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Der Weg zur Weltbestzeit

Andreas Raelert verblüffte 2011 mit seinem Auftritt in Roth die ­komplette Triathlonszene – zu einer Zeit, in der sich Jan Frodeno gerade auf die Olympischen Spiele in London vorbereitete. Mit 7:41:33 Stunden unterbot der Rostocker den Streckenrekord von Luc Van Lierde um neun Minuten. Ein Rekord, von dem viele dachten, dass er einige Jahrzehnte Bestand haben würde. Wer sollte auch in der Lage sein, eine derartige Leistung zu übertrumpfen?

Fünf Jahre später wurde die Triathlonwelt eines Besseren belehrt. Nachdem Jan Frodeno 2012 der Kurzdistanz den Rücken zuwandte, begann für den Olympiasieger von Peking ein neuer Abschnitt. Nach einigen schwierigen Monaten im Anschluss an die Olympischen Spiele 2012 fasste der spätere Hawaii-­Sieger einen Entschluss: ganz oder gar nicht! Mit hohen Ambitionen wechselte Frodeno 2013 auf die Langstrecke, gab sein Debüt beim Ironman 70.3 Wiesbaden und finishte 2014 seine erste Langdistanz beim Ironman in Frankfurt.

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Aus seinen Zielen machte der ehemalige Kurz­distanzler von Anfang an keine Geheimnisse: „Ich will 2015 den Titel auf Hawaii gewinnen“, sagte Frodeno zu Beginn seiner Langdis­tanzkarriere. Gesagt, getan. Obwohl sich Frodeno des Öfteren weit aus dem Fenster lehnte, ließ er seinen ­Worten bislang immer Taten folgen. So auch in Roth. Bereits am 10. Februar 2016 kündigte ­Frodeno seinen Start bei der wohl schnellsten Langdistanz der Welt an. Mit dem klaren Ziel, die Weltbestzeit von Andreas ­Raelert zu unterbieten. Das Resultat: ein Meilenstein. 7:35:39 Stunden – eine Zeit, an der sich die nächste Generation wohl noch lange die ­Zähne ausbeißen wird. Oder?

38 Minuten in 28 Jahren

Es lohnt sich, einen Blick auf die Vergangenheit zu werfen: 1988 gewann der Niederländer Axel Koenders in Roth mit der bis ­dahin schnellsten Zeit auf der Langdistanz: 8:13:11 Stunden. Auch wenn Koenders Zeit heutzutage immer noch zur erweiterten Weltspitze gehören würde, ist seitdem viel passiert, und einen weiteren Höhepunkt in der Entwicklung der schnellsten Langdistanz-Zeiten bot Lothar ­Leder.

1996 blieb der Deutsche als erster Athlet unter der Acht-Stunden-Marke. Er finishte die damals noch zu Ironman gehörende Veranstaltung in Roth in 7:57:02 Stunden. Doch ­Leders Rekord hatte nur ein Jahr Bestand. 1997 gelang dem Belgier Luc van Lierde an gleicher Stelle ein Rennen für die Geschichtsbücher. In 7:50:27 Stunden erreichte er das Ziel und ließ Lothar Leder hinter sich, der dennoch seine Vorjahreszeit um 23 Sekunden verbessern konnte. Im gleichen Rennen kam der Deutsche ­Jürgen Zäck mit 7:51:42 Stunden ebenfalls deutlich unter der Acht-Stunden-Marke ins Ziel. Bis ­heute hält van Lierde mit 2:36:49 Stunden den ­Marathon-Streckenrekord in Roth. 

Die schnellsten Zeiten auf der Langdistanz (Männer)

RangNameGesamtzeitWettkampfAnmerkung
1Jan Frodeno (GER)7:35:39 hChallenge Roth 2016
*Matt Hanson (USA)7:39:25 hIronman Texas 2018Verkürzte Radstrecke auf ca. 176-177 km
*Ivan Tutukin (RUS)7:39:57 hIronman Texas 2018Verkürzte Radstrecke auf ca. 176-177 km
2Tim Don (GBR)7:40:23 hIronman Brasil 2017
3Andreas Raelert (GER)7:41:33 hChallenge Roth 2011
4Tyler Butterfield7:44:01 h Ironman Cozumel 2019
5Lionel Sanders7:44:29 hIronman Arizona 2016

Nach der Strecke in Roth gilt der Ironman Austria in Klagenfurt als zweitschnellste Veranstaltung im Rennzirkus. Der 2011 von Marino Vanhoenacker aufgestellte Streckenrekord (7:45:58 Stunden) war bis zu Tim Dons neuer Ironman-Bestzeit im Jahr 2017 die schnellste Zeit bei einer Ironman-Veranstaltung. Doch schon zwölf Jahre zuvor zeigte Peter Reid bei seinem Sieg in Österreich, was zur damaligen Zeit alles möglich war. 1999 verblüffte er mit einer Zeit von 7:51:56 Stunden – ganz ohne die technischen Fortschritte und Möglichkeiten der vergangenen beiden Jahrzehnte. Und eine Zeit, mit der man die Veranstaltung auch heutzutage noch gewinnen könnte. Vielleicht gehen Rekorde doch nicht mit der Zeit?

