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Boris Stein nach seinem Karriereende: „Die Entwicklung im Mittel- und Langdistanztriathlon ist nicht besonders gut“

spomedis

Genau beziffern, wie oft er bei einem Triathlon am Start war, kann Boris Stein nicht. „Das müssten so 50 bis 70 Rennen gewesen sein“, erklärt der 38-Jährige. Zwölf Jahre lang war er im Profizirkus aktiv, unter anderem zweimaliger Deutscher Meister über die Mitteldistanz, er landete drei Top-Ten-Platzierungen bei der Ironman-Weltmeisterschaft auf Hawaii, ist dreifacher Ironman-Gewinner und sechsmaliger Ironman-70.3-Sieger – darunter Europameister über die Mitteldistanz im Jahr 2015 in Wiesbaden. Mit seinem 16. Platz beim Ironman Israel am 25. November 2022 hat er seine Profikarriere beendet. Auf tri-mag.de spricht der Rheinland-Pfälzer über sein Karriereende, die Entwicklung im Triathlon und seine Zukunft abseits des Sports.

Boris Stein, mit dem Ironman Israel hast du deine aktive Profikarriere beendet. Zu welchem Zeitpunkt hast du dich erstmals mit dem Gedanken beschäftigt und wie gut konntest du dich auch mental auf dein Karriereende vorbereiten?
Die Entscheidung ist schon im November, Dezember 2021 in meinem Hinterkopf gereift, als meine beiden Hauptsponsoren mir mitgeteilt haben, dass sie mit mir nicht mehr weiterarbeiten werden. Ich habe dann zu Beginn des Jahres zwar versucht, alles auf andere Beine zu stellen, das ist mir aber nicht gelungen. Insofern war klar, dass ich in diesem Jahr Ergebnisse liefern muss, um mein Profitum zu finanzieren. Die kamen allerdings nicht. Nach meinem achten Platz bei der Ironman-EM in Frankfurt habe ich dann die Entscheidung getroffen, meine Karriere als Profisportler zu beenden. Seitdem hatte ich Zeit, mich mit dem Gedanken anzufreunden. Daher kam diese Situation auch nicht so plötzlich. Für mich stellt sie keinen besonderen Umbruch dar.

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Du hast gerade deine Sponsoren erwähnt. Inwiefern war die Trennung vorhersehbar?
Ein Faktor für diese Entwicklung war möglicherweise die Entwicklung durch die Coronapandemie. Aber ein anderer Faktor war ganz offensichtlich, dass ich in den vergangenen Jahren nicht mehr die Erfolge vorweisen konnte, die ich vorher hatte. Der dritte Faktor war der, dass sich die Einnahmesituation im Triathlon verändert hat. Von langfristigen Partnerschaften geht es hin zu kurzfristigen Aktivitäten, die meist über Social Media stattfinden. Triathlon entwickelt sich derzeit dahin, dass ich den Eindruck habe, dass es für die Athleten, die noch nicht die großen Erfolge haben, schwer ist, längerfristige Sponsorenverträge zu bekommen. Es läuft einfach mittlerweile viel über Social Media und kurzfristige Angebote. Für mich und meine Familie war es auch schwierig, eine langfristige Planung aufzustellen. Das wollte ich auf Dauer nicht.

Wann wirst du realisieren, was diese Entscheidung für dich genau bedeutet? Oder hast du die Situation bereits komplett verinnerlicht?
Ich denke schon, dass ich das realisiert habe. Beziehungsweise ist dieser Prozess gerade in vollem Gange. Triathlonprofi zu werden, war damals ja keine Flucht aus meinem Lehrerberuf, sondern die einmalige Chance, das in dieser Lebensphase zu machen. Ich war vorher gern Lehrer und möchte es auch gern wieder sein. 

