Donnerstag, 2. Mai 2024

Ironman-WM für Frauen: Mama macht heute Sport, ganz selbstverständlich

Zum ersten Mal findet die Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii nur für die Frauen statt. Nur für die Frauen? Die Rennwoche erzählt eine andere Geschichte. Beobachtungen aus Kailua-Kona.

Frank Wechsel / spomedis Eine Familie beim Check-in vor dem Ironman Hawaii 2023.

18. Februar 1978. 15 Mutige treten in den frühen Morgenstunden am Waikiki Beach, dem berühmten Strand von Honolulu auf der hawaiianischen Insel Oahu, zum Abenteuer ihres Lebens an. Zu einem Abenteuer, das bis heute Hundertausende inspiriert hat, es ihnen gleichzutun. Zuvor hatten sie nach einem Streit darüber, welches der drei großen Ausdauersportevents der Insel wohl das härteste sei, entschieden, die drei Distanzen hintereinander zu absolvieren: das 3,86 Kilometer lange Waikiki Roughwater Swim, das 180,2 Kilometer lange Round Oahu Bike Race und den 42,195 Kilometer langen Honolulu-Marathon. „And whoever finishes first“, soll der Navy-Commander John Collins schließlich statuiert haben, „We’ll call him the Iron Man!“ Eine Legende wurden geboren. Die Legende vom eisernen Mann.

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Lyn Lemaire, die erste eiserne Lady

Dabei war für die Premiere auch eine Frau gemeldet: Johns Frau Judy Collins wollte ebenfalls am Rennen teilnehmen, fühlte sich kurz vor dem Raceday aber nicht wohl und zog die Anmeldung am Tag vor der Premiere zurück. Ein Jahr später ging mit Lyn Lemaire die erste Frau an den Start. Nicht nur das: Die Radfahrerin arbeitete sich in der zweiten Disziplin auf den zweiten Platz vor, finishte am Ende als Fünfte unter 14 Männern und wurde die erste Eisenfrau.

Der Ironman blieb die kleine jährliche Freakshow, bevor eine Frau ihn in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte: Julie Moss brach 1982 wenige Meter vor dem Ziel zusammen – und vor den laufenden TV-Kameras. Ihr Körper wollte nicht mehr, ihr Kampfgeist schleppte sie über die Finish Line. Die Bilder von „The Crawl“ gingen um die Welt und zogen Triathleten aus nah und fern an. Und Triathletinnen.

Die Frauen gehörten einfach dazu, ganz selbstverständlich, trotz des einseitigen und bis heute nicht gegenderten Namens der Veranstaltung. Schon 1986 wurde das Preisgeld beider Geschlechter angeglichen. Eine Sensation, hatten doch erst zwei Jahre zuvor die Frauen in Los Angeles ihren ersten olympischen Marathon bekommen. Was immer noch früh war im Vergleich zu den Schwimmerinnen, die erst 2021 bei den Olympischen Spielen von Tokio über 1.500 Meter Freistil antreten durften. Bei Tennisturnieren spielen noch heute die Männer über fünf, die Frauen über drei Sätze. Frauen-Basketbälle sind kleiner als die der Männer, Volleyballnetze hängen tiefer.

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Gleiche Wellen, gleicher Wind

Im Triathlon und insbesondere im Ironman gibt es diese Unterschiede nicht. Die Wellen des Pazifik sind für beide Geschlechter gleich, der Mumuku bläst ihnen mit der gleiche erbarmungslosen Hitze entgegen. Die fiese Steigung aus dem Natural Energy Lab, wenn die Beine schmerzen und der Kopf dröhnt, ist für alle gleich. Allein die Aufmerksamkeit: bisher nicht.

