Es ist ein Moment, den Sarah Piampiano nie mehr vergessen wird. Der Moment, in dem die US-amerikanische Profitriathletin die Zielbanderole des Ironman Brazil in die Höhe reißt. Nach dem Rennen ihres Lebens. Sie hat gewonnen – mit Radrekord, Laufrekord und Streckenrekord. Eine unglaubliche Leistung. Und eine Leistung, die sie hauptsächlich der Tatsache zuschreibt, dass sie frisch an den Start ging und Spaß hatte. Mehr Spaß als jemals zuvor, wie sie selbst sagt. Sie ist nicht die Einzige, der es dank des „Spaß-Faktors“ gelang, abzuliefern, als es darauf ankam: Sebastian Kienle gewann 2014 auf Hawaii, nachdem er für sich erkannt hatte, dass ihn keiner, der wichtig ist, weniger liebt, wenn er nicht gewinnt. Maurice Clavel, Dritter beim Ironman South Africa 2018 und Sieger der Challenge Kaiserwinkl-Walchsee 2019, appelliert an seine Fans: „Verliert nie den Humor!“ Entsprechend tummeln sich witzige Schnappschüsse von ihm mit Perücke im Windkanal oder beim Herumalbern auf dem Laufband auf seinem Instagram-Profil. Und Cameron Wurf, der einen Radrekord nach dem anderen pulverisiert, wird von seinen Followern gefeiert für seine lustigen Kommentare, die er unter den Posts der Profikollegen hinterlässt.
Verbissenheit macht Muskeln müde
Damit machen diese Profis, vielleicht instinktiv, vielleicht bewusst, eine ganze Menge richtig. Denn Spaß macht schnell. Verbissenheit dagegen verursacht eine hohe innere Anspannung. Die wirkt sich unter anderem stark muskulär aus, da sich der Muskeltonus, also der Spannungszustand der Muskeln, sehr erhöht. Die Lockerheit geht verloren. „Das hat energetische Auswirkungen, beeinflusst aber auch die Kraft. Wenn die Muskeln zu hart und auf Dauer angespannt sind, verbrauchen sie zu viel Energie und sind verletzungsanfälliger“, erklärt Sportwissenschaftler Sascha Katschemba. Hat ein Athlet dagegen Freude an dem, was er tut, produziert der Körper Endorphine, die das Stresslevel senken und die Schmerztoleranz verbessern. Lachen setzt Serotonin frei, das Atmung und Herzfrequenz positiv beeinflusst. Ein Team von Wissenschaftlern der nordirischen Ulster University und der walisischen Swansea University hat diesen Effekt sogar in Zahlen gegossen: 2017 stellten sie in einer Studie mit Hobbysportlern fest, dass sich die Laufökonomie der Probanden verbesserte, wenn sie lächelten – und zwar um insgesamt 2,78 Prozent. Um einen positiven Effekt auf die Leistung zu erzielen, muss aber niemand eine komplette Langdistanz hindurch grinsen – auch wenn Chrissie Wellington, die trotz Ruhestands noch immer die Weltbestzeit auf der Langdistanz hält, das sehr erfolgreich zu tun schien. Es genügen schon 30-Sekunden-Lächelintervalle, um der Leistung einen Push zu geben.
Der Spaß und seine beiden Brüder
Wer lächelt und Spaß hat, richtet seine Gedanken positiv aus. „Wenn ich beispielsweise mit der inneren Einstellung am Start stehe, ‚Das gibt heute sowieso nichts, weil es regnet‘, dann beeinflusse ich mein Verhalten, indem ich gar keine Spannung aufbaue. Es kann zwar sein, dass das Ergebnis auch mit einer negativen inneren Einstellung zufriedenstellend ist, jedoch habe ich dann dafür meist mehr Kraft aufgewendet, als wenn ich mit einer positiven oder zumindest neutralen Einstellung am Start gestanden hätte“, erklärt Mental-Coach Ute Simon-Adorf, die schon einige Profiathleten wie auch Agegrouper betreut hat. Es geht also darum, den Faktor Spaß gezielt einzusetzen. Und zwar im Rennen bestenfalls neben den Komponenten „Wettkampfmodus“ und „Gewinnergeist“. Dieses Dreigestirn ist eine hervorragende Grundlage dafür, dass zum einen der Fokus stimmt, zum anderen aber auch nicht alles zusammenbricht, wenn etwas nicht so läuft wie geplant. So erinnert sich Ute Simon-Adorf zum Beispiel an einen Marathonläufer, der sofort aus dem Rennen ausstieg, wenn er seinem Zeitplan auch nur eine Minute hinterherhinkte, „selbst wenn er erst bei Kilometer 20 war und noch jede Menge Gelegenheiten gehabt hätte, die Zeit wieder aufzuholen.“ Als die Mental-Trainerin ihn dazu brachte, einen Wettkampf ohne Uhr zu laufen, kam er nicht nur ins Ziel, sondern legte auch gleich eine neue Bestzeit hin.
