Freitag, 26. April 2024

Die Protagonisten im Männer-Rennen: 15 Favoriten im Check

Die laufstarke Überraschungstüte aus den USA

Paul Higgins

Matt Hanson (36, USA) gehört zu den Athleten, die bei großen Rennen meist erst im letzten Drittel des Wettkampfes zu sehen sind. Der US-Amerikaner muss beim Schwimmen im Normalfall sowohl bei den Mitteldistanz- als auch bei den Langdistanz-Rennen einen Rückstand von mehreren Minuten auf die Spitze hinnehmen. Während Hanson auf dem Rad als solide, aber nicht besonders stark einzuschätzen ist, kommt seine große Stärke beim Laufen zur Geltung. Bei seinem Sieg des Ironman Texas 2017 absolvierte Hanson den Marathon in 2:34:40 Minuten und lieferte in den vergangenen Jahren bei einer Vielzahl von Rennen die schnellsten Laufsplits des Tages ab. Aus diesem Grunde ist der 36-Jährige stets sehr abhängig davon, an welcher Position er vom Rad steigt und wie viel er bis zu diesem Zeitpunkt investieren muss. Ist Hanson in St. George auf dem Rad bereits deutlich abgeschlagen oder sogar alleine unterwegs, wird wohl auch seine Laufstärke nicht reichen, um es in die einstelligen Ränge zu schaffen. Von daher wird die erste kleine Vorentscheidung für den fünffachen Ironman-Sieger bereits beim Schwimmen fallen. Erwischt Hanson nach einem soliden Schwimmen eine harmonische Radgruppe, die nicht allzu viel Zeit nach vorne verliert und in der er etwas Energie fürs Laufen sparen kann, ist für ihn mindestens eine einstellige Platzierung drin. Sollte er sogar mit der ersten großen Verfolgergruppe vom Rad steigen und seine Laufstärke voll ausspielen können, wären möglicherweise sogar die Top 5 in Reichweite. Für eine Aufholjagd an der Seite von Lionel Sanders, Sam Long, Sebastian Kienle, Andreas Dreitz, Boris Stein oder Cameron Wurf, die möglicherweise mit ihm aus dem Wasser kommen könnten, wird Hanson wohl die nötige Radstärke fehlen. Für ihn wird es – allein oder in der Gruppe – in erster Linie darum gehen, den Abstand nach vorne möglichst gering zu halten, ohne sich dabei entscheidend für den Marathon zu schwächen. Der harte Laufkurs könnte Hanson dabei in die Karten spielen, wenn andere Athleten, die nach dem Radfahren vor ihm liegen, möglicherweise einbrechen, nachdem sie zuvor überzogen haben.

Der unterschätzte Schweizer

Getty Images for IRONMAN

Jan van Berkel (36, SUI) hat in den vergangenen Jahren einen steilen Leistungssprung auf der Langdistanz hingelegt. Unter Trainer Dan Plews optimierte der Schweizer am Anfang der Zusammenarbeit nicht nur das Training, sondern auch die Ernährung und ist seitdem einer der wenigen Weltklasse-Triathleten, die sich nach dem „LCHF-Prinzip“ (Low Carb, High Fat) ernähren. Ein durchaus umstrittener Ansatz, der für van Berkel allerdings wohl kaum besser hätte funktionieren können. 2018, 2019 und 2021 gewann der Schweizer sein Heimrennen beim Ironman Switzerland, fuhr beim Ironman Hawaii 2019 mit Platz elf sein bisher bestes WM-Ergebnis ein und landete im vergangenen Jahr beim Ironman Tulsa hinter Patrick Lange auf Rang zwei. Besonders beachtlich waren dabei van Berkels Laufleistungen: Beim Ironman Switzerland 2021 lief er den Marathon in 2:37:41 Stunden, in Tulsa in 2:39:04 Stunden. Da überrascht es wenig, dass auch in der Vorbereitung auf St. George zuletzt sogar Läufe mit einer Dauer von bis zu drei Stunden auf van Berkels Trainingsplan standen. Um seine Laufstärke im Kampf um eine Top-Platzierung in St. George voll ausspielen zu können, wird es für van Berkel in erster Linie darum gehen, auf dem Rad möglichst wenig Zeit auf seine direkten Konkurrenten zu verlieren. Mitentscheidend wird dabei sein, wo sich der Schweizer nach dem Schwimmen wiederfindet. Wahrscheinlich scheint, dass der 36-Jährige in der ersten größeren Verfolgergruppe auf die Radstrecke geht. Um bei einem möglichen Überholmanöver der „Überbiker“ Sanders, Long Wurf, Kienle, Stein und Dreitz mitzufahren, fehlt van Berkel vermutlich die Radstärke. Je nachdem, wie weit die direkte Konkurrenz beim zweiten Wechsel entfernt ist, ist es allerdings durchaus denkbar, dass van Berkel mit einer starken Laufleistung mindestens in die Top 10, bei einem optimalen Rennverlauf vielleicht sogar in Richtung der Top 5 läuft. In Vorbereitung auf das WM-Rennen in Utah absolvierte der dreifache Ironman-Sieger zuletzt ein mehrwöchiges Höhentrainingslager in der Sierra Nevada, wo er unter anderem gemeinsam mit dem fünffachen Kurzdistanz-Weltmeister Javier Gomez trainierte, der seit dieser Saison ebenfalls von Dan Plews gecoacht wird und seinen geplanten WM-Start in St. George kurzfristig aufgrund einer Covid-19-Erkrankung absagen musste.