Bei den bisherigen Ironman-Weltmeisterschaften auf Hawaii standen die Frauen stets im Schatten der Männer. Dave Scott und Mark Allen haben das Rennen je sechsmal gewonnen, wie jeder weiß. Genauso oft übrigens wie die Schweizerin Natascha Badmann – und Paula Newby-Fraser hat es sogar noch zweimal häufiger getan, wie nicht jeder weiß. Wenn wir nach dem ersten Zieleinlauf den ersten Rennbericht der Männer veröffentlicht haben, kam zwar schnell auf irgendeinem Social-Media-Kanal der vorwurfsvolle Kommentar: „Und Frauen waren etwa nicht am Start?“ Als wir eine Stunde später den Rennbericht der Frauen genauso unmittelbar nach ihrem Zieleinlauf veröffentlicht haben, erhielt dieser in der Summe jedoch oft nur halb so viele Klicks. Und das, obwohl viele das Frauenrennen im Livestream oder TV gar nicht zu Ende verfolgt haben. Auch bei unseren einige Jahre lang ausgetragenen langen Hawaii-Nächten leerten sich die Räume bald nach dem Männer-Finish. „Ich dachte, das Rennen wäre heute … So viel interessiert mich das“, kommentierte ein Mann vor einer Woche auf unserer Facebook-Seite und sprach damit Bände.

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Gemeinsamkeit statt Schwanzvergleich

In dieser Woche und an diesem Ort ist das anders. Nach der geteilten Aufmerksamkeit der ersten 45 Jahre der Ironman-Geschichte gibt es nun die exklusive. Nicht nur am Renntag, sondern in der ganzen Rennwoche. Als Mann habe ich mich beim Hoala Swim, dem Testevent auf der Ironmanstrecke eine Woche vor der WM, genauso gefühlt, wie sich frau wohl bei vielen Triathlons in Europa fühlen wird: in der deutlichen Minderheit. Hier in Kona dreht sich alles um die Triathletin, und das ist überall spürbar. Es ist bunter, entspannter, vorfreudiger. Gemeinsamkeit statt Schwanzvergleich. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich das Teilnehmerfeld ganz anders zusammensetzt. Bei dieser Weltmeisterschaft, die in der Spitze so stark besetzt ist wie selten zuvor – und in der Breite so weit gefächert wie selten zuvor.

2.133 Wahines

Denn es sind nicht nur die durchtrainiertesten Frauen der Welt am Start. Die, deren Körperfettanteil bei unter zehn Prozent und deren Rad bei über zehn Riesen angesiedelt ist. Die Beruf und Familie hinter allem Training zurückstellen. Der Ironman auf Hawaii wird die größte Weltmeisterschaft der Frauen aller bisherigen Zeiten, mit 2.100 Wahines, wie sie hier genannt werden, noch einmal 50 Prozent größer als beim postpandemischen Zweitagesrennen vor einem Jahr. Und sicher sind auch die Allerbesten aller Agegroups am Start. Die, die um die Weltmeistertitel in den Agegroups kämpfen. Aber eben auch jene, die nie im Leben damit gerechnet hätten, sich einmal für den Ironman auf Hawaii zu „qualifizieren“. Die in Frankfurt, Hamburg, Klagenfurt 12, 13, 14 oder mehr Stunden unterwegs waren. Für die das Finish auf dem Alii Drive alles andere als selbstverständlich ist.

Vier von fünf gemeldeten Frauen sind hier zum ersten Mal am Start, nicht alle 2.133 werden das Ziel erreichen. Aber alle werden hinterher eine Geschichte zu erzählen haben. Sie werden erzählen, wie sie Job und Familie und Training und alles andere gemanagt haben, um ihren Traum zu leben. Vielleicht auch, wie sie gescheitert sind, was sie daraus gelernt haben für die Zukunft. Sie werden inspirieren, wie es Lyn Lemaire, Julie Moss und Natascha Badmann einst getan haben. Und das kann dem Sport, einem Sport, deren Frauenanteil in Europa nur knapp im zweistelligen Prozentbereich angesiedelt ist, nur guttun (auch wenn das manchem ach so eisernen Mann nicht gefällt).

19 verschiedene Frauen haben den Ironman Hawaii bisher gewonnen. Nur zwei von ihnen waren Mütter. Um die Kinder hier vor Ort kümmern sich die Väter. Mama macht heute Sport. Ganz selbstverständlich, egal ob das Rennen Ironman oder Ironwoman heißt. Wir haben in dieser Rennwoche schon viele stolze Gesichter gesehen auf Big Island. Von den Frauen, die es hierher geschafft haben, die hier antreten werden, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Und von den Männern, die morgens am Pier stehen, auf Klamotten und Kinder aufpassen und es genießen, Mann zu sein, ohne Eisenmann werden zu müssen. Vielleicht fehlten der Männer-WM in Nizza vor fünf Wochen die Frauen. Die Männer fehlen hier auf Hawaii irgendwie nicht.

