Die Ironman-Weltmeisterschaft findet an diesem Sonntag erstmals außerhalb der USA statt – für die Männer. War die nach 2022 verschobene 2021er-Auflage in Utah noch eine Notlösung, soll Nizza eine Dauerlösung sein. Wird das Rennen eine „richtige“ WM? Ein Kommentar.
Der Ironman Hawaii. Die Feuertänzer. Die Wellen des Pazifik. Die flimmernde Hitze. Der beste Kaffee der Welt. Und der endlose Highway. Bilder, die die Triathlonwelt liebt. Bilder, die wir lieben. Bilder, die auch wir verbreitet haben. So war es, seit 1982. Also eigentlich immer. Doch dann kam diese Pandemie. Der Rest der Geschichte ist bekannt.
Gehört die Ironman-WM (nur) nach Kailua-Kona?
Seitdem Ironman im Januar offiziell verkündet hatte, dass die Weltmeisterschaften von 2023 bis 2026 im jährlichen Wechsel der Geschlechter in Nizza und Kailua-Kona ausgetragen werden, musste die Organisation eine Menge Kritik einstecken. Man verrate das Erbe der Ironman-Urgesteine, entzaubere den Mythos, agiere allein aus wirtschaftlichen Gründen und vor allem: gegen den Willen der Triathleten. Die stimmten allzu oft mit den Füßen ab, indem sie diese stillhielten bei den Startplatzvergaben. Waren die Kona-Slots im alten Modus noch heiß begehrt und das Ergebnis jahrelanger harter Arbeit mit vielen Entbehrungen, brauchte es bei vielen Rennen dieses Sommers nur drei Voraussetzungen, um an der morgigen WM teilzunehmen: ein Finish am Sonntag, die Anwesenheit am Montag und ein Polster von über 1.500 Euro auf der Kreditkarte. In den Kommentarspalten machten viele Triathleten ihrem Ärger Luft: Es gebe nur eine Ironman-WM. Und die gehöre nach Kailua-Kona. Punkt.
Rainbow Warriors und die erste Liga
Vergleiche wurden diese Woche oft gezogen zwischen den beiden Austragungsorten der Ironman-Weltmeisterschaften 2023. Die Männer starten an diesem Sonntag in Nizza an der Côte d’Azur (Frankreich), die Frauen am 14. Oktober in Kailua-Kona auf der hawaiianischen Insel Big Island (USA). Leben in Nizza rund 340.000 Menschen, sind es in Kailua-Kona gerade einmal 23.000. Und während auf Big Island der Ironman das größte Sportevent des Jahres ist, wird die Ironman-WM in Nizza von offizieller Seite immer in einem Atemzug mit dem gestern gestarteten Rugby World Cup und der Tour de France genannt, die im kommenden Jahr erstmals mit einem Zeitfahren von Monaco nach Nizza enden wird. In Kailua-Kona rangeln sich am Sonntag die Nachwuchsteams der Rainbow Warriors auf der grünen Wiese im Football, an der Côte d’Azur spielt OGC Nizza in der ersten französischen Fußballliga. In einem von der Ironman-Radstrecke aus sichtbaren Stadion, das den gleichen Namen trägt wie das des FC Bayern München.
Dass sich in Nizza nicht alles um die Ironman-WM dreht, wird besonders offensichtlich am Place Massena, dem Hauptplatz der Mittelmeer-Metrople: Auf der einen Seite stehen die Zelte der Expo der Ironman-WM, auf der anderen die der Fanzone der Rugby-WM. Triathleten tummeln sich vor allem auf und vor der Promenade des Anglais, wo sie sich in ihrer Rennvorbereitung mit denen durchmischen, die hier das ganze Jahr über laufen, radeln und baden. Darum braucht es hier auch keinen Underpants Run als Protestaktion. Während in Kailua-Kona das Leben für den Ironman stillsteht, geht es in Nizza ganz normal weiter. Eine Querstraße hinter der Promenade ist vom Triathlonflair nichts mehr zu spüren.
Ironman zu groß für Kona – jedenfalls in der 2022er-Edition
Der Ironman 2022 war zu groß geworden für Kailua-Kona, der Wechsel des Modus auf zwei Veranstaltungsorte die logische Konsequenz, wenn man die Größe als gesetzt betrachtet, wie Ironman das tut (viele Triathleten tun das nicht, eine spontane Umfrage während unserer ersten Sendung Nizza Daily ergab, dass sich die Mehrheit die Rückkehr zum alten Eintagesmodus in Kona wünscht – auch wenn dadurch die eigenen Qualifikationschancen sinken). Dass Kailua-Kona zu klein ist, bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass Nizza zu groß für den Triathlon ist. Die Medaille hat auch hier zwei Seiten: Für den Preis der Unterkunft unseres vierköpfigen Teams für die ganze Woche am Mittelmeer bekommen wir im Pazifik ein Zimmer für eine für vier Nächte.