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Der gefährliche Rookie

SEAN BEALE

Kyle Smith (24, NZL) nimmt in St. George zum ersten Mal bei einer Ironman-WM teil und absolviert dabei erst seine zweite Langdistanz überhaupt, nachdem er 2021 Platz drei beim Ironman Neuseeland belegte. Der Neuseeländer ist der zweitjüngste Teilnehmer im Profifeld und hat in Utah nichts zu verlieren. Von daher ist davon auszugehen, dass der 24-Jährige, wie auch bei seinen Mitteldistanzen, eine offensive Renntaktik wählt. Smith gilt als sehr starker Schwimmer und Radfahrer, der im vergangenen Jahr bei mehreren Mitteldistanz-Rennen etwas daran setzte, seine Konkurrenz auf dem Rad zu distanzieren. Beim Ironman 70.3 Lanzarote im März belegte er Platz zwei und zeigte, dass er sich in allen Disziplinen aktuell in einer starken Form befindet. Aller Voraussicht nach wird Smith in St. George mit der Spitzengruppe aus dem Wasser kommen. Im Gegensatz zu den Top-Favoriten wäre es denkbar, dass Smith bereits früh auf dem Rad dazu bereit ist, viel zu riskieren und eine Lücke zu reißen. Selbst wenn der WM-Rookie nicht wegkommen sollte, könnte seine aggressive Taktik dazu beitragen, andere unter Druck zu setzen und das Rennen an der Spitze von Beginn an schnell zu machen. Was Smith am meisten auf der Langdistanz fehlt, ist Routine. Von daher werden das angemessene Pacing und die optimale Verpflegung noch eine zusätzliche Herausforderung für den Neuseeländer sein. Wertvolle Tipps dürfte Smith in den vergangenen Monaten allerdings genug bekommen haben: In seiner neuen Wahlheimat Girona trainierte der ehemalige Kurzdistanzler regelmäßig mit niemand Geringerem als Jan Frodeno zusammen, absolvierte ebenfalls ein dreiwöchiges Höhentrainingslager in Andorra, welches Frodeno ebenfalls für seine Utah-Vorbereitung nutzte, bevor er seinen Start aufgrund einer Achillessehnen-Verletzung absagen musste. Smiths Potenzial ist groß, am Ende wird es darauf ankommen, wie viel er davon abrufen kann, wie risikoreich er sein Rennen bestreitet und ob er einen möglichen Tanz auf Messers Schneide gewinnt oder verliert. Eine einstellige Platzierung wäre dem Youngster bei entsprechendem Rennverlauf auf jeden Fall zuzutrauen.

Der Hawaii-Dritte von 2017 und 2018

Marvin Weber / spomedis

David McNamee (34, GBR) landete bereits zweimal bei einer Ironman-WM auf dem Podium. 2017 und 2018 belegte der Brite beim Ironman Hawaii den Bronze-Rang. Der ehemalige Kurzdistanzler profitierte bei seinen besten Langdistanz-Rennen stets von seiner Laufstärke und einem schnellen Marathon am Ende. In Kona absolvierte McNamee die Laufstrecke bereits in 2:45 und 2:46 Stunden. Bei seiner letzten Langdistanz, dem Ironman Frankfurt 2021, wurde er Dritter und lief den Marathon in 2:42:58 Stunden. Der 34-Jährige ist ebenfalls ein starker Schwimmer und kommt traditionell weit vorn aus dem Wasser. Für ihn wird es in St. George darum gehen, im Optimalfall die Spitzengruppe im Wasser halten zu können. Auf dem Rad wird McNamee den Anschluss an die Top-Favoriten vermutlich früher oder später nicht mehr halten können. Daher wird es im Hinblick auf die Gesamtplatzierung für den Ironman-UK-Sieger von 2015 darauf ankommen, wie viel Rückstand er bis in die zweite Wechselzone auf seine direkten Konkurrenten einbüßen muss und ob er in der Lage ist, seine Laufstärke auszuspielen. Sollten mehrere Athleten an der Spitze aufgrund eines zu harten Radfahrens auf der zweiten Hälfte der Laufstrecke schwächeln, ist McNamee einer derjenigen, die davon direkt profitieren könnten. Um den Rückstand auf die Führenden im Laufe des Radfahrens nicht allzu groß werden zu lassen und sich in Lauerstellung für den Marathon zu bringen, könnte McNamee eine Allianz mit weiteren Athleten helfen. Kommt McNamee gut über die Radstrecke und läuft erneut einen sehr schnellen Marathon, ist mindestens eine einstellige Platzierung, vielleicht sogar ein Platz in den Top 5 möglich. Um es erneut aufs Podium zu schaffen, müsste McNamee angesichts der starken Konkurrenz wohl einen perfekten Tag erwischen, während andere Favoriten schwächeln.

Mr. Sub 8

Florian Angert Sieger Ironman Barcelona 2019
Getty Images for Ironman

Florian Angert (30, GER) kann von sich etwas behaupten, das nur wenig andere Athleten sagen können: Bei allen seinen drei bisher absolvierten Langdistanzen blieb der 30-Jährige unter der magischen Acht-Stunden-Marke. Angerts große Stärke ist seine Ausgeglichenheit und die Tatsache, dass er keine wirklich schwache Disziplin hat. Der Top-Schwimmer kommt im Normalfall ganz vorn mit aus dem Wasser und wird wohl auch in St. George zunächst alles daran setzen, es in die Spitzengruppe zu schaffen, um im Anschluss auf dem Rad alle Optionen zu haben. Eine mögliche Gruppe mit den Top-Favoriten zumindest für einige Zeit zu halten, dürfte Angert deutlich leichter fallen als eine Aufholjagd, falls er den Anschluss knapp verpassen sollte. Auf dem Rad gehört Angert zu den guten, aber nicht außergewöhnlich starken Radfahrern. Beim Ironman Mallorca 2021, wo er am Ende Platz zwei belegte, verlor er beispielsweise knapp sieben Minuten auf Cameron Wurf, der den schnellsten Radsplit des Tages hinlegte. Boris Stein fuhr im gleichen Rennen zweieinhalb Minuten schneller. Ähnlich lässt sich auch Angerts Leistungsprofil im Laufen beschreiben: Der Ironman-Barcelona-Sieger von 2019 ist als guter Läufer einzuschätzen, der sich etwas hinter den absoluten Top-Läufern im Feld einreiht. Auf Mallorca absolvierte er seinen bisher besten Marathon: Die Zeit von 2:43:46 Stunden war der schnellste Laufsplit des Tages. Beim Ironman Tulsa lief Angert 2:50:15 Stunden, bei seinem Barcelona-Sieg vor drei Jahren benötigte er 2:48:55 Stunden für den Marathon. Gelingt Angert in St. George erneut ein ausgeglichenes Rennen in allen Disziplin mit einer starken Laufleistung, wäre ihm mindestens eine einstellige Platzierung, vielleicht sogar der Sprung in die Top 5 zuzutrauen. Wofür es am Ende reicht, wird vermutlich davon abhängen, wie viele Konkurrenten nach dem Radfahren wie weit vor Angert in die Laufschuhe wechseln und ob der Drittplatzierte vom Ironman 70.3 Lanzarote aus diesem Jahr nach einer starken Radfahrt noch sein komplettes Potenzial beim Laufen abrufen kann.