Du hast vorhin die finanzielle Entwicklung im Triathlon angesprochen. Zuletzt hat die Entscheidung Ironmans, die WM für Männer und Frauen an unterschiedlichen Orten getrennt voneinander auszutragen und Hawaii zumindest teilweise zu verlassen, hohe Wellen geschlagen. Wie schätzt du insgesamt die Entwicklung ein?
Die Spatzen hatten es schon von den Dächern gepfiffen. Ich habe jetzt einen gewissen Abstand zu den Dingen und kann da relativ entspannt drauf blicken. Aber ich kann nicht sagen, dass ich momentan mit Freude auf die ganze Entwicklung im Mittel- und Langdistanztriathlon blicke. Ich war lange Zeit ein Teil davon und bin sogar ein wenig traurig, dass es meiner Generation und mir als Athleten nicht gelungen ist, die Bedingungen für Profis im Allgemeinen und insbesondere junge Profis zu verbessern. Das muss man einfach sagen: Die Bedingungen für junge Profis sind momentan sogar schwieriger als zu meiner Zeit. Damals konnte man sich mit guten Ergebnissen finanzieren. Das geht aktuell zwar in gewissem Maße auch noch, aber es ist bedeutend schwieriger, gute Ergebnisse zu erzielen. Gerade für junge Athleten ist es auch viel schwieriger, einen langfristigen Vertrag und Planungssicherheit zu bekommen. Da ist es meiner Generation und mir leider nicht gelungen, positiven Einfluss auszuüben. 

Ist das nicht eher eine Entwicklung, die daraus resultiert, dass so viele starke Athleten, auch junge, unterwegs sind?
Das ist zwar ein Teil der Entwicklung, dass es eine extreme Breite an starken Athleten gibt. Der andere Teil ist aber, dass sich die Verdienstmöglichkeiten nicht verbessert haben in den vergangenen Jahren. Bevor ich Profi geworden bin, bin ich im Jahr 2010 als Agegrouper beim Ironman 70.3 in Wiesbaden Gesamtfünfter geworden. Damit hätte ich damals 4.000 US-Dollar verdient – wenn ich eine Profilizenz gehabt hätte. Aber mit einem fünften Platz bei einer 70.3-Kontinentalmeisterschaft verdient man heute keine 4.000 US-Dollar mehr, das kann ich mit Sicherheit sagen. Es ist eine traurige Entwicklung.

Wie siehst du dann das auch finanzielle Engagement der Professional Triathletes Organisation?
Für Nachwuchsathleten gibt es dort eine Hürde, um überhaupt reinzukommen. Die meisten Athleten, die bei den Rennen der PTO Geld verdienen, sind ohnehin auf einem Niveau, bei dem man sagen kann, dass sie den Sprung schon geschafft haben. Es geht mir um die Stufe darunter, dass diese Athleten Planungssicherheit bekommen, für gute Ergebnisse entlohnt werden und nicht nur gerade die Reisekosten raus haben.

Nach dieser Einschätzung: Was wirst du am Profileben vermissen?
Das Reisen zumindest nur bedingt. Es ging vorwiegend darum zu trainieren und die Wettkämpfe zu bestreiten. Land und Leute kennenlernen kam relativ wenig vor, weil das keine Priorität besaß. Der erste Unterschied, den ich allerdings als Profi erkannt habe, war das Privileg, ausreichend Schlaf zu erhalten. Weil Schlaf quasi leistungsfördernd ist. So hatte ich immer eine gute Ausrede, dass ich Mittagsschlaf machen und nachts acht Stunden schlafen muss. Als Familienvater bin ich meiner Frau sehr dankbar, dass sie mich da unterstützt hat. Ansonsten wird der Kontakt zu Athleten, mit denen ich viel Zeit verbracht habe und mit denen ich mich gut verstehe, sicherlich bestehen bleiben.

Was wirst du überhaupt nicht vermissen?
Ich habe schon angedeutet, dass ich den Triathlonzirkus in einer Zeit verlasse, in der die Entwicklung auf der Mittel- und Langdistanz nicht besonders gut ist. Ganz aktuell ist die Diskussion auch, wie man Regeln im Triathlon umsetzt. In Israel zum Beispiel hatten wir keinen Kampfrichter auf der Strecke. Wenn man aber nach Hawaii oder St. George kommt, sind plötzlich Kampfrichter da. Dann ist der eine oder andere vielleicht überfordert mit der Situation. Die willkürliche Anwendung der Regeln werde ich dabei definitiv nicht vermissen. Einer der Gründe meines Rücktritts ist allerdings auch der Abschiedsschmerz von der Familie, wenn es ins Trainingslager ging. Ich habe zwei Töchter, eine ist fünf Jahre, die andere neun Monate alt. Wenn die jüngere zwei Tage benötigt, um sich nach einem Trainingslager wieder an einen zu gewöhnen, kann das schon hart sein.

