Das Jahr 2020 ist kein Triathlonjahr. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Wo auf der einen Seite die Termine der großen Rennserien im Akkord gecancelt werden, haben es auch kleine Events schwer, die Behörden von der Unbedenklichkeit ihrer Konzepte zu überzeugen.
In der triathlon-Redaktion haben wir schon im sehr frühen Stadium der Corona-Pandemie realisiert: Die Saison 2020 fällt aus. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir andere Schwerpunkte in der Berichterstattung setzen müssen. Und wenn dann doch etwas stattfindet, dann sehen wir das als Geschenk.
Geschenke des Nordens
Und diese Geschenke sind regional genauso ungleich verteilt wie das Infektionsgeschehen mit dem Coronavirus. So entwickelte sich ganz im Norden der Republik ein Hotspot der Triathlonszene: Nordfriesland wurde in diesem seltsamen Sommer zur Triathlonhochburg. Wir haben bereits vom Hallig Dreeathlon zwischen Langenhorn und der Hamburger Hallig berichtet, einem der ersten Multisportrennen des Jahres überhaupt. Auch der After Work Triathlon in Niebüll konnte 2020 stattfinden. Und beim Finale eines kurzes Sommers in Wanderup vor den Toren Flensburgs waren wir nun ebenfalls dabei. Solche Geschenke muss man annehmen.
Das Finale eines Sommers sollte es werden, doch der Sommer hat wohl nicht richtig zugehört. Pünktlich zum Wettkampftag verabschiedete er sich – mit dem leisen Versprechen, dass im nächsten Jahr alles besser werden soll. Doch zum Triathlon in Wanderup passt dieses Wetter: Die strengen Hygienevorschriften haben das oberste Gebot, physischen Abstand zu anderen Menschen zu halten. Und den hielten die meisten – im Auto, denn drumrum regnete es teilweise in Strömen. So wurden die Autos zu Wartebereichen, Umkleideräumen und Warm-up-Areas gleichzeitig. Beschlagene Scheiben inklusive.
Und wenn es mal nicht regnete, schien die Sonne auf die allgegenwärtigen Schaubilder des Sommers 2020.
„Es findet keine Wettkampfbesprechung statt“, heißt es in der Wettkampfbesprechung, die den Teilnehmern per E-Mail übersandt wurde. Und die klare Regeln enthält, die die Sportordnung der Deutschen Triathlon Union bis 2019 nicht kannte, die aber in diesem Sommer zur Selbstverständlichkeit wurden. „Abstand halten auf dem gesamten Gelände, vor und nach dem Wettkampf, Hände waschen und Desinfektionsmittel benutzen“, das haben wir inzwischen alle verinnerlicht.
„Benutzt die vorgegeben Wege und haltet euch an die Anweisungen der Helfer“, auch so viel ist klar. Und auch wenn wir dieses Thema jahrelang immer und immer wieder in unseren Medien behandelt haben: „Wer sich irgendwie im Vorfeld krank fühlt, bleibt bitte zu Hause“ – eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit. Auch ohne Corona. Obwohl … Die Zielgruppe sind ja Triathleten, man weiß ja nie.
Die Startunterlagen gibt es nur mit Maske. Das enge Zelt dafür ist das einzige Dach über dem Kopf auf dem Wettkampfgelände am Baggersee von Wanderup. Aber so richtig aufhalten möchte sich hier niemand. Schnell geht es für die meisten weiter – in die Wechselzone.
Eine kleine Veranstaltung, das heißt: kurze Wege. Und die sind nie voll, denn die immerhin 350 gemeldeten Teilnehmer verteilen sich auf den ganzen Tag. Auch wenn am Ende des Tages nur 267 Finisher in den Ergebnislisten stehen. So manch einer wird sich beim Blick auf die Wetterprognose vielleicht gesagt haben: „Triathlon dann eben erst 2021 wieder.“ Bei fairen 24 Euro Startgeld, die Veranstalter Triple Events aufruft: verschmerzbar.
Die Wetterfesten, die sich heute wirklich an den Start trauen, checken ihre Räder meistens in letzter Minute ein. Schon im Neoprenanzug. Kalt ist es nicht, nur nass. Von überall. Das Norderfeld, wie die Straße am See heißt, wird zur Nordsee. Das Land der Horizonte, wie Schleswig-Holstein heißt, versteckt diese erst mal.