Der vorbelastete Routinier

Getty Images for IRONMAN

Ben Hoffman (38, USA) hat sich für eine durchaus ungewöhnliche St. George-Vorbereitung entschieden. Der US-Amerikaner, der beim Ironman Hawaii 2014 Platz zwei belegte und 2016 sowie 2019 jeweils auf Rang vier landete, entschied sich nur zwei Wochen vor dem WM-Rennen für einen Start beim Ironman Texas. Nach einem äußert spannenden Duell mit Magnus Ditlev entschied Hoffman den Wettkampf für sich und gewann damit sein achtes Ironman-Rennen. Ob sich für den 38-Jährigen daraus tatsächlich der letzte erhoffte Feinschliff für Utah ergibt oder ihm gerade deshalb am Ende entscheidende Körner fehlen werden, wird sich wohl erst am Renntag ergeben. Nachdem Hoffman am Ende der Langdistanz in Texas sogar noch zum Endsprint ansetzen musste und sich in keiner Weise schonen konnte, ist nicht davon auszugehen, dass diese enorme Belastung spurlos an ihm vorbeigeht. Das Leistungsprofil von Hoffman ist sehr ausgeglichen. Seine besten Ergebnisse auf Hawaii erzielte er stets, in dem er einen schnellen Marathon lief, als andere Konkurrenten vor ihm auf der zweiten Hälfte der Laufstrecke langsamer wurden. Auch den Marathon in Texas absolvierte er in einer beachtlichen Zeit von 2:40:19 Stunden. Beim Schwimmen wird Hoffman die Spitzengruppe wohl verpassen. Für ihn wird es eherl darum gehen, den Abstand auf dem Rad möglichst gering zu halten und beim Laufen noch einige vor ihm liegende Athleten zu überholen. Wie weit Hoffman eventuell noch nach vorne kommen kann, wird wohl zum einen sehr von der Renndynamik auf dem Rad und zum anderen von seinem Erholungsstatus im Hinblick auf eine schnelle Laufzeit abhängen. Ruft Hoffman sein Potenzial auf den Punkt ab, ist er auf jeden Fall ein Kandidat für die Top 5.

Der vierfache Ironman-Sieger aus Neuseeland

Challenge Roth 2021 - 53

Braden Currie (35, NZL) ist ein Athlet, den man nie unterschätzen sollte. Wenn der Neuseeländer sein gesamtes Potenzial auf der Langdistanz ausspielt, kann er in St. George weit vorne landen. Das liegt vor allem daran, dass Currie als guter Schwimmer meist weit vorne aus dem Wasser kommt und am Ende das Potenzial besitzt, den Marathon sogar unter 2:40 Stunden zu laufen. Auf dem Rad gehört der vierfache Ironman-Sieger zwar nicht zu den Ausnahmeathleten, bekommt an einem guten Tag allerdings auch nicht allzu viel Zeit aufgebrummt. Je nachdem, wie schnell das Rennen von Beginn an beim Schwimmen gemacht wird, wird es für den 35-Jährigen entscheidend sein, den Sprung in die Spitzengruppe zu schaffen. Diese Flexibilität in der Renngestaltung und Taktik könnte Currie sehr helfen. Denn Currie gehört auch zu den Athleten, die bereit sind, sehr viel zu riskieren, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Das birgt hingegen die Gefahr, dass der Neuseeländer am Ende auch zu den Athleten gehören könnte, die ihrer risikoreichen Renngestaltung Tribut zollen müssen. Gelingt Currie der Sprung in die Führungsgruppe, ist davon auszugehen, dass er zunächst alles daran setzt, den Anschluss so lange wie möglich zu halten. Ob und wie lange das gelingt, wird sich erst am Renntag zeigen. Wie Currie über die Radstrecke kommt, wird aber wohl darüber entscheiden, für welches Resultat es am Ende reicht. Auf Hawaii belegte Currie 2019 Platz sieben, 2018 wurde er Fünfter. Mit seinem Leistungsprofil ist dem Neuseeländer auch in Utah zuzutrauen, dass es am Ende für die Top 5 reicht. Für eine noch bessere Platzierung und das Podest dürfte Currie auf dem Rad nicht allzu viel Zeit verlieren und müsste dann noch in der Lage sein, sein gesamtes Potenzial beim Laufen abzurufen. An einem sehr guten Tag beim Marathon wäre es allerdings denkbar, dass Currie um die fünf Minuten auf seine direkten Konkurrenten zuläuft.

Der amtierende Ironman-Europameister

Anna Bruder / spomedis

Patrik Nilsson (30, SWE) geht als amtierender Ironman-Europameister in die erste Ironman-WM seit 2019. Der Schwede gewann den Ironman Frankfurt im vergangenen Jahr mit einer beeindruckenden Marathonzeit von 2:39:39 Stunden. Der 30-Jährige bringt auch neben seinen starken Lauffähigkeiten großes Potenzial mit, ist in seinen Rennergebnissen allerdings sehr wechselhaft. Denn alleine im vergangenen Jahr brachte er neben seinem Frankfurt-Sieg vier andere Langdistanzen nicht ins Ziel. Ein ähnliches Bild zeichnete sich bereits 2019: Drei „DNF“ bei Langdistanz-Rennen, darunter auch der Ironman Hawaii, stehen ein dominanter Sieg beim Ironman Texas entgegen. Tatsächlich könnte man bei dem sechsfachen Ironman-Sieger etwas überspitzt sagen: Entweder Nilsson kommt aufs Podium oder gar nicht ins Ziel. Für Nilsson wird vermutlich vieles davon abhängen, wie er es über die Radstrecke schafft. Der Achtplatzierte vom Ironman Hawaii 2017 schwimmt zwar gut, für den Sprung in die Spitzengruppe wird es wohl aber nicht reichen. Wahrscheinlicher ist, dass er mit Athleten wie Ben Hoffman, Jan van Berkel und Chris Leiferman aus dem Wasser kommt und versuchen wird, möglichst lang mit der ersten größeren Verfolgergruppe über den profilierten Kurs zu kommen. In Vorbereitung auf St. George investierte Nilsson viel in die zweite Disziplin: Teilweise absolvierte der Schwede seine langen Ausfahrten von fünf bis fünfeinhalb Stunden sogar auf der Rolle. Wenn sich diese Arbeit auszahlt und Nilsson einen seiner starken Langdistanz-Tage erwischt, ist es durchaus realistisch, dass er am Ende eine der schnellsten fünf Laufzeiten hinlegt und es damit bis in die Top 5 schaffen könnte. Das beste WM-Ergebnis von Nilsson ist bisher der bereits erwähnte achte Platz bei seinem Hawaii-Debüt vor fünf Jahren. Sollte Nilsson allerdings einen schlechten Tag auf dem Rad erwischen und es weder längerfristig in eine Gruppe schaffen noch alleine eine solide Radleistung abrufen, wird der Zeitverlust wohl zu groß sein, als dass es am Ende noch für eine Top-Platzierung reichen könnte.

