Es war eines der großen Streitthemen im vergangenen Jahr, das die Triathlon-Community sehr beschäftigt hat: die Rückerstattung von Startgeldern bei durch die Coronapandemie bedingten Rennabsagen oder -verlegungen. Während einige Organisatoren von Triathlonrennen faire Lösungen für sich und/oder die Athleten gesucht haben, wollten andere die Startgebühren für bereits entstandene Kosten einbehalten, wenn kein triftiger Grund für eine Rückerstattung vorlag. Eine Brücke baute die Bundesregierung im vergangenen Jahr mit der Gutscheinlösung. Die Veranstalter konnten anstelle der Startgelder Gutscheine im Gegenwert der gezahlten Gebühren aushändigen. Die konnten entweder zur Teilnahme an einem anderen Rennen des gleichen Unternehmens eingelöst werden oder müssen nach Ablauf der Frist zum 31. Dezember 2021 ausgezahlt werden.
Veranstalter lenkten ein
Auch wenn sich einige Organisatoren, unter anderem der weltgrößte Triathlonveranstalter Ironman, anfangs nicht an die Gutscheinregelung gebunden sahen, lenkten sie am Ende ein. Auch, da Rechtsanwälte wie Dr. Sebastian Longrée die Interessen ihrer sportaffinen Mandanten vertraten und den Veranstaltern mit einer Klage drohten. Ironman ging noch einen Schritt weiter: Im Falle von abgesagten oder verschobenen Rennen 2021 erhalten die Athleten auf Wunsch einen Gutschein, der über die gesetzliche Regelung hinaus bis zum 31. Dezember 2024 gültig ist.
Organisatoren kehren zur alten Verfahrensweise zurück
Die gesetzliche Gutscheinregelung erfasst ansonsten ausschließlich Verträge, die vor dem 8. März 2020 und damit vor dem Bekanntwerden des Ausmaßes der Pandemie geschlossen wurden. Damit entfällt für das aktuelle Veranstaltungsjahr diese gesetzlich geregelte Option bei abgesagten oder verlegten Wettkämpfen. Einige Veranstalter kehren mit Verweis auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zur Verfahrensweise zurück, bei durch die Coronapandemie ausgefallenen Rennen im Jahr 2021 die komplette oder anteilige Startgebühr einzubehalten.
„Keine Leistung ohne Gegenleistung“
Dr. Sebastian Longrée, Partner in der Essener Wirtschaftskanzlei Kümmerlein, der seine Mandanten im vergangenen Jahr unter anderem durch Klageandrohung gegen Ironman erfolgreich vertreten und zumindest dafür gesorgt hat, dass die Gutscheinregelung vom „Big Player“ akzeptiert wurde, hält die Praktik des Einbehalts der Gelder mit Verweis auf die AGB auch 2021 für rechtswidrig. „Man könnte erneut in die Inhaltskontrolle einsteigen, aber der Maßstab hat sich nicht verschoben. Es handelt sich weiterhin um eine versprochene Leistung, die an einem bestimmten Tag erbracht werden soll. Wenn dies zum Beispiel aus coronabedingten Gründen nicht geschehen kann, haben die gemeldeten Athleten ein Recht auf die Rückerstattung der Startgelder. Es bleibt dabei: keine Leistung ohne Gegenleistung“, betont Longrée. „Wenn man das hart spielt, wird der Veranstalter mit der Verfahrensweise, die Gebühren einzubehalten, nicht durchkommen.“
Anspruch auf Rückerstattung bleibt bestehen
Das verhalte sich ebenso für aus dem Jahr 2020 ins Jahr 2021 transferierte Startplätze. Das gilt selbst, wenn der Veranstalter für diesen Fall seine AGB angepasst und den Athleten hat unterschreiben lassen, dass er mit dem Transfer des Startplatzes auf eine Rückerstattung verzichtet, falls das Rennen erneut ausfallen muss oder verschoben wird. „Dieser Passus in den AGB ist unwirksam. Der Sportler hat sich einverstanden damit erklärt, dass er eine gebuchte Leistung aus 2020 nicht erhält, die dann aber 2021 erbracht werden muss. Es bleibt dabei, dass diese Leistung bei einer erneuten Absage oder Verschiebung nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erbracht werden kann und der Athlet Anspruch auf eine Rückerstattung hat.“ Bei Ironman gab es diese Anpassung nicht.