Frank Wechsel / spomedis Aufbauarbeiten am Zieltor am Abend vor der ersten Ironman-WM, an der nur Frauen teilnehmen werden.

„Anything is possible“ ist der Slogan der Veranstaltung, und dass alles möglich ist, werden die vielen Teilnehmerinnen ab Sonntag in die Welt hinaustragen. Dass eine Rennwoche wie diese überhaupt möglich sein würde, ist ein Verdienst aller Frauen, die diesen Sport lieben und leben. Nun ist er gekommen, der große Moment, der den Frauensport auf ein neues Level heben wird. Lights, Camera, Action: Es ist Showtime!

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5 Kommentare

  1. Sehr schöner Artikel! Ohne selbst Triathletin zu sein, fand ich Debatte darum, dass vermeintlich nicht nur „die besten“ an den Start gehen im Vorfeld ein bisschen übertrieben. Zum einen, wenn jemand „besseres“ in der AK seinen Startplatz nicht will, warum sollte man dann selbst auf ein vllt einmaliges Erlebnis verzichten?! Zum anderen und das ist der gewichtigere Punkt: die Ironmanrennen sind unglaublich unterschiedlich. Wenn jemand in Nizza 1. in der AK wurde und jemand in Hamburg, würde ich persönlich immer davon ausgehen, dass die Person aus Nizza die „bessere“ ist, weil der Kurs schwieriger ist. Worauf ich hinaus will, ist der Punkt, dass dieses bashing der Teilnehmerinnen, weil sie vllt vermeintlich nicht „die besten“ seien und man gegen solche ja gar nicht antreten wolle, total überflüssig und aus meiner Sicht auch sehr neidbehaftet ist. Lasst die Teilnehmerinnen ihren Traum leben. Das einzige Argument, das ich zählen lassen würde, wäre das Thema des Zeitlimits. Dass man halt davon ausgehen kann, wenn jemand in Hamburg bei den Letzten ist, ein Finish auf Hawaii vllt unrealistisch ist, wobei ich das nicht beurteilen kann.
    So, das war mein Wort zum Sonntag 😉
    Auf ein spannendes Rennen!

  2. Toller Artikel, dankeschön! Spricht mir aus dem Herzen. Als grüner Feminist bin ich wirklich stolz, einen der gleichberechtigsten Sportarten auf diesem Planeten ausüben zu dürfen. Eigentlich saugeil: Ich kann mich mit meinen „ewigen männlichen Gegnern“ in der AK 50 beim Jedermann Triathlon „schwanzvergleichen“ nach Lust und Testosteron-Laune, und eben auch auf diesen unvergleichlichlichen Wettkampf heute abend hinfiebern – mach ich seit 3 Wochen – und natürlich wird bis 3:30 morgens geguckt – und vielleicht sogar vor Freude und/oder Schmerz geheult. Aloha & mahalo!

  3. Mahalo für diesen tollen Artikel! Wir haben das Hawaii-Abenteuer 2010 und 2016 mit unseren Kindern gemeinsam erleben dürfen (2010 waren sie 4 und 7 Jahre alt) und es hat die ganze Familie geprägt. Alle reden immer noch und immer wieder mal davon und das war nur möglich, weil alle mitgezogen haben. Immer wieder haben mich alle bestärkt: „Mama, geh trainieren, wir möchten wieder nach Hawaii“. Allen voran auch mein Mann, ohne den das Training und das Rennen garnicht möglich gewesen wäre. All das kam beim Lesen des Artikels wieder hoch und ich denke heute ganz besonders an all diese Frauen und Familien und wünsche allen das Rennen ihres Lebens und genauso tolle Erfahrungen, die ein Leben lang bleiben!
    Schade nur, dass es dafür erst eine Trennung des Rennens brauchte, aber gut, dass die Chance einfach genutzt wird!
    Bleibt abzuwarten, ob Nizza die gleiche Fazination ausüben kann…
    Aloha nach Hawaii🌺

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Frank Wechsel
Frank Wechsel
Frank Wechsel ist Herausgeber der Zeitschriften SWIM und triathlon. Schon während seines Medizinstudiums gründete er im Oktober 2000 zusammen mit Silke Insel den spomedis-Verlag. Frank Wechsel ist zehnfacher Langdistanz-Finisher im Triathlon – 1996 absolvierte er erfolgreich den Ironman auf Hawaii.

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