Der 70.3 Elsinore sollte als Europameisterschaft von Ironman mein Highlight der ersten Saisonhälfte sein. Ein fast perfekter Trainingsblock, ein neues Rad, einige Last-Minute-Aktionen von meinem Team sowie ein paar der großen Namen auf der Startliste versprachen einen tollen Wettkampf.
Ein paar Tage vor dem Wettkampf kam ich in Dänemark an. Es gefiel mir sofort richtig gut: landschaftlich super schön, freundliche Menschen, die alle sehr gutes Englisch sprechen und Bäckereien mit leckeren Sachen. Kurzum, ich fühlte mich wohl. Zwei Tage vor dem Renntag hatte ich dann einen Platten. Kein Wunder, denn immer wieder lag Kies mit teilweise kleinen spitzen Steinen auf der Straße. Kurzerhand habe ich mich für einen pannensicheren Mantel entschieden, um im Rennen auf Nummer sicher zu gehen. Aber am nächsten Morgen war mein Hinterrad wieder platt. Einen Besuch im Radgeschäft und einen weiteren beim Mechaniker im Ironman Village später, schob ich kurz vor Ende des Check-ins mein Zeitfahrrad mit zwei aufgepumpten Reifen in die Wechselzone. Ein super gutes Gefühl hatte ich trotzdem nicht. Am nächsten Morgen stand ich als Erstes an der Wechselzone und fand wieder ein plattes Hinterrad vor. Zum Glück erkannte mich der Radmechaniker vom Vortag, nahm mir mein Rad ab und machte einen Schlauch in meinen Tubelessreifen hinein. Ich konnte währenddessen in Ruhe alles andere vorbereiten.
Vor dem Start hatte ich ein kleines Tief, denn irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mich alles Glück verlassen hat. Aber, und das ist für mich eine erste positive Erkenntnis: Ich habe es geschafft, meine negativen Gedanken zu verdrängen und hüpfte konzentriert und mit einer „Jetzt-erst-recht“-Einstellung ins Wasser. Im Hafen waren unzählige Quallen, was mich zusätzlich anspornte, unbedingt in einer Gruppe zu schwimmen, um diesen nicht ganz allein ausgeliefert zu sein. Das Schwimmen hat zu meiner Überraschung sogar etwas Spaß gemacht: viele Bojen, ein paar gute Entscheidungen, die ich getroffen habe, unter anderem, als sich die Gruppe „verirrte“, aber auch ein paar Ellbogen und Füße im Weg. Mit drei Minuten Rückstand auf die Spitze und mitten in der zweiten Gruppe krabbelte ich aus dem Wasser und sprintete durch die Wechselzone. Mit einem schnellen Wechsel ging ich als Erste aus meiner Gruppe auf die Radstrecke und begann die Aufholjagd nach vorn.
Sturz auf nasser Straße
Ich hatte großes Selbstvertrauen in meine Form auf dem Rad und hoffte, mich mit Ruth Astle zusammenschließen zu können, um die Arbeit etwas zu teilen. Die Straßen waren nass und besonders in den Kurven musste man mehr bremsen als bei meinem Streckencheck. Aber da ich die Strecke gut kannte, hatte ich damit keine Schwierigkeiten – bis Kilometer 30. Bei Kilometer 30 war eine sehr scharfe und uneinsichtige Kurve. Ich bremste runter und fuhr die Kurve so an, wie ich es geübt hatte. In der Mitte der Kurve und genau auf meiner Linie war eine große Pfütze, in der das Wasser stand und die ich eingangs der Kurve nicht sehen konnte. Dafür war ich einfach zu schnell unterwegs, mein Hinterrad verlor die Haftung und rutschte weg. Ich knallte auf den Asphalt, stand aber direkt wieder und ging zur Seite, weil ich wusste, dass dicht hinter mir noch drei bis vier weitere Athletinnen kamen. Im Nachhinein habe ich herausgefunden, dass ich nicht die erste, sondern die dritte Profiathletin war, die in dieser Kurve gestürzt ist. Die anderen beiden konnten zum Glück das Rennen beenden.