Schwimmstart im Sperrgebiet
Das Startareal ist Sperrgebiet. Nicht nur heute, denn geschwommen wird nicht im öffentlichen Badesee, sondern nebenan im Kieswerk der Firma Gliendemann. Das ist umzäunt, doch heute ist ein Loch im Zaun. Genauer gesagt zwei, denn Corona sorgt auch hier für Einbahnstraßenverkehr. Rein kommt man nur mit Neoprenanzug oder Kampfrichterweste. Oder, ausnahms- und glücklicherweise: mit mehreren Kameras bestückt.
Zwischen den kleinen Gewässern auf dem Norderfeld und dem großen in der Kiesgrube liegt ein Sandstrand. Breit genug für vier Starkorridore. Das kannte man bisher nur von den großen Ironman-Rennen: Der zunächst umstrittene Rolling Start ist inzwischen bei den Veranstaltungsriesen etabliert und hält nun durch Corona fast überall Einzug. Zumindest überall dort, wo 2020 Triathlon stattfindet – und damit auch in Wanderup. Die Sportordnung sah Abstände bisher nur beim Radfahren vor, die Hygieneordnung nun überall.
Aufgereiht sind die Teilnehmer hier nach erwarteten Schwimmzeiten. „Entzerrung“ heißt das Motto. Ganz vorn der Stargast aus dem Bayernkader: Silas Schmitt hatte seinem Trainer Roland Knoll erzählt, dass er Urlaub auf Sylt plane. Und Knoll fand auf der Durchreise ein Rennen für ihn – in Wanderup.
Und hinter Schmitt und den Lokalmatadoren mit den nordischen Namen reihen sie sich auf: Über 100 Athletinnen und Athleten, die mit einem Startpass antreten, im letzten Rennen des Tages, dem Sprinttriathlon. Und als um 14 Uhr die erste der jeweils zehnsekündigen Startsequenzen aus den Lautsprechern des norddeutschen Zeremonienmeisters für Startsequenzen Manni Henschke ertönt, hat auch Petrus mit den Triathleten ein Nachsehen.
Vom Start bis zum Rad: Die Impressionen vom Auftakt im Video
Die schnellste Schwimmzeit auf dem halben Kiesgruben-Kilometer gelingt mit 7:56 Minuten Lasse Fitschen aus Bargteheide vor Lukas Schnödewind. Dann der Bayer, der wohl nicht wusste, wie frisch es im Norden im August schon sein kann und ohne Neopren angereist ist. Vielleicht wollte er auch nur Urlaubsgepäck sparen.
Bei den Frauen schwimmt Hjørdis Mick am schnellsten: 8:24 Stunden ist die 20-Jährige im Wasser. Im schnellen Sprint und wieder strömenden Regen geht es auf die Nachbarwiese in die erste Wechselzone. Immer schön mit Abstand, versteht sich.
Auf dem Rad trennt sich bald die Spreu vom Weizen: Silas Schmitt macht sich auf und davon und fährt mit 27:05 Minuten die schnellste Radzeit. Tatjana Brandt aus Rethwisch ist die schnellste Frau. Die Konkurrenz kann die Namen der Rad-Raketen auf deren unteren Rücken bald nicht mehr lesen. Aber die Konkurrenz hat ja auch kein Teleobjektiv dabei.
Apropos Teleobjektiv: Zuschaueransammlungen sollen doch möglichst unterbleiben! Doch was aus der Ferne aussieht wie ein gewohntes Bild aus vergangenen Zeiten …
… ist mit Abstand (und Höhe) betrachtet dann doch eine wirklich anständige Zuschauerkulisse. Hier steht zusammen, was zusammen gehört. Und hier hält Abstand, was nicht zusammen gehört. Der Streckensprecher ermahnt die Zuschauer immer wieder, sich an die Regeln zu halten. Denn schließlich will man sich hier auch 2021 zum 14. Triathlon Wanderup treffen. Nach Corona. Notfalls auch mit Corona. Und dann auch mit der Genehmigung der Behörden.
Wer sein Rad liebt …
„Feldwirtschaftswege“ sind das Setting für die zweite Disziplin dieses Triathlons. Zuschauer gibt es hier keine, dafür umso mehr Pfützen. Der erste Umstand sorgt dafür, dass das Abstandsgebot hier eher sportliche Relevanz hat. Der zweite, dass nicht alle das Ziel erreichen – denn wer nimmt schon einen Ersatzschlauch auf die Sprintdistanz mit? Zum Glück ist man auf dem Zwei-Runden-Kurs dieser kleinen Veranstaltung nie mehr als fünf Kilometer vom Ziel und fünfeinhalb vom Auto entfernt. Und wer sein Rad liebt, der schiebt. Fünf Euro ins Redaktions-Phrasenschwein.