Der risikofreudige Doppel-Olympia-Sieger

Korupt Vision

Alistair Brownlee (33, GBR) nimmt in St. George zum zweiten Mal an einer Ironman-WM teil. Bei seinem Hawaii-Debüt 2019 zahlte der zweifache Olympia-Sieger von London und Rio de Janeiro ordentlich Lehrgeld und landete am Ende auf Platz 21. Nur wenige Wochen später bewies der 33-Jährige allerdings, dass er sein enormes Potenzial von der Kurzstrecke auch auf die Langdistanz übertragen kann. Im Dezember 2019 gewann er den Ironman Western Australia mit einer Endzeit von 7:45 Stunden und einer Marathonzeit von 2:43 Stunden. Die erste Hälfte der Laufstrecke durchquerte Brownlee dabei sogar in 1:16 Stunden. Dass Brownlee auch die physiologischen Fähigkeiten mitbringt, um eine Ironman-WM zu gewinnen, steht außer Frage. Ausschlaggebend dafür ist allerdings, ob der Brite die entscheidenden Puzzleteile am Renntag auch alle zusammenstecken kann. Besonders das Pacing und die Verpflegung auf der Langdistanz sind zwei Faktoren, die für Brownlee zu einer rennentscheidenden Herausforderung werden könnten. Denn nach erst zwei kompletten Langdistanzen und einem Ironman-Rennen ohne Schwimmen fehlt Brownlee noch etwas spezifische Erfahrung und Routine im Gegensatz zu einigen seiner direkten Konkurrenten. Hinzu kommt die geringe Rennpraxis seit seiner Fußoperation im vergangenen Sommer. Nach seiner Reha und einem langsamen Wiedereinstieg ins Training bestritt der ältere der beiden Brownlee-Brüder im vergangenen Jahr kein weiteres Rennen mehr. Erst beim Ironman 70.3 Oceanside vor wenigen Wochen stieg er nach rund einem Dreivierteljahr Wettkampfpause wieder ins Renngeschehen ein. Obwohl Brownlee in Kalifornien bis wenige Kilometer vor Schluss knapp in Führung lag, musste er sich schließlich noch mit Platz vier zufriedengeben, nachdem ihm beim Laufen gegen Ende die Energie ausgegangen war. Auch wenn man Brownlees großes Leistungsvermögen bei diesem Comeback-Rennen wieder sofort aufblitzen sah, zeigte der Wettkampf einmal mehr, dass ihm eine weniger impulsive und risikoreiche Renngestaltung manchmal vermutlich ganz guttun würde. Besonders, wenn es um die Langdistanz geht. Doch Brownlees Mentalität ist für gewöhnlich eine andere: Er ist traditionell bereit dazu, für den Sieg alles zu riskieren, auch wenn er am Ende mit leeren Händen dasteht. In St. George ist davon auszugehen, dass er an der Spitze mit für das Tempo beim Schwimmen sorgen wird und auch beim Radfahren einer der Athleten sein könnte, der zumindest am Anfang direkt versucht, die Flucht nach vorne zu ergreifen. Brownlees Potenzial für den Marathon ist sehr davon abhängig, wie viel er bereits beim Radfahren investiert hat und ob er die Verpflegung in den Griff bekommt. Da Brownlee eher dazu neigt, zu früh zu überziehen, gehört er auch zu den Kandidaten, die möglicherweise entweder direkt beim Laufen oder spätestens auf der zweiten Marathonhälfte ihre Aussicht auf eine Top-Platzierung aufgeben müssen. Aufgrund von Brownlees Professionalität und der hohen Qualität seines Teams ist allerdings davon auszugehen, dass er für jedes Szenario einen Plan bereithält und bestens auf die Gegebenheiten vorbereitet ist. Im Höhentrainingslager in Flagstaff holte sich der 33-Jährige zuletzt den Feinschliff für das WM-Rennen. Bekommt die Kurzdistanz-Legende auch auf der neuen Distanz ihr großes Potenzial umgesetzt, ist für Brownlee nicht weniger als der Sieg möglich. Dass er bis zum Ende des Radfahrens weit vorne liegen wird, scheint sehr wahrscheinlich. Das große Fragezeichen wird der Marathon sein, der ihm bereits auf Hawaii die Suppe versalzte. Von daher werden viele Zuschauer wohl wissend um Brownlees Laufpotenzial äußerst gespannt sein und genau hinschauen, sobald er in die Laufschuhe wechselt. Denn wer auf der Kurzdistanz als Ausnahmeläufer gilt, muss das nicht zwangsläufig auf der Langstrecke sein. Und wer Olympia-Gold mit einer 10-Kilometer-Zeit von 29:07 Minuten am Ende gewinnt, hat keine Garantie auf einen Langdistanz-Marathon in 2:35 bis 2:37 Stunden. Aber eben die besten Voraussetzungen dafür…

