Samstag, 14. September 2024

„Ich wäre nicht unzufrieden mit zwei Goldmedaillen“: Paratriathlon-Bundestrainer Tom Kosmehl im Interview

Am kommenden Wochenende starten insgesamt sechs deutsche Triathletinnen und Triathleten bei den Paralympischen Spielen. An ihrer Seite steht seit 2019 Tom Kosmehl. Der Bundestrainer über Entwicklungen und Herausforderungen im Parasport.

Paratriathlon-Bundestrainer Tom Kosmehl im Trainingslager mit Martin Schulz und Max Gelhaar.

Seit 2019 gehört Tom Kosmehl als festangestellter Paratriathlon-Bundestrainer zum Trainerstab der Deutschen Triathlon Union (DTU). Bereits bei der Premiere der Sportart bei den Paralympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro (Brasilien) betreute er die teilnehmenden Athleten Martin Schulz und Stefan Lösler als Verbandscoach auf Honorarbasis. Bei den Paralympischen Spielen in Paris starten nun mit Martin Schulz, Max Gelhaar, Elke van Engelen, Neele Ludwig sowie Anja Renner und ihrem Guide Maria Paulig sechs Athletinnen und Athleten – ein Teilnahmerekord für den deutschen Paratriathlon. Wir haben vor den Rennen mit Tom Kosmehl über diese Entwicklung und die alltäglichen Herausforderungen in diesem Sport gesprochen.

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Tom, von 2014 bis 2018 warst du Paratriathlon-Bundestrainer auf Honorarbasis, bevor du im Jahr 2019 die neu geschaffene Stelle als festangestellter Bundestrainer übernommen hast. Wie kam es dazu?
Mein damaliger Sportdirektor hat mich nach den Paralympischen Spielen 2016 mit ins Bundesministerium des Innern genommen. Dort habe ich eine kleine Präsentation gehalten über das, was ich gerade mache, aber auch das, was meine Vision ist. Ich habe klar gesagt, das geht nur über eine Hauptamtlichkeit. Zunächst hieß es, das geht nicht. Erst als es einen Riesenaufschwung auf finanzieller Ebene für den Behindertensport gab, wurden viele Stellen geschaffen. Wir hatten 2016 fünf hauptamtlich angestellte Trainer im paralympischen Bereich, ab 2019 waren es mehrere Hände voll.

So versuchen wir, das Thema Inklusion auf allen Ebenen voranzutreiben. Es ist immer wieder eine Herausforderung. Aber sie macht Spaß und man merkt, dass sich etwas entwickelt. Nicht zuletzt sieht man es an den Zahlen der Starter in Paris. Da haben wir genauso viele paralympische wie olympische Athleten am Start. Auch international hatten wir bei der Premiere 2016 die Hälfte der jetzigen Starter. Es ist schön, diese Entwicklung zu sehen und mitzugestalten. Zugleich ist es herausfordernd, mal zu sagen: ‚Nein, das geht jetzt vielleicht nicht.‘ Oder auf der einen oder anderen Ebene tiefer nachzubohren.

Was sind deine Aufgaben als Paratriathlon-Bundestrainer?
Irgendwann wurde in einem Interview gesagt, dass ich eigentlich Mädchen für alles bin. So würde ich es auch weiterhin sehen – ob es das Kerngeschäft des Trainerdaseins ist, oder auch Koch und Mechaniker zu sein. Meine übergeordnete Rolle ist die Schnittstelle zwischen Athleten und den Strukturen, national und international. Ansonsten übernehme ich bei Martin Schulz und seit mittlerweile zwei Jahren auch bei Max Gelhaar die Heimtrainerrolle. Dort bin ich im wöchentlichen Austausch. Und klar, wenn mal die Hütte brennt, dann fahre ich auch zu ihnen nach Leipzig. Mit den anderen Athleten stehe ich im Austausch durch unsere gemeinsame Trainingsplattform, aber auch durch Video-Meetings oder ein Telefonat. Hinzu kommen Anfragen von neuen Athleten, die national, zunehmend aber ebenfalls international starten wollen. Da geht es um eine internationale Einstufung in den Startklassen. Die findet nur ein- oder zweimal im Jahr statt. Dort müssen Vorarbeiten geleistet und Formulare ausgefüllt werden. Nicht zuletzt reist man auf eigene Kosten dorthin. Eventuelle Umbauten am Fahrrad müssen beispielsweise ebenfalls angemeldet werden.

Nichts ist schlimmer als eine fehlende Perspektive bei den Athleten.

Dieser Austausch, auch der wissenschaftliche, mit den Trainern und Institutionen, die mit uns arbeiten, ob IAT (Institut für angewandte Trainingswissenschaften, Anm. d. Red.) FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten, Anm. d. Red.) oder Sporthochschulen, ist schon ganz gut. Wir haben auch die Rückkopplung, was kommt aus dem Parabereich zu den Instituten zurück und was können wir auch mal im olympischen Bereich einsetzen? Ich finde es wichtig, weiterhin auf allen Ebenen dieses Schubladendenken wegzubekommen. Viele reden über Effektivität und Ressourcenbindung. Aber wenn es dann um finanzielle Sachen geht, findet doch wieder dieses Denken zwischen olympisch und paralympisch statt. Da gilt es, weiterhin argumentativ zu werden. Wir wollen keine parallelen Strukturen schaffen. Wir wollen einfach die guten Strukturen, die wir in Deutschland haben, weiterhin nutzen.

