Mittwoch, 24. April 2024

„Eine Woche am Limit“ beim Race Across Europe

privat Freude über den Rekord: Das Team des SV Enge-Sande nach der Ankunft in Gibraltar beim Race Across Europe.

Im Jahr 2020 begannen die Planungen. Eine Gruppe Triathleten aus Schleswig-Holstein hatte sich in den Kopf gesetzt, beim Race Across Europe den Streckenrekord zu knacken. Die Radroute durch die Länder Frankreich, Deutschland, Österreich, Slowenien, Italien und Spanien endet nach 4.721 Kilometern in Gibraltar, mit Blick auf Afrika. Zwei Jahre dauerte die Planung für das Projekt, bei dem unter anderem die Alpen zweimal, die Pyrenäen über- und die spanische Wüste mit dem Rad durchquert werden müssen. Kosten, Material, Unterkünfte, Sponsoren, Rennstrategie, Zeitplan – so ein Abenteuer geht man nicht einfach so an. Dann die ernüchternde Nachricht: Das Race Across Europe findet nach 2020 und 2021 auch 2022 nicht statt. Für die Gruppe aus Schleswig-Holstein kein Grund, nicht loszufahren – und am Ende in sechs Tagen, fünf Stunden und 50 Minuten einen neuen Streckenrekord aufzustellen.

Rekord wird offiziell anerkannt

Die Gruppe der Triathleten aus Nordfriesland, das sind: Holger Jessen-Thiesen, Finn Ketelsen, Björn Nahnsen, Rolf Nicolaisen, Björn Petersen, Thomas Schneidereit, Sören Sönksen und Thorge Thomsen. Zwei Jahre Planung wollte sich das Team vom SV Enge-Sande in Schleswig-Holstein nicht dadurch zunichtemachen lassen, dass es für 2022 zu wenige Anmeldungen und weiterhin Coronaeinschränkungen gibt. „Wir haben beim Veranstalter angefragt, ob wir das Rennen auf eigene Faust durchziehen können. Er hat uns grünes Licht gegeben. Die Strecke war bekannt, wir sind sie wie geplant gefahren – daher hat er auch gesagt, dass ein neuer Rekord von uns als Achter-Team offiziell anerkannt wird, wenn wir es schaffen“, sagt Björn Nahnsen, der selbst Rennorganisator des Hallig Dreeathlons und in der Triathlongemeinschaft besser bekannt ist unter seinem Spitznamen „Festus“.

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Idee wird 2019 geboren

Die Idee, bei der Kontinentalquerung mitzumachen, kam den Athleten, nachdem sie 2019 beim Race Across Germany auf die 1.100 Kilometer lange Radstrecke von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen gegangen waren. Nach 7.500 Höhenmetern hatten sie in 32 Stunden und 41 Minuten das Ziel erreicht – neun Minuten schneller als der alte Streckenrekord, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 34 km/h.

21 Etappen bis nach Gibraltar

Die Organisation für das Rennen quer durch Europa war etwas aufwendiger. Die acht Athleten, aufgeteilt in Zweierteams, wurden von acht Betreuern und Fahrern der begleitenden vier Wohnmobile unterstützt: Melanie Jessen, Michael Kraus, Levke Matthiesen, Giona Messina, Timo Prielipp, Jonas Sönksen, Mia Söth und Hans-Jürgen Struve. Die Strecke von Boulogne sur Mer in Frankreich quer in Richtung Osten durch Europa bis nach Österreich und dann gen Süden nach Gibraltar unterteilte das Team in insgesamt 21 Etappen. Auf Grundlage der bekannten Leistungsdaten der Athleten wurden diese dann den unterschiedlichen Streckenprofilen zugeordnet. „Einige von uns betreiben Sport intensiv, da kommt einiges an Daten zusammen, wie FTP, Wattwerte und Ähnliches. Dazu wissen wir, wer Bergziege und wer Abfahrtspezialist ist“, erklärt „Festus“. Er selbst ordnet sich in die Kategorie Bergziege ein – obwohl er vom platten Land kommt. Das hat einen Grund. „Ich bin ein Schisser, wenn es richtig schnell wird. Unser schnellster Fahrer hatte auf einem Abschnitt 92 km/h drauf. Bei mir hättest du in der Passage 30 km/h abziehen können.“

Fahrskills bestimmen den Einsatz der Athleten

Die Fahrer wechselten sich auf den Etappen ab, passend zu ihren Skills. Das jeweilige Wohnmobil begleitete die Athleten, die anderen Teammitglieder fuhren bis zum nächsten Wechselpunkt voraus. „Wir haben das so gemacht, dass wir als Athleten eine Stunde gefahren sind, den Tracker an den nächsten übergeben haben und während der Teamkollege gefahren ist, eine Stunde Pause machen konnten. Nach grob acht Stunden haben wir dann an das nächste Zweierteam abgegeben. Das konnte sich aber situationsbedingt natürlich mal ändern. So hatte jeder von uns nach seinem Renntag immer circa 24 Stunden Zeit bis zum nächsten Einsatz“ erklärt Festus. „Das hört sich erst mal nach viel Zeit an, aber bis man beim nächsten Wechselpunkt ist, mit dem Wohnmobil – das kann dauern.“