Der Ironman-Weltmeister von 2014

Ironman Hawaii 2014 - Laufen - 21
Frank Wechsel / spomedis

Sebastian Kienle (37, GER) bestreitet in diesem Jahr seine letzte Profi-Saison, in der er bei Weltmeisterschaftsrennen teilnehmen will. Läuft alles nach Plan, bleiben dem Ironman-Weltmeister von 2014 demnach noch zwei WM-Rennen auf der Langdistanz: in Utah und auf Hawaii. Sein einziges geplantes Testrennen vor dem ersten Showdown in St. George beim Ironman 70.3 Lanzarote musste der zweifache Ironman-70.3-Weltmeister aufgrund von zugezogenen Magenproblemen im Trainingslager kurz vorher absagen. Trotz seiner riesigen Routine geht der 37-Jährige also zumindest ohne unmittelbare Rennpraxis in den Wettkampf. Entscheidend dürfte dies allerdings nicht sein. Zu seiner Vorbereitung und Form äußerte sich Kienle zuletzt trotzdem mehrmals positiv. Die große Erfahrung auf der Langdistanz und in Meisterschaftsrennen dürfte Kienle im Vergleich zur direkten Konkurrenz wohl sogar eher zugutekommen, wenn es um spontane taktische Entscheidungen geht. Auf Hawaii landete Kienle bisher viermal auf dem Podium – inklusive seines Sieges 2014. Die Chancen auf eine Podiumsplatzierung oder sogar einen erneuten Sieg sind im Vergleich zu den Hawaii-Starts zwischen 2015 und 2019 trotz der zahlreichen Ausfälle im anstehenden Männerrennen nicht unbedingt gestiegen. Die Konkurrenz ist stark und insbesondere im Falle einer direkten Laufentscheidung gibt es mehrere Athleten, die aufgrund ihrer Vorleistungen beim Marathon etwas stärker einzuschätzen sind als Kienle. Und sich auf dem Rad einen Vorsprung zu erarbeiten, dürfte ebenfalls äußerst schwer werden, nicht zuletzt aufgrund des Rückstands nach dem Schwimmen, den es für Kienle aufzuholen gilt. Die Zeichen für eine erfolgreiche Aufholjagd stehen aber aus zwei Gründen ziemlich gut: Die profilierte Radstrecke dürfte den starken Radfahrern deutlich besser liegen als der Hawaii-Kurs und Kienle wird – zumindest zeitweise – nach dem Schwimmen vermutlich in bester Gesellschaft sein und mit Athleten wie Lionel Sanders, Sam Long, Cameron Wurf, Boris Stein und Andreas Dreitz weitere außergewöhnlich starke Radfahrer an seiner Seite haben, die das gleiche Ziel verfolgen. Wenn die Verfolgergruppe der Überbiker tatsächlich bis zur zweiten Wechselzone die Spitze des Rennens erreichen sollte oder zumindest vorn dabei ist, stellt sich die große Frage, wer bis zu diesem Zeitpunkt wie viele Körner investieren musste. Dass Kienle den Marathon mit einem Vorsprung auf seine direkten Konkurrenten beginnt, scheint sehr unwahrscheinlich. Ihm könnte allerdings helfen, dass sowohl Rad- als auch Laufstrecke in St. George dafür prädestiniert sind, um zu überpacen. Sollte Kienle sein gesamtes Potenzial abrufen können, ein gutes Schwimmen erwischen, beim zweiten Wechsel weit vorn mit dabei sein und seine Kräfte genau richtig einteilen, während andere Athleten dem hohen Anfangstempo und der Strecke am Ende Tribut zollen müssen, ist der erneute Sprung aufs WM-Podest auf jeden Fall ein mögliches Szenario.

Der radstarke Trainingsweltmeister

CLASHEndurance

Sam Long (26, USA) nimmt zum ersten Mal an einer Ironman-Weltmeisterschaft teil. Der junge US-Amerikaner, der von Ex-Triathlon-Profi Ryan Bolton trainiert wird, legte in den vergangenen Jahren eine steile Leistungskurve hin. Radstark war Long schon immer, im Laufen allerdings machte er zuletzt einen sehr großen Sprung. Das Schwimmen bleibt auch weiterhin die eindeutige Schwäche des 26-Jährigen, der damit rechnen muss, in St. George etwa drei bis sechs Minuten Rückstand auf die Spitzengruppe beim Schwimmen zu verlieren. Während seiner Utah-Vorbereitung stellte Long seine starke Form über die Mitteldistanz direkt zweimal innerhalb von neun Tagen unter Beweis, als er zuerst das Rennen beim Clash Miami und anschließend die Challenge Puerto Varas eindrucksvoll für sich entschied. Was die Rad-Lauf-Kombination angeht, dürfte Long zu den stärksten Athleten im Männerrennen zählen. Longs Top-Form bekam allerdings nur knapp zwei Wochen vor dem WM-Rennen einen kleinen Dämpfer: Bei einer Trainingsausfahrt wurde er von einem Auto angefahren, kam aufgrund seiner schnellen Reaktion allerdings mit einigen Schürfwunden davon. Nach Longs eigener Einschätzung hat der Zwischenfall keinen allzu großen Einfluss auf die Fitness und den Gesundheitszustand und der Youngster gab sich zuletzt auf seinen Social-Media-Kanälen weiterhin optimistisch. Zumindest einen Titel hat sich Long in den vergangenen Monaten und Jahren bereits erarbeitet: den des Trainingsweltmeisters. Long geht sehr transparent mit seinen Trainingsdaten um und teilt alle Einheiten bei Strava. Wenn man es nicht besser wissen würde, müsste man glauben, dass man einen derartigen Training-Load nicht länger aufrechterhalten kann, ohne sich zu verletzen. Radfahrten bis zu 270 Kilometer, Tage mit mehr als 41 Laufkilometern bei einem Gesamtschnitt von unter 3:50 Minuten pro Kilometer und zwei Tempoeinheiten, eine Vielzahl schneller, langer Läufe von 32 bis 38 Kilometer und wöchentliche harte Koppeleinheiten zwischen vier und sechs Stunden, alles in einen hohen Gesamtumfang eingebettet. Wenn der Unfall Long nicht weiter beeinträchtigen sollte, scheint er bestens vorbereitet zu sein, um ein starkes Rennen abzuliefern. Für Long wird es zunächst darum gehen, den Rückstand bei Schwimmen möglichst gering zu halten und im Anschluss beim Radfahren möglichst weit nach vorne zu kommen, ohne dabei die entscheidenden Körner für den Marathon zu verpulvern. Helfen könnten ihm dabei andere starke Radfahrer, mit denen er sich zumindest am Anfang der Radstrecke bei der Aufholjagd möglicherweise abwechseln könnte. Sowohl die Rad- als auch Laufstrecke dürften Long sehr gut liegen. Bei der Ironman-70.3-WM 2021 in St. George landete er auf Platz zwei und bewies, dass er mit einem hügeligen und kraftbetonten Laufkurs extrem gut zurechtkommt. Steigt Long mit oder sogar an der Spitze vom Rad, stehen ihm insbesondere auf dieser Laufstrecke alle Möglichkeiten offen, wenn er in der Lage ist, sein Laufpotenzial zu diesem Zeitpunkt abzurufen. Je nachdem, ob andere Top-Favoriten, denen schnelle Laufzeiten zuzutrauen sind, in T2 noch vor ihm liegen oder ob er beim Wechsel in die Laufschuhe bereits mittendrin ist, wäre für Long jeder Platz auf dem Podium denkbar.

