„Ab 2023 werden keine externen Medienschaffenden auf Motorrädern auf der Radstrecke zugelassen“, verkündete die Challenge Roth vor ein paar Tagen – und ließ sich dabei von Athleten und Triathlonfans feiern. Wir sehen das anders: ein Kommentar.

„Sagen, was ist.“ Dieses in Bronzebuchstaben an der Wand hängende Zitat von Verlegerlegende Rudolf Augstein ist das einzige Deko-Element in der mächtige Halle, die das von ihm gegründete Medium Spiegel beherbergt. Und es ist zum Leitspruch einer deutschen Journalismuskultur geworden, die weltweit ihresgleichen sucht. Aber um zu sagen, was ist, bedarf es einer wichtigen Voraussetzung, man muss zunächst: Erfahren, was ist.
Aus diesem Grund können wir unsere Art des Journalismus nicht allein vom Schreibtisch aus betreiben. Das wirkliche Geschehen im Triathlon spielt sich an Orten in aller Welt ab. Nicht auf Facebook und Instagram, YouTube oder Twitter, sondern in Kailua-Kona und Nizza, auf Fuerteventura und Ibiza, auf dem Römer- und Solarer Berg. Wir stecken viel Aufwand in die Berichterstattung vor Ort. Kein Triathlonmedium der Welt reist so viel wie wir, um so direkt wie wir zu berichten. Fühlen, was ist.
Die Macht der Bilder
Aktuell gibt es einen bedenklichen Trend: Immer mehr hochprofessionellen Eigenproduktionen von Veranstaltern und Organisationen stehen immer weniger kritischen Medien gegenüber. Das Bild, das beim Endverbraucher ankommt, wird immer mehr verzerrt. Wer am vergangenen Wochenende zufällig auf den Livestream des Frauenrennens der Arena Games Triathlon gestoßen ist, bekam den Eindruck vermittelt, dass er Weltklassesport präsentiert bekommt. Dass es sich um ein vielleicht zukunftsträchtiges, aber aktuell international noch eher drittklassiges Feld handelte, verkündeten die hauseigenen Kommentatoren nicht. Die inzwischen technisch richtig guten Livestreams von 25 Ironman-Rennen pro Jahr werden in Bild und Ton ebenso unkritisch mit dem eigenen Produkt umgehen. Und dass das Hauptinteresse der Professional Triathletes Organisation mit dem großen Anteilseigner Warner Discovery vorrangig ein massentaugliches Medienprodukt ist, sollte ebenfalls zu denken geben.
Vor mehr als 15 Jahren war ich selbst einige Zeit als offizieller Fotograf des Triathlon-Weltverbands unterwegs, um die Sportwelt mit Triathlonfotos zu versorgen. Einige der spektakulärsten Fotos durfte ich nicht in die offiziellen Galerien einstellen, da sie nicht ins gewünschte Gesamtbild passten. Und dass unsere Zusammenarbeit mit der Deutschen Triathlon Union vor vielen Jahren auch an unterschiedlichen Auffassungen zwischen unserer Redaktion und der damaligen Verbandsführung in Sachen Doping-Berichterstattung auseinanderging, wurde zum wichtigen Meilenstein unserer Verlagsentwicklung. Nicht sagen, was ist – sondern was die Zielgruppe zu glauben hat: Das ist PR – und die ist der Gegenspieler von Journalismus.
Externe Medienschaffende: Sündenbock, Schwarzer Peter oder Bauernopfer?
Vor wenigen Tagen verkündeten die Veranstalter der Challenge Roth per Medienmitteilung, dass ab 2023 keine externen Medienschaffenden auf Motorrädern mehr auf der Radstrecke zugelassen würden. Der Livestream, so wurde immer wieder betont, sei davon nicht betroffen. „Konkret reden wir hier über 40 Motorräder weniger“, heißt es in der Verlautbarung. Das Team um Felix Walchshöfer halte „das für notwendig, da zuletzt bei einigen Langdistanzrennen gehäuft Diskussion über fragwürdige Zeitstrafen und den Einfluss von Motorrädern auf das Windschattenfahren aufkamen.“ Moment, damit meinen die Rother ja auch uns. Denn seit vielen, vielen Jahren verfolgen wir die Rennen der Challenge Roth als Medienschaffende. Wir haben das immer als Privileg gesehen.