Funkgerät und Handy zur Kommunikation

Neben der bloßen Herausforderung des Streckenprofils galt es auch, die Navigation im Blick zu behalten. „Das war immer wieder spannend. Manchmal gab es Momente, in denen man sich wirklich gefragt hat, ob man noch richtig ist. Aber wir haben es hinbekommen“, betont Festus. Um sich untereinander abzusprechen, hatten die Teams Funkgeräte dabei. Wenn die Reichweite einmal nicht mehr ausgereicht hat, gab es das Handy.

Keine größeren technischen Pannen

Von größeren technischen Pannen ist die Gruppe verschont geblieben. Zwei platte Reifen, die schnell repariert werden konnten, bedeuteten angesichts der langen Strecke schon fast perfektes Durchkommen. Zur Sicherheit waren aber auch Ersatzräder an Bord der Vehikel, die ebenfalls perfekt auf das Streckenprofil abgestimmt waren. Auf flachen, schnellen Abschnitten kamen die TT-Maschinen zum Einsatz, bei Klettertouren die Rennräder. Einen nicht einkalkulierten Defekt gab es schließlich bei einem der Begleitfahrzeuge: Bei Pirmasens (Rheinland-Pfalz) platzte die Ölleitung. „Ein Mechaniker hat alles gegeben, damit wir weiterfahren konnten. Morgens um halb elf haben wir den Wagen abgegeben, abends um halb sechs konnten wir wieder los – er hat uns eine 99-prozentige Sicherheit gegeben, dass es hält. Das tat es.“

Teamkollegen springen für verspätete Athleten ein

Einen Tag verlor das Zweierteam dadurch, musste anschließend die verlorene Zeit hinterherfahren und aufholen. Mittlerweile sprangen die anderen sechs Fahrer in die Bresche und teilten die Etappen unter sich auf. „Wenn der Plan dermaßen durcheinandergewirbelt wird, wird es hart. Wir waren teilweise 40 Stunden wach. Aber das ist auch das, worauf es bei so einem Projekt ankommt: der Teamgedanke. Jeder hilft dem anderen.“

Mont Ventoux eine der größten Herausforderungen

Als besondere Erfahrung macht Festus die Berge aus. „Wenn du aus Nordfriesland kommst, ist die Landschaft in den Alpen und Pyrenäen, die spanische Wüste, etwas ganz Besonderes“, erklärt Björn Nahnsen. „Den Mont Ventoux bei 38 Grad hochzufahren, war eine der größten Herausforderungen. Da hätte es auch gern kühler sein können. In Spanien wüteten gerade Waldbrände, als wir dort in der Nähe unterwegs waren, daher wurden wir einmal angehalten.“ Nach circa zehnminütigem Austausch mit den Feuerwehrleuten, wie der Radfahrer die sich auf einer Anhöhe vorbereitenden Einsatzfahrzeuge vorsichtig passieren könnte, ging es weiter. Die Route des Nordfriesland-Tross war nicht direkt betroffen.

Viele positive Reaktionen

Es war gegen Ende der Tour, bei der phasenweise tausende Follower in den Sozialen Netzwerken und auf der Website des Projekts mitfieberten. „Jeder von uns postete Informationen in seinen Statusmeldungen im Messengerdienst. Wir vereinbarten die Regel, dass die mobilen Daten beim Schlafen ausgestellt werden – das hat angesichts der ganzen positiven Reaktionen, die wir erhalten haben, nur bedingt geklappt“, sagt Festus augenzwinkernd. Die letzten zehn Kilometer ließen es sich die acht Athleten nicht nehmen, gemeinsam zu fahren, um das Ziel in Gibraltar zusammen zu erreichen. Nach sechs Tagen, fünf Stunden und 50 Minuten. Mit neuem Streckenrekord. Der Jubel war riesengroß. „Wir sind froh und glücklich, dass alles gut gegangen ist und niemand gestürzt ist. Aber wenn ich in die Gesichter um mich herum blicke, dann sieht man bei aller Euphorie auch: Es war hammerhart“, betont Björn Nahnsen am Telefon kurz nach der Zieleinfahrt. „Es war eine Woche am Limit.“

privat Gemeinsame Zieleinfahrt: die Gruppe aus Nordfriesland bei der Ankunft in Gibraltar.
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Bengt Lüdke
Bengt Lüdke
Bengt-Jendrik Lüdke ist Redakteur bei triathlon. Der Sportwissenschaftler volontierte nach seinem Studium bei einem der größten Verlage in Norddeutschland und arbeitete dort vor seinem Wechsel zu spomedis elf Jahre im Sportressort. In seiner Freizeit trifft man ihn in Laufschuhen an der Alster, auf dem Rad an der Elbe – oder sogar manchmal im Schwimmbecken.

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