.
Wie versuchst du die Motivation in dieser schwierigen Phase trotzdem aufrecht zu erhalten?
Ich versuche es erst gar nicht, die Motivation zwanghaft aufrecht zu erhalten. Jetzt mal keine Lust zu haben, ist kein Problem. Wenn es dieses Jahr noch Rennen geben wird, dann eher ab Oktober. Da ist es eher weniger sinnvoll, im Juni in Topform zu sein. Die Siege bei den Online-Rennen und Stava-KOMs können gern die anderen holen.
Wie sieht dein Trainingsalltag zurzeit aus?
Im Moment trainiere ich rund 20 bis 25 Stunden in der Woche. Wir haben eine gute Mischung aus Dingen gefunden, die mir Spaß machen, wie zum Beispiel Ausfahrten auf dem Crossrad und Einheiten, die mich hoffentlich darauf vorbereiten, später im Jahr nochmal richtig in Topform zu sein.
Nutzt du diese Phase auch, um speziell an Baustellen zu arbeiten, für die zu diesem Zeitpunkt des Jahres vielleicht keine Zeit mehr gewesen wäre?
Auf jeden Fall. Es ist eine große Chance, so eine lange Phase zu haben, in der man sich wirklich darauf konzentrieren kann, ein besserer Athlet zu werden. Sonst denkt man oft von Rennen zu Rennen. Wir machen sehr viel in Sachen Mobilität für meinen Rücken, was schon immer eine Schwachstelle von mir gewesen ist. Auch das Lauftraining kann ich jetzt zum ersten Mal seit Jahren ohne den Druck anstehender Rennen aufbauen. Der mentale Bereich spielt im Moment ebenfalls eine große Rolle.
Wie hat sich deine Hüftverletzung entwickelt, mit der du zum Ende des Jahres zu kämpfen hattest? Bist du mittlerweile wieder im einigermaßen „normalen“ Lauftraining?
Die Hüfte hat sich sehr gut entwickelt. Während wir auf dem Rad den Umfang doch sehr niedrig halten, laufe ich so viel wie seit Jahren nicht mehr. Trotzdem sind wir vorsichtig: Es gäbe wohl nichts Schlimmeres, als eine abermalige Verletzung später im Jahr zu riskieren.
Steckst du dir, wie Jan Frodeno, eigene Wettkampfziele? Ist bei dir auch ein Triathlon zu Hause geplant?
Nein, ganz sicher nicht. Für jemanden, der tatsächlich nicht draußen Sport machen darf, ist so etwas noch eher verständlich. Bei uns darf man ja zum Glück noch raus. Über meinen Partner 2peak werde ich die Chance nutzen, ein paar Tests auf dem Rad zu fahren. Bald werde ich da mal ein 100 Kilometer Zeitfahren mitmachen, vor allem um weiter an meiner Position und dem Material zu arbeiten.
Auch in Zeiten der Corona-Krise bist du nach wie vor immer wieder für einen Scherz zu haben, wie auch der Blick auf dein Instagram-Profil zeigt, auf dem du dich vor ein paar Tagen auf einem Hollandrad hast ablichten lassen. Wie wichtig ist dir Humor auch, oder vielleicht gerade eben, in diesen angespannten Wochen?
Das Leben sollte mehr sein, als nur möglichst lang auf den Tod zu warten. Auch ich habe schlechte Tage und mache mir Sorgen, aber es liegt an einem selbst, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Diese Einstellung probiere ich auch nach außen zu tragen, eine der wenigen systemrelevanten Dinge, die man zurzeit als Profisportler tun kann.