Urlaubsort, Trainingslager-Location oder Wahlheimat: Girona wird bei Triathleten und Radsportlern immer beliebter. Ein Streifzug durch die Sporthauptstadt Kataloniens.
An drei Dingen mangelt es Girona nicht: Fahrradläden, Cafés und an sportbegeisterten Menschen. Und irgendwie hängen diese Dinge ja zusammen. Mit gut 100.000 Einwohnern gilt Girona bereits als Großstadt, pro Kopf fährt gefühlt mindestens ein Fahrrad durch die Gegend. Der Grundsatz „n+1“ wird hier definitiv gelebt. Doch was macht die Stadt an der Costa Brava so attraktiv für Ausdauersportler?
Lage, Lage, Lage. Was bei Immobilien wichtig ist, gilt auch für Orte. Girona liegt im Nordosten Spaniens, rund 100 Kilometer von Barcelona entfernt. Ein Schnellzug bringt einen in nur 40 Minuten von dort nach Girona, alternativ hat die Stadt selbst ebenfalls einen kleinen Flughafen. Im Hinblick auf optimale Trainingslocations fällt die Wahl bei vielen Radsportlern und Triathleten häufig auf Mallorca. Girona ist eine echte Alternative und unter Umständen sogar die bessere Wahl. Alle Nachteile, die eine Insel bietet – dadurch, dass es eben eine Insel ist und man nur per Flugzeug oder Schiff wieder wegkommt – fallen weg. Alle Vorteile, etwa ein gemäßigtes Klima und vielseitige Trainingsmöglichkeiten, bleiben erhalten.
Willkommen im Trainingsparadies
Zum Laufen ist Girona sogar reizvoller als beispielsweise Fuerteventura, wo die flachen Strecken nur sehr begrenzt vorhanden sind. Aber das ist natürlich Geschmacksache. Zum Schwimmen geht es zu Fuß oder mit dem Rad in das riesige Sportzentrum „Geieg“, das unter anderem zwei Pools mit 25 und 50 Metern beherbergt – Letzterer mit zehn Bahnen. Zugegeben, bei 14 Euro Eintritt kann man erst einmal schlucken, doch dafür gibt es perfekte Bedingungen. Und bei Bedarf kann das Athletiktraining im angrenzenden Fitnessstudio noch gleich anschließend absolviert werden. Der einzige Wermutstropfen ist die Abwesenheit des Meeres. Die knapp 50 Kilometer bis zum nächsten Küstenort sind jedoch sicherlich nicht unüberwindbar.
Höhenmeter sammeln in den Pyrenäen, flache Ausfahrten in der Umgebung oder ein knackiger Ausflug zum „Hausberg“ Els Àngels – alles ist möglich. Das gilt auch für das bevorzugte Terrain. Asphaltliebhaber kommen in und um Girona voll auf ihre Kosten, Gravelfans dürften sich wie im Paradies fühlen. Nicht umsonst hat Jan Frodeno in seiner ehemaligen Wahlheimat vor zwei Jahren das „Sgrail100“ ins Leben gerufen. Der Offroad-Triathlon startet in Cadaqués an der Grenze zu Frankreich und hält auf dem Weg bis zum Zielort Girona Sightseeing der Extraklasse bereit.
Von steilen Anstiegen und Abfahrten mit grobem Schotter, an denen man kurzzeitig alles verflucht, zu feinstem Gravel-Untergrund, wie er im Buche steht. Das alles geht Ende Oktober noch entspannt in „kurz/kurz“ bei Temperaturen jenseits der 20 Grad. Anders als beispielsweise auf den Kanaren gibt es in Girona aber durchaus so etwas wie Jahreszeiten. Im Winter fielen die Temperaturen morgens und abends zwar in den einstelligen Bereich, doch „eine lange Hose braucht man auf dem Rad nur, wenn man sehr kälteempfindlich ist“, sagt Jan Frodeno. Wer sich vom spanischen Lebensgefühl anstecken lässt, kann eben auch erst gegen Mittag zur Ausfahrt aufbrechen.
Unaufgeregte Idylle
Apropos Lebensgefühl und Ausfahrten: Von beidem gibt es eine Girona eine ganze Menge. Man muss nur eine Stunde in einem der zahlreichen Cafés sitzen und kann sich sicher sein, dass während des Besuchs mehrere Rad- und Laufgruppen vorbeikommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist der eine oder andere Rad- oder Triathlonprofi in Arbeitskleidung dabei. Ansonsten ist man eher in Zivil unterwegs. Finisher-Shirts und Event-Merch sieht man nur sehr vereinzelt an den Körpern von dadurch deutlich identifizierbaren Touristen – ein weiterer Unterschied zu klassischen Trainingslager-Hotspots. Sport gehört in Girona zum Alltag, es geht insgesamt sehr unaufgeregt zu.
Auch wer hier nicht dauerhaft wohnt, sondern nur ein paar Tage zu Besuch ist, wird eher in einem Appartement als in einem Hotelkomplex unterkommen, denn die gibt es nicht. Sogar als Tourist fühlt man sich schnell heimisch, wenn man die verwinkelten Gassen der Altstadt erst einmal durchschaut hat. Hier kann man sich verlaufen und versacken. Restaurant reiht sich an Café und an Eisdiele und es gibt eigentlich keine Lokalität, an der man naserümpfend schnell vorbeigeht. Alles sieht einladend aus und der Kontrast zwischen mittelalterlichen Gemäuern der Altstadt und modernem Innenleben (ohne eine einzige bekannte Fast-Food- oder Bekleidungskette) ist fast schon kitschig.
Für einen Aufenthalt als Trainingslager kann dies Vor- und Nachteil zugleich sein. Wer völlig ohne Ablenkung dem Tagesablauf „trainieren, essen, schlafen“ nachgehen will, kann dies sicherlich in Girona tun, verpasst aber möglicherweise vieles, was die Stadt zu bieten hat. Wer jedoch länger vor Ort ist oder sich ein wenig Ablenkung vom klassischen Trainingslageralltag wünscht, bekommt mit Girona die perfekte Location. Es gibt eben mehr als das Hotelbuffet, den Radkeller und den Liegestuhl.