Am Rand sitzend fiel das Gerüst aus positiven Gedanken, das ich mir vor dem Start aufgebaut hatte, in sich zusammen und ich hyperventilierte. Warum genau, weiß ich nicht, das ist mir noch nie passiert, aber das Gefühl zu stürzen, war neu (ich bin seit 2017 nicht gestürzt). Die Frage „Was mache ich jetzt?“ rief Panik in mir hervor. Ich hatte Glück: Mein Retter vom Morgen, der mir mit meinem Platten geholfen hat, war auf einem Motorrad sofort zur Stelle. Er schaffte es, mich schnell zu beruhigen und checkte mein Rad. Auch wenn sich das für mich wie eine Ewigkeit angefühlt hat, war ich dadurch nur zweieinhalb Minuten aus dem Rennen.
Ich hatte Schmerzen im linken Ellbogen, an der Hüfte und am Rücken, aber in Aero-Position war es auszuhalten. Links den Basislenker und die Bremse festhalten, ging nur unter Schmerzen. Die restlichen 60 Kilometer versuchte ich also auf den Geraden ordentlich zu drücken und begann jeweils früh vor Kurven zu bremsen. Ich habe mich gefühlt, als würde ich zum ersten Mal Kurven fahren. Zusätzlich hatte ich Schwierigkeiten, mich zu verpflegen. Mit links das Rad zu halten und rechts zu verpflegen ging nicht, andersherum etwas besser, aber auch nicht gut. Die Schmerzen im Ellbogen wurden leider auch immer größer. Bei Kilometer 70 verlor ich noch meine Trinkflasche – wenn’s läuft, dann läuft’s. Ich bin jemand, der viel zuführen muss, also stoppte ich bei der nächsten Verpflegung. Den Anblick stelle ich mir ziemlich komisch vor: eine Profiathletin mit allem Drum und Dran, die anhalten und ausklicken muss, um eine Flasche aufzunehmen und daraus zu trinken. Während ich bis dahin immer gehofft hatte, dass ich das Rennen beenden kann, wurde mir langsam klar, dass das nicht der Fall sein wird. Mit dieser Erkenntnis wuchs die Enttäuschung und kurz vor der Wechselzone, wo so viele Zuschauer standen und anfeuerten, konnte ich auch meine Tränen nicht mehr zurückhalten. In der Wechselzone beendete ich schlussendlich mein Rennen.
Ein paar Minuten später schaute sich eine Ärztin auf dem Eventgelände meinen linken Arm an, versicherte, dass nichts gebrochen sei und gab mir ein Kühlpad. Ich war zwar immer noch traurig, aber die Aussage ließ mich zumindest hoffen, bald wieder einsatzfähig zu sein. Am Abend ging ich dann doch zum Röntgen: Bruch des Radiusköpfchens und damit erst mal kein Training, kein Ironman 70.3 Les Sables d’Olonne, bei dem ich Startnummer eins gehabt hätte, und höchstwahrscheinlich keine PTO Tour. Ihr könnt euch wahrscheinlich vorstellen, wie es mir ging. Ein Telefonat mit meinem Coach Reto Brändli und eins mit meinem Mann Joel später und es ging mir direkt viel besser. Langsam entstanden schon neue Ideen und Gedanken. Seitdem muss ich sagen, und es überrascht mich selbst etwas, geht es mir gut. Klar, die Situation ist noch immer blöd, aber ich habe ein neues Ziel – diese Wochen so gut wie möglich zu nutzen: Ich ruhe viel aus, habe noch in Dänemark mit Physiotherapie angefangen, mir das europäische Headquarter von Argon 18 zeigen lassen, und freue mich nun auf ein paar Urlaubstage mit Joel. Mit vollen Energietanks geht es dann hoffentlich schon bald wieder ins (angepasste) Training und andere Projekte.
Außerdem habe ich im Nachhinein meinen Radsplit gesehen. Inklusive allem war ich nur eine Minute langsamer als die Spitze. Die ist zwar taktisch gefahren, aber da ich nach dem Sturz auch ein gutes Stück von meinen geplanten Werten entfernt war, stimmt mich das zuversichtlich, dass wir auf einem guten Weg sind. Last but not least lassen mich die Reaktionen meiner Konkurrentinnen, die sich fast ausnahmslos bei mir nach meinem Befinden erkundigt haben, die Unterstützung der Menschen vor Ort und natürlich auch der daheim, eine große Dankbarkeit verspüren. Danke!
Fotos: Nikolaj Gronbek
Radbeherrschung gehört zum Profisein genauso dazu wie Watt treten zu können. Wer vorne landet, kann das.