Spaßhaben macht härter
Sich mal vom Gefühl leiten zu lassen, Zuschauer abzuklatschen oder sich für jedes durchgezogene Intervall mit einem Stückchen Schokolade zu belohnen, kann motivieren und den Spaß-Faktor hochhalten. Übertrieben herumzualbern geht dagegen leicht nach hinten los, so Ute Simon-Adorf. Denn durchs alberne Herumblödeln leidet die Konzentration. Die ist jedoch ein entscheidender Erfolgsfaktor. Wer sich ganz auf das konzentriert, was er tut, hat das Gefühl voller Kontrolle. Und wer glaubt, dass er seinen (sportlichen) Erfolg unter Kontrolle hat und ihn beeinflussen kann, hat viel mehr Freude auf dem Weg zum großen Ziel. „Diese Freude wiederum verleiht mehr Energie, die dabei hilft, mit Schwierigkeiten besser klarzukommen“, beschreibt Dr. Michelle Cleere den positiven Kreislauf, der durch die richtige Dosis Spaß in Gang gesetzt wird. Die US-amerikanische Sportpsychologin ist Autorin der Bücher „Shifting Gears: How Women Triathletes Balance Life with Sport“ und „The Experience of Participating in a Triathlon“ und hat sich darauf spezialisiert, Eliteathleten dabei zu helfen, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Sie weiß: Sportlern, die mit Schwierigkeiten umgehen können, fällt es leichter, Trainingseinheiten und Wettkämpfe abzuhaken, die nicht optimal gelaufen sind. Durch Freude in der Vorbereitung und Lust auf den Wettkampf kann ein Athlet freier agieren. Genau diesem Aspekt schreibt Matt Dixon, Gründer von Purplepatch Fitness und Coach von Sarah Piampiano, den Erfolg seines Schützlings in Brasilien zu: „Ich glaube, dass ihre innere Freiheit, dank der sie keine Angst vor möglichen Konsequenzen hatte, diese Leistung erst ermöglicht hat.“ Kann durchaus sein, denn: Wenn wir Freude empfinden an dem, was wir tun, sind wir gewillt, uns härter zu pushen, und erfahren eine größere Befriedigung.
Es ist bloß Triathlon
Besonders Hobbyathleten, für die der Sport eigentlich Ausgleich und nicht zusätzlicher Stress sein sollte, neigen jedoch dazu, sich enormen Druck zu machen, hat Ute Simon-Adorf festgestellt. Schnell stagniert dann die Leistung, bricht ein und das Training wird zu einem Muss. Jemand, der gern trainiert, geht zudem mit einer ganz anderen Einstellung an den Start als jemand, der nur noch hofft, dass der Wettkampf bald vorbei ist und er danach sein normales Leben wiederbekommt. „Wenn man an diesem Punkt ist, ist es ganz wichtig, den Spaß wiederzufinden. Gelingt das, kommt interessanterweise bei den meisten auch die Leistung wieder, weil eine Blockade gelöst wurde“, berichtet Mental-Trainerin Simon-Adorf. Lösen lassen sich solche Blockaden zum Beispiel oft schon, wenn sich der Athlet bewusst macht, dass es „nur Triathlon“ ist und nicht das ganze Leben. Wer sich zu jeder Einheit zwingt, sollte dringend überprüfen, ob das Ziel, das er sich vorgenommen hat, auch wirklich sein Ziel ist. „Das merkt man daran, wenn man spürt, wie der ganze Körper kribbelt, wenn man nur daran denkt“, sagt Ute Simon-Adorf. „Indem man sein persönliches Ziel findet, erkennt man das ‚Wozu‘ wieder – und der Spaß kommt zurück“, ist sie überzeugt.