Der Ironman-Vize-Weltmeister von 2017

Talbot Cox

Lionel Sanders (34, CAN) hatte in den vergangenen Jahren so seine Probleme mit der Ironman-WM. Nach seinem starken Hawaii-Rennen 2017, wo er am Ende auf Platz zwei landete und den Wettkampf bis Kilometer 35 beim Laufen anführte, bekam er kein gutes Hawaii-Ergebnis mehr zustande. 2018 wurde er 28. und 2019 landete er auf Rang 22. In St. George stehen die Vorzeichen für ein Topergebnis allerdings aus mehreren Gründen gut. Zum einen dürften die Kurse und die äußeren Bedingungen Sanders deutlich besser entgegenkommen als auf Hawaii. Sowohl das wahrscheinliche Schwimmen im Neoprenanzug als auch die profilierten Rad- und Laufstrecken passen zu Sanders‘ Leistungsprofil und Fähigkeiten. Zum anderen scheint ihm der Wechsel zu seinem Coach Mikal Iden auf mehreren Ebenen deutlichen Aufwind gegeben zu haben. Dass die Änderungen auf trainingstechnischer Ebene seit der Zusammenarbeit im August 2021 Früchte getragen haben, zeigte sich zuletzt beim Ironman 70.3 Oceanside. Sanders landete auf Rang zwei und stellte mit einer Halbmarathonzeit von 1:08:28 Stunden eine neue persönliche Laufbestzeit für die Mitteldistanz auf. Darüber hinaus kann man davon ausgehen, dass sich Mikal Iden auch neben dem Training intensiv mit den Punkten Ernährung, Taktik, Pacing und Materialwahl auseinandergesetzt hat. Insbesondere die Verpflegung, sowohl energetisch als auch der Flüssigkeitshaushalt, machten Sanders in jüngster Vergangenheit auf der Langdistanz mehrmals einen Strich durch die Rechnung. Im vergangenen Jahr deutete Sanders mit seinen vier Langdistanzen beim Tri Battle Royale, dem Ironman Kopenhagen, Ironman Chattanooga und dem Ironman Florida allerdings an, dass er seine eigene Langdistanz-Formel so langsam herausbekommen hat. Dass es bei dem Kanadier im Hinblick auf einen möglichen WM-Sieg nicht an den physischen Voraussetzungen scheitert, steht bereits seit vielen Jahren außer Frage. Für den 26-fachen Ironman-70.3-Sieger wird es in Utah zunächst darum gehen, den Rückstand beim Schwimmen möglichst gering zu halten. Bei einem starken Schwimmen scheint es auf der Radstrecke möglich, dass Sanders den Rückstand von etwa drei bis fünf Minuten auf die Spitze und Athleten wie Gustav Iden, Kristian Blummenfelt, Alistair Brownlee oder Daniel Bækkegård im Laufe der 180 Kilometer möglicherweise aufholen kann. Bekommt Sanders (zwischendurch) auf dem Rad Unterstützung von Athleten, die sich in einer ähnlichen Ausgangsposition befinden, steigt die Wahrscheinlichkeit noch etwas weiter. Im direkten Laufduell mit Gustav Iden zog Sanders beim Ironman Florida 2021 ab Kilometer 32 den Kürzeren, lieferte mit einer Zeit von 2:40:42 Stunden aber dennoch einen sehr starken Marathon ab. Mitentscheidend wird die Frage sein, ob Sanders den Marathon hinter oder mit seinen direkten Konkurrenten startet. Angesichts seiner Unterdistanzleistung in Oceanside scheint Sanders aktuell in der besten Laufform seiner Karriere zu sein. Geht der 34-Jährige mit oder nur kurz hinter seinen direkten Konkurrenten auf den Marathon, ist ihm durchaus der Sieg in einem direkten Laufduell zuzutrauen. Es ist davon auszugehen, dass der anspruchsvolle und hügelige Laufkurs so einige Athleten in die Knie zwingen wird. Möglicherweise jene, die im Vorfeld bewusst eine risikoreiche Renntaktik gewählt haben. Sanders bewies in seiner Karriere bereits mehrfach, dass ihm auch profilierte Laufstrecken äußerst gut liegen. In der entscheidenden Phase des Laufens könnte sich diese Stärke auf der zweiten Hälfte des Marathons für Sanders als rennentscheidend herausstellen.

