Stille. Einige verunsicherte Blicke. „Jetzt möchte ich dich bitten, zehn Rollen vorwärts und drei rückwärts zu machen.“ Was sich zunächst wie eine Anweisung aus dem Sportunterricht in der Grundschule anhört, ist der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit: der Zusammenarbeit von Laura Phillipp und Lauftrainer Wolfgang Schweim. Klar wird: Schweims Philosophie und Arbeitsweise haben etwas Besonderes an sich. Er versuche häufig bei der ersten gemeinsamen Trainingseinheit die Athleten zu verunsichern, denn bei ihm funktioniere vieles über Autorität. Wer aus falschem Stolz oder durch Restzweifel kein vollkommenes Vertrauen zu ihm und seinen Methoden aufbauen könne, würde damit auch nicht erfolgreich sein. Sich vollständig auf sein Konzept einzulassen, sei der erste und wichtigste Schritt für eine effektive Zusammenarbeit. Ohne nachzufragen oder zu widersprechen, führt Philipp die Anweisung aus – das von Schweim unterschwellig eingeforderte Zeichen der nötigen Arbeitsbereitschaft. Der heute 68-Jährige ist für gewöhnlich ein Mann hinter den Kulissen. Seit mittlerweile zehn Jahren ist er der Lauftrainer von Patrick Lange, arbeitet in der dritten Disziplin außerdem mit zahlreichen anderen Triathleten zusammen. Das Training von Nachwuchsathletin und Lauf-Ass Lisa Tertsch hat er seit einigen Monaten sogar komplett übernommen, nachdem sich die Zusammenarbeit zuvor für längere Zeit ausschließlich auf Schweims Spezialgebiet, die Lauftechnik- und Bewegungsanalyse, beschränkte.
Wolfgang Schweim hat sich als „Running Wolf“ im Laufe der Jahre in der Triathlon- und Laufszene durch seine gleichermaßen ausgefallenen wie auch erfolgreichen Methoden einen Namen als Laufguru gemacht – und vertritt dabei nicht selten polarisierende Standpunkte, die von vielen Perspektiven abweichen, die man für gewöhnlich kennt. Die Kontraproduktivität von Lauf-Abc-Übungen, fehlgeleitete und profitgesteuerte Entwicklungen in der Laufschuhindustrie, maßlos übertriebenen „Rumpfstabi-Fetischismus“ und das Joggen als absolute Fehlinterpretation des Laufens – um nur einige Beispiele zu nennen. Doch lange bevor Schweim sein eigenes Konzept für Lauftechnikideale, Praxismethoden und Bewegungsanalysen entwickelt, mit Profiathleten zusammenarbeitet und Laufseminare für jedermann anbietet, durchlebt er einen derartig spektakulären Lauflebensweg, wie man ihn sich kaum ausdenken könnte. Die Geschichte eines angehenden Balletttänzers, der als arbeitsloser Hippie und passionierter Vollblutläufer durch den Mut der Verzweiflung als Marketingleiter bei Nike landet, später in Boston die Geschäftsführung von Saucony übernimmt, aus Flugangst seinen Job an den Nagel hängt, Schwerverbrechern in Gefängnissen Atemtherapie gibt und in Indiens Höhlen den tieferen Mechanismen des Laufens auf die Spur geht.
Der Balletttänzer
Dass das Laufen über mittlerweile fast schon fünf Jahrzehnte auf vielen verschiedenen Ebenen ein großer Lebensinhalt von Wolfgang Schweim werden würde, war zunächst in keiner Weise abzusehen. Schweim wird am 9. Juni 1952 im hohen Norden in Bad Segeberg geboren – um 18:52 Uhr. Dass ausgerechnet seine Geburtsminute fast 30 Jahre später einmal dafür sorgen würde, dass sich sein ganzes Leben schlagartig ändert, hätte zu dieser Zeit noch niemand ahnen können. Schweim wächst als Dorfjunge auf. In jungen Jahren verbringt er seine Freizeit meist mit Fußballspielen oder Tischtennis, entwickelt aber gleichzeitig ein großes Interesse an Bewegungen. Diese Faszination führt schließlich dazu, dass sich Schweim im verhältnismäßig hohen Alter von 20 Jahren am Lübecker Stadttheater zum Balletttänzer ausbilden lassen möchte.
Die skeptischen Blicke seines asiatischen Lehrmeisters hat Schweim bis heute nicht vergessen: „Er hat mich von oben bis unten gemustert und mich so angesehen, wie ich heutzutage Läufer anschaue. Vielleicht hatte er sogar eine ähnliche Fähigkeit wie ich, Bewegung schon im Stand erkennen zu können. Ich war total ungelenkig, aber nach einer Viertelstunde sagte er zu mir, dass er das nicht gedacht hätte, es aber funktionieren wird.“ Gesagt, getan. Um sich die Ballettausbildung leisten zu können, arbeitet er Anfang der 70er-Jahre nebenbei als Fahrer und Buchhalter einer zwielichtigen Unterweltfigur im Rotlichtmilieu. Einen Schlussstrich unter dieses Kapitel muss Schweim, der die damalige Wehrpflicht mit jeder Faser seines Körpers verachtet, ziehen, als er nach dreimaligem Verweigern des Wehrdienstes erfolgreich gegen die Bundesrepublik Deutschland klagt und seinen Zivildienst daraufhin sofort antreten muss …
Das komplette Porträt von Wolfgang Schweim gibt es in der aktuellen triathlon 188 zu lesen. Die Ausgabe erhaltet ihr hier:
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