Fünf Jahre nach seinem ersten Triathlon steht René Maier vor seinem größten Abenteuer in dieser Sportart. Der 55-Jährige darf bei der Ironman-70.3-Weltmeisterschaft in St. George im US-Bundesstaat Utah starten. Damit gehört der Immenstädter bei dem Wettbewerb am 28. und 29. Oktober zu einem erlesenen Kreis: René Maier ist linksseitig unterschenkelamputiert und startet in der PC Open/Exhibition Division. Zu diesem Teilnehmerfeld gehören bei der Mitteldistanz-WM insgesamt nur fünf Athleten, die über ein Losverfahren ermittelt wurden. Neben dem Deutschen sind drei Sportler aus den USA und ein Ägypter in der Klasse der körperlich eingeschränkten Athleten dabei.
Maier kommt durch seine Frau zum Triathlon
Um überhaupt eine Chance zu haben, in den Lostopf zu wandern, müssen die körperlich eingeschränkten Sportler nachweisen, dass sie die erforderliche Distanz absolviert haben. Bei Maier war das kein Problem. Nach seinem Triathlondebüt 2017 bei einer olympischen Distanz packte ihn der Ehrgeiz. „Meine Frau Irmi hat 2015 mit Triathlon begonnen. Ich bin beruflich viel unterwegs und habe sie nur am Wochenende sehen können – da hat sie aber trainiert. Also habe ich mir gedacht, es kann nicht sein, dass ich sie kaum sehe und beschlossen, ebenfalls Triathlon zu machen“, so Maier, der ursprünglich vom Mountainbiken kommt. „Ich habe mir also eine Sportprothese bauen lassen. Als kleines Geschenk hat mir meine Frau dann den Startplatz bei der olympischen Distanz geschenkt, obwohl ich eigentlich gar keinen Wettkampfsport betreiben wollte. Dann habe ich aber Blut geleckt.“
Unbeschreibliche Emotionen nach erstem Langdistanzfinish
Nach der Premiere und einigen Aufforderungen, doch auf die Langdistanz zu gehen, folgte zunächst ein Zwischenschritt. „Ich wollte zunächst einmal sicherstellen, dass ich überhaupt einen Marathon absolvieren kann“, betont Maier. Seine Frau schenkte ihm schließlich einen Startplatz für den New York Marathon, den René Maier erfolgreich bestritt. Nach einer Mitteldistanz in Luxemburg und vier weiteren olympischen Distanzen folgte 2019 der große Tag. Beim Ironman Emilia Romagna feierte der selbstständige Unternehmer für Produktsicherheit seine Premiere über die volle Distanz. „Dabei habe ich Emotionen erlebt, die lassen sich kaum beschreiben. Was für eine Nummer an der Finish Line, das war der Hammer“, so Maier. Seine Zielzeit: 14:13:02 Stunden. „Ich habe mich schließlich für den Ironman Frankfurt angemeldet, der Anreiz war, es schneller als 14 Stunden zu schaffen. Doch dann kam die Coronapandemie.“
Veranstalter und Irmi helfen Maier mit gesondertem Support
Seither fiebert er dem Rennen in Hessen entgegen. „Ich kann mich bei Wettkämpfen normal anmelden, benötige aber an der Strecke gesonderten Support“, erklärt der 55-Jährige die besonderen Bedingungen. „Je nach den Gegebenheiten vor Ort muss ich gegebenenfalls mit Krücken ins Wasser laufen, die muss dann während des Schwimmens jemand übernehmen und mir beim Ausstieg aus dem Wasser wieder überreichen, weil ich ja teilweise größere Distanzen bis zur Wechselzone zurücklegen muss. Vonseiten der Veranstalter war das bisher aber kein Problem.“ In der ersten Disziplin verzichtet der Immensädter auf eine Prothese. „Die macht einen nur unnötig langsam“, verdeutlicht Maier. „In der Wechselzone ziehe ich dann zunächst die Prothese für das Radfahren an, vor dem Laufen wechsel ich dann zu der spezifischen Laufprothese.“
Laufen mit Prothese: eine mentale Herausforderung
In der dritten Disziplin kommt eine Feder zum Einsatz, die man aus Bildern der Leichtathletik, etwa von den Paralympischen Spielen kennt. „Die wird nach Gewichtsklassen gekauft und besitzt eine Toleranz von ungefähr zehn Kilogramm“, erklärt René Maier. Die Schwierigkeiten: Das linke Bein ist mit Prothese vier Zentimeter länger als das rechte. „Und es ermüdet nicht, sondern bleibt immer bei 100 Prozent. Ich muss also mit dem Kopf die ganze Zeit richtig wach dabeibleiben, auch um Unebenheiten sofort erkennen zu können“, verdeutlicht Maier die Herausforderungen. „Ich bin aber in all den Jahren noch nicht einmal gestürzt.“
Autounfall führt zur Amputation
Seinen Unterschenkel hat René Maier vor 35 Jahren verloren. Bei einem Autounfall auf der Landstraße im Wald. „Es war Sekundenschlaf am Steuer. Eine Zahnarzthelferin hat Erste Hilfe geleistet und mir so das Leben gerettet. Ich war eigentlich trotzdem schon über dem Jordan. Flatline im Rettungswagen. Im Krankenhaus hat man mir den linken Unterschenkel amputiert, die medizinische Versorgung war eben noch eine andere als heutzutage. Aber ich habe nach dem Aufwachen sofort neue Pläne geschmiedet und überlegt, was ich machen kann“, berichtet Maier. „Ich habe dann beschlossen, mit Freunden Mountainbike zu fahren. Eine unserer ersten Touren führte über die Alpen, in Baumwollkleidung, mit 20 Kilogramm Gepäck und ohne ausgearbeitete Route. Plötzlich waren wir in Italien.“
„Ein Platz auf dem Stockerl wäre schön“
Der Unternehmer beginnt, als Spinningtrainer zu arbeiten und lernt bei einem Workshop 2003 Irmi kennen. Zehn Jahre später heiraten die beiden, anschließend tritt Triathlon in ihr Leben. Und auch das größte sportliche Abenteuer bestreiten sie zusammen: Irmi hat sich beim Ironman 70.3 Luxemburg für die Mitteldistanz-Weltmeisterschaft in Utah qualifiziert. Maiers Zielsetzung für die WM ist klar. Er möchte im Bereich von sechs Stunden bleiben. „Wenn ich bei Rennen starte, dann ist selten jemand anderes mit einem ähnlichen Handicap dabei. Handbiker sind ja eine eigene Kategorie. Daher sind Leistungsvergleiche mit anderen Sportlern mit ähnlichen Einschränkungen schwierig“, so Maier. „Ich kenne die Konkurrenz zwar nicht, aber ein Platz auf dem Stockerl wäre in Utah schon schön.“