Bist du froh, diesen Leistungsdruck nicht mehr zu haben, oder hat er dich eher angetrieben?
Das war ein Antrieb im Training. Ich habe das immer genossen. Keiner hat mich gezwungen, morgens um sechs Uhr aufzustehen und ins Schwimmbad zu gehen. Umso lieber habe ich es gemacht. Aber ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass dieses Jahr in St. George einer der Gründe für die Panikattacke beim Schwimmen war, dass ich mir selbst so großen Druck gemacht habe. Das konnte ich nicht handeln. Solche Momente waren in den vergangenen Jahren aber sehr selten.

Was war der schönste Moment deiner Karriere?
Das kann ich gar nicht sagen. Wenn ich merke, dass es im Training gut läuft – diesen Prozess liebe ich. Wenn ich feststelle, dass ich mich verbessere, dass die ganze Arbeit, die man investiert, Früchte trägt. Das muss gar nicht im Wettkampf sein. Das ist aber grundsätzlich ein schöner Moment und ich habe lieber viele dieser schönen Momente. So macht das Training Spaß. Im Wettkampf hat man dann häufig auch diese Genugtuung. 

Gibt es einen schwarzen Moment in deiner Karriere, den du dir gern erspart hättest?
Da fällt mir nicht viel ein. Meist sind das Momente, die dafür sorgen, dass man im Anschluss etwas anders macht und sich entwickelt. In der Zeit, in der ich viele Verletzungen hatte, habe ich für mich den Anspruch entwickelt, daraus zu lernen und mein Training zu optimieren.

Wie sieht deine Zukunft nach der Profikarriere aus?
Ich gehe jetzt im Dezember zurück in den Lehrerberuf an einem Gymnasium in den Fächern Sport und Sozialkunde beziehungsweise Politik und Wirtschaft. Es wird ein relativ sanfter Einstieg, weil ich jemanden vertrete, der in Elternzeit ist. Der Job hat mir schon vor meiner Profikarriere Spaß gemacht. Einen Plan B gibt es vorerst nicht, weil ich eigentlich immer relativ gut damit gefahren bin, nur einen Plan A zu haben und dort meine ganze Energie zu investieren. Ich glaube auch daran, dass ich da glücklich werde. 

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13 Kommentare

  1. Ich bin auch Lehrer und habe den Triathlon aus gesundheitlichen Gründen angefangen – es macht mir sehr viel Spaß und ich finishe die Sprint Distanz mittlerweile mit einer mittleren Platzierung. Demnächst werde ich den „Olymp“ probieren, die OD. Meinen Respekt für so eine Karriere! Motiviere die Jugend und starte ab und zu noch! Triathlon zu betreiben ist maximale Fitness im Ausdauerbereich und auch nachhaltige Bewegung: viele Alltagsstrecken bewältige ich mit dem Rad oder auch laufend.

  2. Cooler Typ auf jeden Fall.
    Als Agegrouper wird er bestimmt noch einige Feigen verteilen.

    Aber dennoch zwei kritische Anmerkungen:
    Finanziell ist Triathlon-Profi nun wirklich nicht attraktiv. Ohne Sponsoren und Förderung ist das Ganze ein Minusgeschäft.
    Stets ins Ranking zu kommen ist utopisch.
    Zweitens sehe ich die Entwicklung auf MD und LD optimistisch entgegen. Die „Quereinsteiger“ bzw. „Aufsteiger“ von den kürzeren Distanzen zeigen es hervorragend, dass die Qualität nicht leiden muss. Im Gegenteil, man muss die Spezialisten sogar fürchten und so mancher sollte sich dabei überlegen – nicht nur aufgrund des Alters -, es Boris Stein es gleich zu tun.

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Bengt Lüdke
Bengt Lüdke
Bengt-Jendrik Lüdke ist Redakteur bei triathlon. Der Sportwissenschaftler volontierte nach seinem Studium bei einem der größten Verlage in Norddeutschland und arbeitete dort vor seinem Wechsel zu spomedis elf Jahre im Sportressort. In seiner Freizeit trifft man ihn in Laufschuhen an der Alster, auf dem Rad an der Elbe – oder sogar manchmal im Schwimmbecken.

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