Der ausgeglichene Däne ohne Schwäche

Silke Insel / spomedis

Daniel Bækkegård (25, DEN) gehört zu den jüngsten Athleten im Feld, nimmt erst zum zweiten Mal an einer Ironman-WM teil, darf in der Auflistung der Favoriten aber auf keinen Fall fehlen. Der Grund dafür ist die Ausgeglichenheit des Dänen. Bækkegård besitzt keine Schwäche und ist im Normalfall aufgrund seiner starken Schwimm- und Radform ein sicherer Kandidat für die Spitze in der zweiten Wechselzone. Es ist davon auszugehen, dass der 25-Jährige im Wasser entweder selbst fürs Tempo sorgt oder zumindest ganz vorn mit Alistair Brownlee und einigen weiteren Athleten in die erste Wechselzone kommt. Je nachdem, wer auf dem Rad alles auf eine Karte setzt und möglicherweise versucht, wegzukommen, ist Bækkegård nur sehr schwer abzuschütteln. In mehreren stark besetzten Rennen lieferte Bækkegård sogar bereits die schnellste Radzeit des Tages ab. Dadurch, dass er von Beginn an der Spitze des Rennens sein wird, kann er taktisch auf mögliche Attacken deutlich besser reagieren als jene Athleten, die mit einigen Minuten Rückstand gar nicht mitbekommen, was an der Spitze des Rennens vor sich geht. Das größte Fragezeichen im Hinblick auf die mögliche Gesamtplatzierung steht hinter dem Laufen. Beim Ironman Tulsa 2021, wo Bækkegård Dritter wurde, lief der den Marathon in 2:44 Stunden. Eine starke Zeit, aber im Hinblick auf die Konkurrenz und die möglichen Rennszenarien möglicherweise nicht gut genug, um den Sprung aufs Podium zu schaffen. Allerdings dürfte der Drittplatzierte der Ironman-70.3-WM 2021 das Potenzial für eine schnellere Laufzeit besitzen und dieses bisher einfach nur noch nicht zum richtigen Zeitpunkt abgerufen haben. Das stellte er zuletzt erneut bei seinem zweiten Platz im Rahmen des Ironman 70.3 Dubai 2022 unter Beweis, wo er den Halbmarathon in 1:09:29 Stunden absolvierte. Seine bisherige Laufbestzeit über die Mitteldistanz und 31 Sekunden schneller als bei seinem Sieg im Vorjahr. Einen Teil seiner Utah-Vorbereitung absolvierte Bækkegård im Trainingslager auf Lanzarote und zeigte sich zuletzt optimistisch im Hinblick auf seine Form. Seine starke Leistung in Dubai Anfang März dürfte eine ideale Voraussetzung für einen anschließenden, langdistanzspezifischen Formaufbau gewesen sein. Kommt Bækkegård an der Spitze in die zweite Wechselzone und kann sein Laufpotenzial abrufen, ist eine Podiumsplatzierung in unmittelbarer Reichweite. Spannend wird während des Rennverlaufs sein, ob der Däne versuchen wird, selbst auf dem Rad wegzukommen oder zumindest das Tempo hochzuhalten, damit die starken Radfahrer von hinten nicht (zu schnell) aufschließen können.

Der zweifache Ironman-70.3-Weltmeister

Silke Insel / spomedis

Gustav Iden (26, NOR) geht trotz erst einer absolvierten Langdistanz als einer der großen Favoriten in seine erste Ironman-WM. Der zweifache Ironman-70.3-Weltmeister bewies beim Ironman Florida im vergangenen November auf Anhieb, dass er sein großes Mitteldistanz-Potenzial auch auf die Langdistanz übertragen kann. Besonders beachtlich war dabei die Marathonzeit von 2:34:51 Stunden, die der Olympia-Achte von Tokio bei seinem Ironman-Sieg hinlegte. Dass Iden in seinen Laufleistungen sehr stabil ist, zeigte sich bisher bei all seinen Mitteldistanz-Rennen. Bisher hatte der 26-Jährige keinen „Ausrutscher“, was seine Laufzeiten angeht. Die Bestzeit des Norwegers in der dritten Disziplin auf der Mitteldistanz liegt bei 1:07:13 Stunden, was wunderbar mit seiner Marathonzeit aus Florida zusammenpasst. Mit der schnellsten Laufzeit und seinem zweiten Ironman-70.3-WM-Titel, den Iden im vergangenen September in St. George gewann, bewies er, dass er auch mit außergewöhnlich anspruchsvollen Laufstrecken gut zurechtkommt und ihm auch das Bergablaufen im ermüdeten Zustand keine größeren Probleme bereit. Eine Fähigkeit, die man beim WM-Rennen auf jeden Fall brauchen wird, wenn man bis zum Ende um den Sieg mitmischen will. Den Großteil seiner Utah-Vorbereitung absolvierte Iden im Höhentrainingslager in der Sierra Nevada, wo er in gewohnter Manier zeitweise mit Kristian Blummenfelt zusammen trainierte und viele Kerneinheiten gemeinsam bestritt. Wer Idens Training der letzten drei Monate auf Strava nachvollzieht, wird neben den hohen Gesamtumfängen auch auf fünfstündige Indoor-Radfahrten, Bahnintervalle mit über 30 Kilometern Gesamtumfang im Laufen bei einem Schnitt von rund 3:45 Minuten pro Kilometer inklusive ein- und auslaufen sowie fünf bis siebenstündige Koppeleinheiten mit wettkampfspezifischen Intervallen stoßen. Das Meiste davon wohlgemerkt unter Höhenbedingungen. Dass Iden in Top-Form zu sein scheint, bewies er zuletzt bei seiner letzten großen Schlüsseleinheit auf der Rennstrecke in St. George. Der Norweger fuhr alleine die gesamten 180 Kilometer des Radkurses mit einem Schnitt von knapp 39 km/h ab und absolvierte im Anschluss einen 32 Kilometer langen Koppellauf mit einem Gesamtschnitt von 3:48 Minuten pro Kilometer. Für Iden stellt sich trotz seines Kurzdistanz-Hintergrunds die erste wichtige Frage im Hinblick auf die Renntaktik bereits beim Schwimmen. Sollten die absoluten Top-Schwimmer wie Brownlee, Smith oder Bækkegård das Tempo von Anfang an forcieren, könnte es bei einer äußerst kleinen Spitzengruppe sogar sein, dass Iden nicht unbedingt dabei ist. Das wahrscheinliche Schwimmen mit Neoprenanzug könnte allerdings dazu beitragen, dass ihm der Anschluss gelingt, was ihm von Beginn an deutlich bessere taktische Möglichkeiten eröffnen würde. Sollte sich Iden nicht direkt nach dem Schwimmen mit an der Spitze des Rennens wiederfinden, wird es spannend zu sehen sein, wie er taktisch reagiert und ob er direkt alles daran setzen wird, die kleine Lücke möglichst schnell zu schließen oder sich dafür entscheidet, zunächst mit etwas Rückstand sein eigenes Rennen zu machen und das Ganze etwas defensiver anzugehen. Da Iden zu den Athleten mit der stärksten Rad-Lauf-Kombination gehört und das vielleicht größte Laufpotenzial im gesamten Feld besitzt, wird er wohl im Gegensatz zu anderen Konkurrenten nicht bereit sein, in der ersten Hälfte des Rennens allzu viel zu riskieren. Schafft es Iden, sein eigenes Rennen kontrolliert durchzuziehen, wird er entweder mit an der Spitze des Radfahrens oder nur kurz dahinter in die Laufschuhe wechseln. Kommt der 26-Jährige über die Radstrecke, ohne sich zu verzocken und bekommt auch bei seiner zweiten Langdistanz die Verpflegung gut in den Griff, dürfte er beim Marathon nur schwer zu stoppen sein. Ein direktes Ausscheidungsrennen Seite an Seite zusammen mit Landsmann Blummenfelt, Alistair Brownlee, Lionel Sanders und Sam Long ist aber wohl nicht nur ein Szenario, das viele Zuschauer gern sehen würde, sondern auch eine Situation, in der einige andere Athleten über sich hinauswachsen könnten.