Du hast die Anfragen neuer Athletinnen und Athleten angesprochen. Wie funktioniert die Nachwuchsförderung im Paratriathlon?
Wenn man über Nachwuchs im Parasport spricht, ist damit nicht nur der klassisch biologische Nachwuchs gemeint, sondern auch der Nachwuchs, der aufgrund eines Unfalls entsteht. Wir haben Athleten bei uns, die in ihrem nicht behinderten Leben sportlich aktiv waren. Durch einen Unfall mussten sie eine Einschränkung erleben und haben dann wieder Zugang zum Sport gefunden. Es ist schön, mitzuerleben, was der Sport der Gesellschaft zurückgeben kann. Ich höre immer wieder Athleten sagen: ‚Zum Glück gibt es den Parasport und seine Strukturen.‘ Die geben allgemein einfach einen neuen Halt und schlussendlich dem Leben wieder einen Sinn. Das hat Auswirkungen auf andere Zweige: familiär, beruflich. Die Sportler sind wieder ganz anders im Leben aufgestellt.

International erfolgreicher Paratriathlet: Martin Schulz.

Man kann bei uns noch nicht klassisch vom System Verein, Landesverband, Bundesverband sprechen. Die Athleten stoßen irgendwann zu uns. Es ist sehr spannend zu sehen, wie jemand auf uns gestoßen ist. Da gibt es ein, zwei Landesverbände, die Eigeninitiative ergreifen. Ich will nicht gleich sagen, dass da jetzt sofort der neue Martin Schulz dabei ist. Aber es sind immer wieder kleine Pflänzchen, die gegossen werden müssen. Wir haben in Deutschland drei Bundesstützpunkte im olympischen Bereich und können dort sicherlich mit den Kapazitäten und dem vorhandenen Know-how den paralympischen Bereich teilweise mit unterstützen. Diese Entwicklungen der inklusiven Stützpunkte versuche ich mit voranzutreiben. Denn wir haben immer noch das Problem der Ängste im Erstkontakt. Das ist auch eine Aufgabe in den Trainerweiterbildungen: zu schulen, dass man nicht weggucken soll, wenn jemand mit Rollstuhl in die Schwimmhalle kommt. Sondern dass man offensiv auf die Person zugeht und sagt: ‚Hey, du bist zwar neu, aber erstens habe ich schon mal was davon gehört und zweitens versuchen wir es einfach.‘

Ich versuche, die Entwicklung der inklusiven Stützpunkte voranzutreiben.

Auch der Austausch mit den anderen Parasportarten spielt eine wichtige Rolle. Zum Beispiel ist Paratriathlon für die Spiele 2028 als Sportart bestätigt. Aber wir wissen erst in ein oder zwei Jahren, welche Klassen an den Start gehen. Da versuchen wir uns rechtzeitig auszutauschen, ob es vielleicht für Athleten in einer anderen Sportart noch eine Perspektive gibt. Dafür gibt es jetzt strukturell eine Anlaufstelle in Freiburg, das Exzellenzcluster Ausdauer. Dort sind mehrere Sportarten zusammengefasst und geben uns die Möglichkeit zum theoretischen Austausch: Welche Startklassen gibt es in den anderen Sportarten, wo passen unsere Athleten rein? Über diesen Fundus an Informationen können wir eine Perspektive geben. Denn nichts ist schlimmer als eine fehlende Perspektive bei den Athleten.

Als Bundestrainer bist du mit Athleten mit unterschiedlichen Einschränkungen in Kontakt. Was sind da die Herausforderungen für dich?
Die Herausforderung ist, die Individualität festzustellen und schlussendlich zu schauen, was möglich ist. Nicht immer zu sehen, was geht nicht – sondern: was geht. Es gibt die Trainingsterminologie und die Trainingsmethodik. Die versuchen wir insgesamt genauso anzusetzen wie bei Athleten, die vermeintlich keine Einschränkung haben. Es ist schön zu sehen, dass viele Dinge funktionieren. Aber man muss sicherlich die eine oder andere Sache beachten. Vor allem, was die Belastbarkeit anbelangt. Je mehr Material man sich anzieht, umso weniger belastbar ist man an dieser Stelle. Wenn Athleten zum Beispiel eine Beinprothese haben, muss man aufpassen, dass die Belastung gut dosiert ist. Gerade beim Laufen. Sobald an der Stelle ein Problem entsteht, ist die Erholung deutlich länger. Die Erfahrungen im Rollstuhl- und Blindenbereich werden immer mehr, auch wenn diese und die Lösungen dann sehr individuell sind. Die Athleten freuen sich über die Rückmeldungen und dass man offen damit umgeht, viele Sachen probiert. Vieles geht gut – und wenn es halt nicht läuft, dann geht man auch mal einen Schritt zurück oder sucht einen anderen Weg. Die Vielfalt ist sehr groß. Aber das bringt unsere Sportart mit. So können wir auch mal sehr gut auf eine andere Teildisziplin umswitchen.

