Zehn Erkenntnisse von der Weltmeisterschaft in Hamburg

Athletenraten vor dem Start

Die International Triathlon Union definierte am WM-Wochenende im Hamburger Stadtpark ganz klare und strenge Regeln – auch für die Athleten. Neben dem Fehlen von Zuschauern galt für die Sportler sowohl bei Check-in als auch bei Teilen des Warm-ups und dem Warten in der Schlange kurz vor dem Aufrufen zum Start eine Tragepflicht von Mund-Nasen-Schutz. Das machte es aus einigen Metern Entfernung bei jeweils mehr als 60 Athleten gar nicht so leicht, alle auf den ersten Blick zu erkennen. Das „Athletenraten“ wurde zum festen Bestandteil an den beiden Renntagen. Ihr habt sofort erkannt, dass hier Justus Nieschlag und Matthew McElroy zu sehen sind? Respekt!

Weltklasse-Sport bei Dorftriathlon-Atmosphäre

Frank Wechsel / spomedis

Boxen unter Bäumen statt Zuschauermassen auf dem Rathausmarkt: Dass die Bilder des WTS-Rennens in Hamburg an vielen Stellen Ähnlichkeiten mit der Kulisse eines abgelegenen Dorftriathlons hatten, tat der sportlichen Leistung bei weitem keinen Abbruch: Die Athleten lieferten umkämpfte Rennen, die es zuvor in diesem Jahr noch nicht gegeben hat. Dass man im Falle der World Triathlon Series einmal von einer familiären Veranstaltung oder Atmosphäre sprechen würde, wäre bis zu diesem Jahr wohl auch undenkbar gewesen.

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Vilaca überzeugt mit mutigem Auftreten und Medaille

Für die Überraschung des Tages sorgte der junge Portugiese Vasco Vilaca. Der 21-Jährige gehörte im Vorfeld nicht zu den Kandidaten, die man angesichts der starken Konkurrenz für eine Medaille auf dem Zettel hatte. Doch nachdem Vilaca schon zwei Wochen zuvor bei den Arena Games der Super League in Rotterdam auf dem zweiten Platz landete, bewies er in Hamburg auch abseits des E-Racings seine Qualitäten und gewann die WM-Silbermedaille. Mit einem starken Schwimmen und den Fähigkeiten, sich in der Führungsgruppe auf dem Rad gut zu positionieren, setzte er sich im abschließenden Dreikampf über die fünf Laufkilometer mit einem Split von 14:42 Minuten noch gegen Léo Bergere durch und kam hinter Vincent Luis als Zweiter ins Ziel. Vasco Vilaca – ein Name, den man sich für die WTS-Rennen der kommenden Jahre wohl merken sollte.

Gefürchtete Eule hat alle im Blick

Grand-Final-Sieger 2017 und 2018, Kurzdistanz-Weltmeister 2019 in der Serie und nun Titelverteidiger im Eintagesrennen über die Sprintdistanz in Hamburg – Vincent Luis ist definitiv ein würdiger Weltmeister, der in den vergangenen Jahren oft genug bewiesen hat, dass er es über alle Distanzen und Formate, darunter auch die Super League, kann. Sein großes Eulen-Tattoo auf dem Rücken kann die Konkurrenz im Rennen derzeit häufig nur aus der Ferne betrachten. Mit dieser Ausgangslage dürfte Luis – je nachdem, was bis zum Sommer 2021 noch passiert – dementsprechend auch für die Olympischen Spiele in Tokio ein, wenn nicht sogar der absolute Topfavorit sein. In Hamburg bewies der Franzose einmal mehr seine Ausgeglichenheit in allen Disziplinen, die ihm seit jeher in die Karten spielt. Im Wasser vorn dabei, auf dem Rad daran interessiert, das Tempo hochzuhalten und am Ende in der Lage, eine der schnellsten Laufzeiten des Tages hinzulegen. Mit dieser Mischung ist er eigentlich nur zu schlagen, wenn die wenigen noch schnelleren Läufer mit ihm gemeinsam vom Rad steigen und bei der zweiten Disziplin nicht zu viele Körner liegen lassen mussten.

