Weltmeister, Europameister, zwei Siege bei der World Triathlon Para Series. Und im Testevent von Paris: nur Platz 8. Martin Schulz, dem seit seiner Geburt der linke Unterarm fehlt (Startklasse PTS5 – „Mild impairments“), über das Material für die Mission Paris 2024 und sein Potenzial, die dritte paralympische Goldmedaille zu gewinnen.
Martin Schulz, 2023 warst du fast ungeschlagen. Du hast alles gewonnen – außer den Paralympics-Test in Paris. Wie war die vergangene Saison für dich insgesamt?
Aus sportlicher Sicht war es eine sehr, sehr gute Saison. Fast schon perfekte Saison. Ich konnte nicht nur oft gewinnen, sondern war auch mit der Leistung sehr zufrieden. Nur Paris stand unter keinem guten Stern. Wir mussten einen Duathlon machen, da sich die Wasserqualität verschlechtert hatte. Ich habe mich damit arrangiert und versucht, das Beste draus zu machen. Und bis auf die Tatsache, dass ich sechs statt der fünf Radrunden gefahren bin, war das ein gutes Rennen. Die Radstrecke liegt mir, das habe ich mitgenommen. Auch läuferisch konnte ich meinen Konkurrenten zeigen, dass kein Weg an mir vorbei gehen wird.
Die Strecke hat Kanten und wechselnden Belag mit 26 Prozent Kopfsteinpflaster. Ist das eine besondere Herausforderung?
Die paralympische Strecke ist nochmal anders als die olympische. Ich glaube, 26 Prozent ist bei uns der Nichtkopfsteinpflasteranteil. Das Stück mit dem schönen neuen Asphalt wird bei uns die Laufstrecke. Das ist herausfordernd und war auch ein Grund, warum ich mich verzählt habe: Man muss wirklich mit höchster Konzentration auf der Strecke sein, die trotzdem irgendwie ein Highspeed-Kurs ist. Man rast da die ganze Zeit mit 45 Sachen über Kopfsteinpflaster. Das hat den einen oder anderen auf jeden Fall ermüdet, obwohl das Feld vielleicht beim Radfahren noch geschlossen war.
Hast du in deiner Heimat schon Streckenabschnitte erkundet, wo du sagst: Okay, da rumpelt es so richtig, die nehme ich, um Paris zu simulieren?
Es ist ja jetzt nicht so ein Kopfsteinpflaster wie bei Paris–Roubaix, wo man komplett mit dem Rad zwischen den Steinen verschwindet. Wenn man ein gutes Niveau und eine gute Technik hat, konditionell gut drauf ist, dann sollte das kein Problem sein. In Sachsen gibt es durchaus das eine oder andere Stück, wo man vielleicht mal ein bisschen üben kann.
Der Lenker, mit dem du über den Kurs in Paris navigieren wirst, ist ein Unikat. Wie ist er entstanden?
Das FES in Berlin hat mir bei den Umbauarbeiten geholfen. Mein Lenker muss funktionell für mich passen und aus orthopädischer Sicht auf mich abgestimmt sein. Aber auch der Performancegedanke muss stimmen. Ein Orthopädiehaus hat mir auch bisher gute Sachen gebaut, die irgendwie funktionierten. Aber beim FES ist einfach der High-Performance-Gedanke da. Da wird ganz anders an Aerodynamik und Gewicht gefeilt. Ohne diese Unterstützung wäre meine Radleistung nicht möglich.
Was ist besonders an diesem Lenker?
Die Arbeiten gingen bereits 2019 vor den Paralympics in Tokio los. Die Verschiebung der Spiele kam uns damals eher entgegen, weil das ein sehr langwieriges Projekt war, bei dem auch das FES Neuland betreten hat. Im olympischen Bereich haben die Leute viele Jahre Expertise, speziell im Radsport und dort im Parabereich. Bei uns Parasportlern gibt es viel mehr individuelle Unterschiede als im olympischen Sport. Ich konnte meine Ideen und Wünsche angeben und das FES war dann für die Umsetzung zuständig. Und so haben wir uns nach und nach angenähert an den heutigen Stand, von dem ich sagen kann: Besser geht’s nicht! In Aero-Position kann ich mit meinem linken Arm auf dem Pad auflegen. Aber wenn ich in Oberlenkerposition fahre, was in Paris oft sein muss, oder wenn ich aufs Rad aufspringe, im Wiegetritt fahre oder mal hart bremse, muss ich orthopädisch gerade auf dem Rad sitzen und die Kraft optimal übertragen können. Dafür haben wir diesen Flügel konstruiert, der in der Aero-Position trotzdem im Wind steht. Und bei dessen aerodynamischer Optimierung und der Gewichtsfrage kam die ganze Expertise des FES zum Tragen. Wir können uns in Deutschland sehr glücklich schätzen, dass wir solche Institutionen haben.