In Europa sind viele Rechtsordnungen tendenziell ähnlich zu Deutschland
Der Rechtsanwalt berichtet, dass vergleichbare Regelungen auch EU-weit in vielen Ländern greifen. „In Europa sind tendenziell viele Rechtsordnungen ähnlich zu Deutschland verbraucherfreundlich. Das muss man sich aber im Einzelfall anschauen. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel mit Ironman vernünftige Lösungen auch außerhalb von Deutschland gefunden. Die Rennveranstalter haben schließlich auch Kosten, die anfallen, auch wenn die Veranstaltung nicht durchgeführt werden kann“, betont Longrée. „Grundsätzlich gilt für die Rechtslage das Recht des Landes, in dem das Rennen stattfindet, da dort regelmäßig auch der Veranstalter seinen Sitz hat. Bei Rennen in Dänemark wird dänisches Recht angewendet, in den USA amerikanisches. Die Rechtslage dort durch einen ausländischen Kollegen bewerten zu lassen und dann vor Ort oder in Deutschland zu klagen, ist allerdings sehr aufwendig und fernab jeglicher Wirtschaftlichkeit.“
Klage teilweise fernab jeder Wirtschaftlichkeit
Das Wissen darum machten sich Organisatoren teilweise zunutze. Longrée rechnet vor: „Wenn es um das Startgeld eines Ironman 70.3 geht, kann ein Anwalt aus einer Wirtschaftskanzlei auf Basis einer Honorarvereinbarung theoretisch eine Stunde plus/minus an dem Fall arbeiten, dann wäre das Startgeld, das zurückgefordert wird, schon verbraten. Für einen Ironman bleibt auch nicht viel mehr. Rechtsschutzversicherungen zahlen in derartigen Fällen dagegen nur die gesetzlichen Gebühren, die bei diesen Streitwerten deutlich darunterliegen. Das Delta muss der Sportler aus eigener Tasche zahlen. Das gilt auch, wenn er klagt und gewinnt. Der Kostenerstattungsanspruch ist ebenfalls auf die gesetzlichen Gebühren begrenzt.“ Wobei Longrée betont, für „seine“ Athleten Lösungen in deren Sinne gefunden zu haben. „Das sind für mich keine Themen, mit denen ich mein Geld verdienen muss beziehungsweise möchte.“
„Transfer des Startrechts per se nicht verwerflich“
Ein Ausweg bleibt dennoch: Einige Veranstalter bieten individuelle Lösungen an, wenn man sich an sie wendet. Das steht häufig genug allerdings im Kleingedruckten oder noch darunter. „Das sind Unternehmen, die an die Wirtschaftlichkeit denken müssen. Aus Sicht der Veranstalter ist das also verständlich, wenn auch nicht unbedingt immer fair. Das Thema anders zu lösen, beispielsweise durch den angebotenen Transfer des Startrechts auf den neuen Termin oder ein anderes Rennen oder den Einbehalt eines angemessenen Anteils für bereits entstandene und nicht mehr abwendbare Kosten, ist ja nicht per se verwerflich – man muss das nur vernünftig kommunizieren. Wenn alle gemeldeten Athleten ihr Geld komplett zurückfordern, könnte das zu einem Liquiditätsproblem führen.“ Damit wäre unter Umständen auch niemandem geholfen.
Tag der Abrechnung kommt noch
Interessant wird es zu sehen, welche Auswirkungen das Ende der Frist für die Gutscheinlösung am 31. Dezember 2021 haben wird. „Der Tag der Abrechnung kommt noch. Die Leute, die den Gutschein eingefordert und erhalten haben, können diesen bis Jahresende weglegen. Das ist ja nichts anderes als eine Art Wertpapier. Wenn die das Geld einfordern, muss der Schuldner allerdings auch in der Lage sein, den Gutschein auszuzahlen. Das Insolvenzrisiko liegt also beim Sportler“, verdeutlicht Longrée. Können Organisatoren die Gutscheine aufgrund ihrer Finanzlage nicht auszahlen, bleiben die Athleten auf ihren dann wertlosen Gutscheinen ohne Gegenleistung sitzen. „Man wird sehen, wie relevant das in der Praxis wird. Aber vielleicht finden Sportler und Veranstalter dann auch ohne gesetzliche Regelung für beide Seiten faire, einvernehmliche Lösungen“, zeigt sich Longrée schließlich optimistisch.