Kampf um die Olympia-Plätze bleibt spannend

Der DTU-interne Kampf um die verbleibenden zwei Olympia-Startplätze für Tokio, die im kommenden Mai in einem internen Supersprint in Kienbaum vergeben werden sollen, bleibt offen und ausgeglichen. Während Laura Lindemann und Jonas Schomburg die Quali bereits in der Tasche haben, geht es jeweils für rund eine Handvoll Athleten um den zweiten Startplatz bei den Frauen und den zweiten Startplatz bei den Männern. Lasse Lührs überzeugte in Hamburg als bester deutscher Mann mit Platz zwölf und erkämpfte sich damit ebenfalls das Startrecht für die Mixed-Staffel am Folgetag. Unweit dahinter erreichten allerdings auch WTS-Debütant Tim Hellwig, Jonas Breinlinger, Justus Nieschlag und Valentin Wernz das Ziel. Die Leistungsdichte ist eng, ein klarer Favorit lässt sich auch aus den Leistungen in Hamburg nicht erkennen. Wer sich am Ende das Olympia-Ticket schnappt, wird wohl eine Frage von Sekunden sein.

Vorentscheidungen durch aggressives Radfahren

Von wegen Vorgeplänkel mit anschließender Laufentscheidung! Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen kam kein geschlossenes Hauptfeld zusammen in die zweite Wechselzone. Rennverläufe, die sicherlich auch den beiden Weltmeistern in die Karten gespielt haben. Denn die schnellsten Läuferinnen und Läufer des Tages waren bei beiden Rennen auf dem Rad nicht ganz vorn mit dabei. Während bei den Herren der Vorsprung nach dem Schwimmen auf dem Rad in einer Achtergruppe gut verteidigt werden konnte, legten die führenden Frauen noch eine Schippe drauf und zerteilten während des Radfahrens noch einmal die Spitzengruppe. Besonders Flora Duffy, Katie Zaferes und Jessica Learmonth legten es auf den sechs Runden mit insgesamt zwölf Wendepunkten darauf an, weitere Mitstreiterinnen abzuschütteln. Mitfavoritinnen wie Summer Rappaport, Cassandre Beaugrand und Vicky Holland mussten infolgedessen abreißen lassen. Eine aggressive Renngestaltung, die man bereits insbesondere von Duffy und Zaferes gewohnt ist. Fest steht damit im Hinblick auf die vorderen Plätze bei den WTS-Rennen und auch auf die Olympischen Spiele, dass man für realistische Chancen bereits nach dem Schwimmen ganz vorn dabei sein muss. Denn an eine Gruppe mit bei beiden aktuell wohl stärksten Radfahrerinnen auf der Kurzdistanz, die ebenfalls stark schwimmen, heranzufahren, scheint unter normalen Umständen beinahe unmöglich zu sein.

Läuft bei Lisa!

Eine Leistung, die aufgrund der Vorleistungen aus 2019 zwar nicht ganz überraschend kam, dennoch aus deutscher Sicht Anlass zur Freude bietet: Lisa Tertsch landete als zweitbeste deutsche Frau bei ihrer WTS-Hamburg-Rückkehr nach vier Jahren auf Platz 16. Die 21-Jährige bestätigte in der dritten Disziplin ihre große Stärke und legte mit einer 5-km-Laufzeit von 16:37 Minuten den zweitschnellsten Split des Tages hin. Nur Summer Rappaport aus den USA lief noch einige Sekunden schneller. Gelingt es Tertsch mit der Zeit noch das Defizit beim Schwimmen zu minimieren und in der ersten Radgruppe zu landen, hätte die Harvard-Studentin zukünftig vielleicht sogar das Potenzial, ein solches Rennen gewinnen zu können. Tertsch selbst zeigte sich im Ziel-Interview zuversichtlich und ohne großen Druck: „Für mich sind die Olympischen Spiele 2024 in Paris ein großes Ziel. In Zukunft will ich mich insbesondere im Schwimmen weiterhin verbessern und habe auch schon einige Ideen, wie ich das anstellen kann. Ich bin noch sehr junge und glaube, dass da noch viel Luft nach oben ist.“ Ein Weg, auf dessen Verlauf man sich in den kommenden Jahren auf jeden Fall gespannt freuen darf.

Lindemann bestätigt Medaillenhoffnungen

Da ist das Ding! WM-Bronze für Laura Lindemann und damit die erste DTU-Medaille bei einer Kurzdistanz-Weltmeisterschaft seit 2013, als Anne Haug ebenfalls auf dem dritten Rang landete. Sichtlich erleichtert und glücklich freute sich die 24-Jährige im Ziel nach einer starken Leistung in allen Disziplinen über das Edelmetall, das ohne die Wechselschwierigkeiten in T2 vielleicht sogar am Ende noch eine andere Farbe hätte haben können. Halb so schlimm: Dieses Potenzial nach oben spart sie sich vermutlich einfach nur für den 27. Juli 2021 in Japan auf.