Ein Privileg, das auch eine enorme Verantwortung mit sich bringt. Wir professionellen Medienschaffenden sind selbst hoch sensibilisiert, was unsere Präsenz in den Rennen betrifft. Wir beobachten die Rennen und den Sport stets von außen. Es wäre der Super-GAU, wenn durch unser Verhalten einzelne Athleten bevorzugt oder – noch schlimmer – gefährdet würden. Wir müssen in all unserem Verhalten neutral sein. Und wir halten uns aus dem wildesten Getümmel raus. Wenn es mal eine Viertelstunde keine Gelegenheit für ein Foto gibt, ärgert uns das vielleicht. Wir forcieren diese Fotogelegenheit aber nicht. Beobachten, was ist – aber in keinem Fall eingreifen und beeinflussen. Und hinterher: Sagen, was ist. Nicht nur in unseren Bildern, sondern auch in unseren Geschichten, Berichten und Podcasts. In unserem Slogan sind wir ja schließlich auch der Insider der Triathlonszene.
Zu viele Motorräder – muss das sein?
Ja, sicherlich gibt es hier und da ein Problem mit den Motorrädern auf den Wettkampfstrecken. Dieses Problem lässt sich aber nicht so einfach auf die „externen Medienschaffenden“ einschränken. Denn ich und meine Kollegen fahren nicht 180 Kilometer vor, neben oder hinter einem einzelnen Athleten her. Wir beobachten das Feld in der Tiefe: Frauen, Männer, Agegrouper. Da bleiben oft nur wenige Begegnungen von wenigen Sekunden pro Athlet. Und mehr brauchen wir auch meistens nicht: Wir wollen ja nicht nur die Profis (und zwar so viele wie möglich von ihnen) beobachten, sondern auch die Agegrouper, die ein großartiges Rennen ebenso ausmachen wie die Zuschauer und die Landschaft, in der das Ganze stattfindet. Und die Helfer, ohne die gar nichts stattfände.
Meistens bin ich bei der Challenge Roth nur eine Radrunde auf dem Motorrad gefahren: Profifeld der Frauen, Profifeld der Männer, dann Agegrouperfelder in Weizenfeldern, bis mich die Männerspitze überrundete. Nur so ergab sich ein umfassendes Bild, über das ich danach berichten konnte – aber eben nicht nur in Bildern. Und wenn sich Pulks auf der Radstrecke wie von Zauberhand aufgelöst haben, weil unserer lauter werdendes Knattern als Annäherung eines Kampfrichters missinterpretiert wurde, habe ich das stets lächelnd quittiert. Als ich einmal beim Ironman 70.3 Rügen erst auf den letzten Kilometern zum Führenden Michael Raelert vorgestoßen war, um mir auch von ihm einen Eindruck zu verschaffen und auch von ihm ein paar Fotos zu schießen, quittierte er das lächelnd mit: „Da bist du ja endlich!“
wenn sich Pulks auf der Radstrecke wie von Zauberhand aufgelöst haben, weil unserer lauter werdendes Knattern als Annäherung eines Kampfrichters missinterpretiert wurde, habe ich das stets lächelnd quittiert.
Das Problem sind also nicht wir Triathlonmedien, sondern die Medienschaffenden, deren Rolle es ist, an wenigen Athleten zu hängen: Die Kameramotorräder von Fernsehen und Livestream, oft ergänzt von Live-Moderatoren, Organisatoren und Kampfrichtern. Ein Bollwerk mit Sogwirkung. Und wenn auch wir uns dahinter einmal länger in diesen Sog eingereiht haben, dann nur, weil wir einfach nicht durchkamen zu den Athleten, die wir nur für wenige Sekunden brauchten, um dann wieder vom Ort des Geschehens zu verschwinden. Oder um die Flucht nach vorn anzutreten, da wir einen Großteil unserer Fotos nicht vom Soziussitz, sondern vom Streckenrand aus schießen. Diese Freiheit haben wir, nicht aber das Livebild: Wenn der Regisseur sagt: „Bleib dran!“, dann bleibt der Kameramann dran. Und da sich die Livebildregie vor allem für die Spitze interessiert, kommt es genau hierdurch zur Wettbewerbsverzerrung, die einige Athleten zu Recht bemängeln, um nun einen falschen Lösungsansatz zu beklatschen.