WM für die Besten vs. WM für alle – diese Diskussion wollen wir hier gar nicht erst aufmachen. Hier treffen Philosophien aufeinander, die noch unterschiedlicher sind als die beiden Austragungsorte. Dieser Diskurs muss und wird weitergeführt werden in den Kreisen der Triathleten, bei Agegroupern und Profis, in der Firma des Veranstalters, die in diesem Jahr nach dem Rücktritt von Andrew Messick noch einen neuen Entscheider an der Spitze bekommen wird. Der vielleicht schon in Nizza ist, um das Geschehen zu beobachten.
Alle Augen auf Nizza
Auch wir beobachten das Geschehen schon die ganze Woche über. Und auch wir kommen nicht umhin, Vergleiche zu ziehen. Der wichtigste: Die Grundstimmung unter den Athleten ist (mindestens) so gut wie in Kona. Die 249 Deutschen, die sich für diese WM entschieden haben, haben das bewusst getan. Viele von ihnen hätten noch jahrelang von der WM geträumt, die morgen Realität für sie wird. Einige rechnen sich auf diesem Kurs bessere Chancen aus. Viele der Nordamerikaner freuen sich über die Alternative, die sie, so hören wir es oft, zum ersten Mal in ihrem Leben nach Europa gebracht hat. Und die Dinge preisen, die für uns selbstverständlich sind.
Der Respekt vor der Strecke ist groß, neben der auch hier spürbaren Hitze wird der Radkurs oft als WM-würdiger betrachtet als der Queen Kaahumanu Highway an der Kona-Küste. Und wer noch von der Nostalgie eines einsamen Laufs zu den Blechhütten des Energy Labs schwärmt, für den ist die Zeit sowieso irgendwann stehen geblieben.
Auf der Suche nach dem pazifischen Flair
Auf der anderen Seite sieht man, dass der Funke an einigen Stellen noch überspringen muss: Die Nationenparade auf der Promenade des Anglais war eher ein müder Spaziergang im Vergleich zum bunten Treiben auf dem Alii Drive. Die deutschsprachige Wettkampfbesprechung entbehrte jeglicher Emotion und die Nudelparty in der Messehalle konnte vom Flair nicht ansatzweise mit der unter freiem Himmel auf dem Parkplatz des King Kamehamea Kona Beach Hotels mithalten (auch wenn das Essen hier besser war – wir sind schließlich in Frankreich). Aber das sind alles Vorgeplänkel, vielleicht auch nur Anlaufschwierigkeiten, denn der große Sport folgt ja erst morgen. Es ist Weltmeisterschaft, auch wenn viele Kommentatoren das bisher nicht wahrhaben wollten.
Wir selbst kennen das ja: Schon bei der Ironman-WM in St. George (Utah) und dem Sub7/Sub8-Projekt auf dem Lausitzring war die Skepsis groß – die Reaktionen reichten vom „interessiert mich einfach nicht“ bis hin zu aggressiven Forderungen, wir Medien müssen diese Events doch boykottieren (was für uns ein klarer Auftrag war, noch genauer hinzuschauen). War die Rennwoche bei den genannten Veranstaltungen erst einmal angebrochen, stiegen unsere Zugriffszahlen rasant. Und so war es auch in Nizza: Die WM, die niemand wollte, wird zum Rennen, das alle gucken werden. Liegt das am WM-Status eines Rennens, das es an Nizza jedes Jahr gibt? Am harten Radkurs? Am letzten Tanz von Jan Frodeno?
Ohne Innovationsgeist kein Fortschritt?
Fakt ist: Es wird morgen Nachmittag einen Nachfolger von Gustav Iden als Ironman-Weltmeister geben. Ob das ein neuer Name ist oder einer der beiden, die schon ganz oben standen (Patrick Lange und Jan Frodeno), werden wir alle beobachten. Das Profifeld ist hochklassig, auch in Kona gab es stets Absagen und Ausfälle. In den Altersklassen werden die Besten um die Titel kämpfen, auch wenn die Streuung der Leistungen größer sein wird als in den letzten Jahrzehnten auf Hawaii. Die Herausforderung, dieses Rennen zu finishen, ist ebenso gewaltig wie in Kona.