Der amtierende Olympia-Sieger und Kurzdistanz-Weltmeister

FedMexTriatlon

Kristian Blummenfelt (28, NOR) hat das Triple im Blick. Der amtierende Olympia-Sieger und Kurzdistanz-Weltmeister will sich in St. George auch noch den WM-Titel über die Langdistanz sichern und damit etwas schaffen, das bisher noch keinem Triathleten gelungen ist. In seinem phänomenalen Jahr 2021 gewann er neben seinen beiden großen Titeln außerdem sein Ironman-Debüt in Rekordzeit von 7:21:12 Stunden beim Ironman Cozumel. Obwohl Blummenfelt bei seiner ersten und bisher einzigen Langdistanz kaum von der Konkurrenz gefordert wurde, lief er den abschließenden Marathon in der schwülen Hitze Mexikos in 2:35 Stunden – inklusive zwei kurzer Toiletten-Stopps. Nicht nur Blummenfelts beeindruckende Unterdistanzleistungen von Kurz- und Mitteldistanz machen ihn zu einem Top-Favoriten in Utah, sondern auch die Tatsache, dass ihm der Umstieg auf die Langdistanz nach nur zehn Wochen spezifischem Langdistanz-Training auf Anhieb so gut gelungen ist. Die hohen Trainingsumfänge der Trainingsgruppe um Arild Tveiten, Olav Aleksander Bu und Mikal Iden sind bereits seit vielen Jahren ideal für starke Leistungen auf längeren Distanzen – ein Umstand, den man bereits beim Umstieg der Norweger auf die Mitteldistanz beobachten konnte. Auch in der St. George-Vorbereitung absolvierte Blummenfelt neben dem gewohnt hohen Gesamtumfang eine Vielzahl von Schlüsseleinheiten, bei denen er andeutete, dass er an einem guten Tag ohne externe Probleme oder besondere Vorkommnisse den nächsten WM-Titel zu seiner Sammlung hinzufügen kann. Auch Blummenfelt trainierte in Vorbereitung auf die Ironman-WM mehrere Wochen in der Höhe der Sierra Nevada. Zweimal stand bei dem 28-Jährigen in der Vorbereitung eine siebenstündige Koppeleinheit auf dem Plan, bei der er zunächst fünf Stunden Rad fuhr und anschließend 32 Kilometer in etwa zwei Stunden lief. Neben diesen langen, rennspezifischen Simulationen lief der amtierende Olympia-Sieger mehr als eine Handvoll Bahneinheiten auf 2.300 Metern Höhe mit 28 bis 34 Kilometern Gesamtumfang, bei denen er ein langes Intervallprogramm absolvierte. Genau wie Gustav Iden führte auch Blummenfelt einige seiner langen Radausfahrten von vier bis fünf Stunden während des Höhentrainingslagers indoor durch. Obwohl Blummenfelt seinen Saisoneinstieg beim Ironman 70.3 Dubai in den Sand setzte, sollte angesichts seiner Trainingsleistungen und auch der eigenen Einschätzung nach kein Zweifel daran bestehen, dass er in der Form ist, das Rennen zu gewinnen und ebenfalls der erste Norweger in der Geschichte sein könnte, der Ironman-Weltmeister wird. Wie bereits vor dem Ironman Cozumel führte Blummenfelt auch in der Rennwoche vor St. George ein eher ungewöhnliches Tapering-Programm durch und absolvierte nur fünf Tage vor dem Rennen eine Koppeleinheit bestehend aus gut zwei Stunden Radfahren mit Intervallen und einem Koppellauf von knapp 31 Kilometern mit einem Schnitt von 3:51 Minuten pro Kilometer. Beim Schwimmen ist davon auszugehen, dass Blummenfelt der Sprung in die Spitzengruppe gelingt. Wie er auf dem Rad reagieren wird, wenn andere Konkurrenten frühzeitig Attacken fahren oder die starken Radfahrer im Laufe des Rennens aufschließen sollten, wird spannend. Blummenfelt gehört zu den etwas schwereren und kompakteren Athleten, was es für ihn kräftezehrend machen könnte, mehrere Attacken an Anstiegen direkt zu kontern. Es ist durchaus denkbar, dass die Konkurrenz gezielt versuchen wird, den Norweger auf diese Art und Weise vor dem Laufen etwas müder zu fahren, als er es gerne hätte. Auf solche Szenarien dürfte Blummenfelt selbst allerdings eingestellt und vorbereitet sein. Im Normalfall ist davon auszugehen, dass Blummenfelt keinen seiner direkten Konkurrenten auf dem Rad deutlich wegkommen lassen will. Gelingt ihm das, ohne die wichtigen Körner für den Marathon zu verschießen, stehen seine Chancen in einem direkten Laufduell wohl ziemlich gut. Bekommt Blummenfelt bei seiner ersten Ironman-WM die Ernährungsstrategie umgesetzt und legt beim Marathon ein angemessenes Pacing an den Tag, ohne die erste Hälfte deutlich zu hart anzulaufen, gibt es wohl nur zwei bis drei Athleten, die ihn an einem guten Tag stoppen können. Physiologisch bringt der Norweger wahrscheinlich das größte Leistungsvermögen und Potenzial von allen Startern mit. Wie viel er davon auf den Punkt abrufen kann und welche Rolle die Renndynamik und das Taktieren dabei spielen, wird sich erst am Renntag zeigen.

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Simon Müller
Simon Müller
Simon Müller ist selbst als ambitionierter Athlet unterwegs. 2022 wurde er Deutscher Meister auf der Kurzdistanz, 2019 qualifizierte sich bei seinem ersten Ironman in Mexiko mit einem AK-Sieg in 8:45 Stunden für den Ironman Hawaii. In seiner Brust schlägt neben dem Triathleten- auch ganz besonders ein Läuferherz. Simons Bestzeite über 10 Kilometer liegt bei unglaublichen 30:29 Minuten.

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