Außerdem gilt es zu schauen, was einem persönlich guttut: Brauche ich es, einen Trainingsplan Punkt für Punkt abzuhaken, oder macht es mir mehr Spaß, wenn ich ihn flexibel mitgestalten kann? Mache ich spezielle Trainingseinheiten vielleicht besser mit einem Vereinskollegen oder alleine? Hier gilt es, in sich hineinzuhören, damit die Trainingseinheit oder auch der ganze Trainingsplan so gestaltet sind, dass ich mich darauf freue. Kleiner Tipp: Belohnungen für absolvierte Einheiten sind dem Spaß auch nicht abträglich. Ganz wichtig, gerade bei der Vorbereitung auf eine Langdistanz, ist es aber auch, das schlechte Gewissen möglichst auszusperren. Es ist einer der gefährlichsten Spaßkiller. Das heißt: Mit dem Umfeld absprechen, dass man in der nächsten Zeit seltener zu Hause sein und manchmal andere Prioritäten haben wird. Das heißt aber auch: sich nicht verrückt zu machen, wenn mal eine Einheit gekürzt werden oder ausfallen muss. Gönnt euch Pausen, erlaubt euch Zeit zum Regenerieren. Oder, wie Sarah Piampiano es ausdrückt: „Habe den Mut, eine Auszeit zu nehmen und einen Schritt zurückzugehen. Manchmal ist eine Pause notwendig, damit sich Körper und Kopf erholen können. Glück ist etwas sehr Vergängliches.“ Gut, dass das auf Spaß nicht zutrifft – wenn man ihn richtig pflegt.
So erhaltet ihr den Spaß am Triathlon
Tipps von Sportpsychologin Dr. Michelle Cleere
- Realistische Trainingsziele setzen. Sucht euch etwas aus, das ihr persönlich für erstrebenswert haltet und auf dessen Verbesserung/Erreichen ihr euch konzentriert. So habt ihr die Kontrolle über euer Training (oder zumindest einen Teil davon) und dessen Erfolg und nicht das Gefühl, nur auszuführen, was ein Coach vorgibt.
- Herausforderungen lieben lernen. Schon Kinder scheuen oft Herausforderungen, weil sie einerseits nicht scheitern möchten und andererseits Angst vor der Reaktion der anderen haben. Das ändert sich auch im Erwachsenenalter oft nicht. Athleten sollten sich also klarmachen, warum sie etwas tun: Warum liebt ihr den Triathlon, warum habt ihr ursprünglich damit angefangen? Wenn ihr euch aus innerer Überzeugung den Herausforderungen von Training und Wettkampf stellt, werdet ihr motivierter und selbstbewusster an sie herangehen.
- Musik hören. Zumindest beim Aufwärmen und beim Cool-down. Sucht euch ein paar Lieder aus, die ihr wirklich mögt. Je positiver die Songs für euch besetzt sind, desto eher entsteht ein leistungsfördernder Effekt.
- Fünf bis zehn Minuten im Training für Spaß reservieren. Egal für welche Aktivität ihr euch entscheidet, ihr solltet sie aus purer Freude ausführen. Und ganz bewusst. Das kann wildes Herumtanzen sein, im Fitnessstudio vor den Stabiübungen mal den Boxsack zu traktieren oder nach dem Schwimmtraining die Wasserrutsche herunterzurutschen. Werdet kreativ!
- Lachen erlaubt. Bewahrt euch euren Humor. Es gibt überall und immer witzige Situationen oder Möglichkeiten, sie zu solchen zu machen (siehe Maurice Clavel). Übt, auf das Positive zu schauen, und sucht euch ein kurzes Spaßmantra, das ihr einsetzt, wenn ihr merkt, dass ihr verkrampft. Manchmal reicht schon ein schlichtes „Jetzt lach doch mal“.
Dieser Artikel ist in der triathlon 173 erschienen.