Die Olympischen Spiele liegen jetzt knapp zwei Wochen in der Vergangenheit und man hatte die Möglichkeit, die Geschehnisse in Tokio etwas sacken zu lassen.
Ich bin ein riesengroßer Olympia-Fan, freue mich jedes Mal schon lange vorher auf das Event, und verbringe so viel Zeit vor dem Fernseher wie zu keiner anderen Zeit. Da ich meinen Schlafrhythmus nicht durcheinanderbringen wollte, haben die Replay-Funktion und ich uns immer besser angefreundet und waren gegen Ende der Spiele ein eingespieltes Team. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass es meine ersten Spiele waren, die ich aus Profi-Perspektive wahrnehme, aber Tokio 2020 habe ich viel intensiver erlebt als die Spiele in den vergangenen Jahren. Als Profiathletin fällt es mir inzwischen leichter nachzuvollziehen, wie viel Entbehrung der volle Fokus auf den Sport neben all den schönen Aspekten auch mit sich bringen kann.
Geballte Emotionen
Ich habe diese Sommerspiele als unheimlich emotional empfunden. Selten habe ich so viele unterschiedliche Athletinnen und Athleten im TV gesehen, die große Mühe hatten, ihre Tränen zurückzuhalten, und oftmals fiel es mir dann auf dem Sofa ebenfalls schwer. Ich kann mir vorstellen, was für ein ungeheurer mentaler Kraftakt das gewesen sein muss: Die sowieso schon lange Phase der Konzentration auf das eine Rennen, die durch Covid nochmals um ein Jahr verlängert wurde sowie die Unsicherheit bis zuletzt, ob die Spiele nicht doch noch gekippt werden und die ständige Angst, mit einem positiven Testergebnis nicht antreten zu dürfen. Ich finde, allein deshalb gebührt allen Athletinnen und Athleten, die sich für die Olympischen Spiele qualifiziert haben beziehungsweise auch denen, die letztendlich an der Qualifikation gescheitert sind, jedoch den Weg ebenfalls gegangen sind, größte Anerkennung. Wie viel mentale Energie die Vorbereitung der Olympischen Spiele und natürlich auch der Wettkampf an sich gefordert hat, konnte man an den unmittelbaren Reaktionen nach den jeweiligen Wettkämpfen erkennen: Neben Ausdrücken der Freude oder Enttäuschung, habe ich auch Erleichterung erkannt. Erleichterung, dass es geschafft ist, dass sich die langjährigen Bemühungen vom Sportler selbst, aber auch von dem ganzen Team drumherum gelohnt haben, dass man dem Druck standgehalten hat und nun auch wieder Raum für andere Dinge hat. Dass die Olympischen Spiele nicht nur für den Körper eine große Herausforderung darstellen, sondern auch für den Kopf, ist vor allem durch Simone Biles‘ Rückzug aus dem Kunstturnfinale eindrücklich geworden und gehört für mich zu den prägendsten Momenten von Tokio. Biles‘ Mut, sich öffentlich so verletzlich zu zeigen und sich zum Wohle ihrer (mentalen) Gesundheit zurückzuziehen, wurde von allen Seiten bejubelt und vor allem in den sozialen Medien gefeiert. Nur wenige Tage später wurde Annika Schleu von einem Shitstorm überrollt und medial in Stücke zerrissen. Ohne an dieser Stelle genauer auf Schleus Verhalten einzugehen, hat mich ein solcher Umgang mit einem Menschen, den die allermeisten von uns nicht kennen, tief erschüttert und ich frage mich, wie viel Schaden dadurch an Schleus mentaler Gesundheit, deren Bedeutung viele scheinbar innerhalb weniger Tage wieder vergessen haben, entstanden ist.
Unverständliche Regeln und persönliche Highlights
Dass es bei Olympia nicht nur um Sport und die Athleten geht, ist zwar nichts Neues, aber kurz vor den Spielen wurde man nochmals daran erinnert. Ich habe mich über einige Posts im Vorfeld der Spiele gewundert, in denen Athletinnen und Athleten immer wieder eine „Rule 40“ angesprochen haben und sich im selben Post bei ihren persönlichen Sponsoren und ihrem Team bedankt haben. Die Regel 40 untersagt es Sportlern, ihre Partner während der Olympischen Spiele hervorzuheben. Dass alle im einheitlichen Dress und ohne private Sponsoren starten sollen, kann ich noch nachvollziehen, aber dass es einem Athleten verboten wird, im Moment des vielleicht größten Erfolgs sich beispielsweise auf Social Media bei Partnern zu bedanken, die möglicherweise viele Jahre lang unterstützend zur Seite gestanden haben, empfinde ich als nicht richtig. Für mich ist ein Sponsor nicht einfach nur ein Geldgeber, sondern ein Partner und Freund, mit dem man gemeinsam Ziele verfolgt und Höhen und Tiefen teilt. Es ist schade, dass man als olympischer Athlet diese wichtige Partnerschaft nicht erwähnen darf.
Zurück zu den sportlichen Highlights. Davon gab es unzählige und ich glaube, was man als Highlight wahrnimmt, ist eine ganz individuelle Entscheidung. Als ehemalige Läuferin gehört Cathi Granz‘ Einzug ins 1.500-Meter-Halbfinale zu meinen schönsten Momenten – ein großer Erfolg, da sie erst wenige Wochen vorher nach einer Verletzung das Training aufnehmen konnte. Nicola Spirigs Interview im SRF nach ihrem sechsten Platz im Triathlon, Jolanda Neffs Gold im Mountainbike, Anna Maria Wagners Jubel über Bronze im Judo und Frank Stäblers Medaille im Ringen gehören ebenfalls zu meinen schönsten Tokio-Momenten und mit diesen Bildern im Kopf freue ich mich schon sehr auf Paris 2024!
Wozu dieser Artikel, wozu diese geballte Emotionen? Warum veröffentlicht Ihr sowas?