Fortschritt durch Technik

Natürlich hat sich im Laufe der Jahre viel in Sachen Material verändert. Gerade beim Radfahren wird ­mittlerweile auf jedes Detail geachtet. Im Rahmen integrierte Trinksysteme, 3-D-geprintete Cockpits, diverse Custom-Anbauteile für Profiathleten, an die Körpermaße angepasste Rennanzüge, Aero-Überschuhe und vieles mehr– die Entwicklung der Feinheiten wird immer ausgeklügelter. Auch die Umsetzung neuer Erkenntnisse macht sich bemerkbar. Mittlerweile legt jeder Profi großen Wert darauf, neues Material ausgiebig im Windkanal und beim ­Bikefitting zu testen. Doch was hat sich genau verändert? ­„Aerodynamik ist der wichtigste Leistungsparameter“, sagt Jean-Paul ­Ballard, Aero­dynamik-Experte der Firma ­Swissside, die Laufräder entwickelt und mit Profiahtleten im Windkanal ­Material und Sitzposition bis ins kleinste Detail ­optimieren. 

Auch eine zeitliche Einordnung der Verbesserung ist möglich: „Wir haben im Windkanal ein Zeitfahrrad der 90er-Jahre, das auch auf Hawaii gefahren wurde, im Vergleich zur letzten Version des Scott Plasma getestet. Dabei wurde nur das Rad mit den dazugehörigen Laufrädern ohne weitere Austattung und Sitzpostition miteinander verglichen. Herausgekommen sind 50 Watt Unterschied – nur durch das Rad. Das entspricht ungefähr einer Zeitersparnis von 30 Minuten auf einer Langdistanz“, erklärt der Fachmann die Veränderungen der letzten 20 Jahre. Doch damit nicht genug: „Gerade bei den Rennanzügen bestand in der Vergangenheit noch gewaltiges Potenzial. Wenn man die Zweiteiler der damaligen Zeit mit den modernen Kurzarm-Anzügen vergleicht, kann man einen Unterschied von 20 Watt feststellen. Das sind 10 bis 15 Minuten über die 180 Kilo­meter“, sagt der ­Swissside-Experte. 

Die beiden Beispiele beschreiben gut, wie erfolgreich die Materialentwicklung der letzten Jahrzehnte verlaufen ist. Doch damit nicht genug. „Der Fahrer macht auf dem Rad 75 Prozent des Windwiderstandes aus. Demnach hat die Sitzpostion den größten Einfluss auf die Aerodynamik. Hier konnten wir beispielsweise mit Andreas Raelert zehn Watt einsparen – ein Minutengewinn. Hinzu kommen diverse Details: der Helm, die Form und Position der Trinkflaschen, die kabellose Schaltung und Tubelessreifen. All das kann für sich schon mehrere Watt einsparen. Zusammen ergeben die Feinheiten einen enormen Sprung“, schätzt Ballard die Optimierung auf dem Rad ein.

Doch die Stellschrauben, an denen gedreht wurde, gehen weit über die zweite Disziplin hinaus. Denn natürlich zählen nicht nur das Rad, die Sitzposition und die schnellste Ausstattung. Auch in den anderen zwei Disziplinen wurde ordentlich nachgerüstet: Es gibt hydrodynamisch optimierte Neoprenanzüge, Speedsuits für Rennen mit Neoprenverbot, neu entwickeltes Laufschuhwerk mit Carbon-Technologie und ausgeklügelte Ernährungsmöglichkeiten, die mittlerweile nahezu jeden Wunsch der Athleten abdecken können. Und auch von den analytischen Vorteilen der modernen Zeit profitieren die Profis nicht nur beim Radfahren: Unterwasserkameras in der Gegenstromanlage erfassen jedes Detail der Schwimmbewegung und zeigen den vorhandenen ­Optimierungsspielraum auf. Auch beim Laufen profitieren die Athleten von technischen und wissenschaftlichen Fortschritten. Lauf­analysen erfassen mögliche Fehler der Athleten und dienen als Verletzungsprophylaxe. Zudem können aufgrund der Analysen Optimierungen für einen kraftsparenderen Laufstil vorgenommen werden. Parameter, die heutzutage normal sind und zum Standardrepertoire gehören, vor zehn oder gar 20 Jahren zum Teil sicher noch undenkbar waren.