Die Athleten haben unterschiedliche Hintergründe, die meisten gehen nebenbei einem Beruf nach. Wie gelingt es, die Athleten an die Startlinie von so einem großen Event wie die Paralympischen Spiele zu kriegen?
Wenn es einfach wäre, könnte es jeder machen. Diese Herausforderung, Familie, Beruf und Sport unter einen Hut zu bekommen, ist die größte für uns als Trainer und die Athleten. Das eine beeinflusst immer das andere. Man steht sehr viel im Austausch mit den Athleten und schaut nach individuellen Lösungen. So auch in diesem Jahr. Aus unterschiedlichen Gründen habe ich das Team für Paris noch gar nicht geschlossen gesehen. Qualifikationszeitraum, private Sachen – dadurch konnte der eine oder andere immer mal nicht dabei sein. Man muss kompromissbereit sein und gewisse Dinge zulassen, was Training, Trainingslager und berufliche Belastung anbelangt. Aber das zahlt sich immer aus. Der Zugriff auf die Athleten ist sicherlich bei mir noch nicht so da wie im olympischen Bereich. Trotzdem: Wenn ich die Athleten sehe, ist eine sehr hohe Motivation und Bereitschaft vorhanden. Das zeigt sich in Leistung. Deswegen stehen wir da, wo wir jetzt stehen. Wir sehen schon, dass international die Leistung steigt. Dem müssen wir uns stellen. Letztlich sind wir in einer Ausdauersportart – und das geht nun mal über Ausdauertraining. Dafür braucht man Zeit.

Wir gehen mit zwei Medaillenhoffnungen ins Rennen. Die Farbe der Medaille entscheiden die Athleten an dem Tag.

Wie stehen die Chancen der deutschen Paratriathleten in Paris?
Wir gehen mit zwei Medaillenhoffnungen ins Rennen. Die Farbe entscheiden die Athleten an dem Tag. Natürlich wäre ich als Trainer nicht unzufrieden mit zwei goldenen. Aber ich bin genauso zufrieden, wenn es für beide Athleten eine Bronzemedaille wird und an dem Tag einfach zwei stärker waren. Wir würden allerdings lügen, wenn wir sagen würden, wir gehen dort nicht mit einer Medaillenhoffnung ins Rennen. Max kam vor zwei Jahren zu mir und hat gesagt: ‚Tom, ich möchte zu den Paralympischen Spielen.‘ Das hat er jetzt geschafft. Seine Erwartungen gehen klar Richtung Gold. Aber die Spiele haben ihre eigenen Gesetze. Und da bin ich gespannt, wie er mit seinen Gedanken um- und an die Sache herangeht. Vielleicht kommt da Martin mit ins Spiel, der vor seinen vierten Paralympischen Spielen steht und zweimal schon ganz oben auf dem Treppchen stand. Vielleicht kann er diese Coolness und Herangehensweise an so ein großes Event auf Max übertragen, sodass beide Athleten am Tag X die Leistung abrufen können, die zu einer Medaille führt.

Hat die Goldmedaille im Blick: Max Gelhaar.

Dann gibt es sicherlich noch erweiterte Medaillenhoffnungen. Gerade im Frauenbereich mit Anja Renner und Maria Paulig. Die sind im vergangenen Jahr Vierte bei der Weltmeisterschaft geworden und konnten an der Medaille schnuppern. Da gehe ich nicht direkt von Edelmetall aus, aber sie wollen darum mitkämpfen. Auch Neele Ludwig und Elke von Engelen sind immer für eine Überraschung gut.

Ich würde mir wünschen, dass Inklusion nicht als Laster gesehen, sondern wirklich gelebt wird.

Was würdest du dir zukünftig wünschen, von Verbandsseite oder der öffentlichen Wahrnehmung?
Ich sehe, wo wir herkommen – und was wir jetzt schon haben. Das Hauptziel ist, dass wir diese Inklusion auf noch breitere Füße stellen. Dass es noch mehr Anerkennung gibt, auch gesellschaftlich. Dass Inklusion nicht als Laster gesehen, sondern wirklich gelebt wird. Das ist eine Aufgabe von uns im Sport. Ob es jetzt die gemeinsamen Personalstellen in den Instituten sind, die gemeinsame Honorierung auf Trainer- und Betreuerebene – oder die Zugänglichkeit zu Sportstätten. Die eine oder andere Stellschraube ist sicherlich noch notwendig, was Unterstützungsleistungen im privaten Sektor und Sponsoren anbelangt, um sich auch bei uns im Leistungssportbereich der zunehmenden Professionalität zu stellen. Dann können wir optimistisch nach vorn schauen und den Aufwind, den wir bekommen, mitnehmen und gucken, dass wir daraus schöpfen können. Damit wir vielleicht in vier Jahren sagen: ‚Jetzt sind wir strukturell so aufgestellt, dass der nächste Paralympics-Sieger aus einem eigenen Pflänzchen zu einem Baum gewachsen ist.‘

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