Staffel-WM mit neuen Regeln und altem Glanz

Kontaktloses Bezahlen ist mittlerweile keine große Neuheit mehr, kontaktloses Wechseln bei der Mixed-Staffel im Triathlon dagegen schon. Als Teil des Hygienekonzepts durften die Athleten bei der Staffel-WM nicht wie gewöhnlich abklatschen, bevor sich der nächste Sportler des Teams auf den Weg ins Wasser machen durfte. Stattdessen warteten die in Neoprenanzügen dastehenden Teamkollegen darauf, dass der Wechselpartner im Laufen eine gekennzeichnete Linie auf dem Boden überquerte, bevor sie selbst zum Schwimmeinstieg loslaufen durften. Eine Änderung, die man je nach Veränderung der aktuellen Lage vielleicht auch so beim Olympia-Staffel-Debüt in Tokio sehen wird. Sportlich ließ Frankreich auch dieses Jahr nichts anbrennen: Die Mannschaft mit Leonie Periault, Léo Bergere, Cassandre Beaugrand und Dorian Coninx gewann den dritten WM-Titel in Folge und bestätigte auch ohne Weltmeister Vincent Luis, dass sie vermutlich auch im kommenden Jahr in Tokio die Nation sein werden, an der man im Kampf um Gold vorbei muss.

Norwegens erstes Staffel-Rennen macht Lust auf mehr

Auftakt nach Maß: Bisher sind der norwegischen Nationalmannschaft die Rennen der Mixed-Staffel immer verwehrt geblieben. Der Grund: Es hat schlichtweg eine zweite Frau neben Lotte Miller gefehlt, die es dafür gebraucht hätte. Nachdem vor einigen Monaten die junge Nachwuchsathletin Stine Dale mit in den Nationalkader aufgenommen wurde und dort über die kommenden Jahre aufgebaut werden soll, war es in Hamburg bei der Staffel-WM Zeit für das Debüt der Wikinger. Und Stine Dale, die an dritter Position hinter Lotte Miller und Kristian Blummenfelt startete, wurde bei ihrem ersten WTS-Einsatz prompt ins eiskalte Wasser geschmissen. Das hatte nichts mit den kühlen Temperaturen im Stadtparksee zu tun, die die Athleten dazu veranlassten, selbst bei 300 Metern einen Neoprenanzug zu tragen, sondern damit, dass Dale direkt als alleinige Führende ins Wasser stieg. Zuvor holte Kristian Blummenfelt auf seiner Teilstrecke mit gewohnt aggressiver Renngestaltung und schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck einen Vorsprung von gut zehn Sekunden heraus und übergab an seine junge Teamkollegin, die bereits nach der Hälfte der Schwimmstrecke eingeholt und abgehängt wurde. Obwohl Dale noch einige Plätze beim Laufen zurückfiel, überzeugte Gustav Iden als Schlussathlet mit einem starken Auftritt und lief am Ende bis auf Rang vier vor. Ein Ergebnis, dass sich gerade angesichts der besonderen Umstände bei der Premiere sehen lassen kann. Das mutige und angriffslustige Auftreten der Norweger könnte in Zukunft bei diesem Format für noch mehr Spannung und wechselnde Dynamik im Rennverlauf sorgen. Und je nachdem, wie sich Stine Dale in den kommenden Jahren entwickelt, dürfte Norweger unter Umständen auch schnell zu einem Medaillenanwärter werden. Die Kehrseite der Medaille: Fällt eine der beiden Athletinnen aus, ist kein Ersatz da und – zumindest nach aktuellem Stand – nicht einmal mehr ein Start möglich.

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3 Kommentare

  1. Ich hab das jetzt nicht von vorne bis hinten genau verfolgt, aber was man so mitbekommen hat, hat die ganze Veranstaltung ja coronatechnisch gut funktioniert oder? Und selbst für den Fall, dass doch nicht alles perfekt funktioniert hat (was sicherlich so sein wird), kann man ja jetzt das Ganze nochmals Review passieren lassen und lessons learned betreiben. Aber schön zu sehen, dass in diesen Zeiten Triathlonveranstaltungen doch funktionieren können!

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Simon Müller
Simon Müller
Simon Müller ist selbst als ambitionierter Athlet unterwegs. 2022 wurde er Deutscher Meister auf der Kurzdistanz, 2019 qualifizierte sich bei seinem ersten Ironman in Mexiko mit einem AK-Sieg in 8:45 Stunden für den Ironman Hawaii. In seiner Brust schlägt neben dem Triathleten- auch ganz besonders ein Läuferherz. Simons Bestzeite über 10 Kilometer liegt bei unglaublichen 30:29 Minuten.

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