Auch aus trainingstechnischer Perspektive hat die Entwicklung viele sinnvolle Neuheiten mit sich gebracht, die zu besseren Leistungen beitragen können. Ein gängiges Beispiel dafür sind Leistungsdiagnostiken mit Laktatmessung und Spiroergometrie, die heute nahezu jeder Profi regelmäßig für das Radfahren und Laufen absolviert. Daraus kann nicht nur der aktuelle Leistungsstand bestimmt werden, sondern auch die verschiedenen Bereiche, in denen trainiert werden sollte, um die Einheit möglichst effektiv zu gestalten. In Kombination mit GPS-Uhren, Wattmessung oder vielen anderen Gadgets und Sensoren fällt die Auswertung der Trainingseinheiten leicht und wurde deutlich optimiert. Es gibt mehr Informationen, bessere Informationen und genauere Angaben für die Sportler im Training.

Wellington und Ryf in eigener Liga

Die Entwicklung der schnellsten Lang­distanzzeiten bei den Frauen verlief im direkten Vergleich zu den Männern ganz anders. Während in der Zeitspanne von 8:33 Stunden bis 8:50 Stunden gleich 31 Ergebnisse zu finden sind, heben sich die drei schnellsten Zeiten deutlich davon ab. 2010 und 2011 erzielte Chrissie Wellington in Roth mit 8:19:13 Stunden und 8:18:13 Stunden die beiden bisher schnellsten Langdistanzzeiten der ­Frauen. Nur Daniela Ryf konnte 2016 mit 8:22:04 Stunden noch ansatzweise folgen und hat zukünftig die Ambition, die Weltbestzeit eines Tages unterbieten zu können. Eine Erkenntnis, die sich aus den Zeiten ergibt, ist, dass die Leistungsdichte der Frauen im Durchschnitt geringer ist als die der Männer. Materialverbesserung spielte im Hinblick auf die Weltbestzeiten der Frauen offenbar nur eine untergeordnete ­Rolle. Vielmehr scheint es, dass der Triathlon mit Chrissie Wellington und Daniela Ryf zwei absolute Ausnahmeathletinnen hervorgebracht haben könnte, die offensichtlich deutlich leistungsfähiger als die übrige Konkurrenz waren beziehungsweise sind. Im Falle von Daniela Ryf deutet vieles darauf hin, dass sie unter den richtigen ­Voraussetzungen die Fähigkeiten besitzt, auch die Weltbestzeit der Frauen noch unterbieten zu können – auch wenn sich die Konkurrenzsituation in den vergangenen Jahren auch bei den Frauen immer weiter zugespitzt hat.

Die schnellsten Zeiten auf der Langdistanz (Frauen)

RangNameGesamtzeitWettkampfAnmerkung
1Chrissie Wellington (GBR)8:18:13 hChallenge Roth 2011
2Chrissie Wellington (GBR)8:19:13 hChallenge Roth 2010
3Daniela Ryf (SUI)8:22:04 hChallenge Roth 2016
4Daniela Ryf (SUI)8:26:18 hIronman Hawaii 2018
*Melissa Hauschildt (AUS)8:31:05 hIronman Texas 2018Verkürzte Radstrecke auf ca. 176-177 km
5Lucy Charles-Barclay (GBR)8:31:09 hChallenge Roth 2019

Was die Zukunft bringt

Alles in allem lässt sich sagen, dass im ­Laufe der Jahre die Gesamtzeiten in der Weltspitze immer konstanter wurden und viel mehr Athleten auf ein ähnlich hohes Niveau kommen konnten. Eine Entwicklung, die zu einem Großteil den Fortschritten in den ­vielen einzelnen Kategorien zuzuschreiben ist. Zwar waren auch in der Vergangenheit Zeiten auf heutigem Weltklasse­niveau möglich, jedoch handelte es sich dabei eher um Einzelfälle von Ausnahmeathleten. Inzwischen konnte durch die genutzten Ressourcen hingegen das Gesamtniveau erheblich gesteigert werden.

Dies wirft natürlich die immer wiederkehrende Frage auf, ob überhaupt noch Potenzial für Verbesserungen besteht. „Ja“, sagt etwa Jean-Paul Ballard. „Gerade auf dem Rad gibt es noch größere Schritte, die gemacht werden können: Es besteht bis zu zehn Prozent Spielraum bei der Optimierung der Zeitfahrmaschinen und ihrer Ausstattung. Deshalb denke ich, dass sich Radzeiten von unter vier Stunden auf der Langdistanz mit der Zeit ­etablieren werden“, so ­der Aerodynamik-­Experte. Es könnte also gut sein, dass Jan Frodenos Weltbestzeit doch keine Marke für die Ewigkeit bleibt.

Mehr zum Thema Sub7 & Sub8

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Simon Müller
Simon Müller
Simon Müller ist selbst als ambitionierter Athlet unterwegs. 2022 wurde er Deutscher Meister auf der Kurzdistanz, 2019 qualifizierte sich bei seinem ersten Ironman in Mexiko mit einem AK-Sieg in 8:45 Stunden für den Ironman Hawaii. In seiner Brust schlägt neben dem Triathleten- auch ganz besonders ein Läuferherz. Simons Bestzeite über 10 Kilometer liegt bei unglaublichen 30:29 Minuten.

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