Das Dilemma dieser Wettbewerbsverzerrung für Sportler und Medien ist mit dem Wachstum des Triathlonsports nicht kleiner geworden: Je größer die Kamera, desto größer auch das Selbstbewusstsein. Bisher unerreichter Höhepunkt: Wenige Augenblicke vor dem Zieleinlauf des Siegers beim Ironman Frankfurt schob einmal der Haussender ein gigantisches Kamerapodest vor die voll besetzte Fotografentribüne. Völlige Fehlplanung, aber in diesem Moment waren Proteste und Diskussionen zwecklos. Dabei waren wir Fachmedien schon vorher da. Nicht nur an diesem Tag auf dieser Tribüne, sondern schon all die Jahre, bevor das Fernsehen den Reiz des Triathlonsports erkannte. Und wir werden bleiben, selbst wenn die Großen zu neuen Trends weiterziehen oder die Rundfunkgebühren für eine so große Produktion nicht mehr ausreichen – versprochen! Dass die nicht-öffentlich-rechtlichen Medienschaffenden in der zweiten Reihe zu bleiben haben, ist inzwischen Tradition – aber eben auch nicht das Problem, das man mit dem Schritt in Roth zu lösen versucht.
Aus Fehlern der Vergangenheit lernen
Der völlige Ausschluss der Fachmedien von elementaren Inhalten des Triathlonsports wie nun eben der Radstrecke in Roth ist nicht neu. Vor vielen Jahren kam die Organisation der Ironman-WM auf die Idee, keine externen Fotografen auf den Queen Kaahumanu Highway zuzulassen, wenn auch aus anderem Grund: Man wollte selbst Herr über die Bildwelten des Rennens bleiben. Der einsam gegen den Mumuku kämpfende Held, nicht der im 50er-Pulk dahingleitende Dauerlutscher. Und vermarkten wollte man das Ganze auch noch: Die vorausgewählten Heldenbilder durften wir Medien anschließend bei der hauseigenen Agentur des Veranstalters kaufen, die Preise begannen in den kleinsten Formaten bei 250 Dollar. Funktioniert hat das Ganze nicht, nach zwei Jahren hatte dieser Spuk ebenso ein Ende wie der zwischenzeitliche Medienausschluss von der Radstrecke des Ironman Frankfurt. Vielleicht waren wir in Hessen aber selbst schuld, da wir die dichtgedrängten Menschenmengen, die der damalige Veranstalter auf der Pressekonferenz nach jedem Rennen lauthals verkündete, auch gesehen haben – allerdings nicht an, sondern auf der Strecke. Und da wir ja stets sagen, was ist, wurden wir auf Bewährung in den Pressebus strafversetzt, bis man merkte, dass das wohl ein Irrweg war.
Einen Pressebus und Shuttles soll es in Roth auch geben. Dass sich daraus kein umfassender Insiderblick ergeben kann, sollte nun einleuchten. Das Geschehen auf einer 180 Kilometer langen Radstrecke lässt sich nicht von wenigen angefahrenen Punkten einschätzen und abbilden. Die Challenge Roth präsentiert so wunderbare, so mächtige Bilder. Bilder, die bleiben: Jan Frodeno, als er einen Fan im Vorschulalter auf dessen Kinderrad überholt, eingefangen vom unvergessenen Michael Rauschendorfer. Der gleiche Jan Frodeno, wie er unter Tränen an der Lände in Führung liegend aus dem Rennen ausscheidet. Die 84-jährige Sister Madonna Buder, als sie an einem Kruzifix vorbeiradelt. Bilder der Triathlongeschichte, gegen die der flüchtige Moment des Livestreams austauschbar wird – die aber eine persönliche Erreichbarkeit all dieser Orte aufgrund der Erfahrung und Entscheidung des jeweiligen Medienschaffenden voraussetzen. Es wäre schade, wenn das alles Geschichte wäre. Der Triathlonsport wird ärmer durch die Entscheidung, externe Medienschaffende nicht mehr auf die Radstrecke zu lassen. Viele Profis und Agegrouper werden medial gar nicht mehr stattfinden. Und da Roth in vielen Dingen Maßstäbe setzt, besteht die Gefahr, dass andere sich anschließen.

Den ungefilterten Blick erhalten
Daher werden wir uns auch weiterhin für einen ungefilterten Blick der Triathlonöffentlichkeit auf die Rennen einsetzen. Triathlon ist ein Teil der Gesellschaft und diese Gesellschaft hat ein Anrecht darauf, vom Geschehen durch unabhängigen Journalismus zu erfahren. Stellt euch vor, andere Veranstaltungen würden nur durch die hauseigenen Livestreams an die Öffentlichkeit geraten: Parteitage. Friedensdemonstrationen. Oder die Eröffnungsfeier einer Fußball-Weltmeisterschaft in einem Wüstenstaat. Durch die mediale Sozialisation durch soziale Medien wächst eine Generation heran, die bunte Bilder unkritisch betrachtet. Hauptsache, es sieht geil aus und der Sound ist mega. Konsum vor Information. Daher braucht es mehr denn je Fachleute, die sagen können, was ist – weil sie zuvor sehen, fühlen und erleben, was ist, und das mit ihrer Expertise einordnen können.