Das FES arbeitet mit den Triathleten in Hinblick auf die Olympischen Spiele primär im Schwimmen zusammen. Spielt diese Zusammenarbeit bei dir auch eine Rolle oder ist es bei dir ausschließlich auf die zweite Disziplin, das Radfahren, ausgelegt?
Ich verwende ebenfalls speziell für das Schwimmen gebaute Sensoren, die unter der Badekappe im Pool oder im Freiwasser getragen werden können. Diese sind wesentlich genauer als eine Uhr am Handgelenk und zeichnen auch noch einmal ein paar andere Daten auf, als die Uhr es kann. Hier haben wir noch einmal ganz andere Möglichkeiten mit der Technik. Es sind individuelle Geräte, die es nur für den Spitzensport und nicht von der Stange gibt. Mit den aufgezeichneten Daten können wir dann Rückschlüsse ziehen, die uns im Wettkampf weiterhelfen.
Wir sind im olympischen Jahr und es sind noch etwa sieben Monate bis zur Eröffnungsfeier. Wo siehst du dein größtes Potenzial, um dich noch einmal zu verbessern?
Ich glaube, ich kann in allen Bereichen noch ein paar kleine Schräubchen drehen. Im Leistungssport bedeutet Stillstand gleich Rückstand, deshalb versuche ich meine Stärken weiterhin zu stärken und an meinen kleinen Schwächen zu feilen. Dennoch ist das Allerwichtigste, dass man trotzdem jetzt nicht übertreibt, nur weil es jetzt die olympische oder paralympische Saison ist. Es gibt viele Beispiele von Sportlern, die dann im entscheidenden Jahr plötzlich ständig mit Verletzungspech geplagt waren, weil sie etwas extrem gut machen wollten. Ich glaube, man sollte schon sehr in seinen Körper hineinhören und eine gewisse Ruhe bewahren. Ich bin überzeugt, dass ich in der Saison 2023 vieles richtig gemacht habe, das will ich nun kopieren. Aber es kommt eben darauf an, dass die Hausaufgaben geduldig erledigt werden. Was nicht bedeutet, dass ich nicht an den kleinen Schrauben drehe und versuche, eine kleine Steigerung im Training zu erreichen. Die Balance muss stimmen, dass es nicht zu viel wird.
Es gibt nicht viele Para-Triathleten, die außer dir sowohl in Rio als auch in Tokio gewonnen haben. Mit einem Sieg in Paris wärst du der erfolgreichste Para-Triathlet aller Zeiten. Ist das ein Antrieb für dich?
Es gibt neben mir noch einen Niederländer, Jetze Plat, der ebenfalls in Rio und Tokio gewonnen hat. Wenn Jetze Plat weiterhin gesund bleibt, dann wird aus meiner Sicht kein Weg an ihm vorbeigehen. Der ist in seiner Klassifizierungsklasse fast noch ein Stück dominanter als ich. Aber klar, es ist mein großes Ziel. Es ist natürlich so, dass ich immer der Gejagte bin und sich alle an mir orientieren. Nach Rio 2016 war ich bei den Großevents dann häufig „nur“ Zweiter, da der Kanadier Stefan Daniel häufig vor mir war. Bis heute sind wir beide die stärksten Konkurrenten und in Tokio ist es mir gelungen, das Blatt zu wenden, sodass ich wieder ganz oben stand. In der zurückliegenden Saison 2023 ist es mir erneut gelungen, ihn zu schlagen. Dennoch ist er für Paris ein ebenso heißer Kandidat auf Gold. Dahinter ist es ziemlich offen, es kommen viele junge Sportler nach. Ich weiß selbst noch, wie es ist, wenn man Anfang 20 ist und an die Weltspitze anknüpft. Da ist es schon eine andere Perspektive, wenn man etwas erreicht hat.