Laufen im Sonnenschein
Und dann, beim Laufen, kommt endlich die Sonne raus! Eine Wendepunktstrecke wartet zum Abschluss des Rennens auf die Teilnehmer. Ein Verpflegungstisch nicht. Wir bemühen wieder die nicht stattgefundene, sondern verschickte Wettkampfbesprechung: „Während des Wettkampfes werden wir keine Getränke zu Verfügung stellen. Im Ziel bekommt jeder Teilnehmer*in einen Beutel mit Getränk, Obst und Medaille.“ 2020 wird gegendert und selbstverpflegt. Ein Dokument der Zeitgeschichte.
Das große Finale: Silas Schmitt legt nach schnellstem Rad- auch den schnellsten Laufsplit hin. Mit 15:47 Minuten rennt er die fünf Kilometer eine halbe Minute schneller als Lukas Schnödewind. Eigentlich Zeit zum Bad in der Menge des Zuschauerkanals! Nicht 2020 … Auch mit Moderator Peter Poppe wird das Abklatschen nur angedeutet, die Freude für sich behalten.
In 51:05 Minuten siegt Silas Schmitt beim Corona-Triathlon in Wanderup. Zweiter wird Lukas Schnödewind vom Sportteam Corpus.med vor dem TSV-Bargteheide-Trio Lasse Fitschen, Oliver Nissen und Lukas Stüfen.
Der Sieger im Interview: Silas Schmitt (19), TV 1897 Goldbach
Auch bei den Frauen vergrößtert Lena Miller ihren Vorsprung nach dem Radfahren noch einmal. In 17:44 Minuten ist sie die deutlich schnellste Läuferin und am Ende eine Minute vor der Zweitplatzierten Lisa Femerling vom Triathlon Team Hamburg im Ziel. Kai Sachtleber von den Oldenburger Bären komplettiert das Podium.
Moment, das Podium? Das steht hier nirgends. „Es findet keine Siegerehrung und Wettkampfbesprechung statt“, steht in der Wettkampfbesprechung, die nicht stattgefunden hat. Und die mit dem dezenten Hinweis endet: „Im Ziel bitte den Transponder abgeben, Tasche mit Getränk, Obst, Medaille empfangen und den Zielbereich zügig verlassen. In diesem Jahr freuen wir uns, ausnahmsweise mal, wenn ihr den Veranstaltungsbereich nach dem Wettkampf auch bald verlasst.“
So ist das mit dem Triathlon im Jahr 2020. Menschenansammlungen werden maximal eingeschränkt. Die Dame an der Würstchenbude legt immer nur ein Würstchen auf den Grill. Nicht, dass sich noch Menschentrauben bilden würden. Und wer in den ganzen nordfriesischen Vereinen nun Vereinsmeister geworden ist, wird auch erst später im stillen Kämmerlein am Rechner ermittelt. Zum letzten Mal zitieren wir aus der, ihr wisst schon, Wettkampfbesprechung: „Auch werden keine Ergebnislisten ausgehängt, Einsprüche bis 12 Stunden danach per mail an Wettkampfleiter Udo Petschat.“
Chefkampfrichter Udo Petschat im Interview
Und so geht er nicht langsam, sondern schnell zu Ende, der 13. Triathlon Wanderup. Schon eine halbe Stunde nach dem Zieleinlauf des letzten Teilnehmers bleiben nur die Pfützen auf dem Norderfeld. Die Triathleten sind bereits in der Off-Season nach der Kurzsaison. Träumen von besserem Wetter beim nächsten Mal. Von echten Wettkampfbesprechungen. Vom Abklatschen mit Peter Poppe, von Siegerehrungen. Und von einem vollen Grill.
111 Jedermänner, 107 Sprinter, 25 Einsteiger und 24 Kids werden den 13. Triathlon Wanderup 2020 in besonderer Erinnerung behalten.
Es liegt an uns allen, ob Triathlon 2021 wieder so wird, wie wir ihn kennen. Oder an mutigen Menschen wie Veranstalter Ludwig Kiefer, die auch im Corona-Jahr 2020 den Mut und die Konzepte haben – die Zutaten, die es braucht, um überhaupt Triathlon erleben zu dürfen.
Kommt doch zur Hölle von Q und macht uns in der Welt bekannt.
Das machen wir – zwei Kollegen sind am nächsten Wochenende dabei!