Vom Problem zur Lösung
Wir können nur hoffen, dass man sich in Roth noch einmal auf die Gesamtverantwortung für den Sport besinnt und diese Fehlentscheidung überdenkt. Viele der Bilder aus Roth sind Teil der deutschen Triathlonkultur geworden uns es steht auch in der Verantwortung eines Veranstalters, die Möglichkeiten dazu mit Augenmaß zu erhalten. Wenn man optimistisch verkündet, dass „speziell Profis enorm durch mehr Kommunikation zwischen allen Beteiligten und die Reduzierung von Medienmotorrädern“ profitieren, ist das deutlich zu kurz gedacht. Das Problem ist nicht die zunehmende Dichte an der Spitze, sondern die zunehmende Masse an Medienschaffenden. Man kann und darf auch bei dieser Ungleichbehandlung nicht alle Medienschaffenden gleich behandeln. Ja, es waren in der Vergangenheit zu viele Motorräder auf mancher Strecke. Aber vielleicht sollte man statt eines Schwarz-Weiß-Denkens in allen Bereichen eine maßvolle Reduktion vornehmen. Weniger Live-Motorräder, weniger Orga-Motorräder, weniger Sponsoren, wenige Athletenbegleiter, eine bessere Verteilung der Kampfrichter-Motorräder und, selbstverständlich, eine sinnvolle Reduktion der externen Medien-Motorräder. Denn auch wir Medien sind es gewohnt, in Wettbewerben und Ausscheidungsverfahren zu stehen. Unsere Assets sind nicht schnelle Schwimm-, Rad- und Laufzeiten, sondern Relevanz, Professionalität und Reichweite. Der Bewerbungsschluss um die wenigen Plätze der Berichterstattung von den Olympischen Spielen 2024 war im November 2022. Es wäre fatal, wenn die Welt von den Olympischen Spielen nur durch einen Livestream des IOC erfahren würde. Selbst der oft kritisierte Ironman Hawaii macht seit Jahren vor, wie es geht: Bewerbungsverfahren und Zuteilung, Briefing und klare Regulation auf der Strecke. Klare Abstände und kurze Zeitfenster für die Interaktion und Sanktionen, wenn man sich nicht daran hält. Professionalität auf Augenhöhe.
Es braucht keinen pauschalen Ausschluss der externen Medien von der Radstrecke eines Rennens, sondern eine Reduzierung und Ordnung – mit Bewerbungsverfahren, Briefings und Debriefings. In diesem Jahr kann ich ganz persönlich die Rother Entscheidung mit Gelassenheit sehen, denn ich werde am 25. Juni 2023 als Athlet an der Startlinie der Challenge Roth stehen. Diesen Kommentar schreibe ich also nicht für mich, sondern stellvertretend für alle Kollegen, ob in meiner Firma oder in der bunten Triathlonwelt da draußen, die sich mit Professionalität und Herzblut für die bestmögliche Berichterstattung im Triathlon und für die Triathleten einsetzen.
Ich hoffe, dass man bis dahin die Entscheidung bezüglich der Medienpräsenz auf der Strecke überdacht hat und vielleicht ein Bewerbungsverfahren für weniger Motorradplätze etabliert hat. Felix Walchshöfer und Kollegen dürfen diesen Beitrag gern als mein Bewerbungsschreiben für 2024 sehen.
Denn ich möchte auch weiterhin sagen, was ist!
Hinweis: Die in diesem Artikel verwendeten Fotos sollen die Problematik illustrieren. Es sind Momentaufnahmen, aus denen sich keinerlei Schlüsse über längere Zeitraume, Vorteile oder Nachteile für abgebildete Personen ableiten lassen.
Korrektur: In einer früheren Version des Artikels hieß es, dass Jan Frodeno „unter Tränen an der Lände trotz deutlicher Führung aus dem Rennen“ ausgeschieden sei. Die Führung betrug nur wenige Sekunden, wir haben das entsprechend korrigiert.