2.200 Teilnehmer sind eine ähnliche Dimension, wie wir sie vor der Pandemie aus Kona kannten. Windschattenpulks wie dort erwarten wir in den Seealpen nicht. Vieles wird neu sein morgen, es herrscht tatsächlich so etwas wie Pionierstimmung vor und hinter den Kulissen der Ironman World Championship von Nizza. Aber: Ohne die Pionierstimmung der 15 Mutigen, die 1978 in Honolulu zum ersten Ironman angetreten sind, indem sie die drei Distanzen des 2,4 Meilen langen Waikiki Roughwater Swim, des 112 Meilen langen Round Oahu Bike Race und die 26,2 Meilen des Honolulu Marathons kombinierten, hätten wir heute keinen Ironman. Und ohne Innovationsgeist hätten wir heute auch kein Windschattenverbot, keine Aero-Bars und keine Tütchen mit der zähflüssigen Energie, die uns heute über die 226 Kilometer bringt.
Jan Frodeno wird sich an diesem Sonntagnachmittag vom aktiven Renngeschehen verabschieden. Die Ironman-WM in Nizza soll bleiben (2024 dann für die Frauen, die das Rennen morgen sicher mit der gleichen Spannung verfolgen werden). Ob dieses Rennen eine würdige WM wird? Das entscheidet sich vor allem zwischen dem ersten Start morgen um 6:50 Uhr und dem letzten Finish übermorgen um 0:40 Uhr. Die Räder sind inzwischen eingecheckt, die Zutaten für ein großes Rennen bereitet. Wir werden es beobachten, wie wir auch im Oktober direkt aus Kailua-Kona berichten werden. Um dann erneut darüber zu diskutieren, was eine würdige Ironman-WM ausmacht.
In anderen Sportarten sind wechselnde WM Orte auch Usus. Nachteil Fixer WM Orte ist imho dass Spezialisten für deren örtliche Bedingungen stets ihre speziellen Vorteile haben. Es gibt m W auch europäische Profis die trotz Quali aus finanziell-riskanten Gründen Hawaii nicht leisten konnten. Ich hätte aber lieber die WM nach Embrun Le Mythe vergeben wegen der HM-selektiveren Strecke. Vermutlich möchte Ironman aber unbedingt ne rekordfähige flache Laufstrecke unter 2:30 h, schade. Sebi Kienle schwärmt auch vom anspruchsvollen Kurs des Norseman, der ist imho auch WM würdig.
Eine derart anspruchsvolle Strecke ist für die Profis interessant und umsetzbar, nicht aber für die AgeGrouper. Den Norseeman finisht in den höheren AKs niemand mehr, das wird bei den Frauen nächstes Jahr schon interessant werden, wie hoch die DNF Quote wird auf Grund der Strecke.
Ich hoffe und glaube dass Nizza ein würdiger Austragungsort ist, allein schon wegen der Historie. Für mich gehörte die WM auch nach Hawaii aber vielleicht ist es gezwungenermaßen mal ganz gut was neues zu probieren und alte Gewohnheiten zu ändern. Mittlerweile dürften sich auch alle Protagonisten damit abgefunden und das ganze als Herausforderung angenommen haben. Ich glaube dass das gut wird und dem Sport auch gut tut. Für uns Europäer ist das Eh ein Gewinn. Darüber ob Männer und Frauen getrennt starten müssen kann man natürlich streiten, vielleicht entzerrt das einarmig den Wettkampfstätten. Bin dann aber mal gespannt wenn die Altersgruppe W70 über die Radstrecke geschickt wird 😏
Durch die Radstrecke wird es mal richtig spannend morgen.
Hallo Frank,
vielen Dank für diese tolle Zusammenfassung – des GANZEN – IRONMAN Zirkusses. Die Manege ist gefüllt, die Artisten stehen bereit und die Zuschauer sind erwartungsfroh, auf das was da kommen mag.
See YOU at the Finish-Line
Sehr coole Analyse. Rennen heute was echt super zu verfolgen. Gibt wirklich Lust in 2 Jahren hier an den Start zu gehen. Alles Gute und Danke für die super Berichterstattung.
Nizza – cooles Rennen, großartige Location. Fordert natürlich andere Qualitäten, als Hawaii. Beides im Wechsel finde ich ideal.
Nizza ist ein super tolles, anspruchsvolles, wunderschönes Rennen und definitiv WM würdig, nur Topshots können da gewinnen. Leider interessierts aber keine Sau, wer IM Weltmeister ist oder wird, nur ein Hawaii-Sieg zählt wirklich, da können noch so tolle Veranstaltungen eine WM ausführen.
Challenge ist auch x-fach gescheitert, fremd zu gehen, auch da zählt nur Roth.